Wie viel Agogik und Rubato?

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killmymatrix

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Was denkt ihr über ständig schwankende Tempi und Rubato (wo nicht vorgeschrieben), um der Musik mehr Tiefgang zu verleihen? Haltet ihr es besser, eher dem Notentext zu folgen oder lasst ihr euch eher vom Drang nach einem starken musikalischen Ausdruck durch die Hervorhebung bestimmter Passagen mit Tempobeeinflussungen leiten?

Jetzt kommt es vermutlich wieder auf das Stück, den Komponisten, die Epoche an. Dennoch würde mich eure Haltung zu diesem Thema interessieren.

Es gibt Zeiten, an denen ich mich vom Interpretationsdrang völlig übertölpeln lasse und keinen Takt völlig im Rhythmus spiele (das ist dann nachts, wo ich nicht mehr klar, sondern romantisch verträumt denke), aber normalerweise versuche ich doch, mit dem Notenbild rhythmisch im Einklang zu bleiben.

Wie sieht's bei euch aus?
 
Ich lasse mich immer vom Gefühl leiten uns sehe Tempo- und Dynamikangaben des Autors lediglich als Vorschlag. So kann es sein, dass ich ein und das selbe Stück heute anders spiele als morgen.
 
Ich habe früher auch nichts so gespielt wie es im Notenbild stand, um dem Stück mehr Ausdruck zu verleihen. Aber seit ich bei einer professionellen Klavierlehrerin Unterricht habe (vorher Keyboard), habe ich erkannt, dass die meisten Komponisten durchaus keine Stümper waren ;) , und schon gewusst haben, was sie da aufgeschrieben haben.
Will heißen, wenn man die Anweisungen im Notentext befolgt, [was gar nicht so einfach ist, weil eine Unmenge an Informationen darin enthalten ist] dann erhält man auch einen guten Ausdruck.

meint

marcus
 
Was denkt ihr über ständig schwankende Tempi und Rubato (wo nicht vorgeschrieben), um der Musik mehr Tiefgang zu verleihen?

...


Es gibt Zeiten, an denen ich mich vom Interpretationsdrang völlig übertölpeln lasse und keinen Takt völlig im Rhythmus spiele (das ist dann nachts, wo ich nicht mehr klar, sondern romantisch verträumt denke), aber normalerweise versuche ich doch, mit dem Notenbild rhythmisch im Einklang zu bleiben.

Wie sieht's bei euch aus?


Da fühle ich mich natürlich gleich persönlich angesprochen ;)

Also ich denke, ich hab da einen ganz anderen Ansatz als viele, die "rubato" als eine Art Blanco-Scheck für ein "Spiel wie du willst" betrachten.
Ich spiele mit einem sehr ausgeprägten rubato, aber einem rubato, wo ich immer genau weiß, warum der eine Ton "zu spät" oder "zu früh" kommt und wo mir natürlich auch bewußt ist, ob ich schneller oder langsamer werde, ab welchem Ton und bis zu welchem Ton. Das verfolgt nämlich alles einen bestimmten Zweck. Und dieser Zweck ist: musikalischen Tonfolgen eine Gestalt und eine Richtung zu geben. Es widerstrebt mir, Noten einfach nur so hintereinander abzuspulen. Wer Spaß an mathematisch "richtigen" Rhythmen hat, sollte doch beim Anhören von per Step by Step eingegebenen Midifiles von einem Orgasmus in den nächsten befördert werden. Offensichtlich ist das aber selbst bei den überzeugtesten Metronom-Verfechtern nicht der Fall. Rhythmus lebt von der Abweichung vom mechanischen Metronomschlag. Das heißt noch lange nicht, daß die Komponisten zu dumm waren, den Rhythmus richtig aufzuschreiben. Die Notenschrift ist eine simplifizierte Form der Notation. In Wirklichkeit ist alles viel komplizierter als es uns die einfachen Notenwerte glauben machen.

