Kammermusik und Empathie

  • Ersteller des Themas Samira Spiegel
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Daran scheitern viele, aber ich bin nicht sicher, ob das mit Empathiefähigkeit zusammenhängt. Vermutlich nur zu einem geringen Teil.
Empathie und Empathiefähigkeit gehören zu Grundvoraussetzungen selbstverständlicher Art, um in einem kreativ-künstlerischen Beruf überhaupt zu Hause zu sein. Allerdings ist sie ein nur bedingt trainierfähiger Bestandteil des musikalischen Gestaltungsvermögens, der das "Mitatmen" mit einem Gesangs- und/oder Instrumentalsolisten ermöglicht.
 
- man muss stattdessen seine Interpretation antizipieren und mitempfinden. Daran scheitern viele, aber ich bin nicht sicher, ob das mit Empathiefähigkeit zusammenhängt.

???

Abgesehen davon, dass mich in dem Zitat ein gewisser Widerspruch förmlich anfällt, hätte ich als blutiger Laie gedacht, dass es eher ein Kommunikations- als Empfindungsthema ist. Ich stelle mir das so vor, dass zwischen Kammermusikern untereinander ein Konsens für Körpersprache besteht, bzgl. Rhytmus, Dynamik und anderen rein objektiven Kriterien synchronisiert zu bleiben. Ich stelle es mir sehr schwer vor, in einer Konzertsituation empatisch seinen und den Gefühlen der Mitmusizierenden große Aufmerksamkeit zu schenken. Sonst heißt es nach dem Konzertbesuch nicht mehr: "das war musikalisch ein Hochgenuss", sondern "das war ein ambitionierter Versuch der Empathie" :007:
 
Derzeit übe ich zusammen mit einem Freund auf Empfehlung unserer gemeinsamen KL ein vierhändiges Stück von Satie, alles sehr einfach von der Notation. Was wir zwei einfach dabei lernen -beide blutige Anfänger- daß jeder auf den anderen hören muß, sonst klappt das nicht!
 
Ich stelle es mir sehr schwer vor, in einer Konzertsituation empatisch seinen und den Gefühlen der Mitmusizierenden große Aufmerksamkeit zu schenken.
exakt so ist es aber.
Eine kleine Anekdote aus dem wahren Leben:
Ich wurde spontan bei einem Theaterjubiläum gefragt, Klavier zu spielen, weil die Musikanlage plötzlich aus unerfindlichen Gründen ihren Dienst versagte. Mein Job bestand darin, Theaterszenen musikalisch mitzugestalten (reine Improvisationsaufgabe). Dann gab es u.A. folgende Szene: Ein Mann betritt den Laufsteg (die Bühne war als solcher inszeniert), setzt sich ganz an´s Ende mit Blick zum Publikum auf dasselbe und zieht ein Messer aus der Tasche. Ich sitze mit meinem Instrument recht weit entfernt und sehe nur, dass er beginnt, das Messer zu wetzen. Ich spielte mit ihm. Jeder Wetz ein Akkord. Er wurde langsamer und langsamer, ich ging mit ihm und - so erzählte er mir anschliessend - er dachte: einen mache ich noch, spielt sie mit? Und ich dachte: macht er noch einen? Und zack, man hätte es besser nicht proben können, wetzten wir beide punktgenau noch einen Akkord. Ich kannte den Schauspieler nicht, noch hatten wir je vorher geprobt.
Das ist für mich ein Beispiel von Empathie auf der Bühne und das sind Momente, die durch nichts zu ersetzen sind, die nicht zu erklären sind außer dadurch, dass - in diesem Fall zwei - Menschen genau spüren, was in dem Anderen vorgeht.
Das Wunderbare an Empathie ist ja gerade, dass sie zwischen den Zeilen liegt und durch Worte schwer erklärbar, aber auf der Bühne in der Kammermusik hörbar wird.
Allein dafür liebe ich meinen Beruf!
 
Ich weiß nicht, ob es wirklich Empathie ist. Nach meiner Erfahrung in Ensembles ist der entscheidende Punkt, dass man es schafft, den anderen zuzuhören und nicht nur sich selbst. Wenn sich die einzelnen Spieler in ihren Noten verkriechen und nur auf ihren eigenen Part konzentriert sind, nicht mitbekommen, was um sie herum passiert, dann zerfällt das Ganze. Wir hatten mal eine Flötistin in der Choro-Gruppe, die dadurch teilweise um eine Achtel oder sogar Viertel verschoben gespielt hat, ohne es zu merken. Da schafft es der Rest der Gruppe auch nicht mehr, das zu kompensieren.
Vielleicht hilft Empathie, ein guter Zuhörer zu sein. Aber es braucht auch Offenheit und die Bereitschaft, sich nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Und nicht zuletzt muss es auch gelernt und geübt werden, seine Ohren nach außen zu öffnen und gleichzeitig sein eigenes Spiel zu hören und zu kontrollieren.
 
