Deutsche Volkslieder

@Demian Als Profi kannst Du sicher analysieren, wie diese Männer es anstellen, solcher Musik ein gewisses Etwas zu verleihen, das auch glasharte Skeptiker wie mich erreicht.
Es sind mehrere Faktoren. Zunächst ist es bei Santiano die Präsenz von Molltonarten, die immer etwas Mystischeres haben als Durtonarten, letztere aber dominieren in deutschen Volksliedern bei weitem. Die Frage wäre also, ob du z.B. „Es fiel ein Reif“ reizvoller findest als Dur-Volkslieder (ich ja: neben „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ eines der schönsten Volkslieder, finde ich).

Außerdem ist die Gattung „Shanty“ insgesamt rauer und herber als die eher naiv-braven deutschen Volkslieder. Hinzu kommen bei Santiano Arrangement, Instrumentierung und Klangfarbe der Stimmen, die dich wohl eher fesseln als deutsche Volkslieder, bei denen man anderes im Ohr hat.

Übrigens sind Shantys, bedingt durch die Tatsache der Weltläufigkeit der Matrosen, die gewöhnlich aus unterschiedlichen Ländern kamen, musikalisch immer offen gewesen für verschiedenste Einflüsse - sowohl sprachlich als auch musikalisch. Diese hörbare musikalische Vielfalt könnte auch zu deiner Faszination beitragen.
 
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ich ja: neben „Zogen einst fünf wilde Schwäne eines der schönsten Volkslieder, finde ich
Die Erklärung finde ich gut, doch dann ein großes "Aber":
Bei "Zogen einst fünf wilde Schwäne" musste ich an "Sag mir wo die Blumen sind" denken, ist für mich mehr Antikriegslied als Volkslied und bei "Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht" empfand ich die ersten Tönen bereits als schwermütig.
Kann man solche Lieder Kids vermitteln?
Ich hoffe, Du verstehst nicht so etwas unter erhaltenswerte Volklieder, welche Du Kindern näher bringen möchtest.
 
Bei "Zogen einst fünf wilde Schwäne" musste ich an "Sag mir wo die Blumen sind" denken, ist für mich mehr Antikriegslied als Volkslied und bei "Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht" empfand ich die ersten Tönen bereits als schwermütig.
Kann man solche Lieder Kids vermitteln?
Ich hoffe, Du verstehst nicht so etwas unter erhaltenswerte Volklieder, welche Du Kindern näher bringen möchtest.
Doch. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ ist ein echtes Volkslied, das aus den deutschen Siedlungsgebieten in Litauen stammt. Gleichzeitig ist es ein Antikriegslied.

Und selbstverständlich lässt sich schwermütige Musik wie „Es fiel ein Reif“ vermitteln. Kindern und Jugendlichen (je nach Alter natürlich) kann man mehr zutrauen, als manche denken! So eine Scheiße wie den „Struwelpeter“ dagegen müssen Kinder nicht mehr kennenlernen. Das gehört auf den Müllhaufen der Schwarzen Pädagogik bzw. ins Archiv.

Also: Warum sollten diese Lieder nicht erhaltenswert sein?
 
Und selbstverständlich lässt sich schwermütige Musik wie „Es fiel ein Reif“ vermitteln.

Das denke ich auch, wenn sie nicht sogar damit mehr anfangen können, (ich denke jetzt an Jugendliche nicht an Grundschüler). Wenn ich an meine Schulchorzeit zurückdenke mochte ich gerade solche melancholischen Stücke besonders gerne (vor allem während der pubertären Zeit).

Muss für Kinder/Jugendliche alles nur fröhlich sein? Im Deutschunterricht wird doch auch nicht gerade humoristisches gelesen, ganz im Gegenteil, wenn ich so zurückdenke.
 
Muss für Kinder/Jugendliche alles nur fröhlich sein?
Nein, aber Musik muss ankommen, was nicht ankommt, kommt nicht an. Damit Musik bei Kindern ankommt, muss man darauf, also auf seine Zielgruppe zugehen und auf diese eingehen. So ähnlich würde ich es zumindest sehen. Und da dürfte es bereits schwer sein, Interesse für Volksmusik allgemein zu wecken.
 
Und da dürfte es bereits schwer sein, Interesse für Volksmusik allgemein zu wecken.

