Im Namen des ...

Seid Ihr religiös? Woran glaubt Ihr?


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    128
Meine Erfahrungen haben aber gezeigt, dass dort, wo die Distanz verloren geht, dort wo es emotional wird und das Seelenheil des anderen als gefährdet betrachtet wird, die Missionierung (Proselytismus möchte ich es in diesem Zusammenhang nicht nennen) ihren Anfang nimmt.

Meine Erfahrungen haben noch etwas anderes gezeigt, und zwar, noch lange bevor überhaupt von anderer Leute Seelenheil die Rede ist, dass allein schon wenn es eine(r) mal wagt, etwas über seinen/ihren eigenen Glauben zu sagen, die Zuhörerschaft (gerade in Deutschland) extrem allergisch reagiert und dieser Person sofort Missionierungsabsichten unterstellt, die u.U. gar nicht vorhanden sind. Die Leut fahren meist schon die Stachel aus, bevor das Wort "Glau..." oder "Go.." überhaupt ausgesprochen ist. Was müssen die alles erlebt haben, um solch eine chronisch-allergische Reaktion auszulösen?!

Und wenn ich das sehe, dann kann für mich von "Mission" nicht im entferntesten die Rede sein, wenn man anderen unter dem Deckmantel eines gefährdeten Seelenheils irgendeinen psychischen Druck macht, sondern höchstens dann, wenn man sich behutsam daran macht, erstmal die ganzen Scherben aufzuräumen.

Gruß mit Kehrblech und Handbesen,
Mark
Edit: ich weiß, ich wollte schon nach dem vorigen Beitrag schweigen...
 
Für mich bedeutet »glauben«, etwas für die Wahrheit zu halten.
Und wer was für die Wahrheit hält ist stark davon abhängig, wie die Wahrheit gefunden wurde.

Ein möglicher Weg ist, man verknüft Wahrnehmungen. Diese können sinnlich oder anders erfasst werden, durch Überlegungen und gedankliche Erweiterungen, sowie mit für wahr gehaltenen fremden Erfahrungen, ergänzt und immer wieder auf deren Wahrheitsgehalt überprüft werden.

Eine andere Möglichkeit ist, vorgefertigte Lehren zu übernehmen und für wahr zu halten.

Wenn man die für einen selbst gültige Wahrheit (noch) nicht gefunden hat, dann glaubt man auch nicht. Daran ändert auch das gemeinschaftliche durchführen von Ritualen nichts. Es steht ausserdem jedem frei, kein Interesse an jedweder Wahrheit zu haben. Vielleicht soll auch noch erwähnt werden, sogar Zweifel ist ein starker Glaube.

Grüße
Thomas
 
schon wenn es eine(r) mal wagt, etwas über seinen/ihren eigenen Glauben zu sagen, die Zuhörerschaft (gerade in Deutschland) extrem allergisch reagiert und dieser Person sofort Missionierungsabsichten unterstellt, die u.U. gar nicht vorhanden sind. Die Leut fahren meist schon die Stachel aus, bevor das Wort "Glau..." oder "Go.." überhaupt ausgesprochen ist. Was müssen die alles erlebt haben, um solch eine chronisch-allergische Reaktion auszulösen?!

Ich glaube gar nicht, daß denen etwas traumatisches passiert ist, das ist einfach ein kulturell determiniertes Verhalten, das ein Resultat des Kulturbruches der 68er Jahre ist.

In der muffig-restaurativen Adenauer-Erhardt-Kiesinger -- Epoche war das Bekenntnis zur Kirchengebundenheit und zu einem Staatskirchentum, bei dem die Kirche als Teil der Obrigkeit begriffen wurde, gleichsam Bürgerpflicht (und Mittel der Abgrenzung gegen die roten vaterlandslosen Gesellen). Diese politische Rolle der Kirchen ist nach 68 zwar nicht vollständig beseitigt, aber drastisch reduziert worden. Da weite Teile der Bevölkerung (mich eingeschlossen) die 68er Jahre als eine Epoche bürgerlicher Aufklärung und Demokratisierung begriffen, hat sich damals eine (argumentativ schlecht begründete) Neigung zur Identifikation von Aufklärung mit Antikirchlichkeit und Antireligiosität herausgebildet. Weil aber die historischen Zusammenhänge schon in der nächsten Generation in Vergessenheit gerieten, hat sich diese Haltung verselbstständigt. Als Sekundärentwicklung dazu gilt Religion nun vielen Leuten nicht nur als Privatsache, sondern auch als etwas, worüber man im öffentlichen Raum nicht spricht sondern in den "Reservaten" Kirche und nicht zuletzt auf dem Kirchentag. Wer sich nicht an diese weithin akzeptierte Regel hält, gerät schnell unter "Sektenverdacht".

Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um einen Aspekt des globalen kulturgeschichtlichen Vorgangs, daß man den Muff der Adenauerjahre zwar hinweggefegt hat, dann aber keine Kraft für einen wirkliche Neubesinnung darauf fand, wie eine Zivilgesellschaft und bürgerliche Demokratie aussehen könnte: auf der Linken sind viele Leute in einen kleinbürgerlichen Hedonismus abgeglitten, auf der Rechten haben die Enkel Adenauers die "geistig-moralische Wende" zurück zum rheinischen Spießerstaat ausgerufen.