Haydnspaß
 
Und dieser Zweck ist: musikalischen Tonfolgen eine Gestalt und eine Richtung zu geben. Es widerstrebt mir, Noten einfach nur so hintereinander abzuspulen.
[...]
Rhythmus lebt von der Abweichung vom mechanischen Metronomschlag.
[...]
Die Notenschrift ist eine simplifizierte Form der Notation. In Wirklichkeit ist alles viel komplizierter als es uns die einfachen Notenwerte glauben machen.

Diese Meinung teile ich absolut.
Hätte man nicht besser ausdrücken können ;)

Wenn man alles in die Partitur schreiben würde, was man tatsächlich spielt, könnte man die Notenköpfe vor lauter Bleistift gar nicht mehr sehen...
Und müsste sich jedes mal, wenn man ein Stück spielt, eine "frische" Ausgabe nehmen, da man ein Stück nie zweimal gleich spielt.

findet
Stilblüte
 
Hallo --
Also ich denke, ich hab da einen ganz anderen Ansatz als viele, die "rubato" als eine Art Blanco-Scheck für ein "Spiel wie du willst" betrachten.
Diese Aussage kann man SO nicht richtig ernst nehmen, scheint mir, denn in Wahrheit vertritt ja kein musikalisch gebildeter Mensch diese dümmliche Position; das tun allenfalls Instrumentalschüler, denen ein besseres Verständnis "richtigen" Rubatos noch nicht vermittelt wurde/werden konnte.

Ich sehe aber durchaus die Versuchung, dass man sich bei Stücken der "einschlägigen" Komponisten genau an solchen Stellen "Tempofreiheiten" genehmigt, wo es der Vertuschung unzureichender technischer Beherrschung dienlich ist ... Ja, ich bin dieser Versuchung sicher auch schon oft erlegen; zumal in der Vergangenheit, wenn ich Sachen geübt habe, die eigentlich noch zu schwer für mich waren (also sehr oft..).
Und dieser Zweck ist: musikalischen Tonfolgen eine Gestalt und eine Richtung zu geben. Es widerstrebt mir, Noten einfach nur so hintereinander abzuspulen.
Aus Letzterem ergibt sich allerdings kein "Prinzip", warum wann und wo rubato angebracht ist oder nicht. Es handelt sich zunächst mal nur um DEINE persönliche Disposition. Darin könnte man auch eine Art "ich spiele, wie ICH will"-Haltung sehen ... Vielleicht verstehe ich Dich an der Stelle aber auch nur falsch. :rolleyes:

Ersteres, Gestalt und Richtung geben, ist dagegen sicher NICHT zwingend auf das angewiesen, was man gemeinhin "rubato" nennt. Es gibt ja noch andere Gestaltungsmittel.
Offensichtlich ist das aber selbst bei den überzeugtesten Metronom-Verfechtern nicht der Fall.
:confused: "Was" ist bei den bösen Metronom-Verfechtern nicht der Fall? :confused:
Rhythmus lebt von der Abweichung vom mechanischen Metronomschlag.
Das mag wohl sein. Ich habe aber den Eindruck, dass es sich bei der belebenden Abweichung, von der Du hier sprichst, im Grunde nicht um das handelt, worum es in dieser Diskussion eigentlich gehen soll, nämlich um mehr oder weniger deutlich WAHRNEHMBARES rubato.
Wer Spaß an mathematisch "richtigen" Rhythmen hat, sollte doch beim Anhören von per Step by Step eingegebenen Midifiles von einem Orgasmus in den nächsten befördert werden.
Ist jetzt nur (Haydn-)Spaß, oder? Besser nicht weiter drauf eingehen ...

Ich kann aber nicht widerstehen: Wie wendet man denn beispielsweise das - anscheinend Deiner Ansicht nach gänzlich unverzichtbare - rubato bei Bach an?

Was speziell Bach angeht, bin ich auf jeden Fall der Ansicht, dass zu seiner Musik im Großen und Ganzen unbedingt ein rhythmisch strenges Gerüst gehört. (Wahrnehmbare) Abweichungen davon sind in den meisten seiner Stücke auf ganz wenige, strategisch ausgewählte Stellen zu beschränken.

