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Wenn es dir hilft, kannst du dir auch irgendwelche Bilder oder Lebenssituationen vorstellen, das ist aber nur ein Hilfsmittel. Am Ende kommt es nur auf den Klang an, der aus dem Klavier rauskommt.
Man soll die Komponisten auch nicht unterschätzen... 8)
hallo,
da kann ich nur zustimmen! ganz besonders dem letzten Satz!!
ein paar Gründe:
die Noten (also die Notation) sollte man wie einen Plan verstehen, auf welchem ein bestimmter Weg zu einem bestimmten Ziel eingezeichnet ist. Der Plan selber ist noch nicht das "ankommen" an diesem Ziel - die Noten allein sind also auch noch nicht das komplette Musikstück.
mit dem Plan im Kopf (quasi eine Schatzkarte mit vielen Hinweisen etc) kann man sich auf die Suche machen, kann überall mal links und rechts schauen, während man auf dem Weg ist (quasi das Interpretieren und Realisieren des Notentextes)
die Noten sind eine Art "Stenografie" der Klanggestaltung einer Klangfolge, welche z.B. Chopin erfunden und ausgearbeitet hat; hierbei kann die Notenschrift keine 100% eindeutige Ausführung auch nur eines einzigen Tones vorgeben: sie operiert mit einer relativen Unschärfe. Da wäre einmal die jeweils leicht verschieden ausgeführten Relationen:
- "die Möglichkeiten von Spieler XY von pp bis ff zu gestalten",
- "die Stimmendifferenzierun von Spieler XY"
- "der Anschlag von XY"
usw usw (das muss ich sicher nicht komplett aufzählen)
(DASS man zeitweilig unzufrieden mit der Notation von Musik war, zeigt sich an vielen Aufschrieben: manche erläutern, was sie in ihren Noten über die Tonhöhen/Tondauern/Klangfarbennotation hinaus haben wollen, wie z.B. Skrjabin ("mit falscher Süße" etc), manche haben (postserielle Musik) eine andere Notation eingeführt oder auch versucht, jeden Einzelton absolut eindeutig zu bestimmen)
hinzu kommen, in der Notenschrift nur partiell sichtbar (z.B. Bögen, dynamische und agogische Zeichen usw), etliche "Traditionen": wie man eine Melodie gestaltet, wie man Stimmen differenziert, wie man allgemeine Tempobezeichnungen ausführt etc etc - - gerade solche Traditionen in der praktischen Realisierung von Musik sind jeweils vom Zeitgeschmack und von Moden beeinflußt (ganz salopp: Busoni oder Rachmaninov spielten weniger sachlich metronomisch als Gulda)
ABER auch wenn die Notation die erwähnten "Unschärfen" enthält, also a priori offen für den Dialog ist (also zum interpretieren garadezu auffordert!), so hat sie dennoch über die Tonhöhen hinaus auch eine RELATIVE EINDEUTIGKEIT -- ich möchte das an einem Exempel veranschaulichen:
der TRAUERMARSCH aus Chopins b-Moll Sonate kann verschieden realisiert werden, aber wird immer der Trauermarsch sein und bleiben: seine "Ausleuchtung" differiert, weil er dies Möglichkeiten a priori enthält
- er kann total depressiv klingen
- er kann wie ein Staatsbegräbnis klingen
- er kann verzweifelt klingen
- er kann resiginiert klingen
-- man kann tausenderlei mit ihm anstellen (aber man darf nicht eine einzige Note ändern)
Die grundsätzliche Offenheit eines festgelegten (notierten) Musikstücks war den Komponisten immer bewußt: das gerade ist ja ihr Metier, welches sie derart beherrschten, dass sie die uns lieb gewordenen Kunstwerke zu schaffen in der Lage waren (kein Komponist ist das bewusstlose Medium höherer Mächte gewesen, auch wenn Berlioz es so darstellt - das romantische Künstlerbild ist manchmal etwas ulkig...).
Spielt ein Komponist eine seiner Kompositionen, so interpretiert er, was er selber notiert hat - Skrjabin z.B. hat seine Etüde op.8 Nr.12 eingespielt, und man kann hören, dass er seine polyrhythmischen Stellen gleichsam vereinfacht, dass er sehr viel Rubato nimmt, dass er sich nur gelegentlich an seine Metronomangabe hält, und dass er manches schwierige irrwitzig virtuos rasen konnte (schneller als Horowitz), dass er seine eigenen ff Akzente in den Bässen nicht wuchtig spielt, sondern sehr vorsichtig - - - ob man sie nun von Skrjabin selbst, von Horowitz, von Richter, von Pogorelich hört: natürlich haben wir immer dieselbe Etüde, aber immer in einer emotional leicht verschiedenen Beleuchtung - - - bzgl des Anfangs: alle vier gehen korrekt den in der Schatzkarte eingezeichneten Weg, aber sie entdecken links und rechts allerlei, was ihren Weg interessant macht.
je mehr deutlich verschiedene Interpretationen von einem Musikstück vorliegen, umso mehr wird uns bewusst, was es alles enthält - die Komponisten operieren also mit der Sythese von in eins gesetzten Möglichkeiten und Eindeutigkeiten, denn ihr Metier ist ja die relativ eindeutige Festlegung von individuell erleb- und gestaltbaren Emotionen (vgl. Trauermarsch-Möglichkeiten)
liebe Grüße,
Rolf
manchmal kann man von einer einzigen der vielen Intertretaionen für lange Zeit oder gar immer beeindruckt sein: Horowitz hat da manches so gespielt, dass zumindest ich "seine Inszenierung" lieber mag als andere