Verfallsdatum?

Dabei seit
11. Feb. 2007
Beiträge
1.935
Reaktionen
288
Liebes Forum, liebe Fachmänner,

schon wieder eine Flügelfrage: gibt es denn so etwas wie ein kritisches Höchstalter für einen Flügel (Blüthner)? Irgendwie kommt mir ein Baujahr so um 1885 schon sehr, sehr alt vor. Wie ist das mit der Stimmbarkeit zum Beispiel, sind da 440 Hz überhaupt möglich? Und die sonstige "Materialschwäche"? Oder ist es alles in allem kein großer Unterschied zu einem Modell aus dem Jahr 1920?

LG, Sesam
 
Hallo Sesam!

Die Konstruktion entscheidet, ob ein alter Flügel noch gut sein kann. Ob er es dann wirklich noch ist, steht auf einem anderen Blatt.:cool:

LG
Michael
 
hi

wenn ich geld hätte würde ich einen blüthner aus 1885 sofort kaufen!
wenn der stimmstock in ordnung ist und der flügen ursprünglich für 440Hz gebaut wurde ist alles kein problem...
aber wie michi gesagt hat...

lg
emmanuel
 
Hallo ihr zwei,
also was mich an der Sache reizt, das ist die Vorstellung einer Art "live-Erleben" vergangener Zeiten. Wenn so ein alter Flügel durch liebevolle, geduldige Restauration wieder eine Stimme bekommt und dann beginnt zu singen, das fühlt sich doch so an, als würde ich in die Zeit meiner Urahnen versetzt und könnte mit ihnen plaudern. Ich höre dasselbe, was sie einst gehört haben. Wenn ich mich dann an den Flügel setze kann ich mich sozusagen mit dem Klang in eine andere Zeit versetzen (selbst mit meinem laienhaften Spiel).
Diese Vorstellung gefällt mir außerordentlich und beFLÜGELt meine Fantasie....
Hinzu kommt, dass ich trotz kratziger Qualität die wirklich alten Klavieraufnahmen so liebe, ich habe ein paar so ur-, ur-, uralte Chopinaufnahmen von Cortot, Solomon, Rubinstein, Friedmann, Brailowsky, Backhaus und natürlich Horowitz wo man nur hinter einem Rauscheteppich die Musik hört. Aber was man da hört ist klanglich erste Sahne!! Wenn ich so etwas höre, verstehe ich gar nicht, weshalb überhaupt neue Flügel Abnehmer finden....

LG, Sesam
 
krass! ein fast so großer träumer wie ich! :D ich verstehe dich!!!
also... einen flügel kann man auf jeden fall herrichteh und zum "singen" bringen... es bleibt nur die frage ob es sich lohnt...
 
Ja das stimmt wohl! Ich habe die Frage nach der Stimmbarkeit auf 440 Hz gestellt, weil ich nicht abschätzen kann, ob es Nachteile mit sich bringt, wenn mein Flügel so anders klingt als alle anderen Flügel/Klaviere auf denen ich (als Vorspiel-Angsthase) wahrscheinlich eh nie spielen werde ;)

LG, Sesam
 
Hey Sesam, du Träumer.
Blüthner von 1885 kann schon prima gehen... allerdings ist bei näherem Einstieg in die damalige Entwicklung nicht zu übersehen, dass sich gerade in den Jahren zwischen 1880 und 1900 sehr viel getan hat. Auch bei Blüthner gab es Entwicklungen und, mit Verlaub, echte Verbesserungen.

Vor einigen Monaten habe ich einen 190er von 1890 überarbeitet. Die Hammerfilze waren so weggespielt, wie ich es kaum je gesehen hatte, mussten also neu. Aber oh Wunder: Die Saiten konnten, bis auf zwei gerissene, bleiben, und überstanden alle strapaziösen Prozeduren klaglos. Der Flügel zählt in meinem Kenntnis-Umfeld (jetzt) zu den besonders schönen Blüthnern. Zeitgleich sah ich zwei oder drei nur wenige Jahre ältere Modelle. Und - bei aller Nostalgie - den etwas neueren fand ich dann doch vertrauenswürdiger. Und konstruktiv, wie ich weiß, hat es bei den noch etwas jüngeren noch weitere wirklich wesentliche und plausible Verbesserungen gegeben.

Im Übrigen: Hinsichtlich des Klanges, der damals angeblich noch ganz anders war, ist vieles nur sehr bedingt wahr. Weil nämlich um 1880-1900 das zunehmend gültige Klangideal im großen und ganzen schon sehr ähnlich war wie heute, weil nämlich schon sehr weit entwickelt.

