Gedanken während einem Vorspiel/Konzert

Ich habe schwer den Verdacht, dass ihr aneinander vorbeigeredet habt. Sie meinte bestimmt nur, dass propositionales Denken (Denken das wahr oder falsch sein kann) nur mit Sprache möglich ist. Was du anführst, würde ich persönlich auch weniger "Denken" als "Vorstellen" nennen.

Musik besteht auch aus komplexen logischen Verknüpfungen. Diese kann man zwar mit Worten einigermaßen beschreiben und analysieren, wirkliches Verständnis läßt sich aber in Sprache nicht ausdrücken - meiner Meinung nach nicht deswegen, weil die passende Terminologie nicht existiert, daran arbeiten Musiktheoretiker seit Jahrtausenden, sondern weil es eine andere Denkweise als die mit Worten ist. Mathematisches Verständnis unterliegt der gleichen Beschränkung, und eine sehr anspruchsvolle Teildisziplin der Mathematik ist die Logik, also "wahr/falsch" in Reinkultur. Und zur Unterscheidung zwischen Denken und Vorstellung: Für Musik braucht man beides. Ich meine mit "Musik" nicht etwa, daß man ein Stück im Kopf hört, sondern, daß man es reproduziert. Wer dafür in Worten denkt ("jetzt wird es lauter", "stakkato", "D-Moll7", "linken Zeigefinger nicht strecken") muß entweder irrsinnig schnell denken oder außerordentlich langsam spielen. Und ich mag mir überhaupt nicht vorstellen, was in Worten während einer Improvisation ablaufen müßte. Ich glaube eher, daß meine Freundin nicht wahrnimmt, was sie alles denkt, wenn in ihrem Kopf keine Worte entstehen.

Stanislav Lem hat mal eine aberwitzige Rezension eines fiktiven Werkes über Computerliteratur (Literatur, die eigenständig von Computern verfaßt wurde) geschrieben, in der die Idee einer "Bedeutungsseele" formuliert, die unabhängig von Sprache den Inhalt dieser Literatur beschreibt. Um den Menschen das Verständnis der Computerliteratur zu erleichtern, wird diese per Umweg über die Bedeutungsseele in menschliche Sprache übersetzt. Natürlich stellt sich heraus, daß menschliche Sprachen hierfür unzureichend sind, weil die kulturellen Unterschiede zwischen Computer und Mensch einfach zu groß sind, aber das führt für diesen Thread jetzt zu weit...
 
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Wenn Musik nur mit irgendwelchen mathematischen Funktionen zu tun hätte, würde sie mich mit Sicherheit nicht interessieren.

Ich sprach von Empfindungen und Gefühlen zur Musik. Und wie willst Du das naturwissenschaftlich darstellen, pianoman?

Jetzt komm bloß nicht mit irgendwelchen Neurotransmittern.^^
 
habe nur die "neurologische" seite davon beleuchten wollen, nicht mehr und nicht weniger ;)
 
Ich glaub, manche Leute, du pianoman wahrscheinlich auch, missinterpretieren den Term Aufregung, denn er ist nicht per se etwas Schlechtes. Ganz im Gegenteil, die Aufregung spornt an, steigert in gewissen Maßen womöglich sogar die Leistung oder die Konzentration. Der entscheidene Punkt ist, wie bei vielen anderen Dingen auch, dass erst zu viel Aufregung kontraproduktiv ist, verkrampfen lässt und das Konzert zu einer Qual werden lässt. Aber wie Stilblüte schon sagte, wenn die Aufregung nicht mehr da ist, wenn alles zur immer wiederkehrerenen Routine wird und ein Konzert nicht mehr etwas Besonderes ist, dann würde man erstens nicht mehr so ambitioniert spielen und zweitens wäre es doch total langweilig.
 
jap bis zu einem gewissen grad ist aufregung sicherlich "produktiv" ;)
aber wenn einem anfangen die (kalten!) hände zu zittern und man eben doch verkrampft...
 
man muss nur häufig vorgespielt haben, und beim 20. mal ist die aufregund auf null.
eben. und wenn die auftritte stets im selben (kleinen) rahmen verbleiben, dürfte die aufregung linear sinken...
jap bis zu einem gewissen grad ist aufregung sicherlich "produktiv" ;)

pianoman, ich würde dir gerne eine sehr indiskrete Frage stellen, die aber sicher sehr viele interessiert, und ich würde dich höflichst bitten, sie zu beantworten:
Wie viel Auftrittserfahrung hast du?
 
Zitat von Stilblüte: Guendola: Sehr interessante Überlegung! Ich bin auch der Überzeugung, dass man ohne Worte Gedanken haben kann, schließlich können höher entwickelte Tiere auch in irgendeiner Form denken.