Ganz im Gegensatz zur Musik Chopins und anderer Komponisten späterer Epochen.


Grüße

Bernd
 
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Was speziell Bach angeht, bin ich auf jeden Fall der Ansicht, dass zu seiner Musik im Großen und Ganzen unbedingt ein rhythmisch strenges Gerüst gehört. (Wahrnehmbare) Abweichungen davon sind in den meisten seiner Stücke auf ganz wenige, strategisch ausgewählte Stellen zu beschränken.

Ganz im Gegensatz zur Musik Chopins und anderer Komponisten späterer Epochen.


Grüße

Bernd


Da sind wir eben total unterschiedlicher Ansicht.
Ein metronomischer Bach ist für mich ein Widerspruch in sich.

Hast du schon mal eine (gesungene) Bach Arie gehört, oder eine Sonate für Violine oder Cello solo? Das sind für mich die Maßstäbe - nicht das Metronom!

Aber wer gern metronomisch spielt, dem werde ich natürlich nicht dreinreden. Hilft sowieso nix. Und ich erwarte von den Metronomikern ja schließlich auch, daß sie mich so spielen lassen, wie es aus meiner Überzeugung heraus Bachs Musik angemessen ist. Ohne Toleranz gehts nicht.

Haydnspaß
 
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Also sich an den Notentext zu halten ist mir in erster Linie immer lieber. Aber wenn der Komponist es extra angegeben hat, dann werde ich natürlich mein Spiel ein bisschen freier gestalten. Am Klavier habe ich sowas seltener bisher. afür oft am Saxophon. Bei Balladen ist das ein sehr schönes Mittel zum arbeiten, damit man wirklich Gefühle reinbringt, da manche Sachen einfach nicht notiert werden können. Am Klavier wird es wohl genauso sein.



oli


P.S.: Es ist aber wie bei dir, manchmal muss ich einfach Eigeninterpretation reinbringen, viel Eigeninterpretation. Bei einem Vorspiel würd ichs natürlich lieber lassen, aber für sich alleine ist das immer mal ganz shcön
 
Also für mich gibt es verschiedene Arten von Rubato, die alle ihre Daseinsberechtigung haben.

Die Königsdisziplin stellt für mich die Art dar, die Chopin (und auch Mozart!) beherrscht und an geeigneten Stellen angewendet haben (siehe Eigeldinger "Chopin as seen by his pupils" mit Originalzitaten Schülern gegenüber, und was Schüler und Kollegen wie Liszt, zu dem Thema geäußert haben). Dies ist, dass die Melodiehand frei im Rhythmus ist, jedoch die Begleithand mit dem Rhythmus, z.B. linke Hand bei den Walzern, streng im Rhythmus bleibt. Dies ist sehr schwer, ich kann es nicht richtig, und kenne auch keine CD-Aufnahme, die dies konsequent ohne zu wackeln mit der Rhythmushand hinbekommt.

Das nächste, das beide Hände mehr oder weniger gleichsinnig im Rhythmus schwanken, jedoch im Mittel das Tempo konstant bleibt. Auch diese Art hat Liszt in seiner Chopin-Biographie über Chopin geäußert, etwa so "Die Blätter eines Baumes schwanken im Wind hin und her, der Baum bleibt aber auf der Stelle stehn". Das Wort rubato kommt wohl von "stehlen" - es wird Zeit gestohlen, und an anderer Stelle zurückgegeben - im Mittel bleibt es konstant.

Das 3. wäre dann das total freie Rubato. Das wurde schon im Frühbarock angewandt, im sogenannten "Stylus Phantasticus", z.B. Buxtehude oder die Fanasie in g-moll von Bach, die der berühmten Fuge vorsteht und Anleihe an diesen Stil nimmt.

In Bezug was vorher über Rubato und Bach gesagt wurde hier, ist mein Standpunkt, dass für mich Bach im allgemeinen am besten klingt, wenn der Rhythmus straff durchgezogen wird, ganz in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Welle der "historisch gerechten Aufführungspraxis". Bei Buxtehude schon ganz anders, der Stylus Phantasticus wirkt mit freiem Rubato am besten.

