Tempoangaben + Dynamik - wie genau müssen sie befolgt werden? Fragen der Interpretationsfreiheit

In meiner Notenausgabe wurde "poco rit." von meiner damaligen KLin in Bleistift über die entsprechenden Takte geschrieben. Ich übte das demnach in meiner Jugend immer so; vielleicht kommt auch daher meine "falsche Intuition" - Gewohnheit?! :denken:
:-D:-D ein schöner Aprilfaden :-D:-D

kennst du "die Ritter der Kokosnuss"? Da gibt es eine herrliche Szene zum Thema Intuition :lol::lol:
 
Nee, das war keine Absicht. Ich habe erst vorhin, als Manfred gefragt hat, mal in die alten Noten reingeschaut, wo das notiert ist. Geübt habe ich seit Jahren mit einer neuen Ausgabe ohne zugefügte Notationen durch Lehrer und ich habe mich nicht mehr an die Notation von der damaligen KLin erinnert - jedenfalls bewusst!

Aber diese "Entdeckung" erklärt vieles. ;)
Nachtrag: Und freut mich insgeheim, da dann nicht "nur" meine eigene Wenigkeit für diese unmusikalische Interpretation verantwortlich ist.. :/ Habe das als Jugendliche wenig hinterfragt, weil sie ja Profi war/ist.
 
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@rolf : Ist es lohnenswert, sich der Sage mal zu widmen? ;)

Die Kernfrage nach den Ausmaßen der Freiheit bleibt ja nach dieser Erklärung für meine scheinbare "Intuition" bestehen....bzw stellt sich umso drängender: Wenn meine damalige KLin, die auch erfolgreich mehrere Schüler zu Jumu geschickt hat, an dieser Stelle ein ritardando von mir wollte und das demnach für angebracht hielt; es andererseits aber so viel Missfallen auslöst; nach was soll man sich dann als Klavierschüler hinsichtlich richten? Hatte ich einfach eine schlechte KLin? In diesem Falle habe ich mich entschieden, das ritardando zu streichen, da ich es ja tatsächlich nicht begründen konnte und da zudem Chopins Notation es nicht nahe legt.
 
Weißt du noch, was deine Lehrerin speziell zu dieser Stelle zu dir gesagt hat? kann ja sein, dass dir da früher die Pferde durchgingen und du beschleunigt hast - dann wäre es richtig, eine unangebrachte Beschleunigung zu bremsen.

Wenn du dein Ritardando nachvollziehbar begründen kannst (woran ich ernstlich Zweifel hege), dann mach`s. (die Noten legen, woher man sie auch betrachtet, keine Tempoänderung nahe (das ist ja hoffentlich geklärt))

(übrigens gibt es noch genügend Möglichkeiten für allerlei reizvolle Individualitäten in diesem Stück, und wo das angebracht ist, ist es dann auch erfreulich)
 
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Weißt du noch, was deine Lehrerin speziell zu dieser Stelle zu dir gesagt hat? kann ja sein, dass dir da früher die Pferde durchgingen und du beschleunigt hast - dann wäre es richtig, eine unangebrachte Beschleunigung zu bremsen.

Wenn du dein Ritardando nachvollziehbar begründen kannst (woran ich ernstlich Zweifel hege), dann mach`s. (die Noten legen, woher man sie auch betrachtet, keine Tempoänderung nahe (das ist ja hoffentlich geklärt))

(übrigens gibt es noch genügend Möglichkeiten für allerlei reizvolle Individualitäten in diesem Stück, und wo das angebracht ist, ist es dann auch erfreulich)

Ok, danke. Nein, sie meinte das wirklich aus interpretatorischen Gründen, das weiß ich noch. Sie war Russin und sehr extravagant; ich glaube heute, sie wollte eventuell "dramatisieren"? Aber das ist nur Spekulation.
Nein, ich kann es nicht logisch begründen, und das habe ich auch nirgends vorgegeben. Es war einfach aufgrund der jahrelangen Übung auf diese empfohlene Weise "drin". Weil es mir komisch vorkam, habe ich hier diese Frage gestellt.