Mir geht es genauso, im Alltag denke ich sehr viel in Bildern. Wäre ich ein Hund, würde ich mich vielleicht in Gedanken einem Jogger hinterrennen sehen, während ich gelangweilt zu Hause auf dem Teppich läge.
In der Musik gelingt es mir bisweilen bei Passagen oder sogar ganzen Stücken, die Worte auszuklammern und nur zu fühlen (Emotionen aber auch Tastenbilder mir den Fingerkuppen) und zu hören. Bei den Emotionen können durchaus wiederum Bilder auftauchen, wie z.B. irgendein Naturereignis.

Sobald ich allerdings Leuten vorspielen muss, die etwas von Musik verstehen, gelingt mir diese Art zu denken noch nicht. Obwohl das Zittern tatsächlich mit der Anzahl der Vorspiele abgenommen hat, bin ich noch nicht entspannt genug, mein Spiel zu geniesen. Dann kommen wieder solch nützliche Gedanken wie: "Mist, schon wieder zu viel Pedal"; "Wo bin ich eigentlich grad?"; "Jetzt die Pianostelle -hoffentlich kommt der Ton..."
Zusätzlich konzentriere ich mich noch zu sehr auf die Leute um mich herum. Ich denke aber, dass diese Dinge reduziert werden, sobald ich mehr Erfahrung mit Vorspielen gesammelt habe und insgesamt sicherer Klavier spielen kann.

In anderen Lebensbereichen habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Aufregung mit zunehmender Sicherheit und Beherrschung der Materie deutlich sinkt. Wenn ich ganz sicher bin, dass ich etwas kann und auch erlebt habe, dass ich fähig war dieses Können in Streßsituationen abzurufen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Gelingens deutlich. In manchen Fällen, wie z.B. in der Schule, habe ich mich sogar regelrecht auf die Arbeiten und Prüfungen gefreut, weil ich wusste, ich muss in dieser Stunde nicht gelangweilt rumsitzen, sondern darf selbst aktiv werden und zeigen, was ich kann. (Für Pianoman: Ich rede von positiver Verstärkung und zunehmender Selbstsicherheit, nicht von der Konfrontationstherapie, von der ich bisher nur im Zusammenhang mit psychischen Störungen gehört habe)
Gute Vorbereitung und ein gesundes Selbstvertrauen scheinen also sehr hilfreich zu sein.

Zitat von silversliv3r: Ich glaub, manche Leute, du pianoman wahrscheinlich auch, missinterpretieren den Term Aufregung, denn er ist nicht per se etwas Schlechtes

Ja, Aufregung ist evolutionsbedingt in uns verankert. Als Fluchttier aber auch als Jäger war es sehr hilfreich, eine Möglichkeit zu besitzen für kurze Zeit besonders aufmerksam und schnell zu sein -bei gleichzeitig reduzierter Schmerzempfindlichkeit. Dieser oft als "Adrenalinschub" bezeichnete komplexe Vorgang in unserem Körper, der als erstes vor allem auch unseren Stoffwechsel beschleunigt, war wichtig um kurzzeitige körperliche Höchstleisungen vollbringen zu können (Feinde erspähen, weglaufen...). Bei solch feinmotorischen Angelegenheiten wie dem Klavierspiel bin ich mir nicht so sicher, ob dieser Stoffwechselvorgang wirklich hilfreich ist. Ich denke, es ist eher eine Frage der Einstellung zu einer Sache, ob ich bereit bin, im Vorspiel alles zu geben oder ob ich mein Stück nur gelangweilt 'runterspiele.

Wisssenschaftlich untersucht habe ich übrigens nichts von dem eben Gesagten -es stellt nur meine Erfahrung und subjektive Meinung dar. :D
 
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Ja, Aufregung ist evolutionsbedingt in uns verankert. Als Fluchttier aber auch als Jäger war es sehr hilfreich, eine Möglichkeit zu besitzen für kurze Zeit besonders aufmerksam und schnell zu sein -bei gleichzeitig reduzierter Schmerzempfindlichkeit. Dieser oft als "Adrenalinschub" bezeichnete komplexe Vorgang in unserem Körper, der als erstes vor allem auch unseren Stoffwechsel beschleunigt, war wichtig um kurzzeitige körperliche Höchstleisungen vollbringen zu können (Feinde erspähen, weglaufen...). Bei solch feinmotorischen Angelegenheiten wie dem Klavierspiel bin ich mir nicht so sicher, ob dieser Stoffwechselvorgang wirklich hilfreich ist. Ich denke, es ist eher eine Frage der Einstellung zu einer Sache, ob ich bereit bin, im Vorspiel alles zu geben oder ob ich mein Stück nur gelangweilt 'runterspiele.

Wisssenschaftlich untersucht habe ich übrigens nichts von dem eben Gesagten -es stellt nur meine Erfahrung und subjektive Meinung dar.
schon richtig :D

nunja, mir zitterten früher bei aufregung meine hände ;)
schon eher contraproduktiv :D
 

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