Aber nachdem es ja derzeit unsere großes Leidenschaft ist, den Umgang mit dem kulturell Anderen zu lernen, wird oder muß sich wohl auch wieder ein gelasseneres Verhältnis von Nichtchristen zu Christen einstellen.

Friedrich
 
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Meine Erfahrungen haben noch etwas anderes gezeigt, und zwar, noch lange bevor überhaupt von anderer Leute Seelenheil die Rede ist, dass allein schon wenn es eine(r) mal wagt, etwas über seinen/ihren eigenen Glauben zu sagen, die Zuhörerschaft (gerade in Deutschland) extrem allergisch reagiert und dieser Person sofort Missionierungsabsichten unterstellt, die u.U. gar nicht vorhanden sind. Die Leut fahren meist schon die Stachel aus, bevor das Wort "Glau..." oder "Go.." überhaupt ausgesprochen ist. Was müssen die alles erlebt haben, um solch eine chronisch-allergische Reaktion auszulösen?!

Wie das in Deutschland ist, kann ich nicht beurteilen - ich komme aus einem erzkonservativen, katholischen Ort in Österreich. In meiner Schulzeit war es hier noch üblich den Kindern einzutrichtern, sich nicht mit Leuten aus den evangelischen Nachbargemeinden abzugeben, denn Katholiken sollten mit "Lutheranern" keinen Umgang pflegen - gleiches galt für Leute, die nicht in die Kirche gingen, denn jeder der nicht in die Kirche ging war automatisch Atheist und somit auch Kommunist. Jemand der sich öffentlich als Atheist bezeichnet, sollte auch heute besser keine gemeindepolitischen Ambitionen haben - auf eine Anstellung beim Arbeitgeber Gemeinde, bzw. in der Schule braucht man auch nicht mehr zu hoffen. Sicher ist das heute schon etwas lockerer, auch bei uns mehren sich Kirchenaustritte (die übrigens von der Kanzel aus verkündet werden), dennoch ist es so, dass auch heute Kinder noch ausgegrenzt werden, wenn sie nicht in die Kirche eingebunden sind. Die Kirche hat bei uns immer noch einen hohen Stellenwert und nimmt auch wichtige soziale Funktionen wahr - der einzige Kindergarten der Gemeinde ist ein Pfarrkindergarten, die Kinder- und Jugendorganisationen und der Seniorenclub sind ebenfalls kirchlich.

Also bei uns brauchst du keine allergischen Reaktionen zu befürchten, wenn du Gott oder Glauben erwähnst - und auch "Lutheraner" werden angesichts der drohenden Gottlosigkeit nur noch als kleineres Übel betrachtet.

LG, PP
 
In der muffig-restaurativen Adenauer-Erhardt-Kiesinger -- Epoche war das Bekenntnis zur Kirchengebundenheit und zu einem Staatskirchentum, bei dem die Kirche als Teil der Obrigkeit begriffen wurde, gleichsam Bürgerpflicht (und Mittel der Abgrenzung gegen die roten vaterlandslosen Gesellen). Diese politische Rolle der Kirchen ist nach 68 zwar nicht vollständig beseitigt, aber drastisch reduziert worden.
...zumindest für Deutschland wäre noch an das Reichskonkordat zu erinnern, welches den Kirchen (speziell der katholischen) eine gewisse juristische Narrenfreiheit garantiert; es soll heute noch gelten...
 
Ich glaube gar nicht, daß denen etwas traumatisches passiert ist, das ist einfach ein kulturell determiniertes Verhalten, das ein Resultat des Kulturbruches der 68er Jahre ist.


So sehr ich dir zustimme, lieber Friedrich, so sehr glaube :p ich auch, dass nicht selten persönliche sehr negativ besetzte Erfahrungen zu dieser Ablehnung führen.

Ulla Hahn "Das verborgene Wort" spricht mir da aus dem Herzen.

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Lieber Mark, warum willst du schweigen? Erstens finde ich deine Beiträge super und zweitens auch die ganze Diskussion!
 
Guten Abend!

Meine Beobachtungen stimmen mit denen von Sla019 weitgehend überein.
Ich möchte einen Gedanken hinzufügen, der mir wesentlich erscheint.

In den beiden in Deutschland dominanten Kirchen (römisch-katholisch/evangelisch-
lutherisch-reformiert) hat schon im 19.Jahrhundert ein Prozeß der Verweltlichung eingesetzt,
dessen Folgen, nämlich eine Distanzierung vom institutionalisierten Christentum,
erst mit dem "Kulturbruch" von 1968 (eigentlich 1967) sichtbar geworden ist:
die Verquickung von Christentum und (spieß)bürgerlicher Moral.

Mancher wird sich jetzt vielleicht verwundert die Augen reiben, weil ihm
beides so vollkommen deckungsgleich erscheint. Umso stärker ist zu betonen,
daß christlicher Glaube und die daraus folgende Ethik von bürgerlicher Moral
äonenweit entfernt sind, daß der bürgerliche Verhaltenskodex sogar in Konkurrenz
zum Christentum stand und die Kirchen sich ihm ohne Not unterworfen haben -
aus Bequemlichkeit, aus Mangel an theologischer Reflexion?

