Aufgabe/Ziel des Klavierunterrichtes

@Klavirus Dem stimme ich fast zu, allerdings ist der entscheidende Schritt die Verknüpfung von Gefühl und Intellekt. Wie wirkt eine bestimmte Musik, warum wirkt sie so, eine andere aber anders? Der Ausgangspunkt sollte dabei aber nicht die Struktur sein (Beispiel: Aufbau eines Durdreiklangs) sondern die Hörerfahrung, von der ausgehend die Struktur untersucht wird. Das ist in der Musikpädagogik aber auch schon lange weitestgehender Konsens.
 
Das mag es geben, aber ich bin immer mal wieder in Asien und habe tendenziell viel zu oft das Gegenteil gesehen. Kinder, die noch nie eine Czerny Etüde von innen gesehen haben, aber mit einem technischen Stand von kaum op. 299 sich durch Liszts Dante Sonate und Beethovens Appassionata quälen.

Es gibt, was den Aufbau des Klavierunterrichts angeht zwei Extrempositionen:
Man baut zuerst ein gutes technisches Fundament (nicht nur, aber auch mit Hanon und Czerny) und kann dann theoretisch alles mehr oder weniger spielen und entwickelt danach "Musikalität" durch die Arbeit an den großen Meisterwerken. Das war eine Idee, die im 19. Jh. in Europa recht verbreitet war

Oder

Man entwickelt sich an hochwertiger Musik zum tiefen und inspirierten Künstler, den Technik allenfalls sekundär mal interessiert, wenn er seine Gedanken überhaupt nicht mehr ausdrücken kann, weil das Stück zu schwer ist.

Dass diese beiden Positionen so formuliert Karikaturen sind, muss ich hier nicht erläutern, aber man kann Klavierlehrer (bitte zunächst ohne Wertung) auf dieser Linie ganz gut einordnen.
Also der Münchner Klavierprofessor (schon länger nicht mehr unter uns) der meinte "ich unterrichte Technik, Musikalität haben die Studenten, oder auch nicht." wäre dann recht weit bei 1 und Wilhelm Kempff wohl eher bei 2.

Die Idee hinter der ersten Position hat immer wieder etwas Faszinierendes, vor allem für Leute, die bis in ihre 20ger Jahre kein akzeptables technisches Fundament hatten und dieses später seeeehhhr mühselig nacharbeiten mussten.
Ist aber - überall auf der Erde - eher unrealistisch.
Hab ich gerade gefunden, passt gut hierher:bye:
 
@Ellizza

Jetzt vermischst du aber verschiedene Dinge. Erst ging es dir um musikalischen Intellekt vs. musikalisches Gefühl, jetzt plötzlich um Technik.

Was soll dein merkwürdig aggressives Auftreten bewirken? Warum versuchst du Dinge, die untrennbar zusammengehören, gegeneinander auszuspielen?
 
Jetzt vermischst du aber verschiedene Dinge.
Nein, wenn du endlich das Vorwort lesen würdest, um das es hier geht. Das Verständnis vom Intellekt her schließt gerade die Umsetzung in Technik ein, es geht eben nicht einfach um Musikerziehung, sondern um deren Ausführung am Instrument.

Ich setze nochmal einen obendrauf, "der allgemeine Konsenz in der Musikpädagogik" z. Zt. wird kurz über lang das gleiche Schicksal wie die antiautoritäre Erziehung erleiden, nämlich keiner will mehr den Wischiwaschiunterricht, der große Erwartungen weckt, aber rauskommen tut stümperhaftes Instrumentenspiel und sicher keine kleinen Musikgenies, die das Improvisieren gleich noch angeblich mitgelernt haben.
 
Immer wieder Unterstellungen ... Das Vorwort habe ich gelesen, sonst würde ich hier gar nicht schreiben.

Für mich ist die Diskussion aber an diesem Punkt beendet.
 
