wie übt man am besten?

  • Ersteller des Themas 32und1meins
  • Erstellungsdatum

Wenn es dir hilft, kannst du dir auch irgendwelche Bilder oder Lebenssituationen vorstellen, das ist aber nur ein Hilfsmittel. Am Ende kommt es nur auf den Klang an, der aus dem Klavier rauskommt.




Man soll die Komponisten auch nicht unterschätzen... 8)

hallo,

da kann ich nur zustimmen! ganz besonders dem letzten Satz!!

ein paar Gründe:
die Noten (also die Notation) sollte man wie einen Plan verstehen, auf welchem ein bestimmter Weg zu einem bestimmten Ziel eingezeichnet ist. Der Plan selber ist noch nicht das "ankommen" an diesem Ziel - die Noten allein sind also auch noch nicht das komplette Musikstück.
mit dem Plan im Kopf (quasi eine Schatzkarte mit vielen Hinweisen etc) kann man sich auf die Suche machen, kann überall mal links und rechts schauen, während man auf dem Weg ist (quasi das Interpretieren und Realisieren des Notentextes)
die Noten sind eine Art "Stenografie" der Klanggestaltung einer Klangfolge, welche z.B. Chopin erfunden und ausgearbeitet hat; hierbei kann die Notenschrift keine 100% eindeutige Ausführung auch nur eines einzigen Tones vorgeben: sie operiert mit einer relativen Unschärfe. Da wäre einmal die jeweils leicht verschieden ausgeführten Relationen:
- "die Möglichkeiten von Spieler XY von pp bis ff zu gestalten",
- "die Stimmendifferenzierun von Spieler XY"
- "der Anschlag von XY"
usw usw (das muss ich sicher nicht komplett aufzählen)
(DASS man zeitweilig unzufrieden mit der Notation von Musik war, zeigt sich an vielen Aufschrieben: manche erläutern, was sie in ihren Noten über die Tonhöhen/Tondauern/Klangfarbennotation hinaus haben wollen, wie z.B. Skrjabin ("mit falscher Süße" etc), manche haben (postserielle Musik) eine andere Notation eingeführt oder auch versucht, jeden Einzelton absolut eindeutig zu bestimmen)
hinzu kommen, in der Notenschrift nur partiell sichtbar (z.B. Bögen, dynamische und agogische Zeichen usw), etliche "Traditionen": wie man eine Melodie gestaltet, wie man Stimmen differenziert, wie man allgemeine Tempobezeichnungen ausführt etc etc - - gerade solche Traditionen in der praktischen Realisierung von Musik sind jeweils vom Zeitgeschmack und von Moden beeinflußt (ganz salopp: Busoni oder Rachmaninov spielten weniger sachlich metronomisch als Gulda)
ABER auch wenn die Notation die erwähnten "Unschärfen" enthält, also a priori offen für den Dialog ist (also zum interpretieren garadezu auffordert!), so hat sie dennoch über die Tonhöhen hinaus auch eine RELATIVE EINDEUTIGKEIT -- ich möchte das an einem Exempel veranschaulichen:
der TRAUERMARSCH aus Chopins b-Moll Sonate kann verschieden realisiert werden, aber wird immer der Trauermarsch sein und bleiben: seine "Ausleuchtung" differiert, weil er dies Möglichkeiten a priori enthält
- er kann total depressiv klingen
- er kann wie ein Staatsbegräbnis klingen
- er kann verzweifelt klingen
- er kann resiginiert klingen
-- man kann tausenderlei mit ihm anstellen (aber man darf nicht eine einzige Note ändern)

Die grundsätzliche Offenheit eines festgelegten (notierten) Musikstücks war den Komponisten immer bewußt: das gerade ist ja ihr Metier, welches sie derart beherrschten, dass sie die uns lieb gewordenen Kunstwerke zu schaffen in der Lage waren (kein Komponist ist das bewusstlose Medium höherer Mächte gewesen, auch wenn Berlioz es so darstellt - das romantische Künstlerbild ist manchmal etwas ulkig...).