Der Sachverhalt ist exegetisch belegbar. In seinen Briefen behandelt Paulus
ethische Fragen ganz am Ende, nach Erörterung der theologischen Fragen.
Eine bestimmte Ethik folgt aus dem Glauben und ist nicht seine Voraussetzung.
Sie ist teilweise wandelbar, orts- und zeitabhängig. Es ist die Aufgabe eines Christen,
seinen Glauben glaubwürdig vorzuleben, und nicht, bei anderen die Einhaltung
irgendwelcher (innerweltlicher) Regeln zu überwachen.

Aber genau dazu hat sich das abendländische Christentum selbst erniedrigt -
und traumatisierende Folgen bis hin zur "ekklesiogenen Neusrose" verursacht.
Das Urbild dieser traumatisierenden Erfahrung: Kindliches Wohlverhalten,
das Eltern unter Verweis auf den alles sehenden Gott, der jedes Fehlverhalten
in sein Buch einträgt, zu erzwingen versuchen. Dieser Gott wird zum verlängerten Arm
elterlichen Willens. Eltern, die ihre Kinder gerne mit Liebesentzug strafen, drohen auch mit
göttlichem Liebesentzug. Im Religionsunterricht war Goethes meschuggene Ballade
von der "wandelnden Glocke", die dem seiner Sonntagspflicht nicht nachkommenden Kind
hinterherläuft und es in die Kirche treibt, ein beliebtes Thema - inclusive passender Zeichnung.
Da ist es für den mit seinem Elternhaus brechenden Adoleszenten naheliegend,
im selben Atemzug auch der Kirche Lebewohl zu sagen, und es ist für viele bis heute unmöglich,
zwischen Christentum und dem repressiven Umfeld seiner Kindheit zu unterscheiden.

In der Solidariserung von kirchlichen Amtsinhabern mit der Friendens- und Anti-Atomkraft-Bewegung,
mit den Stuttgarter Wutbürgern etc. tritt diese Gleichsetzung von Moral und einem
daran dingfest zu machenden Christentum erneut auf, nur unter anderen Vorzeichen -
prinzipiell jedoch vom "Gebet für den Führer" nicht zu unterscheiden. Doch sind das Pyrrhussiege,
denn die Kirchen treten hier beständig als Trittbrettfahrer auf - und sie grenzen Befürworter
der jeweiligen Projekte aus. Aber der leidende Christus wendet sich aus Prinzip allen Menschen zu,
dem gesellschaftlichen Mainstream wie den gesellschaftlich Verfemten.

Gruß, Gomez

.
 
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Lieber Gomez,

du hast mir wirklich aus dem Herzen gesprochen! Danke!!!

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Hat sich denn die Kirche überhaupt gelöst von diesem Bild? Unterscheiden nicht immer noch viele Menschen zwischen Christentum und Kirche?
 
P.S.: Hat sich denn die Kirche überhaupt gelöst von diesem Bild? Unterscheiden nicht immer noch viele Menschen zwischen Christentum und Kirche?
Bestimmt tun das viele Menschen und ich bin einer von ihnen. Ich unterscheide zwischen Glauben, zwischen "Antwort erhalten", zwischen Zweifeln und Suchen, zwischen Kirche und Religion - und noch mehr.
Ich bin kein Kirchenmitglied - aber ich lese gerne und oft in der Bibel. Vieles, was die sogenannte "christliche Religionen" vermittelt, kann ich in Bibelworten nirgends entdecken, Beispiel: die gesamte "Verdammung" von sexuellen Fragen, das Zölibat. In der Tat halte ich sogar weite Teile des katholischen Glaubens durch und durch durchsetzt von heidnischen Symbolen. Jesu Blut trinken? Bitte?? Sind wir Kannibalen? Dreieinigkeit? Was ist das? Wo spricht Jesus von Dreieinigkeiten? Er sagt, der heilige Geist werde die richtigen Worte in den Mund legen. Hoffentlich! Viele theologische Fragen und Begriffe sind mir bis heute absolut schleierhaft geblieben, ich halte sie für Erfindungen eines historischen Machtapparates. Diesen verurteile ich aber nicht! Denn natürlich hat die Kirche viel zu unserer Zivilisation beigetragen. Selbst das "finstere Mittelalter" scheint mir noch lange nicht vorbei zu sein, im Gegenteil, wir leben mit Mobilfunktechnik noch mitten darin. Die Medien stieren doch auf sexuelle Verfehlungen, es finden öffentliche Verbrennungen statt... (Nebenbemerkung: Selig, wer keine öffentliche Person geworden ist, auch nicht als Musiker!).

Ich halte Glauben für etwas sehr privates. Gott findet den suchenden Menschen, nicht der Mensch Gott. Natürlich werden die Kirchen auch besucht von "schwachen Menschen", von Blendern, Egoisten und Doppelmoralbürgern. Überall begegnen wir aber auch viel Hilfsbereitschaft, Brüderlichkeit - sogar unter Menschen mit anderen Glaubensrichtungen; die nicht an die Wiederauferstehung glauben können oder wollen.