Ich glaube nicht, dass die Fähigkeit zur Empathie kongruent ist mit der Fähigkeit zum kammermusikalischen Musizieren. Dazu kenne ich zu viele sehr gute Kammermusiker, deren Empathie durchaus ausbaufähig ist. :)) (Nebenbei bin ich auch nicht der Meinung, dass Musiker überhaupt besondere menschliche oder soziale Fähigkeiten aufweisen - man schaue sich nur an, was an Musikhochschulen etc. im Unterricht so abgeht.)

Miteinander zu musizieren ist eigentlich der Normalfall, dem nur eine recht merkwürdige Spezies unter den Instrumentalisten namens Pianist entgeht. Wie heißt es so schön "Einzelhaft am Klavier". :)

Während nun also Streicher, Bläser u.a. fröhlich miteinander musizieren und dabei ein menschlich völlig normales Maß an mehr oder weniger Empathie aufweisen, möchten sie aber gern auch die Wunderwerke der Klavierkammermusik spielen. Auch Sänger sind in ihrer Literatur von einem Pianisten abhängig, Opernsänger brauchen einen Korrepetitor, Liedsänger einen Liedbegleiter.

Vor 45 Jahren, als ich mit dem Begleiten anfing und dieses auch noch so hieß, gab es nicht viele davon. Schon gar nicht welche, die flexibel, sicher, stützend, helfend, musikalisch mit einem sicheren Gespür für Zusammenspiel und Zusammenklang musizierten.

Auch in der Hochschule gab es viel zu wenige, die korrepetierten, die sich damit an der Hochschule ihre Brötchen verdienten. Viele Professoren beklagten das bitter. Die Klavierprofessoren nicht, denn die wollten, dass ihre Studenten Sololiteratur einstudierten und auf keinen Fall ihre Zeit mit Kammermusik oder Korrepetition verschwendeten. Ist ja auch klar, weil ja alle Solisten werden. :018::009:

Nun ja, als Klavierbegleiter jedenfalls braucht man viele Eigenschaften:

1. Fels in der Brandung

Unerschütterlich wirkt der Klavierbegleiter schon vor Konzerten und Prüfungen, aber auch Proben beruhigend auf seinen Partner ein. Er lässt nicht die kleinsten Anzeichen von Nervosität erkennen, sondern strahlt durch seine reine Präsenz Siegesgewissheit, Ruhe und Zuversicht aus.

Während des Konzerts/der Prüfung ist der Klavierbegleiter eine Bank, die jedes Malheur zum Guten wendet, der falsche Töne seines Partners (er selbst macht natürlich nie welche oder übergeht sie mit der Noblesse eines Dom Perignon kostenden Lebenskünstlers edlen Geblüts) in die Interpretation integriert, der fröhlich hoppelnd von Stelle zu Stelle hüpft, wenn sein Partner ohne Noten eine Gedächtnislücke hat, der transponiert, wenn der Sänger gerade erkältet ist (möglichst nach unten und nicht nach oben wie Gerald Moore es so köstlich schildert), der sogar mal extra laut spielt, wenn er merkt, sein Partner schwächelt, der so wenig nachgibt wie möglich und so viel wie nötig, der führt und gleichzeitig die Illusion der Zurückhaltung vermittelt, der weiß, wann er in den Vordergrund tritt und wann nicht, der weiß, wann er welche Rolle einnimmt und der selbstverständlich vollkommen glücklich und zufrieden ist, wenn er immer nur als zweiter im Konzert genannt wird. Gern auch kleiner geschrieben.

2. Pfuscher vom Dienst

Da der Klavierbegleiter oft die Noten sehr kurzfristig bekommt, ist er gezwungen, den Notentext zu seinen Gunsten auszulegen. Die Kunst des Töne Weglassens ohne dass es nach "Alle meine Entchen" klingt, hat er perfektioniert. Er ist ein Illusionskünstler, der statt höchst unübersichtlicher entsetzlich schneller und schwerer Passagen eine wilde Tremolobegleitung einsetzt, die den Effekt des Schnellen mit dem doch sehr angenehmen Weglassens vieler Töne verbindet und so doch immerhin den verlangten "Krach" macht. Er hofft selbstredend, dass keine Fachleute im Publikum sitzen, die diesem Zauber dummerweise nicht erliegen.

