Wie beurteilt man "Musik"...?

Dreiklang

Dreiklang

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Liebe Clavionen,

wie beurteilt man "Musik"? Wie fällt man ein Urteil darüber, daß das eine Musikstück schön ist, das andere gräßlich?

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Wie gelingt es einem, eine gelungene von einer vergeigten oder halbvergeigten Komposition zu unterscheiden?

Eine gute Interpretation, von einer schlechten...?

Wer könnte "qualifiziert" sein, darüber zu urteilen?

Und: wann hat man das Wesen der Musik selbst begriffen...? Kann man das überhaupt?

Ein Haufen Fragen ;):shock:

Viele Grüße
Dreiklang
 
wie beurteilt man "Musik"? Wie fällt man ein Urteil darüber, daß das eine Musikstück schön ist, das andere gräßlich?

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Wie gelingt es einem, eine gelungene von einer vergeigten oder halbvergeigten Komposition zu unterscheiden?

Eine gute Interpretation, von einer schlechten...?

Die Mehrheit der Menschen macht das nach Gefühl. Und ich glaube, dass sie damit dem Wesen der Musik ziemlich nahe kommen, denn Musik transportiert in erster Linie Emotionen. Musik reflektiert die Bandbreite des menschlichen Lebens von Verzweiflung über Hoffnung bis hin zu höchstem Glück. Dadurch werden gewissermaßen emotionale Geschichten erzählt.

Natürlich gibt es weitere Kriterien zur Beurteilung, die in erster Linie die Fachleute anwenden. Ich glaube aber, dass sich viele objektive Kriterien auch auf die Gefühlsseite auswirken, da ein schlechteres Stück oder eine schlechtere Interpretation die Gefühle schlechter transportiert oder flachere oder unglaubwürdige Geschichten erzählt. Gute Musik trifft den Kern menschlicher Existenz.
 
Interessante Frage. Obwohl man im Alltag doch ständig damit konfrontiert ist. Radio an - "neee, das ist ja grauenhaft, schalt um..."
Man kann vom Groben natürlich immer weiter ins Feine gehen. Radiolieder oder Klassik? Brahms oder Bach? Orchesterbesetzung, Kammermusik, Klavier solo?.....

Grundsätzlich hat wohl jedes Stück eine oberflächliche Ausstrahlung, die man schnell wahrnimmt. Harmlos, gemütlich, aggressiv, unbehaglich, unverständlich, kitschig, romantisch, klar, kühl, dicht, einfach, kompliziert. Charakterlich und emotionsgeladen, Intellekt, Gefühlswelt, Erinnerungen usw. usf. werden angesprochen.

Ob die Musik objektiv gut ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. So einfach kann man das auf den ersten Blick auch nicht beantworten. Man würde es sich einfach machen, indem man sagt - je komplexer, desto besser. Eine konstruierte 7-Stimmige Fuge, die ***** klingt, ist aber garantiert keine gute Musik. Dagegen hat es Mozart geschafft, mit "einfachsten" harmonischen und melodischen Mitteln Musik zu schaffen, die viele als genial bezeichnen.
Vielleicht kann man sagen, dass gewisse Faktoren zusammenkommen müssen, damit Musik gut ist - Komplexität und Struktur, Einfachheit und Kurzweiligkeit, Dichte und Charakter.... Komplexität und hässlicher Klang wird keinen interessieren ebensowenig Einfachheit und dadurch transportierte Langeweile... Dichte Musik die nur noch unverständlich klingt wird auch keiner hören...

Was die Interpretation angeht (betrachtet man allein das klangliche Ergebnis, ungeachtet vom Notentext) - wenn man nicht sehr geübt im Hören ist und ein Stück nicht kennt, wird man die Qualität der Interpretation nicht gleich gut einordnen können. Besser gelingt das, wenn man das Stück kennt und mehrere Interpreten vergleicht.
Die besten Kriterien sind dann: Was versteht man besser (Folgerichtigkeit, Logik, Roter Faden, Durchsichtigkeit usw.) und was gefällt mir besser (vermutlich - wo sind Melodien schöner gestaltet, wo entsprechen Artikulation, Dymamik, Phariserung und und und dem natürlichen Fluss der Musik).