Dass die Noten keine Tempoänderung nahelegen, war noch nie "nicht geklärt". ;) In der Sache habe ich Dir nirgendwo widersprochen, nur eine Erklärung verlangt, warum Du ein rit. für nicht angebracht hältst. Die ich ja auch bekommen habe und die mich weiterbringt. Im Allgemeinen ging es mir ja mehr um die abstrakte Fragestellung, die man auf andere Stücke ausweiten könnte, und für die habe ich nun mitgenommen: Erlaubt ist viel, sofern man das Stück auch verstandesmäßig und formal durchdrungen hat und Individualitäten demnach auch gut begründen kann.

Wie ich das Stück ansonsten individuell (und angebracht) ausgestalten könnte, kann nich mir ja nun in den nächsten Tagen überlegen, aufbauend auf Deiner Analyse.
 
Im Allgemeinen ging es mir ja mehr um die abstrakte Fragestellung, die man auf andere Stücke ausweiten könnte,
wo kein Widerspruch zum Notentext entsteht, da hat man Freiheiten - freilich nicht dergestalt, dass man auf einmal wilde Sforzati, heftige Rubati und ewige Fermaten (usw.) ... ;-) - es muss halt mit der klanglichen Bewegung und Dramatik korrespondieren.
 
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Hallo Chopinne,
stelle doch einfach deine Einspielung von diesem Nocturne im Forum ein.

Anhand eines konkreten Klangbeispiels lässt sich mit Blick in den Notentext zielführender diskutieren, was "geht" und was nicht.

Deine Frage nach den Grenzen der Gestaltungsfreiheit ist ohne Hörbeispiel etwas arg akademisch. Zumal du vielleicht nicht das Rüstzeug mitbringst, jenseits der "Intuition" zu argumentieren. Das meine ich übrigens nicht abwertend, sondern ganz pragmatisch. Mit Anschauungsmaterial bekommst du hier mehr Antworten auf deine Eingangsfrage.

Viele Grüße,
Sesam
 
Hier taucht nun öfters der Begriff der Intuition auf. Das klingt nun allerdings sehr nach mystischem Raunen. Wenn man sich auf seine Intuition zurückzieht, macht man sich in gewissem Sinne unangreifbar, weil man damit auf seine " Freiheitsrechte" pocht, da doch die anderen keinerlei Zugang zu eben dieser Individualität haben und damit auch nicht das Recht, die Rechtmäßigkeit dieser infrage zu stellen.
Dabei kommt es beim Musikmachen - wie im Leben- darauf an, leidenschaftlich zu denken ( also zu analysieren, das Besondere der Komposition zu erkennen, die Gestaltung zu organisieren etc. ) und - ebenso wichtig- genau zu fühlen. Alles andere ist Schlamperei.
Intuition a priori existiert nicht. Man muss sie sich erarbeiten.




 
Leute - ist doch alles schon gegessen. Die Sache ist glasklar.

1. Mein ritardando fußte auf jahrelanger Konditionierung während der Jugend, was ich misinterpretierte. Dadurch ist es an dieser Stelle nicht angemessen.
2. Grundsätzlich ist Intuition kein ausreichendes Kriterium, interpretatorisch einzuwirken. Basis sind der Notentext + die formale Analyse und das geistige Durchdringen/Verstehen des Stückes.

Selbstverständlich könnt ihr euch weiterhin über das Thema im Allgemeinen unterhalten (wie es walsroderpianist ja schon tut); meinen Fall betrachte ich als abgeschlossen. Trotzdem natürlich vielen Dank für die Mühe,Sesam! :)

Gute Nacht
 
Kleine Anmerkung, was für alle Künste gilt:

Ein Werk wird von seinem Schöpfer geschaffen, in dem Moment, wo es vom Schöpfer losgelöst von anderen rezipiert wird, entstehen geschuldet der Subjektivität des Rezipienten andere Wirkungen, als eventuell vom Schöpfer beabsichtigt.

Schlicht gesagt, die alte Frage von verkrusteten Deutschlehrern: was will der Autor uns sagen, oder wie hat der Autor das gemeint, sind sinnlos. Die Frage ist, was löst dieses Werk in uns aus, und wie drücken wir die diese Eindrücke wieder explizit aus. Genau dieses ist zeitgenössischen Künstlern bewusst und sie wissen, dass sie damit umgehen müssen, dass bei Veröffentlichung sie keinen Einfluss mehr auf die Rezeption und anschließende Interpretation haben.