3. Chamäleon, flexibel und anpassungsfähig

Der Klavierbegleiter ist ein Phänomen an Flexibilität. Ob mit Sängern, Geigern, Bläsern u.v.a. - null problemo. Einzige Ausnahme: mit Sängern, deren musikalische Fähigkeiten nicht unbedingt von Größe zeugen, arbeitet er nicht so gern - es ist auf die Dauer doch ein kleines bisschen anstrengend, immer wieder die Singstimme vorspielen zu müssen, bei rhythmischen Problemen z.B. beim Halten einer halben Note doch immer wieder zählen zu müssen o.a..

Aber sonst ist er in allen Bereichen einsatzfähig. Er ist auch außerordentlich flexibel in der Wahl des zur Verfügung stehenden Instruments. Ob eine Taste hängt oder doch eine klitzekleine mehr oder weniger starke Verstimmung des Instruments den Klang trübt - alles kein Problem. Der Klavierbegleiter hält es mit dem Zitat: es gibt keine schlechten Klaviere, es gibt nur schlechte Pianisten!

Er ordnet sich auch selbstverständlich den Wünschen seines "Solisten" unter, was die Einstellung der Höhe des Klavierdeckels angeht. Der Sänger hat Angst, dass Klavier könne zu laut sein? Selbstverständlich, stopfen wir dem Klavierklang das Maul und machen den Deckel zu. Oder vielleicht doch ein Buch mit einem winzigen Spalt dazwischen legen? Oder halb auf? Der Begleiter hört die mangelnde Tragweite der Stimme seines Sängers und gibt nach nach dem Motto " Heute müssen Sie gut gespielt haben, denn ich merkte nichts von Ihnen." (Raymond von zur Mühlen zu Coenraad V. Bos)

Selbstverständlich zeigt er sich außerdem flexibel in allen musikalischen Parametern. Tempo ein bisschen schneller, aber klar. Ach nee, heute doch langsamer, aber selbstverständlich. Zwischendurch ein überraschendes ritardando seines Partners - Spontanität belebt!

4. Genügsam wie ein Kaktus

Der Klavierbegleiter ist ebenso sehr genügsam. Er gibt sich zufrieden mit der Rolle "im Hintergrund". Finanziell erweist sich diese Haltung für den Partner als wahre Wohltat, denn der Klavierbegleiter steht gerne zurück. Hauptsache, es macht Spaß! Mittlerweile hat sich diese ehemals sehr verbreitete Haltung erstaunlicherweise zu seinen Gunsten geändert - der Klavierbegleiter reibt sich verwundert die Augen und erschrickt etwas vor dem grellen Rampenlicht, dass auf ihn und seine neben ihm stehenden Kammermusikpartner scheint.

Und so scheinen die Zeiten, in der hervorragende Pianisten wie Lambert Orkis sich in den Dienst einer Anne-Sophie Mutter begeben, allmählich vorbei zu sein. Sonaten für Klavier und Violine werden als solche bezeichnet, das Miteinander steht im Vordergrund, es wird gemeinsam gearbeitet in den Proben.

Deswegen wird auch der Begriff "Begleiter" kritisch beäugt. Statt Liedbegleitung heißt es gern Liedgestaltung. Die meisten großen Liedbegleiter haben mit diesem Begriff aber kein Problem. Gerold Huber sagt: "Ich sehe mich ganz als Liedbegleiter, als Begleiter des Sängers und trotzdem als Künstler, in der künstlerischen Arbeit vollkommen gleichberechtigt."

Auch Helmut Deutsch sieht sich als Liedbegleiter, aber eben als gleichberechtigten Partner. Die frühere Angst der Sänger vor einer zu lauten Begleitung, die Gerald Moore in seiner herrlichen Biografie "Bin ich zu laut?" thematisiert, sei ihm in den letzten 20 Jahren nicht mehr begegnet.

Es könnte also durchaus sein, dass speziell Liedbegleiter mehr Empathie brauchen als der Pianist eines Klavierquartetts oder als ein Solist, ich bin mir da aber nicht sicher.

Viel wichtiger ist beim Spielen von Kammermusik das gemeinsame Erleben des Entstehens von Musik! Das ist etwas wirklich Einzigartiges. Eine Phrase zu zweit gestalten, Musik gemeinsam aus sich selbst heraus zu entwickeln, die gemeinsame Arbeit an einer Interpretation, die Diskussion verschiedener Sichtweisen ist ein ganz tolles Gefühl! Das ist auch unabhängig vom musikalischen Fortschritt der Beteiligten - deswegen ermuntere ich jeden, Kammermusik zu machen!

