Tempo/Geschwindigkeit frisst Musik

ich hab das gefühl, du lässt schnelle musik die schlecht gespielt ist, nicht gelten.

Das stimmt wohl, insbesondere solche von mir gespielte :cool:

das sollte man vielleicht aber. [...] wo gehobelt wird, da fallen auch späne. das ist normal.

So hab` ich das noch nie gesehen! Aber es hat was! :p



übrigens, mir gefallen deine klangbeispiele (der inventionen) sehr gut.
das zeugt von sehr guter tempokontrolle und rhythmusgefühl

da hattest du noch nicht so lange gespielt oder?

nicht, dass du denkst, mir missfällt grundsätzlich deine "ästhetik". dafür kenn ich dich ja nicht wirklich.

Danke! So ein, zwei Jahre, kommt auf die Aufnahme an. Wobei ich sagen muss, dass diese Einspielungen natürlich meinem bescheidenen Können geschuldet sind. Ich hätte zwar schneller spielen können (ein bißchen), aber das wäre nicht sehr musikalisch geworden. Eben. Heute würde ich die deutlich schneller hinbekommen, da müsste ich mir für das neue Tempo eine andere Gestaltung überlegen.

LG, Sesam
 
Wenn ich recht verstehe, meint Sesam: "Ich mag es nicht, wenn Interpretationsnuancen verloren gehen, um ein bestimmtes Tempo zu erreichen".

Das habe ich gerade noch entdeckt, bzw. ist es mir beim zweiten Lesen erst aufgefallen, Pianovirus bringt es auf den Punkt: um ein bestimmtes Tempo zu erreichen, sollen keine Interpretationsnuancen verloren gehen.
Im Profibereich passiert das vielleicht auch nicht allzu häufig, aber bei Hobbyspielern eben schon. Das ist dann ein Dilemma. Einerseits gibt es die Geschwindigkeitspolizei (im Kopf oder sonstwo), die eine langsamere Interpretation nicht zulässt, andererseits weiß man (oder bedauerlicherweise auch nicht), dass das musikalische Ergebnis bei forcierter Geschwindigkeit fragwürdig sein wird. Daran knüpfte ich meine Frage: wäre es nicht schöner, man würde die Geschwindigkeitspolizei öfter mal in Frage stellen, oder sie ganz vergessen, um klanglich ansprechendere Ergebnisse zu bekommen?

LG, Sesam
 
Das habe ich gerade noch entdeckt, bzw. ist es mir beim zweiten Lesen erst aufgefallen, Pianovirus bringt es auf den Punkt: um ein bestimmtes Tempo zu erreichen, sollen keine Interpretationsnuancen verloren gehen.
Im Profibereich passiert das vielleicht auch nicht allzu häufig, aber bei Hobbyspielern eben schon. Das ist dann ein Dilemma. Einerseits gibt es die Geschwindigkeitspolizei (im Kopf oder sonstwo), die eine langsamere Interpretation nicht zulässt, andererseits weiß man (oder bedauerlicherweise auch nicht), dass das musikalische Ergebnis bei forcierter Geschwindigkeit fragwürdig sein wird. Daran knüpfte ich meine Frage: wäre es nicht schöner, man würde die Geschwindigkeitspolizei öfter mal in Frage stellen, oder sie ganz vergessen, um klanglich ansprechendere Ergebnisse zu bekommen?

LG, Sesam

Wenn "man" sonst keine klanglich ansprechenden Ergebnisse schafft, dann sicher; im Übestadium . Ist das neu?
 
Daran knüpfte ich meine Frage: wäre es nicht schöner, man würde die Geschwindigkeitspolizei öfter mal in Frage stellen, oder sie ganz vergessen, um klanglich ansprechendere Ergebnisse zu bekommen?

Zum Üben ist es sicher besser, so vorzugehen.

