Es reicht! Es reicht wirklich!

Evangelisch: Pfarrer sucht aus, dafür gibt es sie meistens ein paar Tage vorher. Katholisch: Organist sucht aus. Da hat man aber oft die Werktagsmessen, wo schnell 5 Minuten vorher in der Sakristei Lieder ausgemacht werden.
Im Regelfall hat die Orgelmusik in der evangelischen Kirche in gleich mehrfacher Hinsicht einen hohen Stellenwert. Neben der sorgfältigen Auswahl von Gemeindeliedern endet der Gottesdienst mit einem Werk der Orgelliteratur, das von der Gemeinde sitzend bis zum Schluss angehört und oftmals vom Zelebranten mit Nennung von Titel und Komponist angesagt wird, während bei den Katholiken die Gemeinde unmittelbar nach dem Segen sofort die Kirche verlässt. Da ich vorrangig für Vertretungsdienste einspringe und gar kein ausgebildeter Kirchenmusiker respektive Organist bin, begegne ich in katholischen Gemeinden mitunter sogar Pfarrern, die mich zunächst für einen typischen Nebenamtler halten und sogar Fragen stellen wie "Was für Lieder können Sie denn spielen?". Wahrscheinlich kann der Orgelmann Rheinkultur nur ein paar Handvoll gängige Nummern aus dem Gotteslob und man kann erleichtert sein, wenn man mit dem bisschen Zeug überhaupt einen Gottesdienst vollkriegt, unterstellt man mir wohl zunächst. Andere Pfarrer kennen mich aber und wissen, dass ich mit einem fünf Minuten vorher in der Sakristei ausgehändigten Liederzettel souverän zurechtkomme. "Organist sucht aus" ist in der katholischen Liturgiepraxis nicht immer eine richtige Aussage: bei Vertretungen hauptamtlicher Kollegen in einer bestimmten Kirchengemeinde hat der zuständige Seelsorgebereichsmusiker für sämtliche Gottesdienstfeiern auf Wochen hinaus die Liedfolgen im Dienstgespräch oder im Liturgieausschuss festgelegt und würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich entsprechende Vorgaben teilweise oder komplett ignorieren wollte. In Altenheimen oder Krankenhäusern und bei den nicht von allen Hauptamtlern geliebten Kasualien (Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten...) ist die Sachlage eine andere. Im schlimmsten Falle wird das Nichtvorhandensein eines Organisten bei den Katholiken achselzuckend hingenommen, während man in evangelischen Gemeinden stets der Auffassung ist, beim nächsten Tanz sollte unbedingt wieder Musik dabei sein...!

LG von Rheinkultur
 
Hatte am heutigen Nachmittag die musikalische Gestaltung einer Taufe zu übernehmen. Diese fand statt in einer evangelischen Kirche in einer Nachbarstadt. Thematischer Aufhänger: "All you need is love", den entsprechenden Beatles-Song gab es zum Einzug. Da es auch sonst nur Liedgut der letzten Jahrzehnte gab, wurde der Tastendienst nicht an der Beckerath-Orgel, sondern wie alle Taufgottesdienste am frisch restaurierten Steinway-Flügel vor den Altarstufen verrichtet - populäre Sachen passen da ohnehin besser.

Einmal dürft Ihr raten, welches Lied vorgegeben war...!

LG von Rheinkultur
 

Beide Instrumente sind inzwischen in einem akzeptablen Zustand. Inzwischen hat die Gemeinde eine junge Kantorin, die viele Projekte über den gottesdienstlichen Alltag hinaus auf den Weg bringt und Wert auf ein vernünftiges Instrumentarium legt. Nach Vakanz und Kurzzeitlösungen auf der Kantorenposition läuft inzwischen vieles besser als vorher.
 
Ich könnte auch gerade mal mich aufregen.

Aaaaalso:
Um überhaupt für die Konfirmation eine spielfähige Band zusammen zu bekommen, geht die Organistin an die Stromgitarre, wir haben einen am Schlagzeug, ich bin eingesprungen (worden) und spiele am Keyboard Klavier/E-Piano und E-Bass und für die am Samstag ausfallende Sängerin (vor zwei Wochen erfahren, sie wusste auch nicht ehrer) haben wir auch Ersatz gefunden.

Alles war Monate(!) im Voraus geplant, die Band hat sich alle zwei Wochen - so machbar - getroffen. Ich bin gestern noch extra zur Generalprobe angetanzt (hin und zurück: 250km) und wir waren froh, die Stücke soweit zu haben, dass wir sagen können: die können wir in mindestens guter Qualität abliefern.