In Übereinstimmung was vorher gesagt wurde, finde ich Rubato abwägig, wenn technische Schwierigkeiten damit kaschiert werden sollen - dann besser, das ganze Ding langsamer zu spielen.

Bei Chopin fällt mir kein Stück ein, wo Rubato-Variante 2 (oder besser noch Variante 1 - für den, der's kann) nicht angebracht wäre. Es muss auf jeden Fall dezent bleiben, und nicht aufdringlich für meinen Geschmack.

Im Versuch, es auf den Punkt zu bringen, würde ich Rubato überall einsetzen, wo Gefühle ausgedrückt werden sollen, und darauf verzichten, wo in erster Linie polyphone Linien verwoben dargestellt werden, was für mich mehr kopfgesteuert läuft (z.B. das meiste von Bach, zumindest alle Fugen).
 
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Da sind wir eben total unterschiedlicher Ansicht.
Ein metronomischer Bach ist für mich ein Widerspruch in sich.
Finde es auch absolut falsch Bach in ein rythmisches Korsett pressen zu wollen, was aber leider anscheind von den meisten Musiker als ungeschreibes Gesetz angesehen wird. Schließlich ist Bach nicht ganz unwesentlich vom "Stylus Fantasikus" geprägt, einer Form die mit jedem Romantiker in Sachen Freiheit mithalten kann. Ein Metronombach entbindet einen natürlich einer kreativen interpretation, habe aber schon manchen Bach gehört den das Metronom regelrecht verkrüppelt hat. Aber natürlich jeder wie's ihm gefällt.
 
Schließlich ist Bach nicht ganz unwesentlich vom "Stylus Fantasikus" geprägt, einer Form die mit jedem Romantiker in Sachen Freiheit mithalten kann. Ein Metronombach entbindet einen natürlich einer kreativen interpretation, habe aber schon manchen Bach gehört den das Metronom regelrecht verkrüppelt hat.

Ich teile deine Ansicht zum Stylus Phantasticus - auch die Verbindung zur Romantik. Bach hat dies bei Buxtehude gehört, und einige Werke von Bach kann man damit in Verbindung setzen. Die meisten jedoch nicht, Bach hat sich weiterentwickelt.

Obwohl ich jedem nur empfehlen kann, insbesondere Bach mit Metronom zu üben, heißt aber rhythmisch korrektes Spielen - oder der Versuch davon -, keinesfalls jeglichere kreativen Interpretation zu entsagen.

Es gibt ja noch andere Stilmittel - wie wäre es mit Dynamikunterschieden auf dem Klavier oder eine gepflegte Artikulation auf der Orgel? Es bleibt noch genügend Kreativität frei, auch wenn man auf genauen Rhythmus achtet.

Will damit nicht sagen, dass ich was gegen Rubato habe - im Gegenteil. Ist nur m.E. nicht überall angebracht. Wie willst du bei einer Bach-Fuge Rubato betreiben - wenn alle Stimmen gleichzeitig zugange sind, und jeweils in unterschiedlicher Entwicklung bzgl. Phrasenfortgang? Dies hieße alle Stimmen über einen Kamm scheren, es sei denn du schaffst es, jeder Stimme getrennt das eigene Rubato zu verpassen. Das möchte ich erst mal hören, wer das schafft...
 

Also bei Bach würde ich mit Rubato vorsichtig umgehen. Sicher manchmal sehr schön, aber nicht zu oft.


oli
 
Selbstverständlich kann man nicht überall hemmungslos Rubato einsetzen und sich eines Metronoms beim Üben zu bedienen soll ja nicht falsch sein, nur finde ich, darf man bei Bach die Agogik als Interpretationsmittel nicht ausschließen - auch bei einer Fuge nicht. Es kommt halt auf den Charakter der Fuge an, bei einer Sprühenden wohl eher unangebracht, aber bei verträumten, intimen Fugen wie der h-moll oder cis-moll Fuge aus dem WTK, ist, meinem Empfinden nach, dezente Agogik ein unverzichtbares Interpretationsmittel zur vollkommenen Gestaltung.
 