Statt des LinkeScreenshot_2020-07-26-07-39-45.png Screenshot_2020-07-26-07-38-38.png s zu Beginn hier noch die Inhaltsangabe als Kopie:
 
Na, das ist aber gewagt. Die Schule ist ein Nachkriegsprodukt, wo man durchaus gerade in der jungen DDR nicht gouvernantenhaftes Einprügeln von nicht durchschauten Lehrinhalten wollte, sondern gerade mit Polyphonie und gezielter Technikausbildung in Bachs Fußstapfen treten wollte, um die seichte Mode von begleiteten Opernmelodien in der Klavieranfängerausbildung abzulösen und stattdessen auf komplexe Mehrstimmigkeit in beiden Händen hinzuarbeiten unter zunächster Vermeidung von allzu Romantischem bis Kitsch. (Da wo wir heute angekommen sind).
Und es ist bemerkenswert, dass die Gehörbildung durch altes Volksliedgut und nicht durch simple nichtssagende Eigenkompositionen von Autoren der Schulen angestrebt wird.)

Die technischen Randbedingungen, die es damals evtl. ermöglicht haben, "musikalisch unverdorbene" Kinder im Klavierspiel nach der Schule auszubilden sind doch heute komplett andere. Das kann man doch nicht einfach ignorieren
 
Ich kenne persönlich nur Leute, die das Klavierspiel als Kind oder Jugendlicher aufgegeben haben, weil ihrer Lehrer ein Abweichen vom klassischen Musikmaterial nicht geduldet haben.
 
@andreg
Da kann ich dir nur rechtgeben.
Ich bin jetzt 65 und suche schon seit einem Jahr eine neue KL.
Bei Vorgesprächen stellt sich dann heraus ,dass die KL lieber ihre Unterrichtshefte und ihre Strategie verfolgt als auf meine Wünsche nach Unterricht nach nicht nur ausschließlich klassischer Musik entgegen zukommen.
Vorher hatte ich das Glück eine sehr junge KL zu haben, die durchaus gerne sich mit meinen Musikwünschen arrangiert hat und mir Stücke wie Ligth of the seven vorgeschlug.
. Mittlerweile gibt sie keinen Unterricht mehr, weil sie ihre eigenen Karriere, sowie Familienplanung in den Vordergrund stellen wollte.
Ich finde KL sollten sich auch etwas an den Wünschen ihrer Kunden orientieren.
 
Der Schüler zum Französischlehrer: „ich will französisch lernen. Aber Grammatik und Vokabeln lernen ist nicht so mein Ding. Am liebsten möchte ich Sartre und Camus im Original lesen. Nicht so blöde Übungssätze aus dem Französischlehrbuch!“
Der Französischlehrer::015:
 
Ein paar Gedanken zu der hier laufenden Diskussion:

1. Wenn ich etwas "früher" als etwas anderes wecken will, dann insinuiert dies sehr wohl eine Trennung zweier Dinge.

2. Eine Trennung von musikalischem Intellekt und musikalischem Gefühl ist m.E. völlig unmöglich.

3. Frau Schütte-Kötschau dürfte wohl kaum an TEY-Musik gedacht haben.

4. Die Literaturauswahl (cf. Inhaltsverzeichnis) hat ihren Schwerpunkt ganz klar im Barock und in der Klassik (mit Ausnahme von ein paar Stückchen eines Herrn Kötschau, eventuell ihr Ehemann).

5. Diese Literaturauswahl kann sehr wohl dazu beitragen, jemandem das Klavierspiel zu verleiden, wie @andreg andeutet.

6. Ich verbinde mit der Literaturauswahl freilich keineswegs eine ältliche, herrische Gouvernante; und ich habe mit Interesse den Eindruck von @Tastatula gelesen.

7. Die Formulierung im Vorwort liegt eine Assoziation Intellekt = Barock + (Früh)Klassik; Gefühl = Romantik nahe. Wie berechtigt diese Zuschreibung ist, mögen die im Forum diskutieren, die von Musik mehr Ahnung haben. Mir kommt es sehr pauschal vor.