Alles prima.

Dann fällt der Pfarrer krankheitbedingt aus und wir kriegen einen Proxy. Soweit, so gut. Und der (Proxy) will noch einen Song zusätzlich haben, er wollte sich am Samstag so 9:15 nochmal melden, welcher es werden soll oder so.

Wenn die Band lange genug in dieser Formation geübt und gespielt hätte und das neue Lied der Wahl vorher noch einmal durchspielen könnte, wäre das prima. Aber wir sind quasi Notbesetzung.

Mann, mann, mann, ich kann ja verstehen, dass der Proxy vom Musik machen null Ahnung hat, aber dann soll er wenigstens sagen: OK, sorry, wusste ich nicht, dann halt ohne, geht auch so, war ja auch ohne geplant. Aber Proxy will unbedingt ...

Ich habe dann mal direkt die Bandleaderin (= Kirchenmusikerin) gefragt: Kann man ihr verklickern, welche Probleme sie antriggert? Wie wäre es mit Empathie? Nächstenliebe oder so, ich denke, der Proxy ist Christ (wäre ja praktisch, wenn man als Pfarrer arbeitet) ...


Danke fürs Abreagieren dürfen. :-)

Grüße
Häretiker

PS:
Warum erlebe ich immer die größten Ego-Touren im kirchlichen Umfeld? Wo hat Jesus gesagt: "Wenn ihr für einander in der Not einspringt, stellt sicher, dass ihr der Sache euren Stempel aufdrückt!"?
 
Warum erlebe ich immer die größten Ego-Touren im kirchlichen Umfeld?
Darauf können Dir etliche Menschen eine Antwort geben, die zur Zeit den Amtskirchen den Rücken kehren. Darunter sind nämlich erschreckend viele, die im Gemeindeleben oft viele Jahre lang sehr aktiv waren und sich aus Enttäuschung zurückziehen. Morgen habe ich bei einem lokalen Festival einen evangelischen Chor zu begleiten, mit dem ich gestern abend noch für diesen Auftritt geprobt habe. Beim anschließenden geselligen Ausklang kam auch zur Sprache, dass die aus drei Gemeinden zu einer zusammengeschlossenen katholischen Kirchengemeinde am Ort kurz davor sei, den letzten verbliebenen Kirchenchor wohl auch aufzugeben. Die hauptamtliche Kirchenmusikerin hat längst den Ruf, lieblos Musikdienst nach Vorschrift zu machen und dem zuständigen Gemeindepfarrer sagt man nach, Corona sei für ihn der größte Glücksfall seines Berufslebens gewesen: endlich möglichst viele Dienste wegfallen lassen zu dürfen bei vollständiger Weiterbezahlung. Eine der Gemeindereferentinnen sagte nach einem gemeinsamen Gottesdienst in einem der Altenheime frei heraus, sie frage sich ernsthaft, wie lange ihr das Fremdschämen im Amt noch gelingen möge und sie könne sich nach dem Ende ihrer Berufstätigkeit in den nächsten Jahren einen Kirchenaustritt durchaus vorstellen.

Vor etlichen Jahren verließen viele die Kirchen, die der Institution längst innerlich gekündigt hatten - was inzwischen passiert, kann man mancherorts als Auflösungserscheinung bezeichnen. So gesehen bin ich selbst froh, mich nicht auf kirchenmusikalische Berufsschwerpunkte spezialisiert zu haben und mich mit dem freiberuflichen Profil auch mal anders orientieren zu können. Allerdings ist die damit verbundene existenzielle Unsicherheit nicht jedermanns Sache... .

LG von Rheinkultur
 
Ostern vor 58 Jahren begann ich die Orgel für die Gläubiger zu spülen.
Vielleicht darf ich noch einige Monate oder Jahre weiter spülen.
Die Zahl der Gläubiger nimmt zunehmend ab.
Ich werde auch für den letzten Gläubiger noch ne Kadenz spülen.

Gauf, oder so :017:
 
Heute Vormittag einen Anruf bekommen, dass die für morgen geplante Taufe im Gottesdienst nicht stattfindet, weil die Familie krank geworden ist, und dass zwei Lieder wegfallen und dafür ein anderes hinzukommt.
Bin gespannt, ob wir diese Situation über den Sommer noch öfter haben, denn es stehen viele Taufen an.
 

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