Unbekannte Komponisten - Zu Recht oder Unrecht?

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Bei der Beschäftigung mit dem mir bisher nicht bekannten Mischa Levitzki bin ich auf Ossip Gabrilowitsch (1878-1936) gestoßen




und auf Vasily Sapelnikov (1867-1941)



 
Arthur Vincent Lourié (1891-1966)

„Hmm, kein Russe…“, war mein erster Gedanke. Aber man sollte ja immer offen für Neues sein. Aber...

Der Komponist wurde in Russland als Naum Israilewitsch Lurja geboren. Seinen Künstlernamen wählte er wegen seiner Verehrung für Arthur Schopenhauer und Vincent van Gogh.




 
Vesselin Stoyanov (1902-1969)


 
Borys Ljatoschynskyj (Ljatoschinski), Ukraine, 1894-1968




 
Nikolai Mjaskovski (1881-1950), Schüler von Reinhold Glière, studierte u.a. bei Nikolai Rimski-Korsakov und Anatoli Ljadow.




 
Vitezslav Novak (1870-1949), auch Musikpädagoge und Professor für Kompositionslehre.




 
Marko Tajcevic (1900-1984)

Der in Kroatien geborene Komponist war auch als Professor für Musiktheorie (er hat ein Buch über deren Grundlagen geschrieben) und als Chorleiter tätig.








 
Eduard Napravnik, 1839-1916






 
Uri Brener, geb. 1974 in Moskau, zog nach dem Studium nach Israel.


 

Dass Boris Pasternak sich auch als Komponist betätigt hat war mir bekannt.







Aber von Leo Tolstoy wusste ich es bisher nicht. Clavio anscheinend auch nicht, denn die Suche hat keinen Treffer hervorgebracht.

Laut Internetrecherche ist der Walzer das einzige Stück, das Tolstoi komponiert hat. Dabei halfen ihm seine Freunde, der Cellist Ippolit Zybin und dessen Bruder, sowie
Alexander Goldenweiser. Dieser und Sergei Tanejew waren u.a. anwesend, als Tolstoi den Walzer 1906 aufführt hat.

Hier einige Hintergründe zum Walzer.


 
Georgi Konjus (1862–1933) ist französischer Abstammung, er hieß eigentlich Georges Conus, er wurde 1904 russischer Staatsbürger. Er war Schüler von Sergei Tanejew und Anton Arenski und unterrichtete am Moskauer Konservatorium, der Musikschule der Moskauer Philharmonischen Gesellschaft und am Konservatorium von Saratow. Georgi Konjus entwickelte und lehrte die metrotektonische Methode als Verfahren zur Ermittlung der Zeitproportionen von musikalischen Kunstwerken. Sein Schüler Alexander Skrjabin wandte diese Methode in seinen Werken an.




 
Kennt hier jemand René Bernier, Jan Decadt und Armand Ferté?
Nein?
Ich auch nicht. :003: Bis gestern.
Da flatterten mir 3 Notenhefte ins Haus.
Hintergrund:
Ich hatte einen Musikverlag auf mehrere Fehler in einem Musikstück hingewiesen. (Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Meine KL hatte gemeint, das könne nicht stimmen und mit einer anderen Ausgabe verglichen.)
Beim zweiten Mal dachte ich, frag doch mal an, ob sie Dir einen Gutschein schicken dafür.
Es kamen besagte Notenhefte.

Geschenkten Gäulen soll man ja nicht ins Maul schauen, aber ich habe mal einen Teil der Stücke durchgefingert und finde - Bezug zur Frage im Fadentitel! - sie sind zu Recht unbekannt.
Ein Gutschein wäre mir lieber gewesen. Nun ja.
Ich vermute, es sind Noten, die irgendwo im Lager liegen, weil sich niemand dafür interessiert. :002:
 
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stammt eine salonhaft-kitschige Habanera, die es in unzähligen Arrangement zu einer gewissen Sonntagsnachmittagswunschkonzert-Popularität gebracht hat. Wenn man sie nicht kennt, hat man allerdings auch nicht viel verpasst.
Diese Habanera war mir beim Googeln/Suchen auf youtube natürlich auch aufgefallen.
Angehört habe ich sie (noch) nicht -ich scheine nichts versäumt zu haben.
 

Unbekannte Komponisten - Zu Recht oder Unrecht

Wieso werden manche Komponisten einfach vergessen und nicht beachtet?

Ich hatte jetzt leider nicht die Zeit den ganzen Faden durchzulesen, bitte also um Vergebung, wenn ich bereits Gesagtes wiederhole.

Ich finde, offen gesagt, die Frage des "zu Recht vergessen" sehr problematisch. Wie bemisst man das? Vergessen wurden Komponisten ja nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus sozialen und politischen Gründen.