8. Wie @Demian ganz richtig schreibt, beginnen unsere Hörerfahrungen bereits in der pränatalen Phase. Das war nicht der Forschungsstand des Jahres 1950. Aber selbst wenn ich dies relativ neuen Erkenntnisse ausklammere, so ist es doch trivial festzustellen, dass alle, die sich jemals, ganz gleich in welchem Alter, an ein beliebiges Instrument setzen, bereits über eine Menge Hörerfahrungen verfügen, mit welchen sie ganz verschiedene Dinge verknüpfen. Das können positive und negative Gefühle sein; Dinge wie "Leitton" oder "Auflösung" können manche benennen, manche singen es einfach, ohne zu wissen, wie die Fachbegriffe lauten. Was ist da Intellekt, was ist musikalisches Gefühl?
Insofern kann man kaum von "unverdorbenen" Kindern ausgehen. Sie werden extrem verschiedene Hörerfahrungen mit in den Unterricht bringen, und es wird wohl die Aufgabe der KL sein, daran auch anzuknüpfen.

9. Das Zitat von @Alter Tastendrücker , das in dem Faden erwähnt wird, bezieht sich wohl in allererster Linie auf fortgeschrittene SuS, die ein Studium anstreben und denen eine grundsolide Technik fehlt. Dass das etwas anderes ist, darauf hat ja @Demian bereits hingewiesen.

10. Mich erinnert die Priorisierung von Barock und Klassik vor der Romantik übrigens an die alte chronologische Konzeption von Literaturunterricht, wo es mit dem Mittelalter losging und man dann leider nicht mehr im 20. Jahrhundert landete, weil die Zeit fehlte.
In der Literaturdidaktik ist das Konzept völlig überholt.

11. Ich bekam sehr früh damals (Anfang 70er Jahre) auch Komponisten wie Chatschaturian und Henk Badings vorgelegt - und obwohl mein erster Anlauf am Klavier scheiterte, diese zwei Komponisten z.B. fand ich so mit 12, 13 Jahren sehr ansprechend!

12. @Cheval blanc : Der moderne Fremdsprachenunterricht verzichtet nach wie vor nicht auf Vokabeln und Grammatik. Aber auch hier spielt von Anfang an die emotionale Komponente eine Rolle, z.B. mit Liedern gleich zu Beginn.
Und dann kommen die SuS von früher nach Jahren und sagen: "Wir haben alles vergessen, aber "Salut" oder "Christine est malade" können wir immer noch singen."
 
Zuletzt bearbeitet:

Als Kind hatte ich die Freude, Erika Schütte-Kötschau als Cembalistin bei einem gemeinsamen Konzert und den dazu gehörigen Proben zu erleben. Sie ist mir damals sehr aufgefallen, obwohl sie nur ein Mitglied des Orchesters war - allerdings spielte sie den Continuopart in der Matthäuspassion.
Ich fand sie hinreißend. Eine zarte, weißhaarige Dame mit einem sehr warmen, freundlichen und bescheidenen Charakter, die unglaublich schön musiziert hat.
Und hier gibt es noch ein paar biographische Informationen:
http://www.kirche-leichlingen.de/Programme/1997/19970920.htm
Zu diesem Zeitpunkt musste sie (die wie die Kontarsky-Brüder bei Eduard Erdmann studiert hat) fast ein biblisches Alter erreicht haben.
 
Als ich 2014 mit dem Klavierspielen begann war meine damalige Klavierlehrerin stolze 86 Jahre alt..
Wir haben gleich mit dem Lehrbuch "Der junge Pianist, der Fortschritt Band 2 "begonnen ,da ich Vorerfahrung vom Akkordeon als Kind und Jugendliche, und später mit dem Keyboard hatte.
Diese Stücke haben mir durchaus viel Spass gemacht und ich höre lieber Klassik als so manch andere Leiermusik die heutzutage im Radio kommt.
Als ich ihr damals "Yesterday" vorspielte war sie sehr angetan, aber sie meinte diese Musikrichtung kenne sie gar nicht.
Beim Keyboard spielen hat mich gestört , dass ich meinen Ausdruck den ich beim musizieren empfinde dort nicht zu meiner Zufriedenheit ausdrücken konnte.


