Tempoangaben: wie authentisch sind sie - können sie sein?

  • Ersteller des Themas Debösi
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hatte geplant, sein komplettes Oeuvre zu metronomisieren, weil ihn die Willkür der Musikanten in Sachen Tempo störte
@rolf
also erstmal vielen Dank für deinen ausführlichen Artikel, sowas lese ich gern, Kritik gehört ja dazu, aber scheinbar gabs ja auch damals Massen von kundigen Musikern (unterstelle ich einfach, wenn sie Beethoven orchestral aufführten) die sich dem Meister widersetzten....:denken::idee:

Leider nur in gröberen Umrissen waren mir deine Infos wirklich aus Fachzeitschriften und medialen features bekannt, danke für deine Details, ich stellte die "plumpe" Frage", "was heißt schon Allegro" , bewußt provokativ , weil es mich aufregt, sich durch dererlei Dinge BINDEN lassen zu müssen;

ICH der Interpret lege MEIN Aufführungstempo fest, und natürlich tue ich gut daran, mir alle erreichbaren Infos zu dem Stück soweit möglich zu besorgen, um dann in "freier Beweiswürdigung" mein Urteil zu fällen, nämlich wie ich das Stück für "wahr" halte, es ist doch etwa wie bei Gericht, und dann wird das Stück in den Aufführungsvollzug zur Urteilsvollstreckung überstellt.
Vielleicht kommt dann noch ein Tempoprüfungsantrag, dem ich dann nach billigem Ermessen statt geben kann oder auch nicht. :teufel:
 
, er war bekanntermaßen "im Zeitmaße, welches er gemeiniglich sehr lebhaft nahm, überaus sicher".

@Pedall
soweit es mir in Erinnerung ist, gilt obiger Satz für die orchestralen Werke Bachs,
hingegen soll es so nicht ohne weiteres für seine Tasteninstrumentwerke gelten, da soll er wohl manchmal auch recht versonnen geträumt haben, was meinst du dazu?
 
Du hättest stattdessen Artur Kolisch (in musikkonzepte zusammengefasst) erstmal lesen können!
Bevor @maxe das jetzt lange sucht: Der Artur hieß Rudolf und den äußerst lesenswerten Aufsatz "Tempo and Character in Beethoven's Music" kann man bei Oxford University Press erwerben. Die deutsche Übersetzung, die in der Reihe Musik-Konzepte erschienen war, ist inzwischen vergriffen.

soweit es mir in Erinnerung ist, gilt obiger Satz für die orchestralen Werke Bachs,
hingegen soll es so nicht ohne weiteres für seine Tasteninstrumentwerke gelten, da soll er wohl manchmal auch recht versonnen geträumt haben
Das hat Hermann Keller sich so zusammengereimt. Vermutlich hat er diesen Satz aus dem gemeinschaftlich verfassten Nekrolog von C.P.E. Bach, L.C. Mizler und J. Agricola
Im Dirigieren war er sehr accurat, und im Zeitmaße, welches er gemeiniglich sehr lebhaft nahm, überaus sicher.
dahingehend (fehl)interpretiert, dass Bach nur als Dirigent "sehr accurat" war. Das geht daraus aber überhaupt nicht hervor, und man darf auch nicht vergessen, dass Bach überwiegend vom Cembalo aus "dirigiert" hat.
 
@Pedall
soweit es mir in Erinnerung ist, gilt obiger Satz für die orchestralen Werke Bachs,
hingegen soll es so nicht ohne weiteres für seine Tasteninstrumentwerke gelten, da soll er wohl manchmal auch recht versonnen geträumt haben, was meinst du dazu?

"Gemeiniglich" heißt so viel wie "im allgemeinen".
Die Vorstellung, daß Bach die Musiker zu forschen Tempi angetrieben hat, wenn er dirigiert hat, jedoch in tranige Tempi verfallen ist, sobald er allein gespielt hat, würde ich für einigermaßen absurd halten.

Zumal auch im selben Nekrolog Bach dafür gerühmt wird, daß er seine Claviertechnik so weit ausgebildet hatte, "daß es ihm nicht schwer fiel, die größten Schwierigkeiten mit der fließendesten Leichtigkeit vorzutragen."