Auf dem Markt gibt es heute etliche Musikaufnahmen auf angeblich "historischen" Instrumenten. Manchmal trifft das zu - aber oft klingen diese alten Instrumente einfach nur deshalb so "historisch", weil sie deutlich suboptimal ausgearbeitet sind. Optimal ausgearbeitete gute alte Instrumente können traumhaft klingen - aber nicht wegen romantischer Altertümelei, sondern einfach deshalb, weil sie mit der faktischen Aktualität ihrer Qualitäten viele neuere Pianos an die Wand spielen.

Die Blüthner-Flügel sind bis in die 20er Jahre hinein einem ausgeprägt eigenwilligen und mir sehr sympathischen Klangkonzept gefolgt (wie übrigens auch, auf andere Weise, die damaligen Blüthner-Klaviere). Diese Eigenwilligkeit war aber keine Alterserscheinung, sondern so gewollt. Könnte man heute genau so machen - ist aber vom Markt und der Mode abhängig.

Erstmal Stopp - wird sonst zu lang.........

Gruß
Martin
PianoCandle


... und aus Krach wird Klang
 
Im Übrigen: Hinsichtlich des Klanges, der damals angeblich noch ganz anders war, ist vieles nur sehr bedingt wahr. Weil nämlich um 1880-1900 das zunehmend gültige Klangideal im großen und ganzen schon sehr ähnlich war wie heute, weil nämlich schon sehr weit entwickelt.
Muß Dir da doch ein wenig widersprechen denn es gab nur zwei Instrumente die meine Seele wirklich abgrundtief kitzelten und beide in hervorragendem Zustand waren. Einer war ein Grotrian Steinweg Konzertflügel Bj geschätzt um 1900 der 1975 von dem damals renommiertesten Innsbrucker Klavierbauer für Konzerte gestellt wurde und der zweite ein nagelneuer Ehrbar Konzertflügel den ich um 1980 in der Fabrik sogar selbst spielen durfte.
An diese beiden Instrumente kam klanglich nie mehr was auch nur annähernd ran denn beide hatten noch einen wesentlich "erdigeren" Klang. Auf den Klang hin angesprochen erklärte mir der Klavierbauer bei Ehrbar, daß sie mit voller Absicht eine niedrigere Saitenspannung auch bei neuen Instrumenten bevorzugten um eben diese Klangcharakteristik zu bewahren.
 
hi

ba kannst mal hören, wie ein restaurierter blüthner mit aliquotpatentsystem aus 1896 klingt... meiner meinung der schönste klang aller zeiten... nur das spielen nicht beurteilen, bitte! :D

hier: http://www.youtube.com/watch?v=-VQg4pfnAAs
lg emmanuel
 
@ Emmanuel: trotz "Verdigitalisierung" kann ich mir sehr gut vorstellen, wie das vorort klang. Ich wäre wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen! Vor allem ab 2:05 kommt der Inbegriff des Flügelklangs für mich heraus. Super, super, super!!
Sag` weißt du etwas über den Umfang der Restaurierung? Mir ist schon klar, dass jeder Flügel anders ist und man nicht von Nummer 46630 auf 97485 schließen kann, aber es interessiert mich einfach.

@ Martin:

Im Übrigen: Hinsichtlich des Klanges, der damals angeblich noch ganz anders war, ist vieles nur sehr bedingt wahr. Weil nämlich um 1880-1900 das zunehmend gültige Klangideal im großen und ganzen schon sehr ähnlich war wie heute, weil nämlich schon sehr weit entwickelt.

Auf dem Markt gibt es heute etliche Musikaufnahmen auf angeblich "historischen" Instrumenten. Manchmal trifft das zu - aber oft klingen diese alten Instrumente einfach nur deshalb so "historisch", weil sie deutlich suboptimal ausgearbeitet sind. Optimal ausgearbeitete gute alte Instrumente können traumhaft klingen - aber nicht wegen romantischer Altertümelei, sondern einfach deshalb, weil sie mit der faktischen Aktualität ihrer Qualitäten viele neuere Pianos an die Wand spielen.

So ganz verstehe ich deine Aussage nicht, denn mein Klangeindruck und das sehr angenehme Empfinden dabei hat nichts mit romantischer Altertümelei zu tun, sondern beruht auf (für mich) hörbaren Tatsachen. Vor dreieinhalb Jahren habe ich sehr lange gezielt nach einem Vorkriegsklavier gesucht, eben einfach weil ich nach einigem Anspielen und vor allem Anhören von neuen Klavieren (auch renommierter Manufakturen) von deren Klang enttäuscht war. Da hatte ich schon den Eindruck als gelte heute ein anderes Klangideal....

Die Blüthner-Flügel sind bis in die 20er Jahre hinein einem ausgeprägt eigenwilligen und mir sehr sympathischen Klangkonzept gefolgt (wie übrigens auch, auf andere Weise, die damaligen Blüthner-Klaviere). Diese Eigenwilligkeit war aber keine Alterserscheinung, sondern so gewollt. Könnte man heute genau so machen - ist aber vom Markt und der Mode abhängig.