Wie willst du bei einer Bach-Fuge Rubato betreiben - wenn alle Stimmen gleichzeitig zugange sind, und jeweils in unterschiedlicher Entwicklung bzgl. Phrasenfortgang? Dies hieße alle Stimmen über einen Kamm scheren, es sei denn du schaffst es, jeder Stimme getrennt das eigene Rubato zu verpassen. Das möchte ich erst mal hören, wer das schafft...


Wenn man sich Bachs Fugen mal daraufhin anschaut, fällt einem sehr schnell auf, wie erstaunlich homophon die doch oft komponiert sind. Häufig läuft die Harmonik und die Dynamik (und damit auch ein eventuelles Rubato) parallel - nicht gegenläufig. Und in besonderen Fällen kann ein divergierendes Rubato doch auch mal ganz reizvoll sein ;)
 
Wenn man sich Bachs Fugen mal daraufhin anschaut, fällt einem sehr schnell auf, wie erstaunlich homophon die doch oft komponiert sind.

Wenn einem das sehr schell auffällt, lohnt es sich eventuell, länger hinzuschauen - bis man erkennt, dass das ursprünglich als homophon empfundene Gebilde anfängt, mehrere ganz individuelle Stimmen zu bekommen, die gleichzeitig, aber überhaupt nicht unbedingt gleichsinnig, trotzdem in wundervoller Harmonie, zu leben anfangen.

Wenn man nun versucht, alle diese Stimmen in ein homophones Korsett zu zwingen - mittels Rubato, oder noch schlimmer, gleichmäßiger Dynamik durch alle Stimmen - verschlechtert man die Durchhörbarkeit aller Stimmen. Und das fände ich schade. Gute Interpreten versuchen, den Stimmen individuellen Charakter zu geben, sei es bei Orgel- oder Klavierfugen. Das fängt schon bei den zweistimmingen Inventionen an. Ist es nicht viel interessanter, die beiden Stimmen unabhängig voneinander zu bedienen statt gleichmachen zu wollen? Ein Rubato über alle Stimmen verteilt IST eine Gleichmacherei, daher wäre ich bei polyhonen Stücken wie Inventionen, Fugen sehr, sehr vorsichtig mit Rubato.

@Christoph: Sicher, die träumerische h-moll Fuge aus WTK1 ist schon was spezielles, und bei einer 5-stimmigen Fuge jede Stimme herauszuarbeiten, ist eine große Herausforderung. Ich spiele diese Fuge auch sehr gerne, und gestehe, dass man der Versuchung, diese Fuge homophon aufzufassen, schnell erliegen kann. Klingt trotzdem besser, den einzelnen Stimmen nachzugehen und das polyphone herauszuarbeiten, auch wenn dies der schwierigere Weg ist.
 
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Wenn einem das sehr schell auffällt, lohnt es sich eventuell, länger hinzuschauen - bis man erkennt, dass das ursprünglich als homophon empfundene Gebilde anfängt, mehrere ganz individuelle Stimmen zu bekommen, die gleichzeitig, aber überhaupt nicht unbedingt gleichsinnig, trotzdem in wundervoller Harmonie, zu leben anfangen.

Na, da wollen wir mal die Reihenfolge nicht durcheinanderbringen ;)

Zuerst sind natürlich die Themen da, die ja auch einzeln nacheinander einsetzen und selbstverständlich eigene "Wesen" sind.

Beim 2.Themeneinsatz erscheint dann in der Fortsetzung der ersten Stimme das Gegenthema, das dem Thema auf den Leib geschneidert ist und das das Thema auch harmonisch "erklärt". Jeder weitere Einsatz von Thema oder Gegenthema geschieht in völliger Abhängigkeit vom vorhanden Material. Mal tritt eine Stimme in den Vordergrund, mal eine oder mehrere andere. Aber nie unabhängig. Die Stimmen sind immer in Relation zueinander!

