"Wettbewerbsmafia"

  • Ersteller des Themas Pianojayjay
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Mein Lehrer, der regelmäßig in Jurys großer Wettbewerben sitzt erzählte mir, da kämen immer wieder Anfragen nach Unterricht vorher, denen er aber nie nachgibt, weil er das ungerecht und schlecht findet.
Gibt es dieses Modell nicht auch an anderer Stelle? Die Teilnahme an einer Aufnahmeprüfung einer Musikhochschule ist durchaus auch eine Wettbewerbssituation, zumindest sobald mehr Bewerber antreten als Studienplätze zur Verfügung stehen - im Fach Klavier wohl der Normalfall. Da tauchen Kandidaten auf, die bei einem Kommissionsmitglied bereits Privatunterricht genommen und damit in der Regel auch einen Vorteil hinsichtlich der Prüfungssituation haben. Wenn Professoren bereits vor Prüfungsbeginn wissen, dass sie bestimmte Kandidaten voraussichtlich in ihre Klasse aufnehmen wollen, reduziert sich die Zahl der verfügbaren Studienplätze entsprechend. Völlig in der Entscheidung frei ist man demnach auch in anderen Lebenslagen offensichtlich nicht.

Überhaupt kein Vorwurf, nur eine sachliche Feststellung.

LG von Rheinkultur
 
Da es im Ratefaden um Operette ging, fiel mir hierzu DAS hier ein...:drink:
Protegiert wird auch hier im "Vogelhändler". Manchmal denke ich schon mal, dass vieles im Leben wie in der Operette läuft - man sollte nicht immer alles ernst nehmen. Wer sich über Protektion für gemachte Wettbewerbssieger aufregt, ist mitunter gut beraten, die für das Ärgern aufgewendeten Energien lieber in die Vorbereitung des nächsten Wettbewerbs zu investieren. Die breite Masse für das Stürzen des zu Unrecht an den Lorbeerkranz gelangten Siegers muss man nämlich erst mal zusammenbringen - wenn man die nicht stellen kann, wird es nichts mit der Kulturrevolution auf den Brettern, die die Welt bedeuten.

Zwei wichtige Unterschiede zwischen Oper und Operette:
"Die Operette hat immer ein Happyend, während am Ende einer Oper noch längst nicht alle happy sind" & "In der Oper können die Solisten singen - in der Operette singen sie, wenn sie können" (Schülermund tut Wahrheit kund).
Na ja, nicht ganz richtige Aussagen, dafür aber recht unterhaltsam.

LG von Rheinkultur
 
Mir kommt das vor wie mit Deutschklausuren früher in der Schule.

Deutschklausuren sind schwierig zu bewerten, genau wie Klavierwettbewerbe, da sie kaum objektive messbare Leistungen produzieren. Es geht ja nicht um Mathematik. Wenn also nichts Messbares produziert wird, zählen andere Dinge: Geschmack, Persönlichkeit, Image und Beziehungen - ein wunderbares Feld für beliebige Bewertungen.

Um denjenigen, der in einem Mathewettbewerb richtigerweise 3 plus 3 = 6 feststellt, zu kippen, ist schon eine Menge Schmu notwendig.

Um einen zu kippen, der eine Sonate richtig gut spielt, reicht es aus, zu konstatieren, dass der Kandidat einen einfach "nicht erreicht" hat.

Ja dann: much fun in competition!

CW
 
Maestro Gergiev hat Abhilfe geschaffen, indem er mehr auftretende Künstler in die Jury geholt hat und daher nicht mehr so viele Professoren ihre Bewertungen abgeben können. Andere Wettbewerbe könnten sich daran ein Beispiel nehmen.
Das ist je nach Situation eine Geldfrage, denn die Jury will bezahlt werden. Da fallen Flug, Hotel, Verpflegung und Gage an. Ob Konzertpianisten, die nur vom Konzertieren leben, dazu Lust (und Zeit) haben, ist dann die Frage - ggf. könnte man mit entsprechender Bezahlung nachhelfen, aber große Wettbewerbe sind sowieso schon unendlich teuer. Das geht bei den großen sicher in den sechsstelligen Bereich.