Ja, das hört sich plausibel an. Ich möchte auch keinen alten Flügel um seines bloßen Alters Willen (das ist eine mir sympathische Nebenerscheinung und entspricht zugegebenermaßen meiner träumerischen Anlage), aber wesentlich gehts mir um den Klang und da scheine ich außer Mode und dem Trend ziemlich hinterher. Ferner möchte ich auch nicht behaupten, dass mich jeder Klang des vor(vor)igen Jahrhunderts überzeugt. Nein, es muss schon ein Blüthner sein...ach, es ist sooo schön, einer Leidenschaft (einfach so) zu verfallen.

Zurück zum Thema: Ob man, wie du sagst, den damaligen Klang heute ebenso "herstellen" könnte, bezweifle ich nicht. Technisch ist das alles sicher kein Problem. Allerdings würde nur eine charakterlose Kopie angefertigt. Ich möchte hier keinen Roman beginnen, aber mir würde frei assoziiert schon einiges einfallen, warum Flügel und Klaviere heute so klingen wie sie klingen. Sie klingen nicht schlecht, aber sehr unantastbar, sehr perfekt, sehr zielstrebig, ein bißchen arrogant, letztlich uniform da in den jeweiligen Eigenschaften durchschaubar, sie klingen wenig innehaltend, sie klingen nach Menschen, deren Alltag keine Lieder kennt, die das letzte Mal im Grundschulalter gesungen haben, sie klingen nach Musik, die durch Virtuosität glänzt (und manchmal nicht durch Musik), sie klingen irgendwie verraten.

Ein Beispiel:

Unknown
http://www.youtube.com/watch?v=06uHLY9eUvA&feature=channel

Evgeny Kissin
http://www.youtube.com/watch?v=0sPxr539mts&feature=related


....und am Ende ist doch alles Geschmacksache

LG, Sesam
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Hallo Sesam,

gefällt mir wirklich gut, was du in der letzten Zeit so zu deinen Vorlieben in bezug auf den Klang von Flügeln und zu älteren Flügeln überhaupt schreibst. Das kann ich gut verstehen. Ich kann mit vielen (nicht allen) neuen Instrumenten auch nicht viel anfangen, sie klingen mir zu hart, zu oberflächlich, zu direkt, zu "nützlich", zu "praktisch", zu "effektiv"... das sind alles Wörter, die die Stimmung beschreiben sollen, die mich dabei überkommt.

Bei alten Flügeln mache ich oft die Erfahrung, dass mir ihr Klang unmittelbar nicht so zusagt, wie ich es erwarten würde, ich aber nach einer Weile des Spielens hineinfinde und dann sehr viel mehr Wärme und Seele und Zeitlassen und Ruhe darin finde. Das ist so ähnlich, wie wenn man jemanden wirklich kennenlernt, das braucht auch seine Zeit. Ein neuer Flügel scheint mir oft zu sagen: "Ich biete dir das und das, damit du das und das machen kannst." Ein älteres Instrument hingegen sagt: "So und so bin ich..., bitte bemühe dich um mich..., wer bist du..., was kann ich dir geben...". Das eine ist wie eine Geschäftsbeziehung, das andere wie eine Beziehung, bei der sich zwei dafür interessieren, wer sie in ihrem Wesen wirklich sind.

Das ist jetzt vielleicht ein bisschen plakativ dargestellt. Es gilt auch nicht für alle Instrumente. Aber es spiegelt ein bisschen die Tendenz meiner stimmungsmäßigen Erfahrungen mit Flügeln und Klavieren wider.

Viele Grüße von
Fips
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Moooiiii, Fips! in der werkstatt redest nie so romantisch.... :D hast aber sehr schön und genau erklärt wie die sache steht! ich würde die klänge (ist das plural von klang?? :confused: ) und verschiedene instrumente so beschreiben...

SESAM: 1; es tut mir leid, daß ich dir träumer, gesagt habe! hab erst heute erfahren, daß du eine TRÄUMERIN bist... :kuss:
2; soweit ish weiß, war der blüthner auf dem ich gespielt habe, total kaputt. es wurde der resoboden hergerichtet, stimmstock ausgetauscht, neubesaitet,, die mechanik wurde überholt und das gehäuse wurde aupolitiert... wenn etwas genauer wissen möchtest, kann ich nachfragen...

lg
emmanuel
 
@ Fips: das hast du wirklich schön gesagt!!