Wenn ich mich in einen Kircheninnenraum verirre, so fühle ich mich (als amtlich bescheinigter Atheist) wie in einer Sekte mit Ritualen, die ich nicht verstehe, deren Ablauf mir fremd ist. Die Konfessionen sind mir egal, ich gehe in jede Kirche. Warum musste sich eigentliche jede Ecke eine eigene Kirche bauen? Denken die Bayern, dass Gott so vergesslich ist, dass man an jeder Straßenecke ein Kreuz aufstellen muss? Warum müssen Kirchenbesucher auf Holzbänken leiden, nur weil sie Gott Dank sagen wollen????

Ich würde mich freuen, wenn die Kirchen sich bemühen würden, sich neu für "Laien" zu öffnen, weniger Kult, mehr Integration von UNS SELBER. Denn: Viele, die christlich getauft worden sind, haben tief im Innern heidnische Ideale und Vorstellungen. Abschließend: Wir in Deutschland als Organisationsgemeinschaft leben in einem säkularen Staat, die Wahlbevölkerung ist überwiegend heidnisch geprägt und das Land, dort, wo die Kirchtürme sichtbar stehen, ist christlich.

Wer sich mit theologischen Fragen auskennt: Welches Buch und welche Stellen zitiert JESUS, wenn er sagt "Es steht geschrieben...", "damit das Schriftwort sich erfüllt...", usw. Ich finde weder die von ihm genannten Zitate im Original noch Antworten auf diese Frage, auch nicht in den lesenswerten Büchern von Joyce Meyer.
 
Meinen herzlichen Dank, insbesondere an Friedrich und Christoph. Ihr habt einem Auslandsdeutschen neue Einblicke gestattet und Zusammenhänge aufgezeigt.

@ Chiarina: schweigen wollte ich in dem Sinne, dass ich einen (Umfrage-)Faden nicht mit meinen persönlichen Ansichten/Überzeugungen überlasten wollte, freue mich aber, dass solch eine Diskussion zustandegekommen ist, und nehme auch gerne weiter daran teil.

@ Fips: zumal wir gerade erst Ostern hatten, würde "Kehrblech und Hasenbein" gar nicht schlecht kommen. ;) Für ein Osterlachen allemal gut.
 


Guten Abend, lieber Neronick,

so ganz arg weit, wie Deine auf diesen Satz folgenden apodiktischen Formulierungen suggerieren, scheinst Du in die Materie noch noch nicht eingedrungen zu sein, was Dir natürlich, da Du nicht im Verdacht stehst, Priesteramtsanwärter zu sein, niemand vorwerfen wird. Also, zu ein paar Punkten meine - ebenfalls laienhaften - Anmerkungen:

was die sogenannte "christliche Religionen" vermittelt, kann ich in Bibelworten nirgends entdecken

Du scheinst dem populären Irrtum zu erliegen, Bibel mit Katechismus gleichzusetzen, das ist die Bibel aber klärlich nicht. Es handelt sich um eine Sammlung unterschiedlicher Schriften (im AT sogar sehr heterogener und spät, nämlich 100 n.Chr., kanonisierter), nicht um eine systematische Lehrschrift. Zudem beträgt die Distanz zwischen Jesu' Lehrtätigkeit und dem NT rund 2 Generationen, weil man überhaupt erst mit der schriftlichen Niederlegung der "christlichen" (anfangs eher: reformjüdischen) Anschauungen begonnen hat, als die Parusie-Erwartung der Urgemeinde sich nicht erfüllte. Aus diesem Grunde weist das NT notwendigerweise viele Lücken und die Evangelien etliche Diskrepanzen auf, sodaß Fragen, die auftauchen, durch theologische Reflexion gelöst werden müssen oder wenigstens der Versuch dazu unternommen werden muß. Hierher gehört


Gute Frage, und schade daß Du uns nicht deine Ansicht dazu verrätst (na vielleicht auch gut, denn sonst würden möglicherweise viele Theologen um Lohn und Brot kommen). Klar ist jedenfalls, daß im NT die Rede ist von Gott, seinem Sohn und seinem Geist, ohne daß aber ihre gegenseitigen Relationen definiert würden. Um die Antwort zu finden, jenseits politisch motivierter konziliarer Festlegungen in der Spätantike, bedarf es eben solcher kritischer Geister, wie Du einer bist.

Welches Buch und welche Stellen zitiert JESUS, wenn er sagt "Es steht geschrieben...", "damit das Schriftwort sich erfüllt...", usw.
Das tut nicht Jesus, sondern der jeweilige Evangelist; und der zitiert nicht (immer) wörtlich, sondern referiert auf eine AT-Stelle. Der Querverweis sollte eigentlich in jeder ordentlichen NT-Ausgabe unter dem betreffenden Bibelvers abgekürzt zu finden sein. Natürlich auch in jedem NT-Kommentar, und wenn's der alte Schlatter ist, denn Du sicher in der nächsten ev. Gemeindebibliothek finden kannst.


Jesu Blut trinken? Bitte?? Sind wir Kannibalen?