Objektive Kriterien gibts natürlich auch, ich habe hier vor ein paar Monate mal irgendwo eine Liste mit wichtigen Kriterien erstellt, da gab es schonmal einen Faden zur Beurteilung von Musik.

Übrigens - wenn man nicht gerade CD oder Radio hört, spielen natürlich noch viele andere Faktoren eine Rolle - Akustik, Instrument, Sitzplatz, Gestik und Aussehen des Musikers, Örtlichkeit, Stückeauswahl.....
 
Hallo Stilblüte,

Radiolieder oder Klassik? Brahms oder Bach? Orchesterbesetzung, Kammermusik, Klavier solo?.....

Du bringst einen Faktor rein, der auch Gültigkeit hat: die momentane Gemütsverfassung (=wie bin ich drauf). Nicht jede Musik gefällt einem immer gleich gut bzw. will man immer hören.

Man neigt wahrscheinlich dazu, sich einen "Fundus" an Musik aufzubauen, zu dem man dann greifen kann - für jede Gemütslage, Stimmung, Lust und Laune eine entsprechende Auswahl. Mit der Zeit verändert sich dieser Fundus, in der Regel dürfte die Musik darin immer "besser" werden.


Es gibt komplexe Stücke, die ich nicht rational vollkommen verstehe und das auch will. Aber intuitiv fesseln sie mich (bzw. genauer: die Interpretation davon). Ein inneres Gefühl sagt mir: das ist kein zusammenhangloses Tongewirr, das da gemacht wird, sondern da ist Spannung, Struktur und eine erspürbare Idee dahinter. Andere hochkomplexe Stücke wirken schon mal als konturloses Kauderwelsch, dann sagt mir dieses innere Gespür nichts... höchstens: "Stop. Der nächste, bitte".


hm, was ist das genau? Naja, zunächst mal - wahrscheinlich - keine allzu groben Verstöße gegen die Vorgaben der Partitur. Vermute ich. Und schöne Musik muß es eben auch sein...

ich habe hier vor ein paar Monate mal irgendwo eine Liste mit wichtigen Kriterien erstellt

Findest Du das evtl. noch (Volltextsuche)...? Kannst Du das evtl. reinverlinken?

Ein schöner Beitrag, danke...!
 
@rolf

Nun aber wieder Spaß beiseite :cool:

Was ist "Qualität in der Musik"...? Das hatten wir schon mal: Musik hat soviel Qualität, wie erwiesene Fachleute ihr bescheinigen. Mir dämmert gerade, daß sich das sowohl auf Komposition an sich, wie auch auf Interpretation beziehen könnte. Stimmt das so? :oops:

Und wie läuft das dann so ab: treffen sich die Musikprofessoren, erfahrenen Kritiker usw. einmal im Jahr auf Hawaii und stimmen dann ab: Konzert 4 von Komponist A: 252 Stimmen = Punkte. Konzert 7 von Komponist B: 137 Stimmen = Punkte...

Noch schlimmer bei Interpretationen: wer bestimmt, daß die Interpretationen von Pianist A und Pianist B "die besten" sind...? Und alle anderen zweitklassig?

Und wo kann ich all diese "Hitlisten" einsehen? :confused:
 
Nur mal ein kleiner Beitrag aus meinem Urlaub:

Chiarina am Strand gemütlich mit Sonnenschirm und Handtuch, nebenan die Clubs mit Liegen, Getränken und ..... Musik, wenn man es denn so nennen soll. :D Marke Bumm, bumm, wummer, wummer...........immer hintereinander, ohne Veränderung.

Viele Leute scheinen das aber zu mögen, sonst würden sie dort nicht liegen. Vielleicht entspannen sie sich sogar dabei.

Chiarina energisch zu ihrer geplagten Familie: "Hier bleibe ich keine Minute!" :p

In vielen solcher Clubs lief eine für mich unerträgliche Musik, obwohl ich nichtklassischer Musik gegenüber absolut aufgeschlossen bin. Klassische Musik wiederum löst bei vielen solch einen Brechreiz aus und ist in Clubs zu solchen Zwecken offenbar gänzlich ungeeignet.