1. Wenn wir auf letzteren Punkt schauen und da exempli gratia auf die Musiker, die von den Nazis marginalisiert wurden, drängt sich eine Präzisierung der Frage auf: Warum wurden sie bei uns vergessen, - oft im Gegensatz zu ihren Emigrationsländern? Die Antworten sind selten schmeichelhaft: Hans Gál etwa und Ernst Toch waren bis in die Nuller Jahre vergessen - weil sie zum "Feind" übergelaufen war, was man in der frühen Bundesrepublik ihnen genauso wenig verziehen hat wie Brandt und Wehner das politische Exil. E. Schulhoff wiederum war Kommunist, igitt; darüber hat man weniger leicht hinweggesehen als über Wagners Antisemitismus, denn der hatte ja sozusagen wenigstens den vertrauten Stallgeruch. Auch Korngold erlebte ja erst eine späte und im Prinzip auf ein Werk beschränkte Renaissance. Werden nun diese Komponisten seit kurzer Zeit "zu Recht", also aus ästhetischen Gründen, wieder gespielt, oder eher aus schlechtem Gewissen und aus einem daraus gespeisten peinlichen "Wiedergutmachungsimpetus", der doch in erster Linie politischen Zwecken, nämlich der Herausstellung unserer wiedergewonnen Lauterkeit, dient?

2. Es gibt aber ja viel banalere Gründe für das Vergessen oder bereits Nicht- Bekannt-Werden; er ist erstmals niedergelegt in dem lapidaren, dem deutschen Idealismus gar nicht behagenden Satz des Aristoteles, dass Glück ohne eine materielle Basis überhaupt nicht möglich ist. Vulgo: Wer nicht in eine sichere Position gelangt oder Glück mit der Verlegersuche hat, gerät rasch in Gefahr "zurecht"(?) in Vergessenheit zu geraten. Bach etwa hatte das von Aristoteles "empfohlene" Glück, denn hätte der Weimarer Herzog ihn wegen seiner "halsstarrigen Bezeugung" auf lange Zeit weggesperrt und zum Hilfsgärtner gemacht, was er als unumschränkter Souverän seines Duodezfürstemtums ohne weiteres hätte tun können, würden wir ihn wohl nur als "mitteldeutschen Kleinmeister" kennen. Und er hatte sogar ein zweites Mal Glück mit seinem Entdecker Mendelssohn, und das nun zu unserem Glück.

3. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass das Überleben eines Kunstwerks in jenen Zeiten seiner schwierigen Reproduzierbarkeit vom Urteil und Willen sehr weniger Leute abhängen konnte. Ich weiche hier einen Moment in die Geschichte meines Faches aus, weil das da exemplarisch klar wird. Denn es gibt zwei große Katarakte des Untergangs / der Rettung für alles antike literarische, künstlerische und musiktheoretische Schriftgut. (a) Das erste ist die Entscheidung der Bibliothekare von Alexandria im 4./3.Jh. darüber, was in den Bestand der Bibliothek aufgenommen werden sollte - Papyrus war schließlich teuer. Unter den Komikern etwa entschied man sich für Aristophanes, den wir just aus diesem Grund noch heute lesen können (was, nebenbei, in der Übersetzung von P. Rau ein reines Vergnügen ist), aber warum? Weil in Platons Symposion steht, dass er ein Freund des Sokrates war. Eine Wahl also aus außerästhetischen Motiven. Seine Kollegen Kratinos und Eupolis, die, nach den überlieferten Fragmenten zu urteilen, ihm nicht nachstanden, hatten eine solche Protektion zu ihrem Pech nicht. (b) Im 4. Jahrhundert n. Chr. erfolgt die Umschrift des noch vorhandenen Schriftgutes von Papyrus auf Pergament, und dabei mussten für einen 240-Seiten-Kodex drei Ochsen ihr unschuldiges Leben lassen. Klärlich war da die Auswahl strenger, und sie wurde natürlich von Leuten mit Geld vorgenommen, die noch konservativer waren als heute die Sponsoren der Met. Im ersteren Falle entschieden vielleicht zwanzig, im zweiten etwa 200 Leute über das Schicksal einer ganzen, seit 500 bzw. 1000 Jahren bestehenden Literatur. Nun, in Zeiten der Papierproduktion wurde Publizieren natürlich billiger, aber samt Notenstechen und Verlegen doch nicht so billig, dass jedes Talent sich reelle Hoffnungen auf Publizität machen konnte.