Spielt ein Komponist eine seiner Kompositionen, so interpretiert er, was er selber notiert hat - Skrjabin z.B. hat seine Etüde op.8 Nr.12 eingespielt, und man kann hören, dass er seine polyrhythmischen Stellen gleichsam vereinfacht, dass er sehr viel Rubato nimmt, dass er sich nur gelegentlich an seine Metronomangabe hält, und dass er manches schwierige irrwitzig virtuos rasen konnte (schneller als Horowitz), dass er seine eigenen ff Akzente in den Bässen nicht wuchtig spielt, sondern sehr vorsichtig - - - ob man sie nun von Skrjabin selbst, von Horowitz, von Richter, von Pogorelich hört: natürlich haben wir immer dieselbe Etüde, aber immer in einer emotional leicht verschiedenen Beleuchtung - - - bzgl des Anfangs: alle vier gehen korrekt den in der Schatzkarte eingezeichneten Weg, aber sie entdecken links und rechts allerlei, was ihren Weg interessant macht.

je mehr deutlich verschiedene Interpretationen von einem Musikstück vorliegen, umso mehr wird uns bewusst, was es alles enthält - die Komponisten operieren also mit der Sythese von in eins gesetzten Möglichkeiten und Eindeutigkeiten, denn ihr Metier ist ja die relativ eindeutige Festlegung von individuell erleb- und gestaltbaren Emotionen (vgl. Trauermarsch-Möglichkeiten)

liebe Grüße,
Rolf

manchmal kann man von einer einzigen der vielen Intertretaionen für lange Zeit oder gar immer beeindruckt sein: Horowitz hat da manches so gespielt, dass zumindest ich "seine Inszenierung" lieber mag als andere
 
kleiner Nachtrag fürs praktische :)

ob man "interpretieren" üben kann?

die erwähnte Schatzkarte im Kopf kann man ja testen, ob man unterwegs Neuigkeiten entdeckt, oder ob man brav stur den Blick nur auf die eingezeichneten Schritte legt...

das Regentropenprelude wird doch zweimal richtig laut: man könnte dort entdecken, dass man in der r.H. nicht die Oktaven hämmern braucht, sondern die innen notierten halben Noten, man könnte die beiden lauten Stellen verschieden spielen - - - da gibts viel schönes zu entdecken, und klar: wer durch einen Park spaziert, kann Blumen, Blüten, Müll, und alles mögliche sehen: ist ja individuell, was man da wahrnimmt. das interpretieren ist also das Mitteilen der eigenen Wahrnehmung.

darin liegt natürlich auch die Gefahr, dass man hinterher gesagt bekommt: du hast ja nur auf den Weg geguckt und gar nicht gesehen, was da alles blüht

:)

Gruß, Rolf

- - - sich in Musikstücke wagen ist immer eine spannende Entdeckungsfahrt, und das nicht etwa einzig manuell (das sind nur die Hausaufgaben), sondern emotional
 
das Regentropenprelude wird doch zweimal richtig laut: man könnte dort entdecken, dass man in der r.H. nicht die Oktaven hämmern braucht, sondern die innen notierten halben Noten, man könnte die beiden lauten Stellen verschieden spielen

Das ist endlich mal wieder eine Übeanweisung :) Verstehen durch Ausprobieren geht ja auch. Wenn man aber das Bild eines Gewitters vor sich hat, müssen die Bässe donnern und die stetigen Regentropfen müßten eigentlich zu einem weißen Rauschen werden, was nicht geht, weil es ja nur Achtel sind. Es fehlen auch die Blitze. Ein allzu genaues Bild von der Musik darf man sich also nicht machen.

Ich finde es jedenfalls sehr wichtig, beim Üben auf solche Möglichkeiten zu achten und durch Ausprobieren selbst zu entscheiden, was man als richtig empfindet und wie man es spielen will. Dabei sollten einen auch die Lehrer unterstützen, selbst wenn einige Resultate nicht ihrem Geschmack oder ihrer Vorstellung entsprechen. Und wenn dem Schüler nichts einfällt, muß der Lehrer eben einige Möglichkeiten aufzeigen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
wer durch einen Park spaziert, kann Blumen, Blüten, Müll, und alles mögliche sehen: ist ja individuell, was man da wahrnimmt. das interpretieren ist also das Mitteilen der eigenen Wahrnehmung.

Ein sehr schönes Bild :)

Müll würde ich in einer guten Komposition nun nicht grad erwarten, aber es gibt sicher viele Details, die in einer durchschnittlichen Interpretation im Notengestöber untergehen. Ich finde, das Ziel sollte schon sein, alles was in einem Stück drinsteckt auch hörbar zu machen. Ob es einem gelingt ist natürlich eine andere Sache.