Fazit: in verschiedenen Situationen wird verschiedene Musik gehört. Musik hat offenbar Ritualcharakter und so wird mit bestimmten Situationen bestimmte Musik assoziiert. Das hat auch damit zu tun, ob es bei den Anwesenden überhaupt um Musik gehen soll, ob also "zugehört" wird/werden kann oder ob es um etwas anders geht (Feiern.........). Auf einer Party läuft bei mir auch nicht Beethoven. :p

Dann gibt es noch die vielen verschiedenen Geschmäcker, deren Basis durchaus auch auf individuellen Erfahrungen beruht. Wer noch nie klassische Musik gehört hat oder damit immer Snobs und arrogantes Getue verbindet, wird sich eventuell damit schwer tun - wer Rock als lautes Gedröhne von irgendwelchen alternativen Typen abtut, wird schwerlich seine Qualitäten erkennen.

Die Qualität von Musik kann man also nicht daraus ableiten, wer was wie, wie oft und wann hört. Geschmäcker lassen kein Urteil über die Qualität von Musik zu. Man kann sagen, dass es einem gut tut, diese oder jene Musik in dem Moment zu hören, man kann sagen, welche Musik man gut findet.

Welche Musik gut ist, hat damit aber nichts zu tun!

Liebe Grüße

chiarina
 

buhu - warum denn?
...ich finde es spaßig, dass man Cezanne nicht von einem Malkursprodukt, Proust nicht von einem Pennäleraufsatz und Chopin nicht von einer Tiersenimitation unterscheiden können soll ;):D ja wenn mans nicht unterscheiden kann, dann fragt man sich doch konsterniert, warum der Cezanne anstelle des Malkursprodukts in Kunstgeschichten aufgeführt wird... hm... bestimmt ist das ungerecht und böse :D
 
dann fragt man sich doch konsterniert, warum der Cezanne anstelle des Malkursprodukts in Kunstgeschichten aufgeführt wird... hm... bestimmt ist das ungerecht und böse :D

Oh ja - sehr böse... :D

Aber das ist natürlich die Antwort: Fachliteratur... Standardwerke, Analysen, Publikationen, Konzertbesuche... und möglicherweise ein Leben, das vollkommen der Musik gewidmet war und ist...

Manchmal muß man mir halt etwas auf die Sprünge helfen. ;)

Aber Du mußt mich verstehen: ich bin etwas "traumatisiert". Seit Nikolai Rubinstein zu Tschaikowski sagte, sein erstes Klavierkonzert sei ugs. "für die Tonne", habe ich ein tiefes Mißtrauen in die musikalische Fachwelt entwickelt, und der Dorn sitzt sehr tief - es ist eines meiner Lieblingswerke, und das schon seit so vielen Jahren... :)
 

Aber Du mußt mich verstehen: ich bin etwas "traumatisiert". Seit Nikolai Rubinstein zu Tschaikowski sagte, sein erstes Klavierkonzert sei ugs. "für die Tonne", habe ich ein tiefes Mißtrauen in die musikalische Fachwelt entwickelt, und der Dorn sitzt sehr tief - es ist eines meiner Lieblingswerke, und das schon seit so vielen Jahren... :)
ach, der Tschaikowski durfte sich noch ganz andere Sachen anhören, z.B. Hanslick bezeichznete sein Violinkonzert als "stinkende Musik" -- was solls, Hans von Bülow machte die Uraufführung des b-Moll Konzerts, dessen Erfolg seitdem ja besteht: das sollte dich mit der "Fachwelt" etwas versöhnen ;):)
 
Ein wunderbarer Beitrag, Nica, danke :kuss:!

Musik transportiert in erster Linie Emotionen... Dadurch werden gewissermaßen emotionale Geschichten erzählt... Musik reflektiert die Bandbreite des menschlichen Lebens von Verzweiflung über Hoffnung bis hin zu höchstem Glück. ... Gute Musik trifft den Kern menschlicher Existenz.

Ich bin absolut Deiner Meinung. Und Musik trifft den Kern menschlicher Grund-Erfahrungen: Triumph, Kampf, Ruhen, Trost, Verlust, Gemeinsamkeit, Zerstören, Erschaffen, Macht, Wettkampf, Sonnenschein, Frühlingstag, Mondschein, Sturmgewitter, Orkan, Rennen, Gehen, Liegen, Rufen, Flüstern, Lächeln...

[Beurteilung von Musik] Die Mehrheit der Menschen macht das nach Gefühl.