Auch hierzu könnte Dir bekannt sein, daß die Interpretation der sog. "Einsetzungsworte" theologisch durchaus umstritten ist. Die Orthodoxie samt Römern und Lutheranern (die in dogmatischer Hinsicht oft nur reformiert angestrichene Katholiken sind) nimmt sie wörtlich, die reformierten Kirchen betrachten sie als Metapher und somit das Abendmahl als Gedächtnismahl. Du kannst mir als Sprachwissenschaftler glauben: auf sprachlicher Basis ist eine Entscheidung zwischen beiden Auffassungen nicht möglich. Aber Du kannst mir auch glauben, wenn Du es nicht selber nachlesen magst, daß auch in der orthodoxen Koiné von Kannibalismus keine Rede ist; aber das würde jetzt ein bisserl arg weit führen. Wenn Dich allerdings Dein Weg schon in die nächste Gemeindebibliothek führt, leih Dir dort Conzelmanns Einführung ins NT aus, die natürlich keine fertige Antwort liefert, aber Dein Denken zu dem Fragenkreis schärfen wird.

die gesamte "Verdammung" von sexuellen Fragen, das Zölibat

Der (wenn Du erlaubst) Zölibat ist keine christliche Angelegenheit, sondern eine römisch-katholische Sonderentwicklung. Und auch den ersten Punkt mag es, wenn auch keineswegs so kraß wie Du es darstellst, in der römischen Kirche geben, deren Klerus tatsächlich oft durch eine unselige Unterleibsfixierung auffällt; in den Kirchen der Reformation gibt es ihn nicht.

Wenn ich mich in einen Kircheninnenraum verirre, so fühle ich mich (als amtlich bescheinigter Atheist) wie in einer Sekte mit Ritualen, die ich nicht verstehe, deren Ablauf mir fremd ist.

Alles andere wäre ja auch erstaunlich; wenn ich mit den Medienwissenschaftlern von nebenan rede, glaube ich auch auf einem anderen Planeten zu sein (und tatsächlich, wenn ich mirs recht überlege, ich habe recht damit). Aber -- warum gehst du denn freiwillig an solche Grußelorte? Warum meidest Du sie nicht einfach? Treibt Dich etwa irgendetwas dahin? Nun, wenn das so wäre, wärest Du ja gar kein Atheist, sondern bestenfalls ein Häretiker, der seine Wurzeln fühlt, ohne daß sie ihm bewußt sind. Richtige Atheisten, weißt du, scheren sich nicht um anderer Leute Götter; die sind ihnen einfach sauwurscht.

Kryptoorthodoxe Grüße,

Friedrich
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Nun, wenn das so wäre, wärest Du ja gar kein Atheist, sondern bestenfalls ein Häretiker, der seine Wurzeln fühlt, ohne daß sie ihm bewußt sind. Richtige Atheisten, weißt du, scheren sich nicht um anderer Leute Götter; die sind ihnen einfach sauwurscht.
Hallo Friedrich!
Ein ungewöhnlich gut geschriebener Post! Danke!

Wie Du richtig festgestellt hast, ist mein Bibelstudium samt Begleitliteratur noch nicht beendet. Eben die Vielzahl der Übersetzungen und ihre Sinninterpretationen machen jede Wortglauberei auf Deutsch für mich als Leser aber sinnlos. Also versuche ich zu verstehen, was Jesus gemeint haben könnte. Dessen durchdringende Intelligenz und absolute Widerspruchsfreiheit, die sehr ungewöhnlich für einen "Menschen" ist, erleichtert diese Rückversicherung. Deinen Hinweisen gehe ich gerne weiter nach.

Selbstverständlich war mein Formulierung, "amtlich bescheinigter Atheist" zu sein, schlecht gewählt. Ich bin lediglich vor 35 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Ob ich genügend Christ oder Häretiker bin/war? Ich bin auf die Antwort gespannt, wenn sie mir gegeben wird - bis dahin halte ich mich selbst mit Bekundungen der Art "ich bin Christ" zurück. Denn bevor dreimal der Hahn kräht...was nutzen Bekundungen vom warmen Wohnzimmer aus? Christen sind derzeit auf der Welt eine sehr bedrohte Spezie. Wer, was ist, zeigt sich, wenn die Stunde dazu gekommen ist. Ich habe das innere "Feedback", dass ich wohlgemut sein kann auf die unbekannte Antwort.

Apropos Atheismus: Mein Vater hat mir bezeiten beigebracht: "Im Schützengraben gibt es keine Atheisten". So ist jedes Bekenntnis immer auch eine Folge der Bedrängnis? Meinen eigenen Kindern habe ich den Satz gesagt: "Ihr müsst nie eine Kirche betreten, aber wenn sie angegriffen werden, müsst ihr sie verteidigen!". Ich meine damit die Gebäude und das, was sie trotz aller Irrtümer für unser Zusammenleben symbolisieren. Selbst wenn sie komplett leer stehen würden, so könnten wir nicht ohne sie auskommen, nicht weiter kommen.
 
(1) Danke Dir für die Klärung. In diesem Zusammenhang wäre es natürlich gut, wenn Du nicht vom Standpunkt "der Kirche" reden würdest. Oder drückst Du mit damit aus, daß Du die Auffassung des gegenwärtigen Papstes von der kirchlichen Defizienz der anderen Konfessionen teilst?

