Um meine Darstellung zu vervollständigen, muss ich aber erwähnen, dass der Arm bei meinem Schüler fast nichts macht. Er kennt auch kein lockeres Handgelenk, und dadurch z.B. die Erzeugung schöner runder Töne.
Auch die Schultern sind oft hochgezogen (wurde auch von der Jury bei Jugend Musiziert bemängelt)
Der Daumen hat dagegen durch die nach außen liegende Haltung der Hände, größeren Spielraum als bei stehenden Fingern. Dadurch kommen immer starke Betonungen auf allen Tönen, die der Daumen spielt, z.B. auch auftaktige Anfänge von Tonleitern, die leise sein sollten, zu Stande. Wenn ich ihn darauf hinweise, hört ers nicht, und kann es kaum korrigieren.
Wenn ich die anderen Schüler so memoriere, die ich gesehen und gehört habe bei Jugend Musiziert, dann meine ich, dass sie alle sehr wohl eine "gute" Handhaltung hatten...
Liebe Jeanpaul5,
ich finde es absolut eine schwierige Situation für alle.
Aus meiner Sicht würde ich erst einmal mit der Mutter sprechen und versuchen, sie mit ins Boot zu holen. Wenn die nämlich ein Problem mit einer Umstellung hat, werden deine Versuche nichts nützen. Oder hast du das schon gemacht? Wenn man ihr klar macht, welch Talent in ihrem Sohn steckt und dass auch die Jury Probleme bei der Klanggestaltung etc. festgestellt hat, müsste sie doch bereit sein, eine Umstellung zu akzeptieren. Der Junge braucht nämlich sicher auch emotionale Unterstützung während der Woche, nicht nur im Unterricht.
Dann würde ich mit dem Jungen sprechen, ihn auf seine vielfältigen Fähigkeiten hinweisen, wie toll er alles schon macht, dass du und auch die Jury des Wettbewerbs aber gerne etwas an seiner Spielweise ändern würden. Dass es dann viel besser klingen würde und er auch für zukünftige Stücke mit höherem Schwierigkeitsgrad, aber auch höherem "Glücks- und Spassfaktor" viel besser gerüstet ist. Abgesehen von Krankheitsbildern wie SSE etc..
Eine gemeinsame Basis und ein gemeinsames Ziel von dir und dem Jungen ist also die Voraussetzung für ein mögliches Umlernen. Ich würde ihm auch ruhig deine Besorgnis schildern, dass du die Sorge hast, dass er eventuell die Lust verlieren könnte, dass du aber mit ihm als Team daran arbeiten willst und sehr gern mit ihm zusammen eine Lösung (Kompromisse?) erarbeiten möchtest. Man kann mit 11-Jährigen absolut so reden und ihn im besten Fall sogar neugierig machen auf Etwas, dass er so noch nicht kennen gelernt hat.
Den Weg, den ihr gemeinsam geht, bedarf also eines immer wieder neuen Austarierens und behutsamen Umgang mit ihm. Die gemeinsam erarbeitete Lösung wird dann sehr individuell aussehen:
ich würde wie hasenbein nicht die Handhaltung als vorrangiges Problem sehen, sondern die Verkrampfungen der Schultern und Gelenke. Die bedingen dann nämlich meist auch eine verkrampfte Hand. Man müsste also erst mal rauskriegen, wo das Problem eigentlich steckt. Hasenbeins Hinweis auf den Sitz ist ein wichtiger Punkt, da würde ich ansetzen. Es kann auch sein, dass dein Schüler grundsätzlich eher die Vorstellung hat, man müsse sich beim Klavierspielen anstrengen und brauche viel Kraft, um die Tasten herunterzudrücken. Wenn das der Fall ist, könnte man Spiele mit der Taste machen, wozu sich auch die Übungen von Feuchtwanger hervorragend eignen. Man kann den Auftrieb der Taste untersuchen, "Fahrstuhl" spielen ( sich also von der Taste hochtragen lassen), die Auslösung finden und als quasi kleines Trampolin oder Wasserbett Experimente damit machen und so herausfinden, dass alles ganz leicht geht und man mit ganz leichter Hand spielen kann. Man kann Klangunterschiede wahrnehmen, in dem man mal extra feste die Taste runterdrückt ( harter, häßlicher Ton) oder den Finger sanft in das Tastenbett fallen lässt (Glockenton).
Ich sehe auch die Gehörschulung als sehr wichtig an, denn wenn man hört, dass es schlecht klingt, wird man es ändern ( wollen). Also Lieder nach Gehör spielen, Klangunterschiede wahrnehmen, improvisieren etc.. Das macht ihm vielleicht sogar richtig Spaß.