... an einer Aufnahmeprüfung...tauchen Kandidaten auf, die bei einem Kommissionsmitglied bereits Privatunterricht genommen und damit in der Regel auch einen Vorteil hinsichtlich der Prüfungssituation haben. Wenn Professoren bereits vor Prüfungsbeginn wissen, dass sie bestimmte Kandidaten voraussichtlich in ihre Klasse aufnehmen wollen, reduziert sich die Zahl der verfügbaren Studienplätze entsprechend.
Das stimmt, aber ich habe inzwischen verstanden, dass das etwas anderes ist.
Erstens: Eine ist AP so kurz, dass man sein Können nicht richtig zeigen kann. Da gewinnen die, die am sichersten spielen und den Geschmack der meisten Leute treffen, und die Interessanteren, die vielleicht weniger Erfahrung (und Unterricht!) erfahren haben, fallen durch. Im vorherigen Unterricht kann man so etwas leicht feststellen und dann mit entsprechenden Ohren zuhören.
Zweitens: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist ein längerfristiges, was von beiden (!) Seiten passen muss. Auch das kann man nur im Unterricht feststellen.
Drittens: Unter umständen findet man außerhalb der Hochschule überhaupt kein Unterrichtsverhältnis, in dem der Unterricht qualifiziert genug ist, um einen auf eine AP vorzubereiten.

Trotzdem gilt ja weiterhin, dass man die Prüfung bestehen muss, auch wenn entsprechende Tendenzen vorhanden sind. Und: es ist nicht schwierig mit einem Professor Kontakt aufzunehmen, selbst wenn es nur per E-Mail ist. Wer lieber auf Hochschul-Hopping setzt, aus welchen Gründen auch immer, erhöht ja dafür auf diesem Weg die Chance auf einen Studienplatz.

Unter anderem erzählt Pogorelich davon, wie er 1980 beim Chopin-Wettbewerb wegen eines "Schreibfehlers" beinahe nicht auf der Liste mit den Teilnehmern der zweiten Runde gestanden hätte.
Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass ähnliches auch bei der AP in München vorkommt. Wenn man dann aus Unwissenheit über den "Fehler" nicht zur Musiktheorieprüfung kommt und sie ergo nicht besteht, hat man leider auch keinen Studienplatz.
 
Einen Blindest kann man natürlich auch ganz leicht umgehen. Man hustet zum verabredeten Zeitpunkt, lässt etwas fallen, man plumpst möglichst laut beim Hinsetzen, zieht die besonders lauten Stöckelschuhe erst am Klavier aus.

Spielt eine Phrase besonders - wie abgesprochen.

Man sollte es also insgesamt lassen.

Aber das Thema kommt ja trotzdem immer wieder.

Der Zeitungsbericht ist hinter Paywall

http://www.aachener-zeitung.de/news...ner-klavierwettbewerbs-wird-geteilt-1.1451048

In der App ist der Download der Montagsausgabe kostenlos.

Also nach dem Aussehen (Foto) hätte ich auch auf die beiden Sieger getippt. ;)

Beide hätten sich auch in jeder Castingshow durchgesetzt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Klärt mich Banausen mal auf: was bekommt der Gewinner bei solchen Wettbewerben? Geld oder Ruhm und Ehre?
 
. Da geht es um Äußerlichkeiten (Aussehen, Garderobe),

zum Glück ändert die Garderobe wieder, haste den neusten H&M Katalog schon bekommen?
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Frauen werden wieder schlicht elegant gekleidet, Lagerfeld und co. machens möglich
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Das stimmt, aber ich habe inzwischen verstanden, dass das etwas anderes ist.
Mit meinem Beispiel von der Aufnahmeprüfung an der Hochschule wollte ich ja auch etwas anderes zum Ausdruck bringen: Einerseits ist es absolut menschlich, dass Persönliches und Fachliches nicht ohne weiteres komplett voneinander zu trennen sind. Wenn einem Juror das Erscheinungsbild eines Kandidaten und/oder sonstige Äußerlichkeiten nicht sympathisch sind, bewertet er mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger wohlwollend, selbst wenn er rationalisiert und der Überzeugung ist, sich nicht um Äußerlichkeiten zu kümmern. Andererseits ist es aber fragwürdig bis verwerflich, wenn man bei der Entscheidungsfindung bewusst am Inhaltlichen vorbei beurteilt, um bestimmte Kandidaten zu bevorzugen und andere zu benachteiligen. Absichtliche Täuschung bedarf aber eines hieb- und stichfesten Nachweises - und Personen mit Manipulationsvorsatz werden ihr Ansinnen mit Sicherheit zu verschleiern wissen. Um diese Differenzierung ging es mir eigentlich.