Es handelt sich hierbei nicht um die Privatmeinung des gegenwärtigen Papstes, sondern um die kontinuierliche Lehre der Kirche, die in der Enzyklika Dominus Iesus lediglich aktualisiert wurde. Ich kann die Aufregung darum ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Es scheint mir doch eine pure Selbstverständlichkeit zu sein, dass die katholische Kirche die protestantische Ekklesiologie für defizitär hält - umgekehrt halten ja auch alle protestantischen Kirchen die katholische Kirche in vielem (Sakramententheologie, Heiligenverherung, Ekklesiologie, etc.) für defizitär. Muss man darüber immer gleich beleidigt sein?




(2) Hm - da fällt mir gleich das neulich von Gomez in einem anderen Faden erwähnte filioque ein, und der ganze Trinitarismus ist ja kein ganz nebensächliches dogmatisches Thema. Geh mal nach Griechenland und rede mit Theologen. Das filioque ist, neben dem 4. Kreuzug, das erste, was Du um die Ohren gehauen bekommst.

Schöne Grüße,

Friedrich

Das filioque ist heute kein echtes Problem für die Ökumene mehr. Das zeigt sich am Beispiel des koptisch-katholischen Dialogs. Nachdem man den Kopten jahrhundertelang Monophysitismus vorgeworfen hatte, konnte 1973 zwischen Paul VI. und Schenuda III. eine Vereinbarung unterzeichnet werden, in der man "denselben Glauben bei unterschiedlichen Formulierungen" bekannte. Was man von der katholisch-orthodoxen Dialogkommission hört, ist der einzige wirklich schwerwiegende theologische Stolperstein die rechte Auslegung des Petrusamtes.


Herzliche Grüße,
Peter
 
Die Tempelprostitution ist eine Fiktion; angebliche "Quellen" wie Herodot haben keinen historischen Beweiswert. Menschenopfer gab es - vielleicht - in Karthago, aber nicht im griech. und röm. Kulturkreis. Das alte Israel und das AT dagegen kennen Menschenopfer durchaus. Ich hoffe sehr, daß Du hierüber nicht wieder Dein argumentatives Verwertungsverbot verhängst. Oder andersrum: daß Du anderen Religionen auch die Möglichkeit der kulturellen Entwicklung und Humanisierung konzedierst, und Sätze wie den oben zitierten überdenkst.

Schönen Gruß,
Friedrich

Jetzt wirst du aber doch polemisch. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo irgendwem Verbote erteilt zu haben. Wenn dir das Argument nicht gefällt, dann widerleg es auf sachlicher Ebene. Ebenfalls unangemessen empfinde ich den moralischen Tadel bezüglich meiner augenzwinkernden (!) Äußerungen über Religionen, die vor etwa 1400 Jahren ihr faktisches Ende gefunden haben.

Schöne Grüße,
Peter
 
(1) Es scheint mir doch eine pure Selbstverständlichkeit zu sein, dass die katholische Kirche die protestantische Ekklesiologie für defizitär hält - umgekehrt halten ja auch alle protestantischen Kirchen die katholische Kirche in vielem (Sakramententheologie, Heiligenverherung, Ekklesiologie, etc.) für defizitär. Muss man darüber immer gleich beleidigt sein?

[...]

(2) Das filioque ist heute kein echtes Problem für die Ökumene mehr. Das zeigt sich am Beispiel des koptisch-katholischen Dialogs.

(1) Hm - argumentieren tust du wie ein mit mir befreundeter kath. Alttestamentler. Und dem - und Dir - sage ich: Es ist eine Sache, mit den Vorstellungen des anderen nicht übereinzustimmen. Eine andere ist es, diesen Dissenz in eine Form des Typs "Kirchen nicht im vollen Grad" zu gießen. Das hat keine reformierte Kirche mit der römischen getan, und es ist mit dem auch von Rom beschworenen ökumenischen Geist schwer vereinbar. "Beleidigt"? Nun, vielleicht mag es irgendwelche Oberkirchenrätinnen geben, die sich Illusionen über den römischen Standpunkt gemacht haben und ernsthaft geglaubt haben, das Konzept der Rückkehrökumene sei ad acta gelegt. Mögen sie beleidigt an ihren Palästinensertüchern nagen, wenn sie nur wenigstens etwas daraus lernen würden. Wer den Grad des römischen Interesses an der Ökumene richtig einschätzen will, muß für dieses Manifestation des römischen Autismus vielmehr dankbar sein.

(2) Also, könnte es sein, daß Du die Sachlage vorwiegend aus Büchern kennst?
Mach Dir ein Bild vor Ort, z.B. als Gast in einem vom Tourismus nicht überrannten kretischen Kloster wie Arkadi, Preveli oder - am besten - Gonia und Toplou. Da wirst Du einen ganz anderen Eindruck von dieser Frage bekommen. Und Du solltest da nicht römisch denken: daß etwas zu Papier gebracht worden ist, bedeutet im Osten unendlich weniger als in Rom. Entscheidend ist was, Mönches Stimme spricht: orthodoxía i thánatos.