"ist ja individuell, was man da wahrnimmt"

Zu individuell sollte es von Seiten des Interpreten aber auch nicht sein, der Zuhörer soll schon noch selber entscheiden können, welche Stimme er verfolgen möchte.
 
Dann wäre es aus Laiensicht mal richtig interessant, ein paar Stimmen von Komponisten zu hören, was sie zur erlebten Bandbreite von Interpretationen ihrer Werke zu sagen hatten. Daraus ließe sich ja noch mehr auf ihre Absichten schließen. Und wie oft und warum werden manche Interpretationen berühmt, obwohl sie so eigentlich vom Komponisten gar nicht gedacht gewesen sein dürften (mir fällt jetzt nur aus dem U-Bereich "I did it my way" ein, dessen französisches Original ja eher nichts von dem leicht selbstmitleidigen Stolz Sinatras hatte, aber erkennbar nicht so berühmt wurde). Auf irgendeiner CD-Hülle habe ich auch mal gelesen, dass das C-Dur-Präludium aus dem WTK ja auch nicht langsam-sanft gedacht ist, wie es doch aber auch in populären Fassungen vorzukommen scheint (mir fehlt da aber der Experten-Überblick).
Gab die Bandbreite des Stückes es dann noch her oder gibt es "Massenerfolg" auch gegen den Charakter eines Stücks - so dass in manchen berühmten Gräbern doch unruhige Bewegung sein dürfte?
Ansonsten danke für eine immer wieder erhellende Diskussion
cw4ever
 
Zitat von Haydnspaß:
der Zuhörer soll schon noch selber entscheiden können, welche Stimme er verfolgen möchte.

Das ist aber schon ziemlich viel verlangt! ...

Warum? Das geht, wenn nicht eine der Stimmen total in den Vordergrund geknallt wird. Die Gefahr besteht bei Laien eigentlich sowieso nicht, da die eher zuwenig Lautstärkeunterschiede zwischen den verschiedenen Stimmen machen als zuviel.
 
Könnte es sein, daß Du da was in Kempff hineinprojizierst?

Kann ich natürlich nicht gänzlich ausschließen. ;) Kempff ist ja auch nur ein Beispiel unter vielen.

Man muß wissen, welche Kräfte in der Musik wirksam sind (melodische, harmonische, rhythmische) und wie man diese Kräfte für den Hörer verdeutlichen kann. Das ist erstmal völlig unabhängig von jeder Tiefenpsychologie. Wenn das Stück moduliert, dann muß der Hörer dies miterleben können. Da gibt es diverse Möglichkeiten, das zu bewerkstelligen (in erster Linie sind das Agogik und Dynamik).

Ich stimme dir da im Großen und Ganzen zu. Allerdings hängen diese Dinge von den Fähigkeiten des Pianisten ab und haben deshalb im weiteren Sinne sehr wohl eine psychologische Dimension.

Am Ende kommt es nur auf den Klang an, der aus dem Klavier rauskommt.

Die Frage ist, wie man zu dem Klang kommt, der aus dem Klavier rauskommt. Und dabei gibt es mehr als manuelles Können und kognitives Wissen. Nämlich das, was ich mit Persönlichkeit meine, - das ist eine im wesentlichen emotionale Angelegenheit.

Aber ich will jetzt auch nicht zu sehr darauf herumreiten. Das, was Rolf schreibt, drückt es eh sehr gut aus (obwohl er sich nicht auf meine Aussagen bezieht).

***********************************

hierbei kann die Notenschrift keine 100% eindeutige Ausführung auch nur eines einzigen Tones vorgeben: sie operiert mit einer relativen Unschärfe.

ABER auch wenn die Notation die erwähnten "Unschärfen" enthält, also a priori offen für den Dialog ist (also zum interpretieren garadezu auffordert!), so hat sie dennoch über die Tonhöhen hinaus auch eine RELATIVE EINDEUTIGKEIT

Meine Zustimmung! Im Trauermarsch ist die Emotion durch die Art der Komposition mit relativer Eindeutigkeit vorgegeben. Aber mit welcher Intensität und Färbung diese Traurigkeit letztlich zum Ausdruck kommt, hängt vom Pianisten und seinen Emotionen ab. Und ich glaube eben, dass der Trauermarsch nur wirklich berühren kann, wenn der Pianist nicht distanziert versucht, seine Idee von Traurigkeit auszudrücken, so als ob diese nichts mit ihm zu tun hätte. Er sollte vielmehr versuchen, seine eigene Erfahrung von Traurigkeit mit der Musik in Verbindung zu bringen. Nur so kann ich als Zuhörer etwas spüren, was mich berührt.