Warum soll das schwer sein? Natürlich kann man die meisten Volkslieder nicht kommentarlos auf Jugendliche loslassen und dann erwarten, dass sie damit etwas anfangen können. Aber die sozio-kulturellen Hintergründe vieler Lieder sind hoch interessant, und ich bin sicher, dass Jugendliche sich durchaus dafür begeistern können. Ganz besonders, wenn es um Dinge geht, die sie selbst ohnehin beschäftigen - z.B. ein erotischer Subtext ("Erlaube mir, feins Mädchen") oder Beziehungsstress ("Schwesterlein, Schwesterlein", "Da unten im Tale"). :lol:
 
Bei mir blieb ein Lied aus der Schulzeit hängen, welches wir mit deutschem Text lernten und welches nach Jahrzehnten in einer neueren Version im letztem Jahr zum Sommerhit wurde. Bella ciao ist zwar auch kein fröhliches Lied, eigentlich soll nur die Melodie auf einem älteren Volkslied beruhen, war aber eingängig und kam an.
Bei so einem Vorhaben, würde ich mit einem ähnlich gestrickten Lied beginnen, also eingängig und leicht mitzusingen. Es spielt doch kaum eine Rolle, was ein Lehrer für gut empfindet, sondern eine Auswahl zu treffen, was Kinder an alten Volksliedern für gut empfinden könnten, wenn es diese auch erreichen soll.
 

Ganz besonders, wenn es um Dinge geht, die sie selbst ohnehin beschäftigen
Aber die beschäftigen sich doch mit einschlägigen musikalischen Themen. Nehme an, dass das beinahe alle Kids an den Schulen singen können, zumindest die Jungen. Handelt sich doch um einprägsame Texte, die zum Mitsingen verleiten. Wobei die Eltern eh die Kontrolle verlieren, was die hören, denn irgendwo müssen die Zahlen ja herkommen.
Ohne Sinn oder Verstand, vielleicht geh‘ ich bald drauf
Aber wenigstens hab‘ ich dann geraucht [...]
Ich lade den Colt,
Egal, wann ihr wollt [...]

Charts.jpg
 
Wobei die Eltern eh die Kontrolle verlieren, was die hören, denn irgendwo müssen die Zahlen ja herkommen.
Vermutlich hören manche Eltern so etwas auch. Es ist eben auch immer eine Frage des eigenen Reflexionsvermögens. Gruppenzwang und Charterfolge, von denen man sich beeindrucken lässt, tun ihr übriges.

Es ist bei Unter- und Mittelstufenklassen immer wieder erstaunlich zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit einige davon ausgehen, dass die Qualität eines Musikstücks von seinen Verkaufszahlen abhängt. Hier ein kritisches Bewusstsein zu schaffen, ist eine wichtige Aufgabe.

Übrigens auch genau das könnte ein Aspekt sein, an dem man im Musikunterricht ansetzen könnte: Auf der einen Seite die kommerziell überaus erfolgreiche volkstümliche (Schlager-)Musik, auf der anderen Seite das vom Aussterben bedrohte Volkslied, das eine Randexistenz führt. Die unterschiedliche musikalische (und textliche!) Qualität beider Genres lässt sich ja leicht nachweisen. Die volkstümliche (Schlager-)Musik schafft mit plattesten Mitteln die Illusion einer heilen (Heimat-)Welt, das Volkslied aber kennt Tiefe: Melancholie, Kritik an gesellschaftlichen Zuständen usw. Die Untersuchungsfrage wäre: Spiegelt sich das auch in der Musik wider (Wort-Ton-Verhältnis)? Hinzu kommt die musikalische Vielfalt deutscher Volkslieder gegenüber einer aus Versatzstücken industriell gefertigten massenkompatiblen Einheitlichkeit.
 
Etwas rauer, doch ebenfalls mit der erforderlichen Portion Gefühl, welches für einen Song wie 500 Miles erforderlich ist. War zumindest mein Eindruck, als ich die Versionen von Justin Timberlake, Joan Baez und anderen verglich. Nebenher auch erfolgreich ins Deutsche geholt, wo alle Welt den Song wohl mehrheitlich nur auf Englisch kennt.



View: https://www.youtube.com/watch?v=Op9Y-Al4gGE

Deutsche Versionen gibt es schon länger.