Ich spiele das bei Klavierlehrerer verhasste "Für Elise" auch nur, weil meine junge KL das mit mir auf meinen Wunsch gelernt hat. Neben der Beethoven Sonate OP 49-1. Und vielen anderen Stücken aus verschiedenen Stilrichtungen.

Ich persönlich finde es schade, dass Klavierlehrer so verbohrt sind und gerade bei Späteinsteigern nicht auf die Wünsche ihrer möglichen Kunden eingehen.
Also wendet sich der Späteinsteiger den online Klavierkursen und yt Videos zu um seine Wunschmusik spielen zu können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und hier gibt es noch ein paar biographische Informationen:
http://www.kirche-leichlingen.de/Programme/1997/19970920.htm
Zu diesem Zeitpunkt musste sie (die wie die Kontarsky-Brüder bei Eduard Erdmann studiert hat) fast ein biblisches Alter erreicht haben.
In Köln hat Eduard Erdmann 1925 bis 1935 an der Hochschule unterrichtet, das wird der Zeitraum der Ausbildung von Frau Schütte Kötschau sein. Die Kontärsky Brüder waren viel spater in Hamburg bei ihm ausgebildet worden.
Die Brüder Aloys Kontarsky (1931–2017) und Alfons Kontarsky (1932–2010) bildeten seit ihrer Jugend ein Klavierduo. Gemeinsam mit dem jüngeren Bruder Bernhard Kontarsky spielten sie gelegentlich an drei Klavieren. Von 1955 bis 1957 studierte das Duo bei Eduard Erdmann in Hamburg.
Kötschau Joachim, der Ehemann ist Komponist
https://www.discogs.com/release/153...-Canon-Und-Variationen-Weihnachtsmusik/images
Hier kann man auf der Plattenrückseite einiges zum Leben entnehmen.
 
@hasenbein
Schön dass du keinen Respekt vor dem Alter hast.

Sie hat bis zu ihrem neuzigsten Lebensjahr noch unterrichtet, spielt bis zum heutigen Tag noch immer die Orgel zu jedem Gottesdienst in ihrer Gemeinde und lebt mit ihrem pflegebedürftigen Mann selbstständig in ihrem Haus erledigt mit dem Auto auch alle Einkäufe usw.
Also durchaus noch bewundernswert körperlich und geistig fit.
Der Grund für die Beendigung vom Unterricht war die Pflegebedürftigkeit ihres Mannes.

Lieber @hasenbein ich vermute nach deinen Aussagen hier in so manchem Fäden hast du nicht so eine tolle Frau an deiner Seite und wirst auch niemand dann haben wenn du 90 bist und krank der dich liebevoll umsorgt.
Aber ich glaube du wirst vorher schon an Verbitterung über dich selbst, gar keine 90 werden.
 
@hasenbein du darfst nicht vergessen meine Klavierlehrerin hieß *Wolf*
 
Kann man das musikalische "Gefühl" schulen? Ich denke, es ist das, was man Begabung nennt, was angeboren oder mit der Muttermilch aufgesaugt wurde.
Ob man das "musikalische Gefühl" Schulen kann, weiß ich nicht! Dieses ominöse Gefühl scheint mir erschreckend oft schlicht die Ausrede zu sein, wenn ein Schüler sich mit den pianistischen Mitteln die beim Hörer hoffentlich musikalische Empfindungen auslösen könnten, und die man natürlich schulen kann, nicht so gerne befasst.
 
Es ist seit langem verbreitetes Wissen, dass musikalisches Empfinden und musikalischer Ausdruck entwicklungsfähig sind.

Das GROßTHEMA MUSIKALITÄT möchte ich gerne außen vor lassen, aber, dass die Parameter, aus denen sich eine - wie auch immer definierte - Musikalität zusammensetzt auch in erheblichem Umfang erlernte sind und nicht nur angeborene ist doch inzwischen gottlob eine Binse.
 

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