Akribisches Nachforschen nach Unregelmäßigkeiten führt allerdings zu einer ebenso fragwürdigen Konsequenz: Wie bei der jüngsten Olympiade bezichtigen sich alle gegenseitig der Praxis, mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen zu haben. Am Ende kann niemand Spitzenleistungen erbringen, ohne sofort wieder mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, es sei sowieso wieder mal nicht mit rechten Dingen zugegangen. Will man denn ein Dauerklima haben, das von Misstrauen und Missgunst geprägt ist? Ich glaube nicht.

LG von Rheinkultur
 

Akribisches Nachforschen nach Unregelmäßigkeiten führt allerdings zu einer ebenso fragwürdigen Konsequenz: Wie bei der jüngsten Olympiade bezichtigen sich alle gegenseitig der Praxis, mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen zu haben. Am Ende kann niemand Spitzenleistungen erbringen, ohne sofort wieder mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, es sei sowieso wieder mal nicht mit rechten Dingen zugegangen.
Das ist die Natur derart kommerzieller Veranstaltungen; sobald es um viel Geld geht, werden für die Wettbewerber sämtliche Mittel opportun. Darüber macht sich auch kaum noch jemand Illusionen; sieh dir nur mal an, wie gern die Tour de France ironisch als Pharma-Wettbewerb verspottet wird.
 
Das ist die Natur derart kommerzieller Veranstaltungen; sobald es um viel Geld geht, werden für die Wettbewerber sämtliche Mittel opportun. Darüber macht sich auch kaum noch jemand Illusionen; sieh dir nur mal an, wie gern die Tour de France ironisch als Pharma-Wettbewerb verspottet wird.
Im Falle des Sports schießt mir bei der Lektüre von Berichten über entsprechende Vorkommnisse bisweilen der Gedanke durch den Kopf, die verantwortlichen Personen mögen doch das Doping komplett freigeben. Dann läge es in der persönlichen Verantwortung, ob man sich in der Hoffnung auf den sportlichen Erfolg massiv in der Gesundheit schädigen will. Es ist ja bekannt, dass der Einsatz leistungssteigernder Substanzen (Anabolika) schwere Schäden an Körper und Psyche nach sich ziehen kann, selbst der Tod auf nicht mehr natürlichem Wege ist nicht ausgeschlossen (oft als Spätfolge nach Karriereende). Ich könnte mir gut vorstellen, dass so mancher auf eine Berufslaufbahn als Sportler verzichten würde, wenn er sich dazu zu einem Kraftmonster spritzen lassen müsste - dann würde sich die Branche naturgemäß anders aufstellen, da sich eine Berichterstattung in den Medien über schwere Krankheitsfolgen oder sogar Todesfälle durch Doping und eine entsprechend verheerende öffentliche Resonanz ja auch keiner wünscht.

Wie gut, dass Fragwürdigkeiten beim Musizieren zwar manchen aufregen, aber wenigstens keine Menschenleben gefährden. Dann werde ich wohl in der Lebensmitte nicht in den Profisport wechseln, sondern lieber bei der Musik bleiben und mir nur vorstellen, dass ich mir bei der Begegnung mit dubiosen und korrupten Geschäftspartnern manchmal eine Ausbildung zum Profiboxer gewünscht hätte. Mein Spitzname wäre dann "der Klitschko unter den Pianisten" gewesen - aber eine schnelle Linke bietet ja auch auf der Tastatur einige Vorteile...!

LG von Rheinkultur
 
...schießt mir bei der Lektüre von Berichten über entsprechende Vorkommnisse bisweilen der Gedanke durch den Kopf, die verantwortlichen Personen mögen doch das Doping komplett freigeben.
Mir schießt gerade der Gedanke durch den Kopf, es auch mal mit Doping zu probieren. Vielleicht klappt dann mein Schumann-Stück besser. Brauchen könnte ich's...
:-)
 
Dafür bräuchte ich auf jeden Fall so einiges an Doping. Aber das isses gottseidank nicht.

Lass mich bitte nicht rätseln: Was spielst Du zur Zeit von Schumann oder habe ich das irgendwo überlesen? Ich hatte letztes Wochenende nach langer Zeit mal wieder die Papillons und die Fantasiestücke rausgekramt.

Viele Grüße
Christian
 

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