Die wohl bekannteste:



Zunächst ist es bei Santiano die Präsenz von Molltonarten, die immer etwas Mystischeres haben als Durtonarten, letztere aber dominieren in deutschen Volksliedern bei weitem.
Genau genommen sind es Modaltonarten mit Mollcharakter, wie man sie im Irish Folk ständig antrifft. Santiano kombiniert im Grunde Irish Folk mit Elementen der Rockmusik und schafft eingängige und mitreißende Arrangements, die vielerorts gut ankommen. Deshalb passt auch der bekannte Opener von der Kelly Family so gut ins Santiano-Repertoire (nein, das Mädel ist nicht Maite Kelly):



Außerdem ist die Gattung „Shanty“ insgesamt rauer und herber als die eher naiv-braven deutschen Volkslieder. Hinzu kommen di Santiano Arrangement, Instrumentierung und Klangfarbe der Stimmen, die dich wohl eher fesseln als deutsche Volkslieder, bei denen man anderes im Ohr hat.
Richtig, die dritte Komponente sind die "Shantys", die ursprünglich auf See eine funktionale Rolle als Arbeitsgesänge gespielt haben: Knochenharte, brutalst körperlich anstrengende Tätigkeiten an Bord, die man mit verschiedenen Tonhöhen und rhythmischer Strukturierung erfolgreicher kommandierend begleiten konnte als mit reiner martialischer Brüllerei. Seeleute waren vielfach unter unmenschlich harten Arbeitsbedingungen tätig - vergleichbar mit Fremdenlegion und Partisanenkriegertum. Von wegen lustig auf allen Weltmeeren unterwegs und in jedem Hafen eine andere Seemannsbraut zur Verlustigung. Diese Mythen klingen gut, vor allem, wenn sie mitreißend besungen werden. Shantys wurden vermutlich mehr gebrüllt und gegrölt als gesungen - in authentischer Form hält sich der Unterhaltungswert in Grenzen.

Übrigens sind Shantys, besingt durch die Tatsache der Weltläufigkeit der Matrosen, die gewöhnlich aus unterschiedlichen Ländern kamen, musikalisch immer offen gewesen für verschiedenste Einflüsse - sowohl sprachlich wie auch musikalisch. Diese hörbare musikalische Vielfalt könnte auch zu deiner Faszination beitragen.
Auch das trifft zu. Was allerdings von Shantychören landauf und landab vorgetragen wird, ist stilistisch weit von den Arbeitsliedern entfernt - man könnte es eher als maritime Pseudofolklore oder Seemanns-Schlagermusik bezeichnen, die immer häufiger mehrstimmig dargeboten die Grenzen zur Kunstmusik erreicht oder sogar überschreitet. Ich leite selbst einen solchen Chor und weiß, wie publikumswirksam diese Musikgattung ankommen kann. Wechselgesänge mit Solisten (die Shanty Men), Singen in Gruppen, Einbeziehung der Zuhörer, Mitwirkung von Instrumentalisten (Akkordeon, Gitarre, Bassgitarre, Schlagzeug und verschiedene Soloinstrumente) sorgen für viel Abwechslung. Gerne greifen auch vom Aussterben bedrohte Männergesangvereine auf diese Musizierform zu, weil sie mit ein- und gleichstimmigem Singen den Verlust der mehrstimmigen Singfähigkeit kompensieren wollen. Gelingt die Integration maritimer Elemente nicht und haben die Chormitglieder zu Seefahrt, Meer und dem rauen Klima an den Küsten keine richtige Verbindung, ist das Ende des Vereins trotzdem nicht aufzuhalten. Beispielsweise werden von Anfang an gute Instrumentalisten benötigt - und wenn es zunächst nur der Akkordeon spielende Chorleiter ist.

LG von Rheinkultur
 
Deutsche Versionen gibt es schon länger.

Die wohl bekannteste:
Wollte gerade schreiben, gibt es nicht. Was Freddy singt, beruht ja auch auf der Komposition von Hedy West. Stimmt, kannte es aber nur so und die Version von Freddy brachte ich damit nicht in Verbindung, da hakte etwas bei mir:


View: https://www.youtube.com/watch?v=B_K6z3HiRAs

Wobei ich mich dann letztendlich für diese entschieden hatte, wobei es aber nur kleinere Unterschiede gab, doch da ist sehr schön die Gemeinsamkeit mit 500 Miles von Santiano hörbar:


View: https://www.youtube.com/watch?v=HAZJAzCshN4
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Frage wäre also, ob du z.B. „Es fiel ein Reif“ reizvoller findest als Dur-Volkslieder [...] rauer und herber als die eher naiv-braven deutschen Volkslieder.

Modaltonarten, Moll, "Rauigkeit" ... das ist es wohl. Plus: Tempo / Rhythmus. Der Drive.