Ich denke, alle. Es gibt aber auch noch einen gewissen "rationalen" Faktor, den ich z.B. zum Genuß von Kunstmusik entwickelt haben muß, sonst erfasse ich z.B. den Übergang von Harmonien nicht.

Musik ist immer ein Spiel mit der Spannung, und der darauffolgenden Entspannung bzw. Auflösung. Ein Spiel mit dem Fließen-lassen, und zeitweise Pausieren bzw. Unterbrechen.

Ein Spiel mit Melodik, Rhythmik und Harmonik.

Und ein Spiel mit den Klangfarben und Ausdrucksmöglichkeiten von Instrumenten, resp. der menschlichen Stimme.

da ein schlechteres Stück oder eine schlechtere Interpretation die Gefühle schlechter transportiert oder flachere oder unglaubwürdige Geschichten erzählt

Das ist exakt das, was ich auch denke...! Alle können Fehler machen. Der Komponist, wenn er z.B. über Töne, die lyrisch gespielt besser wirken würden, eine hektisch-schnelle Spielanweisung schreibt.

Oder der Interpret, wenn er z.B. eine traurige Melodie rhythmisch starr herunterspielt, oder ein fröhlich-spritziges Dur-Stück zu langsam und bedächtig spielt.

Ich glaube aber, dass sich viele objektive Kriterien [von Musik] auch auf die Gefühlsseite auswirken

Das meine ich auch. Und wenn das rationale Verständnis der Musik versagt, dann muß die Musik trotzdem auch eine Gestalt haben, die die emotionale Seite im Menschen fesselt und festhalten kann, ihr etwas sagt und vermitteln kann.
 
Gute Musik trifft den Kern menschlicher Existenz.

Und weil das so ist, liegt darin auch der Schlüssel zum Verstehen von guter Musik, zum Unterscheiden zwischen guter und schlechter Musik:

wenn jemand einen guten Draht zu seinem Innersten hat, und sensibel erspüren kann, ob eine Musik ihn zu bewegen vermag oder nicht, dann ist derjenige schon einmal auf dem goldrichtigen Weg.

Gute Musik löst tief im Menschen etwas aus. Schlechte nicht, da ist irgendwas unstimmig: die Botschaft, die Spielweise, die Komposition...

Oder sie ist zu primitiv gestrickt, wenn man bereits gelernt hat, kunstvoll gestaltete Musik zu genießen. Davon sprach chiarina.

Dennoch ist einfach gestrickte Musik lebensnotwendig für die Menschen. Denn irgendwann hat uns allen mal das Einfache, Simple gefallen...

Der Mensch benötigt anfangs die Freude am Einfachen - um nach und nach die Freude an immer Komplizierterem zu finden zu können.

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Aber um gute von schlechter Musik unterscheiden zu können, braucht man vor allem den Draht zu seinem Innersten, welches sehr sensibel zu hören imstande sein muß.

Musik spricht zu einem. Sie fängt an, etwas zu sagen, etwas mitzuteilen. Bereits mit den ersten Tönen beginnt dieser Monolog. Schon die ersten Töne leiten ein, was die Musik sagen will, und wie sie es sagt. Und dann geht es natürlich weiter...

Man kann nicht seiner Liebsten Liebesworte ins Ohr flüstern, und mitten im Satz ein Kochrezept vorlesen. Man kann keine laute Triumphrede mit stolzgeschwellter Brust anfangen, und mitten im Satz mit einem Gedicht fortfahren.

Und man kann ich nicht einen schönen Stabreim ordentlich vortragen, wenn eine Komposition eine Lobeshymne oder eine bunte Sommerwiese mit schwirrenden Insekten ausdrückt.

Nein, so geht das alles nicht... ;)

Die erste Frage ist also, was drückt eine Komposition aus. Und dann: drückt es der Interpret richtig aus. Erzählt er die Geschichte, die auch eine facettenreiche Lebensgeschichte oder Reise sein kann, im richtigen Ton, mit schöner Stimme, nicht zu langweilig? Baut er Spannung auf, wo man sinnvollerweise Spannung aufbauen kann?

Will man der Geschichte weiter zuhören, die der Komponist mit seinen Eingebungen und seiner Kunstfertigkeit niedergeschrieben hat, und die der Interpret dann erzählt?

Wenn es um Musik geht, muß man auf sein eigenes inneres Gefühl hören lernen...
 

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