Was die (zweistimmigen) Inventionen betrifft:

da arbeitet Bach ja hauptsächlich mit dem Mittel der Sequenz und der Imitation. Wenn die eine Stimme ein thematisches Motiv hat, begleitet die andere. Auch da ist die harmonische Abhängigkeit immer gegeben.

Der Hauptunterschied zwischen homophoner und polyphoner Satztechnik scheint mir zu sein, daß bei der Homophonie die Hauptstimme/Melodie (fast immer) oben ist, während sie bei der Polyphonie von Stimme zu Stimme wandert. Harmonisch gibt es aber keinen Unterschied.
 
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Haydnspaß, es ist bei weitem nicht immer so, dass bei Fugen die Themen hintereinander einsetzen, und man von einer Hauptstimme und Begleitstimmen reden kann. Zum einen kann ein Thema in einer anderen Stimme einsetzen, obwohl das Thema der vorherigen Stimme noch nicht durch ist. Zum anderen gibt es nicht nur Thema und Gegenthema.

Also, von Thema und Begleitung zu sprechen bei Bach-Fugen, greift zu kurz.
Es handelt sich fast immer um eigenständige Stimmen, die auch gern eigenständig behandelt werden wollen. Da diese Stimmen zeitlich ineinander verwoben sind, halte ich ein Rubato, was über alle Stimmen geht, nicht für die beste Idee (um am Topic Rubato zu bleiben). Sehr dezentes Rubato in Ausnahmefällen, ja.

Na, da wollen wir mal die Reihenfolge nicht durcheinanderbringen ;)

Ok, ich gehe nur von mir aus. Da ist es so, dass ich beim ersten Hören einer Fuge eher den Überblick empfinde, das Harmoniegemisch aller Stimmen und das Fortschreitens des Themas. Erst bei mehrmaligem Hören kann ich die individuellen Stimmen getrennt verfolgen.

Daher wundert es mich, dass bei dir die Reihenfolge anders herum ist. Räume aber ein, dass ich kein Fugen-Experte bin - spiele sie aber sehr gerne. Und nehme sie auf, um mit anderen darüber zu reden.

Hier zum Beispiel das b-moll P&F-Paar aus WTK1, von dem Christoph geredet hat:

Oder ein etwas lebhafteres (D-dur P&F-Paar aus WTK1):
 
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Ich hab jetzt mal Präludium und Fuge b-moll (von einem Konzert, wo ich den 1. Teil des WTC komplett gespielt habe) in meiner Version auf meine esnips-Seite hochgeladen.

- hier klicken -

Wenn dir rubato bei Bach nicht gefällt, wird es wohl eine Zumutung für dich sein ;) Du mußt es ja nicht ganz anhören :p

Haydnspaß
 
Haydnspaß, sowohl Präludium als auch Fuge werden bei mir in doppelter Geschwindigkeit und eine Oktave höher abgespielt. Kann man die mp3-files von der Seite runterladen, so dass ich sie mit einem anderen Player abspielen kann, hast Du da einen Tip? Würde es mir gerne anhören und natürlich Feedback geben!

Hut ab schon mal vorneweg, dass Du in einem Konzert das gesamte WTK1 gespielt hast! Bis jetzt habe ich gerade mal etwa ein Drittel des WTK1 selber gespielt.

Ansonsten habe ich nicht gesagt, dass mir bei Bach generell Rubato nicht gefällt, nur eben nicht bei den polyphon angelegten Stücken, wozu Fugen zweifelsohne zählen.
 
Finde es auch absolut falsch Bach in ein rythmisches Korsett pressen zu wollen, was aber leider anscheind von den meisten Musiker als ungeschreibes Gesetz angesehen wird.
Mindenblues hatte ja schon auf die nun seit Jahren etablierte "Historische Aufführungspraxis" hingewiesen. Kann man etwa NICHT davon ausgehen, dass die dort angewandten Grundregeln, AUCH was Tempofragen betrifft, dem besten heute verfügbaren Wissen darüber entsprechen, wie zur Barockzeit und spezifisch zur Zeit Bachs (und mutmaßlich von Bach selbst..) musiziert worden ist?