Am tollsten ist das, wenn man jemanden hat, mit dem man in jeder Hinsicht ein Herz und eine Seele ist. Was ich glücklicherweise seit nun schon 45 Jahren habe. Es ist ein großes Geschenk, mit sehr guten Musikern zusammenarbeiten zu dürfen.

Und sonst handelt man einfach professionell. Ich hatte bisher nur bei einem Instrumentalisten wirklich Schwierigkeiten - er hat im Timing Dinge gemacht, die meinem musikalischen Gefühl sehr widersprachen. Es ging zwar, aber ich musste dauernd gegen mein eigenes Gefühl spielen und war froh, als es vorbei war.

Der spannende und lebendige Dialog, das spontane Reagieren aufeinander, Impulse zu geben und aufzunehmen, sensibel zu interagieren und vor allem: nonverbal in Musik miteinander zu kommunizieren, alle Qualitäten menschlicher Kommunikation in Musik wiederzufinden und etwas, dass ich nicht ausdrücken kann - das ist Kammermusik! :)

Liebe Grüße

chiarina
 
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Da der Klavierbegleiter oft die Noten sehr kurzfristig bekommt, ist er gezwungen, den Notentext zu seinen Gunsten auszulegen.
LOL
Hier an der Uni gibt es einen excellenten Blattspieler und Liedbegleiter, der sagt: "ich betrachte Noten als ein Angebot...". ;-)

Statt Liedbegleitung heißt es gern Liedgestaltung.
Das sind i.d.R. zwei unterschiedliche Fächer!
Liedbegleitung heißt: "hier hast du 'ne Melodie, mach was draus!"
Liedgestaltung heißt: "hier hast du Schubert-Noten, mach 'ne wichtige Miene"
 
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Der spannende und lebendige Dialog, das spontane Reagieren aufeinander, Impulse zu geben und aufzunehmen, sensibel zu interagieren und vor allem: nonverbal in Musik miteinander zu kommunizieren, alle Qualitäten menschlicher Kommunikation in Musik wiederzufinden und etwas, dass ich nicht ausdrücken kann - das ist Kammermusik! :)
Ja, nicht wahr!

 
Zuletzt bearbeitet:

LOL
Hier an der Uni gibt es einen excellenten Blattspieler und Liedbegleiter, der sagt: "ich betrachte Noten als ein Angebot...". ;-)


Das sind i.d.R. zwei unterschiedliche Fächer!
Liedbegleitung heißt: "hier hast du Melodie, mach was draus!"
Liedgestaltung heißt: "hier hast du Schubert-Noten, mach 'ne wichtige Miene"
Früher studierte man im Aufbaustudiengang Liedbegleitung, heute heißt es oft Liedgestaltung. Beides meint dasselbe.

Den Ausdruck "Liedbegleitung" gibt es natürlich auch in dem von dir verwendeten Kontext.



Liebe Grüße

chiarina
 
Wenn du aber nur hörst, dann bist du stets reaktiv. Wenn du fühlst, dann geht ihr gleichzeitig. Das ist ein Unterschied.
Das Fühlen entsteht aber durch die Kombination deiner Sinneseindrücke. Du hörst und siehst die anderen. Wenn es ein reines Fühlen wäre, müsste es auch funktionieren, wenn man in verschiedenen Räumen spielt. Das Entscheidende ist, dass man seine Mitspieler auf mehreren Kanälen wahrnimmt, dann entsteht dieses gemeinsame Schwingen, das Grooven. Dass dann manchmal magische Dinge passieren, kann daran liegen, dass man sich sehr gut kennt oder durch so etwas wie Intuition, was aber auch einfach ein extrem schnelles Reagieren auf einen Impuls sein kann.
nonverbal in Musik miteinander zu kommunizieren,
Das ist für mich mit der größte Spaß an Live-Konzerten. Zu sehen, was alles an Kommunikation auf der Bühne passiert.
Und natürlich auch, wenn ich selbst spiele, weshalb es mich immer stört, wenn die Mitspieler ihre Augen nur in den Noten haben und man keinen Blickkontakt aufbauen kann. Als Percussionistin ist es natürlich etwas leichter auswendig zu spielen, und ich schaue während des Spielens gerne in die Runde.
 