4. Aber selbst wenn wir von einer ästhetischen Motivation für das Vergessen musikalischer oder literarischer Werke ausgehen, werden wir nicht darüber hinwegsehen, dass ästhetische Urteile im ständigen Wandel begriffen sind. Der Hinweis auf das Schicksal der Musik Bachs dürfte wohl genügen. Ich erinnere mich daran, dass in meiner frühen Jugend auch Hindemith unter meinen konservativen Musiklehrern noch als unhörbar galt. Wie viele andere mögen ebenfalls "ihrer Zeit voraus" gewesen sein und deswegen kein Gehör gefunden haben? Da haben wir ein letztes Problem: Eine Antwort auf die Eingangsfrage ist uns schon deswegen versagt, weil wir das Gros der Vergessenen gar nicht kennen. Unternehmen wie das Rostocker Zentrum für verfemte Musik bemühen sich, dem entgegenzuwirken, aber auch die können uns diejenigen nicht zurückbringen, die im Sinne des Aristoteles einfach Pech hatten. Ich denke da grade an meinen guten alten KMD, dem ich meine - bescheidenen - Erfolge im Orgelspiel verdanke. Er hat fleißig komponiert, und, denke ich, nicht viel schlechter als andere Straube- / Distler- / Ramin - Schüler. Aber er war hyperkritisch (auch mit seinen Schülern, seufz!) und hat kaum etwas publiziert. "Zu Recht" vergessen? Wer weiß.. Jedenfalls lebt er in meinem Herzen.
 
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Warum wurden sie bei uns vergessen, - oft im Gegensatz zu ihren Emigrationsländern? Die Antworten sind selten schmeichelhaft: Hans Gál etwa und Ernst Toch waren bis in die Nuller Jahre vergessen - weil sie zum "Feind" übergelaufen war, was man in der frühen Bundesrepublik ihnen genauso wenig verziehen hat wie Brandt und Wehner das politische Exil. E. Schulhoff wiederum war Kommunist, igitt; daüber hat man weniger leicht hinweggesehen als über Wagners Antisemitismus, denn der hatte ja sozusagen wenigstens den vertrauten Stallgeruch.
Hans Gál war und ist in England zwar bekannt - aber weniger als Komponist denn als Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller. Auch in England haftet seinen Werken der Geruch des Epigonentums an. Handwerklich war er zweifellos sehr gut, aber von seinem Vorbild Brahms hat er sich nie lösen können. Künstlerischer Stillstand hatte es aber zu allen Zeiten schwer - selbst Bach galt in seinen späten Jahren ja als hoffnungslos altmodisch.

Toch war - ebenso wie Korngold übrigens - auch im Exil als Komponist ernster Musik zunächst weder erfolgreich noch sonderlich bekannt. Bekannt wurde in erster Linie die Filmmusik, die beide komponiert haben. Ob der Durchschnitts-Angelsachse deshalb was mit diesen Komponistennamen anfangen kann, sei mal dahingestellt. Was Korngold betrifft, wurden zumindest "Die tote Stadt" und das Violinkonzert nach dem Wiederaufbau der Opernhäuser und Konzertsäle fester Bestandteil des Repertoires. Tochs Sinfonien hatten zugegebener Maßen in den USA einigen Erfolg. Was aber auch daran lag, dass sie sich in ihrem Konservatismus dem Publikumsgeschmack anbiederten. Inzwischen findet man sie auch dort so gut wie nicht mehr in den Konzertprogrammen.

Wie viele andere mögen ebenfalls "ihrer Zeit voraus" gewesen sein und deswegen kein Gehör gefunden haben?
Da gibt es sicher einige. Und sogar welche, die wenigstens posthum noch viel Gehör gefunden haben: Bruckner wäre ein prominentes Beispiel.
 
2. Es gibt aber ja viel banalere Gründe für das Vergessen oder bereits Nicht- Bekannt-Werden; er ist niedergelegt in dem lapidaren, dem deutschen Idealismus gar nicht behagenden Satz des Aristoteles, dass Glück ohne eine materielle Basis überhaupt nicht möglich ist. Vulgo: Wer nicht in eine sichere Position gelangt oder Glück mit der Verlegersuche hat, gerät rasch in Gefahr "zurecht"(?) in Vergessenheit zu geraten. Bach etwa hatte das von Aristoteles "empfohlene" Glück, denn hätte der Weimarer Herzog ihn wegen seiner "halsstarrigen Bezeugung" auf lange Zeit weggesperrt und zum Hilfsgärtner gemacht, was er als unumschränkter Souverän seines Duodezfürstemtums ohne weiteres hätte tun können, würden wir ihn wohl nur als "mitteldeutschen Kleinmeister" kennen. Und er hatte sogar ein zweites Mal Glück mit seinem Entdecker Mendelssohn, und das nun zu unserem Glück.
Naja, Mendelssohns Aufführung der Matthäuspassion hat sicher viel zu Bachs Reputation beigetragen. Vergessen war Bach nach seinem Tod keineswegs: https://www.clavio.de/threads/die-zweite-und-dritte-reihe.28493/#post-789090
Er hätte es sicher auch ohne Mendelssohn geschafft, den ihm gebührenden Rang einzunehmen, vielleicht etwas später.

Wir sollten eher Schumann (auch Mendelssohn und später Brahms) dankbar sein, der bald nach Schuberts Tod viel für die Rettung und Verbreitung der Werke Schuberts getan hat. Die materielle Basis bei Schubert war ja eher dürftig, was aber nicht nur an geringen Einnahmen, sondern vor allem auch an seiner Neigung, verdientes Geld gleich ins Wirtshaus zu tragen, lag.
 

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