Jede Kulturwissenschaft versucht das, was einen ergreift, zu begreifen mittels Analyse, die sehr wohl das Handwerkszeug des Schöpfers bloßlegen sollte, aber nicht heißt, dass die Wirkungen so eindeutig erzielt werden, wie sie vielleicht gemeint waren. Romantische Pathetik führt heute bei manchen zu Lachanfällen, moderne Knalleffekte hätte man früher vielleicht als billige Erheiterung unwürdig eines Werkes abgetan usw. Dramatik in der Musik ist heute gefragt, vor 1000 Jahren wäre sie Gotteslästerung gewesen - vielleicht.

Im Übrigen feiht Kenntnis der Machart vor Manipulierung: alle rhetorischen Einpeitschreden alá "wollt ihr den totalen Krieg" sollten bei Kenntnis des Handwerkzeugs und beabsichtigter Wirkung im Gegensatz zum Inhalt heute jeder erkennen und nicht begeistert in Ekstase verfallen. Dramatische westliche Orchestermusik ist in arabischen Medien etwa etwa längst schon wieder Mittel zur Dramatisierung und Manipulation der Gefühle des einfachen Volkes geworden, Sendungen/Trailer zu Syrien etwa von aljazeera betreiben dieses teuflische Spiel....

Sprich, man darf alles, ob es einem musikwissenschaftlich gebildeten gefällt, kann egal sein, es sei denn, man will an seiner Akademie aufgenommen werden. Das normale Publikum erfreut sich gern immer wieder an frischen neuen Interpretationen oder verdammt sie - was dann immerhin zur Diskussion über Musik führt, welches allein schon Bereicherung ist. Und es gäbe sonst ja auch keinen Grund zu einer Aufführung zu gehen, wenn nur die wissenschaftlich abgesicherten Interpretationen mit minimalen kleinen Freiheiten erlaubt wären.
 

Sprich, man darf alles, ob es einem musikwissenschaftlich gebildeten gefällt, kann egal sein, es sei denn, man will an seiner Akademie aufgenommen werden. Das normale Publikum erfreut sich gern immer wieder an frischen neuen Interpretationen oder verdammt sie - was dann immerhin zur Diskussion über Musik führt, welches allein schon Bereicherung ist. Und es gäbe sonst ja auch keinen Grund zu einer Aufführung zu gehen, wenn nur die wissenschaftlich abgesicherten Interpretationen mit minimalen kleinen Freiheiten erlaubt wären.
...mit dieser Begründung müsste ein klein-Fritzchen, dass in mühsamem Training (z.B. viele Hülsenfrüchte) gelernt hat, die Melodie von La Campanella zu pupsen, umgehend Karriere am Flügel machen (der Flügel wäre dann eher Bühnendeko) und das verblüffte Publikum müsste diese erfrischende Interpretation bejubeln...
:-D:-D:drink:
 
Oh.... @rolf : Ich habe gerade im Faden "Kann sich gute Musik in feiner Sprache widerspiegeln" eine tolle Passage über Intuition gefunden, wie sie hier auch reingehört! Ich erlaube, Dich bzw den Spiegel zu zitieren:

Zitat von Spiegelartikel:
Das Problem mit dem Unbewussten nämlich ist: Je nach persönlichen Erfahrungen können die Faustregeln der Intuition auch zu handfesten Vorurteilen werden. So könnte die Intuition einen Richter dazu verleiten, jemanden einer Tat zu verdächtigen, weil dessen Verhalten oder Aussehen ihn an frühere Angeklagte erinnert. Deshalb arbeiten viele Profis dem Übereifer ihres unbewussten Wissens dosiert entgegen: Ein Richter mahnt sich selbst zur Sachlichkeit. Und mancher Maler dreht ein Gemälde auf den Kopf, wenn er Einzelheiten eines Gesichts zeichnen will. So verhindert er, dass sein Gehirn in den wenigen Pinselstrichen sofort ein Ganzes erkennt, statt sich auf den korrekten Schwung der rechten Augenlinie zu konzentrieren.