Die Stelle im Zusammenhang:
"Im Dirigiren war er sehr accurat, und im Zeitmaaße, welches er gemeiniglich sehr lebhaft nahm, überaus sicher.
So lange als man uns nichts als die bloße Möglichkeit des Daseyns noch besserer Organisten und Clavieristen entgegen setzen kann; wird man uns nicht verdenken können, wenn wir kühn genug sind, immer noch zu behaupten, daß unser Bach der stärkste Orgel- und Clavierspieler gewesen sey, den man jemals gehabt hat."
https://archive.org/stream/bub_gb_lfQ4AAAAIAAJ#page/n1049/mode/2up

Wo Bach "Lento" notiert hat, wird er "Lento" dirigiert bzw. "Lento" gespielt haben.
Und wo er "Vivace" notiert hat, wird er "Vivace" dirigiert bzw "Vivace" gespielt haben.
 
@Pedall @mick
Aha, ......Danke für eure schnellen Antworten,
ich werde mir das abends noch genauer durchgehen.
 
dass "Allegro" mit "Presto" verwechselt wird
Jaa und damit hast Du genau die Frage beantwortet, die ich gestern vergessen habe: WTK I c-Moll Präludium Schlusskadenz Presto - Adagio - Allegro. ?
Presto Zunge muss mindestens 10 cm heraushängen. Allegro Zunge hereinnehmen und so schnell spielen, dass man dabei gerade noch fröhlich bleiben kann.:lol:
 
Als Amateur mag ich bei Bach (und generell der Musik des Barock) besonders, dass der Interpret nicht mit Tempo- und Vortragsbezeichnungen 'genervt' wird. Das fängt ja erst in der Klassik so richtig an und nimmt in der Romantik zuweilen groteskte Züge an, bei letzteren Vertretern ja auch gerne mal mit Vortragsbezeichungen, die alles und nichts aussagen (Schumann: "Etwas hahnbüchen", "Wie aus der Ferne")

Da kann ich wärmstens Erik Satie empfehlen, der schreibt nur das Nötigste: "Öffnen Sie den Kopf!" / "Wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen"...
 
Wenn die Antworten Deine Frage beantworten
Das tun sie durchaus. Und letzten Endes kommen wir der Sache auch näher.
Letzten Sonntag habe ich drei historische Ausgaben eines Bach-Präludiums gesehen. Erst die jüngste, eine Ausgabe von Carl Czerny bei Peters war mit Tempo-Bezeichnungen und sogar mit Metrum versehen, die vorhergehenden enthielten nichts von alledem. Damit ist alles klar. Bei allem Respekt vor Herrn Czerny: Da wurde eine Interpretation möglicherweise zum Diktum erhoben. Also Vorsicht, da gibt es noch andere Kriterien zumindest in Erwägung zu ziehen, siehe @Stilblüte
Das Tempo ergibt sich aus verschiedenen Parametern
...
Die Frage würde ich also besser kurz und bündig so stellen: „welches Tempo soll ich wählen?“ und (Peng) Aus.
 


Dann sehen wir uns mal die wichtigsten Parameter an:

- Tempoangabe (falls vorhanden)
- Taktangabe (quasi immer vorhanden)
- Art der Melodie- und Rhythmusführung

Eine Tempoangabe fehlt, die Taktangabe liefert für sich noch keine Hinweise zu "langsam" oder "schnell".

Eine Melodieführung im eigentlichen Sinn gibt es nicht, und rhythmisch passiert nahezu nichts. Das ganze Stück besteht eigentlich nur in einer Harmoniefolge, bei der jeder Akkord genau einen Takt lang dauert und in (fast) immer gleicher Weise arpeggiert wird. Es ist also nötig, ganztaktig zu denken und zu hören. Ein langsames Tempo mit schwer(fällig)en Vierteln ist somit ausgeschlossen.

Czernys Angabe "Allegro" ist nicht "authentisch", aber gut begründbar. Die Metronomzahl ist natürlich nur eine Möglichkeit, meiner Meinung nach sollte es gar nicht so schnell sein. Interessanterweise schlägt Czerny vor, die schnellen Zeitmaße bei der Wiedergabe auf der Orgel "bedeutend langsamer" zu nehmen.
 
Das Praeludium ist ja nur eine Begleitung - insofern darf das Tempo nicht langsamer sein, als man das "Ave Maria" singen kann. :teufel::lol:
 

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