Deshalb ist es ja auch oft ein so großer Unterschied, ob man eine Studio-Aufnahme oder eine Live-Aufnahme hört bzw. im Konzert Musik hört. Die emotionale Situation ist bei einem Live-Auftritt ganz anders als wenn ein Pianist im Studio praktisch ohne Publikum spielt. Und das spürt man beim Hören. Rolf hat das folgende Beispiel genannt:

ich unterscheide zwischen Konserven und "Lebendigem" - und das aus folgendem Grund: es gibt Studioaufnahmen der "Bilder einer Ausstellung" mit Vladimir Ashkenazy am Klavier, und diese sind bestechend präzise - aber auch unlebendig und irgendwie neutral (alles ist perfekt, aber dennoch relativ uninteressant); dann aber gibt es auch live Mitschnitte aus Konzerten, in denen Ashkenazy den Zyklus von Mussorgski spielt, z.B. das Londoner Konzert: da glüht die Musik, da wird vehement zugepackt und derb gepatzt (Baba Yaga & Helndentor) - aber da passiert etwas, da lernt man etwas neues über die oft gespielten Bilder.

sonderbar: das live Konzert mit allen Mängeln bietet eine subjektive und neues erklärende Interpretation, die sterile Studiokonstruktion nicht.

***********************************

Man soll die Komponisten auch nicht unterschätzen... 8)

Unterschätzen soll man die Komponisten selbstverständlich nicht. Aber genausowenig sollte man sie überschätzen. Wir neigen leider leicht dazu, die Rationalität und den Bewusstseinshorizont von Menschen (inkl. uns selbst) zu überschätzen.

Angenommen, Rolf würde ein Klavierstück komponieren, dann täte er das sicher sehr bewusst, hätte bestimmte musikalische Ideen, die er verfolgen würde, hätte eine Vorstellung der Emotionen, die er mit dem Stück ausdrücken wollte usw. Und trotzdem denke ich, dass es eine Überschätzung wäre, wenn man behaupten wollte, dass in der so entstandenen Musik nicht mehr enthalten wäre als das, was Rolf beim Komponieren bewusst gewesen ist.
Das ist ja gerade das, was der folgende Satz ausgedrückt:

Die grundsätzliche Offenheit eines festgelegten (notierten) Musikstücks war den Komponisten immer bewußt...

Den Komponisten war klar, dass ihre Musik diese Offenheit hat und deshalb auch mehr Dimensionen enthält als die, die ihnen beim Komponieren bewusst war.

(kein Komponist ist das bewusstlose Medium höherer Mächte gewesen, auch wenn Berlioz es so darstellt - das romantische Künstlerbild ist manchmal etwas ulkig...).

Das hat nichts damit zu tun, dass Beethoven, Chopin oder Rolf bewusstlose Medien höherer Mächte wären, sondern damit, dass sie Menschen sind. Und Menschen haben immer einen begrenzten Bewusstseinshorizont, mögen sie auch noch so große Genies sein. Das, was sie schaffen, die Musik, ist aber frei von dieser Begrenzung.

Grüße von
Fips
 
Hallo Fips,

danke, dass du mich daren erninnert hast: natürlich kommt der subjektive Erfahrungs- und Verstehenshorizont des "Interpreten" noch hinzu, gar keine Frage!!

alles unter einen Hut zu bringen ist nicht leicht, und es tut mir leid, dass ich den subjektiven Beitrag des Spielers aus seinem jeweiligen Horizont nicht erwähnt habe.

...allerdings ist auch das ein heikles Thema: was ist, wenn der Spieler nur wenig Ahnung hat? ...

um in meinem Beispiel zu bleiben: ob mit, ob ohne theoretisierenden Hintergrund: man kann den Trauermarsch auch schlecht spielen, evtl sogar trotz bester Absichten...

heikel ist das alles, darum heikle Grüße,
Rolf
 

Zurück
Top Bottom