@ Petz: Danke Petz! Schönes Interview. Und er sagst auch noch: "Ein alter Blüthner ist beispielsweise grandios. Ein 190 cm langer Blüthner um die Jahrhundertwende" :cool:

@ Emmanuel: kein Problem :-) Was den Flügel betrifft: woher weiß man eigentlich beim Anblick eines so zerrütteten Instruments, dass der nochmal sooo schön klingt? Erfahrung? Intuition? Geschulter Blick? Ohr? ????

Nochmal kurz eine Fachfrage: Wenn durch das Alter der Resonanzboden seine Spannung, Wölbung (oder wie man da sagt) verliert, kann man diese Spannung wieder herstellen? Also in Physik war ich immer versetzungsgefährdet, insofern... aber wenn der Boden schluffi ist, dann ist das klanglich doch relevant. Wäre ja wie bei nem Lautsprecher, dessen Membrane zu groß sind. oder geht es nur darum, dass halt irgendwie die Saiten via Steg ihre Schwingungen übertragen können. Ob der Boden dabei noch Wölbung hat, ist zweitrangig. Oder doch: ohne Wölbung kein Stegdruck?

LG, Sesam
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Nochmal kurz eine Fachfrage: Wenn durch das Alter der Resonanzboden seine Spannung, Wölbung (oder wie man da sagt) verliert, kann man diese Spannung wieder herstellen? Also in Physik war ich immer versetzungsgefährdet, insofern... aber wenn der Boden schluffi ist, dann ist das klanglich doch relevant. Wäre ja wie bei nem Lautsprecher, dessen Membrane zu groß sind. oder geht es nur darum, dass halt irgendwie die Saiten via Steg ihre Schwingungen übertragen können. Ob der Boden dabei noch Wölbung hat, ist zweitrangig. Oder doch: ohne Wölbung kein Stegdruck?
Ob ein nachlassender Stegdruck den Klang beeinflußt, kommt sehr darauf an, wieviel Resonanzbodenwölbung der Hersteller ursprünglich vorgesehen hatte. Wenn die nur gering war gibt es kaum hörbare Unterschiede ansonsten manchmal sehr deutliche.
Eine "Wiederherstellung" der Resonanzbodenwölbung kommt aber praktisch dessen Neubau gleich denn die Wölbung bestimmt der Druck den die, vor der Verleimung konvex gehobelten Resobodenrippen auf die "Bretter" ausüben. Wenn die Rippenspannung nachgelassen hat müssen diese erneuert werden um wieder Druck erzeugen zu können. Ein Nachhobeln und Neuverleimen würd vermutlich kaum oder nur kurzzeitig was bringen weil man durch das Nachbearbeiten den Rippenquerschnitt weiter schwächen würde.

Wenn ein stärker konvexer Resonanzboden in ein Klavier eingesetzt ist, drückt er durch das Schwingungsverhalten bei jener Amplitude die "gegen ihn" gerichtet ist auch seitlich auf den gesamten Holzrahmen mit dem er verleimt wurde. Das beeinflußt das gesamte Bodenschwingungsverhalten und deshalb auch den Klang gegenüber einem solchen der "durchgesessen" ist.

Hoffe ich konnte das halbwegs verständlich erklären.
 
Habe kürzlich einen 190er Blüthner von 1894 ohne Aliquot probiert, der auch komplett und liebevoll überholt war. Das war einer der faszinierendsten Flügel, die ich je gespielt habe. So einen cremigen und präsenten Ton mit soviel Bassvolumen aus der kurzen Länge hatte bislang kein zweiter.

Viele Grüße

Michael.
 
huh!
das selbe habe ich meinem chef letzte woche grefagt, wann er einen flügel in die werkstatt gebracht hat... spinnst? die kraxe zerhacke ich mit dem grösten vergnügen! habe ich gesagt. nee! horch mal! sagt berni und schlägt an. nur ur verstimmte töne... sonst kein gar nichts.... aber, sagt berni, diese kraxe hat noch saft! daraus wird noch viel werden! schauma mal, war meine antwort.
naja... man muss erkennen, ob das klavier noch was kann... bzw. ob es noch saft hat... erfahrung halt...

lg
emmanuel
 
huh!
das selbe habe ich meinem chef letzte woche grefagt, wann er einen flügel in die werkstatt gebracht hat... spinnst? die kraxe zerhacke ich mit dem grösten vergnügen! habe ich gesagt. nee! horch mal! sagt berni und schlägt an. nur ur verstimmte töne... sonst kein gar nichts.... aber, sagt berni, diese kraxe hat noch saft! daraus wird noch viel werden! schauma mal, war meine antwort.
naja... man muss erkennen, ob das klavier noch was kann... bzw. ob es noch saft hat... erfahrung halt...

lg
emmanuel

Zeig mir die mal, Emmanuel, wenn ich wieder vorbeikomme. Ich will da auch horchen! :)
 

Zurück
Top Bottom