Schöne Grüße,

Friedrich
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
(1) Hm - argumentieren tust du wie ein mit mir befreundeter kath. Alttestamentler. Und dem - und Dir - sage ich: Es ist eine Sache, mit den Vorstellungen des anderen nicht übereinzustimmen. Eine andere ist es, diesen Dissenz in eine Form des Typs "Kirchen nicht im vollen Grad" zu gießen. Das hat keine reformierte Kirche mit der römischen getan, und es ist mit dem auch von Rom beschworenen ökumenischen Geist schwer vereinbar. "Beleidigt"? Nun, vielleicht mag es irgendwelche Oberkirchenrätinnen geben, die sich Illusionen über den römischen Standpunkt gemacht haben und ernsthaft geglaubt haben, das Konzept der Rückkehrökumene sei ad acta gelegt. Mögen sie beleidigt an ihren Palästinensertüchern nagen, wenn sie nur wenigstens etwas daraus lernen würden. Wer den Grad des römischen Interesses an der Ökumene richtig einschätzen will, muß für dieses Manifestation des römischen Autismus vielmehr dankbar sein.

Das mit dem Anti-Ökumenismus Vorwurf ("Rückkehrökumene") gegenüber Rom scheint mir so einfach nicht. Man bedenke bitte Folgendes:

1) Selbst wenn Rom wollte, ist es in vielem schlicht von der eigenen Lehre gebunden. Ich denke, man täuscht sich doch sehr, wenn man etwa meint, dass die Ökumene bloß am mangelnden Willen des Papstes bzw. des Lehramts scheitert. Man kann im Einzelfall immer darüber streiten, ob diese oder jene Äußerung nicht etwas diplomatischer formuliert hätte werden können. In der Sache aber misst sich Rom in den meisten strittigen Fragen überhaupt nicht die Vollmacht zu, seine theologischen Positionen substantiell zu revidieren.

2) Im Prinzip ist Punkt Zwei nun schon obsolet. Aber dennoch: Selbst wenn Rom die Möglichkeit hätte, etwa in Bezug auf das Eucharistieverständnis (Opfertheologie, reale und bleibende Präsenz Christi im Sakrament, etc.), den Protestanten entgegenzukommen, hätte das im selben Moment das endgültige Aus für die orthodox-katholische Ökumene zur Folge. Mir scheint der Blick z. T. doch sehr verengt zu sein, wenn man insbesondere im deutschsprachigen Raum Ökumene automatisch mit dem katholisch-protestantischen Dialog identifiziert. Im Moment ist es doch so: Wenn Rom einem Schritt auf die Protestanten zu macht, kommen sogleich aus der orthodoxen Ecke Rufe nach dem Motto: "Eh klar, wir haben ja schon immer gesagt, dass die Katholiken nicht rechtgläubig sind!" Wenn Rom einen Schritt auf die Orthodoxen zu macht heißt es von der anderen Seite sogleich: "Eine neue Eiszeit zwischen Katholiken und Protestenten! Ah, der Papst will offenbar wieder hinter das Zweite Vaticanum zurück!" Nicht zu vergessen ist auch die innere Spannweite der Katholischen Kirche. Der beschriebene Vorgang vollzieht sich dementsprechend nicht nur im Äußeren, sondern gleichzeitig jedesmal auch im Inneren der Kirche. Leicht ist es nicht.


(2) Also, könnte es sein, daß Du die Sachlage vorwiegend aus Büchern kennst?
Mach Dir ein Bild vor Ort, z.B. als Gast in einem vom Tourismus nicht überrannten kretischen Kloster wie Arkadi, Preveli oder - am besten - Gonia und Toplou. Da wirst Du einen ganz anderen Eindruck von dieser Frage bekommen. Und Du solltest da nicht römisch denken: daß etwas zu Papier gebracht worden ist, bedeutet im Osten unendlich weniger als in Rom. Entscheidend ist was, Mönches Stimme spricht: orthodoxía i thánatos.

Mir sind diese Vorbehalte schon bekannt. Ich sage ja auch nicht, dass die Einheit von katholischer und orthodoxer Kirche vor der Türe steht. Ich meine nur, dass das filioque letztlich nicht das entscheidene Problem ist, sondern vielmehr das - von dir beschriebene - geschichtlich gewachsene Mißtrauen. Das filiquoe erscheint mir demgegenüber mehr ein Vorwand zu sein, um eine Verständigung, die man aufgrund menschlicher Animositäten nicht will, zu verhindern.
Und Mönches Stimme spricht nunmal auch nicht einheitlich. Bekanntermaßen sind alle orthodoxen Bischöfe Mönche, und da kommen keineswegs nur negative Signale. Im Gegenteil lässt sich hier in den vergangenen Jahrzehnten eine beachtliche Geschichte der Annäherung erkennen (um nur drei bedeutende Begegnungen zu nennen: Paul VI./Athenagoras I., Johannes Paul II./ Teoctist I., Benedikt XVI./Bartholomaios I.) - und das nicht nur auf Ebene der Kirchenführer. Das ein noch weiter Weg zu gehen ist, will ich damit nicht bestreiten.

Herzliche Grüße,
Peter
 
Guten Abend!

Meine Beobachtungen stimmen mit denen von Sla019 weitgehend überein.
Ich möchte einen Gedanken hinzufügen, der mir wesentlich erscheint.

