Unbekannte Komponisten - Zu Recht oder Unrecht
Wieso werden manche Komponisten einfach vergessen und nicht beachtet?
Ich hatte jetzt leider nicht die Zeit den ganzen Faden durchzulesen, bitte also um Vergebung, wenn ich bereits Gesagtes wiederhole.
Ich finde, offen gesagt, die Frage des "zu Recht vergessen" sehr problematisch. Wie bemisst man das? Vergessen wurden Komponisten ja nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus sozialen und politischen Gründen.
1. Wenn wir auf letzteren Punkt schauen und da exempli gratia auf die Musiker, die von den Nazis marginalisiert wurden, drängt sich eine Präzisierung der Frage auf: Warum wurden sie bei
uns vergessen, - oft im Gegensatz zu ihren Emigrationsländern? Die Antworten sind selten schmeichelhaft: Hans Gál etwa und Ernst Toch waren bis in die Nuller Jahre vergessen - weil sie zum "Feind" übergelaufen war, was man in der frühen Bundesrepublik ihnen genauso wenig verziehen hat wie Brandt und Wehner das politische Exil. E. Schulhoff wiederum war Kommunist, igitt; darüber hat man weniger leicht hinweggesehen als über Wagners Antisemitismus, denn der hatte ja sozusagen wenigstens den vertrauten Stallgeruch. Auch Korngold erlebte ja erst eine späte und im Prinzip auf ein Werk beschränkte Renaissance. Werden nun diese Komponisten seit kurzer Zeit "zu Recht", also aus ästhetischen Gründen, wieder gespielt, oder eher aus schlechtem Gewissen und aus einem daraus gespeisten peinlichen "Wiedergutmachungsimpetus", der doch in erster Linie politischen Zwecken, nämlich der Herausstellung unserer wiedergewonnen Lauterkeit, dient?
2. Es gibt aber ja viel banalere Gründe für das Vergessen oder bereits Nicht- Bekannt-Werden; er ist erstmals niedergelegt in dem lapidaren, dem deutschen Idealismus gar nicht behagenden Satz des Aristoteles, dass Glück ohne eine materielle Basis überhaupt nicht möglich ist. Vulgo: Wer nicht in eine sichere Position gelangt oder Glück mit der Verlegersuche hat, gerät rasch in Gefahr "zurecht"(?) in Vergessenheit zu geraten. Bach etwa hatte das von Aristoteles "empfohlene" Glück, denn hätte der Weimarer Herzog ihn wegen seiner "halsstarrigen Bezeugung" auf lange Zeit weggesperrt und zum Hilfsgärtner gemacht, was er als unumschränkter Souverän seines Duodezfürstemtums ohne weiteres hätte tun können, würden wir ihn wohl nur als "mitteldeutschen Kleinmeister" kennen. Und er hatte sogar ein zweites Mal Glück mit seinem Entdecker Mendelssohn, und das nun zu unserem Glück.
3. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass das Überleben eines Kunstwerks in jenen Zeiten seiner schwierigen Reproduzierbarkeit vom Urteil und Willen sehr weniger Leute abhängen konnte. Ich weiche hier einen Moment in die Geschichte meines Faches aus, weil das da exemplarisch klar wird. Denn es gibt zwei große Katarakte des Untergangs / der Rettung für alles antike literarische, künstlerische und musiktheoretische Schriftgut. (a) Das erste ist die Entscheidung der Bibliothekare von Alexandria im 4./3.Jh. darüber, was in den Bestand der Bibliothek aufgenommen werden sollte - Papyrus war schließlich teuer. Unter den Komikern etwa entschied man sich für Aristophanes, den wir just aus diesem Grund noch heute lesen können (was, nebenbei, in der Übersetzung von P. Rau ein reines Vergnügen ist), aber warum? Weil in Platons Symposion steht, dass er ein Freund des Sokrates war. Eine Wahl also aus außerästhetischen Motiven. Seine Kollegen Kratinos und Eupolis, die, nach den überlieferten Fragmenten zu urteilen, ihm nicht nachstanden, hatten eine solche Protektion zu ihrem Pech nicht. (b) Im 4. Jahrhundert n. Chr. erfolgt die Umschrift des noch vorhandenen Schriftgutes von Papyrus auf Pergament, und dabei mussten für einen 240-Seiten-Kodex drei Ochsen ihr unschuldiges Leben lassen. Klärlich war da die Auswahl strenger, und sie wurde natürlich von Leuten mit Geld vorgenommen, die noch konservativer waren als heute die Sponsoren der Met. Im ersteren Falle entschieden vielleicht zwanzig, im zweiten etwa 200 Leute über das Schicksal einer ganzen, seit 500 bzw. 1000 Jahren bestehenden Literatur. Nun, in Zeiten der Papierproduktion wurde Publizieren natürlich billiger, aber samt Notenstechen und Verlegen doch nicht so billig, dass jedes Talent sich reelle Hoffnungen auf Publizität machen konnte.
4. Aber selbst wenn wir von einer ästhetischen Motivation für das Vergessen musikalischer oder literarischer Werke ausgehen, werden wir nicht darüber hinwegsehen, dass ästhetische Urteile im ständigen Wandel begriffen sind. Der Hinweis auf das Schicksal der Musik Bachs dürfte wohl genügen. Ich erinnere mich daran, dass in meiner frühen Jugend auch Hindemith unter meinen konservativen Musiklehrern noch als unhörbar galt. Wie viele andere mögen ebenfalls "ihrer Zeit voraus" gewesen sein und deswegen kein Gehör gefunden haben? Da haben wir ein letztes Problem: Eine Antwort auf die Eingangsfrage ist uns schon deswegen versagt, weil wir das Gros der Vergessenen gar nicht kennen. Unternehmen wie das Rostocker Zentrum für verfemte Musik bemühen sich, dem entgegenzuwirken, aber auch die können uns diejenigen nicht zurückbringen, die im Sinne des Aristoteles einfach Pech hatten. Ich denke da grade an meinen guten alten KMD, dem ich meine - bescheidenen - Erfolge im Orgelspiel verdanke. Er hat fleißig komponiert, und, denke ich, nicht viel schlechter als andere Straube- / Distler- / Ramin - Schüler. Aber er war hyperkritisch (auch mit seinen Schülern, seufz!) und hat kaum etwas publiziert. "Zu Recht" vergessen? Wer weiß.. Jedenfalls lebt er in meinem Herzen.