Dass dann manchmal magische Dinge passieren, kann daran liegen, dass man sich sehr gut kennt oder durch so etwas wie Intuition, was aber auch einfach ein extrem schnelles Reagieren auf einen Impuls sein kann.
Meine Erfahrung sagt: Sich sehr gut kennen hat null Einfluss auf magisches Zusammenspiel.
Bei meinem o.a. Beispiel z.B. kannte ich den Schauspieler überhaupt nicht, ich habe noch nichteinmal sein Gesicht gesehen, habe mich nach der Veranstaltung nach ihm erkundigt und erst dann haben wir miteinander gesprochen.
Ich habe es schon häufig erlebt, mit völlig unbekannten Mitmusikern die wunderbarste Musik gemeinsam zu empfinden.
Also die private Ebene spielt keine Rolle, wenn wir musizieren, begeben wir uns in eine andere Welt mit anderen Kommunikationsebenen. Das kann man durchaus Empathie nennen. Zumindest fällt mir kein besseres Wort dafür ein.
 
Ich meinte auch nicht privat kennen, sondern im musikalischen Zusammenspiel kennen. Wenn man weiß, wie jemand phrasiert oder mit der Musik "atmet", dann kann man da auch spontan drauf eingehen, weil es vertraut ist.
In deinem Fall im Theater war es wahrscheinlich deine extrem feine Wahrnehmung von kleinsten Bewegungsimpulsen.
Ich glaube nicht an übersinnliche Wahrnehmung, aber an unbewusste sinnliche Wahrnehmung von so feinen Details, dass man nicht sagen kann, was man genau wahrgenommen hat.
Wie beim Reiten: Die Hilfen des Reiters sind im besten Fall unsichtbar. Auf den Zuschauer wirkt es dann wie Telepathie, die perfekte Harmonie zwischen Mensch und Pferd.
 
Nicht "übersinnliche" Wahrnehmung, sondern "unbewusste" Wahrnehmung sollte man sagen. Die unbewusste Wahrnehmung ist nochmals deutlich empfindlicher als eine bewusste Wahrnehmung.

Man weiß schon lange, dass z.B. der unbewusste Gleichklang zwischen zwei Menschen (parallele Körpersprache, gleiches Sprechtempo,...) sich im Mikrosekundenbereich bewegt. Bewusste Wahrnehmung ist mit 10-100 Millisekunden geradezu grobkörnig.

Es gilt in der Musik die uralte Erfahrung: wenn man jemanden begleitet, ist man immer schon zu spät. In den Proben muss man sich musizierend aufeinanderzubewegen. Auch die Sängerin auf ihren Klaviermann zu.
 
@Araponga , als ich Deinen letzten Beitrag las, musste ich schmuzeln, gingen mir doch heute bei meinem sonntäglichen Ritt durch den Wald genau solche Gedanken durch den Kopf. Die Kommunikation mit Tieren zeigt uns sehr genau, dass es andere Ebenen gibt als die intellektuellen. Und unser Unterbewusstsein ist viel schneller als der Kopf.
Gerade beim Reiten erlebe ich es immer wieder, welch winzige Veränderungen im Körper welch unglaubliche Reaktionen im Tier hervorrufen (und oftmals weiß ich gar nicht, welche Mikrobewegung eine Reaktion hervorgerufen hat, außer dass ich dachte: Wir parieren jetzt mal durch...).
Ich kann übrigens nicht sagen, dass ich mit musikalischen Partnern, die ich länger kenne, besser zusammenmusiziere als mit unbekannten. Die Vertrautheit kommt mit den ersten Klängen und ist - zumindest bei mir - völlig unabhängig davon, wie oft ich schon mit jemandem musiziert habe. Der einzige Unterschied ist: Auf diejenigen, die ich kenne und von denen ich weiß, dass wir gut zusammen harmonieren, freue ich mich im Vorhinein mehr, weil ich sie ja schon kenne und weiß, dass es schön wird. ;-)
 
Ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, einen passenden Kammermusikpartner zu finden ist ebenso schwierig, vielleicht schwieriger, wie einen passenden Lebenspartner zu finden.

Nun ja, als Klavierbegleiter jedenfalls braucht man viele Eigenschaften:
Hm. Wenn ich das so lese, dann scheint so ein guter Klavierbegleiter/ -gestalter jedenfalls ein wahres Muster an Unauffälligkeit, Stabilität, Selbstzurücknahme, Improvisations- und Anpassungsfähigkeit und eigener Anspruchs- und Bedürfnislosigkeit zu sein, ob er im Grunde den Sänger nun führt oder umgekehrt. Er kann sich ganz auf jemand anderen einstellen, daher vielleicht auch der "ein Herz und eine Seele"-Eindruck. Vice versa muss das aber nicht so sein. Wenn man das so auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen würde: wahrscheinlich weniger Lebenspartner als Therapeut ... ? Das letztere ist ja auch eine professionelle Rolle, das erstere nicht - zumal es so auf Dauer auch gar nicht lebbar sein dürfte!
 
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