Ins Unreine gesprochen: Irische, schottische, britische und slawische Volksmusik (bzw. was man dafür hält aufgrund bestimmter Eigenschaften ;-)) besitzen ein "gewisses Etwas", das mich anspricht.

Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, auf YT russische Volkslieder/-tänze zu suchen und zu hören. :girl:
 
Es ist bei Unter- und Mittelstufenklassen immer wieder erstaunlich zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit einige davon ausgehen, dass die Qualität eines Musikstücks von seinen Verkaufszahlen abhängt.
Nicht nur da, beim Echo spielten vorrangig auch nur die Verkaufszahlen eine Rolle. Ob es zur Abschaffung des Preises gekommen wäre, wenn Campino nicht seine Rede gehalten hätte, da bin ich mir auch nicht so sicher.

Im Allgemeinen tut man sich beim Gangsta-Rap wohl etwas schwer mit einer Indizierung, weil einige Rapper argumentieren, sie würden doch nur in der Sprache der Jugend ihre Texte verfassen oder so in etwa, was unter Kunstfreiheit fallen würde. Dafür, das genügend Jugendliche sich diese Musik dann reinziehen, dafür sprechen die Platzierungen.
Gut, wir haben früher im angetrunkenen Zustand einiges gesungen, was ich heute nicht mehr würde, oder es liegt am fehlenden Alkohol in ausreichender Menge. Doch als ich vor einigen Monaten die vorderen Platzierungen durchging und überall mal reinhörte, da waren auch Ausdrücke bei, die waren mir als Jugendlicher zuwider.

So gesehen ist es eigentlich gut, was Dir vorschwebt.
 
Vielleicht mögen auch einige keine deutschen Volkslieder weil sie keine Deutschen mehr sein wollen. Ist ihnen ja jahrelang eingetrichtert worden das wir ein Tätervolk sind . Oft hab ich das Gefühl man schämt sich heute deutsch zu sein.
 
Ist ihnen ja jahrelang eingetrichtert worden das wir ein Tätervolk sind .
Im Osten nicht. Kann mich nur schlechter erinnern, weil ich wohl viele wieder vergessen habe. Möchte meinen, dass da laut Lehrplan Lieder wie "Der kleine Trompeter" zugehörten. Da hörte ich einmal eine Knasthymne von, die ich ebenfalls wieder vergaß und nur noch die erste Strophe zusammenbekomme.

Wir saßen so traurig beisammen,
Bei Wasser und trockenem Brot,
Die Fenster mit Gittern verhangen,
So teilten wir unsere Not.

An "Immer lebe die Sonne", "Katjuscha" und "Unsere Heimat" kann ich mich erinnern, doch dann wird es leerer im Kopf. "Im Märzen der Bauer" muss da ebenfalls zugehört haben, "Sah ein Knab ein Röslein stehn" bestimmt auch, doch da ist die Erinnerung etwas vernebelter, weil es nicht das war, wo man sich als Kind für begeistern konnte, jedenfalls nicht ich. "Die Moorsoldaten" fallen mir gerade noch ein.

Hier ist in der ersten Hälfte eine Mondine Version, doch ob es der um 1900 gesungenen entspricht, weiß ich noch nicht. In der zweiten Hälfte kommt dann die bekannte, wie sie zerstückelt 2018 zum Sommerhit wurde. Beide Texte unter dem Video. Wir lernten ja den Text mit "Ihr Partisanen, kommt nehmt mich mit euch", die hier nicht erwähnt wird.


View: https://www.youtube.com/watch?v=34xoTiB2WJ8

Chartverlauf: www.offiziellecharts.de/titel-details-1754735

Nee, das war noch keine Version von 1900, hier ist eine Seite dazu:

https://naufragati.wordpress.com/20...f-a-war-song-ita-eng-dr-eleonora-simi-bonini/

Bella ciao - melodia di origine yiddish?

View: https://www.youtube.com/watch?v=Bwr2RcRJpCw

Dann geht es unter dem Video weiter, wo es wieder infrage gestellt wird, dafür mit weiteren Quellen versehen, wonach die Einflüsse bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen könnten, falls ich die Übersetzungen richtig deuten sollte.

Bin noch weitere Quellen durchgegangen, doch das einzige, was einen Sinn ergab, es leitet sich vom Kinderlied "La me nona l'è vecchiarella" ab oder hängt mit diesem zusammen, wie unten auf der Seite vermerkt.

https://it.wikisource.org/wiki/La_me_nòna_l'è_vecchierèlla_(Trentino-Alto_Adige)
 
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