In den beiden in Deutschland dominanten Kirchen (römisch-katholisch/evangelisch-
lutherisch-reformiert) hat schon im 19.Jahrhundert ein Prozeß der Verweltlichung eingesetzt,
dessen Folgen, nämlich eine Distanzierung vom institutionalisierten Christentum,
erst mit dem "Kulturbruch" von 1968 (eigentlich 1967) sichtbar geworden ist:
die Verquickung von Christentum und (spieß)bürgerlicher Moral.

Mancher wird sich jetzt vielleicht verwundert die Augen reiben, weil ihm
beides so vollkommen deckungsgleich erscheint. Umso stärker ist zu betonen,
daß christlicher Glaube und die daraus folgende Ethik von bürgerlicher Moral
äonenweit entfernt sind, daß der bürgerliche Verhaltenskodex sogar in Konkurrenz
zum Christentum stand und die Kirchen sich ihm ohne Not unterworfen haben -
aus Bequemlichkeit, aus Mangel an theologischer Reflexion?

Der Sachverhalt ist exegetisch belegbar. In seinen Briefen behandelt Paulus
ethische Fragen ganz am Ende, nach Erörterung der theologischen Fragen.
Eine bestimmte Ethik folgt aus dem Glauben und ist nicht seine Voraussetzung.
Sie ist teilweise wandelbar, orts- und zeitabhängig. Es ist die Aufgabe eines Christen,
seinen Glauben glaubwürdig vorzuleben, und nicht, bei anderen die Einhaltung
irgendwelcher (innerweltlicher) Regeln zu überwachen.

Aber genau dazu hat sich das abendländische Christentum selbst erniedrigt -
und traumatisierende Folgen bis hin zur "ekklesiogenen Neusrose" verursacht.
Das Urbild dieser traumatisierenden Erfahrung: Kindliches Wohlverhalten,
das Eltern unter Verweis auf den alles sehenden Gott, der jedes Fehlverhalten
in sein Buch einträgt, zu erzwingen versuchen. Dieser Gott wird zum verlängerten Arm
elterlichen Willens. Eltern, die ihre Kinder gerne mit Liebesentzug strafen, drohen auch mit
göttlichem Liebesentzug. Im Religionsunterricht war Goethes meschuggene Ballade
von der "wandelnden Glocke", die dem seiner Sonntagspflicht nicht nachkommenden Kind
hinterherläuft und es in die Kirche treibt, ein beliebtes Thema - inclusive passender Zeichnung.
Da ist es für den mit seinem Elternhaus brechenden Adoleszenten naheliegend,
im selben Atemzug auch der Kirche Lebewohl zu sagen, und es ist für viele bis heute unmöglich,
zwischen Christentum und dem repressiven Umfeld seiner Kindheit zu unterscheiden.

In der Solidariserung von kirchlichen Amtsinhabern mit der Friendens- und Anti-Atomkraft-Bewegung,
mit den Stuttgarter Wutbürgern etc. tritt diese Gleichsetzung von Moral und einem
daran dingfest zu machenden Christentum erneut auf, nur unter anderen Vorzeichen -
prinzipiell jedoch vom "Gebet für den Führer" nicht zu unterscheiden. Doch sind das Pyrrhussiege,
denn die Kirchen treten hier beständig als Trittbrettfahrer auf - und sie grenzen Befürworter
der jeweiligen Projekte aus. Aber der leidende Christus wendet sich aus Prinzip allen Menschen zu,
dem gesellschaftlichen Mainstream wie den gesellschaftlich Verfemten.

Gruß, Gomez

.

Bleibt die Frage nach der Bereitschaft zur Unterscheidung zwischen Wesen der Kirche und ihrem (oftmals maroden) Erscheinungsbild. Wenn die Kirche tatsächlich nicht mehr wäre, als der (abgewrackte) moralische Herzschrittmacher der Gesellschaft, hätte sie (für mich) in der Tat jegliche Daseinsberechtigung verloren.

Grüße, Peter
 
Wenn die Kirche tatsächlich nicht mehr wäre, als der (abgewrackte) moralische Herzschrittmacher der Gesellschaft, hätte sie (für mich) in der Tat jegliche Daseinsberechtigung verloren.
Mir gibt speziell für die katholische Kirche in Deutschland zu denken, dass diese infolge des Reichskonkordats eine recht prekäre juristische Immunität genießt - Achtung gebietend wäre ein Verzicht auf so einen Sonderstatus höchst prekärer Herkunft (wie ihn die protestantischen Kirchen praktizieren)
 
Mir gibt speziell für die katholische Kirche in Deutschland zu denken, dass diese infolge des Reichskonkordats eine recht prekäre juristische Immunität genießt - Achtung gebietend wäre ein Verzicht auf so einen Sonderstatus höchst prekärer Herkunft (wie ihn die protestantischen Kirchen praktizieren)

Hätte ich nichts dagegen. Es ist ja auch unsinnig: Wenn Jesus Christus wirklich der ist, als den man ihn im Credo bekennt, dann zeugt es von nicht eben viel Vertrauen, wenn man sich gleichzeitig mit staatlichen Privilegien gegenüber der Gesellschaft absichert. Ich würde sagen: Rein ins Getümmel der Weltanschauungen. Wenns von Gott ist, wird es sich durchsetzen, wenn nicht ist es um die Kirche nicht schade (frei nach Gamaliel).
 

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