Um ein Körpergefühl für Entspannung und Gelöstheit zu bekommen, kann man im Stehen erst mal die Beweglichkeit der Gelenke untersuchen: Schultern beim Einatmen hochziehen, beim Ausatmen fallen lassen, ganze Arme kreisen lassen (Schultergelenk = Kugelgelenk), Ellenbogenrotation etc. etc., also alle Bewegungsmöglichkeiten der Gelenke in natura ausprobieren lassen. Auch Entspannungsübungen wie auf dem Rücken liegend in den Bauch atmen (dabei Hand auf den Bauch legen und "in die Hand atmen") oder Gummipuppe spielen ( Schüler macht nichts, Lehrer hebt Körperteile an und lässt sie fallen, bewegt sie etc. - unbedingt dann auch im Stehen mit Arm, Unterarm machen, also diese anheben und fallen lassen) können hilfreich sein.
Im Sitzen am Klavier können diese Entspannungsübungen fortgesetzt werden, indem der Schüler die Schultern hochzieht und fallen lässt, dann den Arm anhebt und die Hand auf den Oberschenkel/Klavierdeckel fallen lässt. Dabei immer die Atmung (Einatmen-Ausatmen) miteinbeziehen. Diese Übungen zusammen mit den Tastenspielen ( s.o.) könnte er auch während des Übens immer wieder zwischendurch machen.
Dann würde ich sicher auch konkrete Übungen machen. Im Faden "eingedrückte Finger" gibt es dazu zum Beispiel eine von hasenbein beschriebene Übung, die ich auch immer mit meinen Schülern mache. Auch meine Anschlagsübung, die Übungen von tirolerhut, rolf etc., die das Greifen mit einbeziehen und die motorischen Spiele, die Viola beschreibt, finde ich gut. Also sich wie Tiere auf der Klaviatur fortzubewegen etc.. Den Fokus würde ich erst mal auf Entspannung, Gelöstheit, lockere Gelenke etc. richten, aber auch auf eine Aufrichtung der Hand durch Schulter/Ellenbogen, wie von hasenbein beschrieben. Es muss meiner Meinung nach darum gehen, dass Klavierspielen leicht ist, dass man sich nicht anstrengen muss, dass man ganz gelöst spielen kann. Letztendlich geht es natürlich um das Verhältnis Spannung-Entspannung, dass man also nach einem Impuls sich sofort wieder entspannt. Dazu sind auch Handgelenkstaccato-Übungen nicht schlecht.
Welche Stücke man dazu nimmt, auch um dem Jungen nicht den Spaß zu verderben, kommt darauf an, wieweit er gehen will. Optimal fände ich, erst mal leichtere Stücke zu nehmen, die trotzdem gut klingen. Ich würde aber keine Stücke wie das Bach-Präludium nehmen, da mir das zu "fingerlastig" wäre und dem Primärziel lockerer Gelenke und Entspannung bei gleichzeitigem Zuhören ( wie klingt es?) entgegen stehen würde. Wenn der Junge also nicht zu ungeduldig ist und es vielleicht sogar schön findet, romantische Stücke zu spielen, könnte man Saties Gymnopedie oder Gnossiennes nehmen oder das e-moll-Prelude von Chopin. Das von Rolf vorgeschlagene c-moll Prelude finde ich auch gut ( finden auch gerade Jungens toll - schön laut :p ), könnte aber noch zu weitgriffig sein und entspanntem Spiel entgegen stehen.
Wenn dein Schüler, was vorkommt, solche Stücke zum K.... :p findet und lieber was Lautes spielt, könnte man auch von Chatschaturjan den Trauermarsch nehmen. Der hat nicht so große Griffe und klingt bombastisch, ist auch gar nicht so schwer und braucht den Einsatz des ganzen Arms, sonst klingt's .... .
Auch alle Stücke von Bartok, Kabalewski etc. eignen sich hervorragend. Ich würde also eher die romantische Literatur aufwärts bevorzugen und keine schnellen Stücke nehmen.
So würde sich der Unterricht zusammensetzen aus neuen ( auch körperlichen) Erfahrungen, Gehörschulung (Lieder nach Gehör, Improvisation ....), Übungen und leichteren Stücken, die erst einmal den ganzen Arm etc. benötigen. Hören und Fühlen.
Liebe Grüße
chiarina
P.S.: hasenbein und Viola, wie schon mal gesagt, kenne ich mich mit Feldenkrais nicht aus ( im Internet habe ich schon etwas gelesen und ich kenne auch ein paar Übungen). Ihr wendet das aber so wie ich euch verstanden habe, auch im Unterricht an. Wie denn??? :p Gibt es Literatur dazu, speziell für Instrumentalisten? Habt ihr mal eine Fortbildung dazu gemacht?