Wann also sollte der Mensch seiner Intuition vertrauen? Für Alltagsentscheidungen außerhalb von Gerichtssälen, bei denen der Mensch Details vernachlässigen darf, gibt es auf diese Frage eine kurze und klare Antwort: "Immer dann, wenn man auf Wissen aus erster Hand zurückgreifen kann, liegt man mit der Intuition meistens richtig", sagt Betsch. Dann sei die Chance am niedrigsten, dass sich Vorurteile in Form manipulierten Wissens in eine Entscheidung einschleichen.

welche Nutzanwendung kann man nun erschließen? Dass es darauf ankommt, wessen Intuition tätig ist... Das erstaunt mich nun gar nicht, denn ein Esel wird eine eselige, ein Hamster eine hamsterige und ein Kieselstein eine kiesesteinige Intuition haben :D
Wer also in Sachen Musik auf seine Intuition vertrauen will, der muss laut Spiegelartikel ein sehr großes und möglichst nicht durch Irrtümer kontaminiertes Wissen (Erfahrung etc.) angesammelt haben, welches so groß ist, dass es nicht permanent vom aktiv mitdenkenden Bewusstsein verwaltet wird, sondern dass letzteres überhaupt auf ersteres automatisch zurückgreifen kann - - wer hätte das gedacht?

Und das heisst nun, dass der musikalischen Intuition (Bauchgefühl - oh das gefällt mir und rührt mich zu Tränen) nicht per se und allüberall vertraut werden darf: ein unbedarfter Klavierschüler, dem intuitiv die Comptine gefällt ist kein Barenboim, dem z.B. eine Appassionata gefällt :rolleyes: Und damit ist die Nutzanwendung eine sehr prekäre: sagt doch das Geschmacksurteil wie auch die intuitive Entscheidung etwas über die Qualität des im Unbewussten angehäuften Wissens aus... ... kein Wunder, denn intuitiv gefundene Schubertmelodien sind was anderes als die intuitiven Improvisationen von Anfängern - und auch das dürfte keine bahnbrechende Neuigkeit sein...

Finde ich ein schönes vorläufiges Abschlusswort! Falls Du etwas dagegen hast, nehme ich es selbstverständlich wieder heraus.

VG
Chopinne
 
Ok, ich habe nochmal geschaut - ich habe nicht falsch gezählt, und meine "falschen Taktangaben" sind einfach die, die ich hier stehen habe. Vielleicht auch daher viele Missverständnisse.

Im Anhang ein Bild zu meiner zerfledderten Ausgabe :D
Kann jemand eine gute empfehlen? Henle vermutlich immer gut dabei?
Wäre sehr nett! Danke und VG
Chopinne

PS: Nicht wundern...ich "verunstalte" die Texte heute nicht mehr so sehr mit Fingersätzen und co :D Das war wie gesagt in meiner Jugend, da war ich vll 14/15, weiß nicht mehr genau...und die KLin hat das mit mir gemacht. Man sieht auch noch ganz blass, wie sie "poco rit." über die eine diskutierte Stelle geschrieben hat.
 

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:lol::kuscheln:

Nimm's mir nicht übel, aber von jemandem, der sich immer noch in der Jugend befindet, ist das einfach lustig. Diese Reaktion wirst Du irgendwann mal verstehen. :-D

Kann ja sein....:-D ich habe auch immer mit 18 gedacht, ach, wie bin ich schon erwachsen...!!!
Und heute, fast 6 Jahre später, finde ich das extrem lächerlich. Und mit 30 werde ich mein heutiges Ich ziemlich unreif finden.
Wahrscheinlich zieht sich das wie ein roter Faden durchs Leben....allerdings: Jugendlich mit bald 24? Naja. Vielleicht noch sehr jung. Aber streiten wir nicht über die Terminologie. ;-)
 
Die unterschiedlichen Taktzählungen rühren evtl. daher, daß einige Herausgeber den Eingangstakt mit Wiederholungszeichen versehen, andere Ausgaben jedoch den Takt zweimal notieren.
 
Zur Fadenfrage:
Tempoangaben + Dynamik - wie genau müssen sie befolgt werden?

Die Antwort darauf lautet ganz lapidar: überhaupt nicht.

Wir haben in Deutschland die Kunstfreiheit nach dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3), ich zitiere:
Zitat von Wikipedia:
Die Kunstfreiheit enthält das Verbot, auf Methoden, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeiten einzuwirken, insbesondere den künstlerischen Gestaltungsraum einzuengen oder allgemein verbindliche Regelungen für diesen Schaffungsprozess vorzuschreiben.
 
Allerdings möchte ich auf Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz hinweisen: "Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht."

Ein Klavierlehrer, der zu keiner dieser drei Gewalten gehört, dürfte demnach durch Art. 5 Abs. 3 GG nicht gehindert sein, die Kunstfreiheit seiner Eleven einzuschränken.:teufel::-D
 

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