Wenn "nein", welche Argumente sprechen dagegen?
Schließlich ist Bach nicht ganz unwesentlich vom "Stylus Fantasikus" geprägt, einer Form die mit jedem Romantiker in Sachen Freiheit mithalten kann. Ein Metronombach entbindet einen natürlich einer kreativen interpretation, habe aber schon manchen Bach gehört den das Metronom regelrecht verkrüppelt hat.
Ich frage mich nun wieder, was wohl mit "Metronombach" (übrigens besitze ich selbst nicht mal ein Metronom..) - oder bei Haydnspaß: "metronomischem" Bach - genau gemeint sein soll ... ? Mit der permanenten Unterstellung von total überzogenen Gegenpositionen, die real von kaum einem vertreten werden, ist keine konstruktive Diskussion möglich.

Es muss doch sicher differenziert werden zwischen Werken unterschiedlicher Ausrichtung.

Solche mit stärker improvisatorischem Charakter - da fallen mir Toccaten ein; aber ich gebe jederzeit gerne zu, dass es mit meiner musiktheoretischen/musikalischen Bildung auch nicht allzu weit her ist.. - fordern natürlich geradezu eine temperamentvoll-freie Interpretation. Dagegen dachte ich bei meiner Aussage weiter oben, die "meisten" Stücke Bachs benötigten eine eher unelastische, strenge Rhythmik, an jene Sachen mit durchgehendem rhythmischem Puls, wie beispielsweise typisch bei den (meist in zügigem Tempo zu spielenden) Ecksätzen seiner "Konzerte".

Aber selbst bei Stücken mit ausgesprochen sanglichem Charakter muss es der Lebendigkeit der Interpretation keinerlei Abbruch tun, wenn mit AGOGIK äußerst zurückhaltend umgegangen wird - nachdem ich mich mal schlau gemacht habe, was eigentlich genau unter >Agogik< und rubato zu verstehen ist, erscheint mir ziemlich klar, dass Letzteres wirklich nur an ganz besonderen Stellen "diskutabel" ist (was natürlich nur meine subjektive und absolut bescheidene Meinung ist) ... ;)

Hier ein Beispiel für eine in diesem Sinne (in meinen Ohren) gelungene Interpretation (die allerdings insgesamt kaum die "Historiker" zufriedenstellen dürfte ... :o ):
>Gould spielt Allemande aus Partita No. 4<

Und die >Ouverture< derselben Partita liefert mit der Einleitung erst ein passendes Beispiel für (begründet) "freiere" Gestaltbarkeit, anschließend im polyphonen Teil ein gutes Beispiel für den "rhythmisch pulsierenden" Charakter, den ich soeben meinte, bei dem rhythmische Disziplin meines Erachtens "sehr vorteilhaft" ist (um's mal so auszudrücken).

Wobei mir persönlich Gould hier wieder einmal ZU schnell unterwegs ist - ist zwar beeindruckend "perfekt", aber irgendwie auch etwas gleichmacherisch. Irgendwo las ich, dieses rasende Spiel habe er bevorzugt praktiziert, wenn ihm ein Stück nicht besonders gefallen habe; dann habe er es schnell hinter sich bringen wollen ... :p
Aber natürlich jeder wie's ihm gefällt.
Nun ja, warum nicht, zumal bei uns Hobby-Spielern. Mache ich ja letztlich auch so.

Es sollte aber nicht drumherum geredet werden, WARUM "es" einem so oder anders gefällt. Mir scheint es zumindest eine Überlegung wert, ob nicht ein genaueres Wissen darüber, wie ein Werk zu seiner Entstehungszeit aufgeführt worden ist (oder aufgeführt worden wäre) bzw. welche diesbezüglichen Absichten der Komponist hatte, ganz "zwanglos" dazu führen kann, dass man eine "werkgerechte(re)" Aufführungsweise auch für sich voll und ganz annehmen kann. Genügend Ungewissheiten und Freiheitsgrade für die individuelle Auslegung bleiben doch so oder so erhalten, bei Bach ja noch weit mehr als bei anderen Komponisten ...


Grüße

Bernd
 
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