Aber, wenn es ums Präsentieren eines Stückes geht, finde ich das nicht akzeptabel. Wenn man den Kopfsatz der Waldsteinsonate nicht im Tempo spielen kann, dann hilft es auch nichts, wenn man ab und zu ein schönes crescendo einbaut um das ganze "klanglich ansprechend" zu machen. Es gibt doch genug großartige Musik auf allen Schwierigkeitsstufen!!

Guck' Dir z.B. mal folgendes Video von Grünfelds Fledermausparaphrase an. Da gibt sich jemand offesnichtlich große Mühe, ein klanglich ansprechendes Ergebnis zu bekommen, aber es ist so quälend langsam, dass es (für meine Ohren) schon fast eine Travestie ist (anderthalb Minuten langsamer als Grünfelds eigene, selbst schön gemütliche Interpretation, und zwei Minuten langsamer als Kissins sehr virtuose Darbietung):
http://www.youtube.com/watch?v=s4x7SrsFA30

P.S. Um Missverständnissen vorzubeugen: Sesam, ich finde es gut, dass Du so auf den Klang und die Interpretation achtest, und das kommt Deinem Klavierspiel sicher auch zugute!
 
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Das habe ich gerade noch entdeckt, bzw. ist es mir beim zweiten Lesen erst aufgefallen, Pianovirus bringt es auf den Punkt: um ein bestimmtes Tempo zu erreichen, sollen keine Interpretationsnuancen verloren gehen.

???? was ist denn das für eine Methode????

Pianovirus: hast Du sowas - beachte das "um zu" - wirklich geschrieben???
 
Hallo Rolf,
das ist keine Methode, sondern das was leider gar nicht sooo selten passiert: das Tempo wird forciert, dabei gibt es Einbußen der Interpretationsqualität.
Pianovirus hatte widergegeben, wie er mich verstanden hat, nämlich:

Zitat von Pianovirus:
Wenn ich recht verstehe, meint Sesam: "Ich mag es nicht, wenn Interpretationsnuancen verloren gehen, um ein bestimmtes Tempo zu erreichen".

Und damit hat er ohne Umschweife zum Ausdruck gebracht, was mir bislang wohl nicht so gelungen ist.

LG, Sesam
 
???? was ist denn das für eine Methode????

Pianovirus: hast Du sowas - beachte das "um zu" - wirklich geschrieben???

Ich habe zwar das "um zu" geschrieben, aber bei Sesam steht's an anderer Stelle, was eine zweite Lesart zulässt. Ich hatte das ganz überlesen, und ich bin mir ziemlich sicher (zweites-Mal-Halsverwetten :) ), dass Sesam meinte:
"Es sollen (dürfen) keine Interpretationsnuancen verloren gehen (geopfert werden), (nur) um ein bestimmtes Tempo zu erreichen."
Also:
"Schnell spielen ohne musikalischen Ausdruck ist blöd!" Das meinte zumindest ich, und meine wir alle, oder?... :)

Zitat von pianovirus:
Wenn ich recht verstehe, meint Sesam: "Ich mag es nicht, wenn Interpretationsnuancen verloren gehen, um ein bestimmtes Tempo zu erreichen".

Zitat von Sesam:
Pianovirus bringt es auf den Punkt: um ein bestimmtes Tempo zu erreichen, sollen keine Interpretationsnuancen verloren gehen.
 
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Das ist dann ein Dilemma. Einerseits gibt es die Geschwindigkeitspolizei (im Kopf oder sonstwo), die eine langsamere Interpretation nicht zulässt, andererseits weiß man (oder bedauerlicherweise auch nicht), dass das musikalische Ergebnis bei forcierter Geschwindigkeit fragwürdig sein wird. Daran knüpfte ich meine Frage: wäre es nicht schöner, man würde die Geschwindigkeitspolizei öfter mal in Frage stellen, oder sie ganz vergessen, um klanglich ansprechendere Ergebnisse zu bekommen?

hierzu war in https://www.clavio.de/forum/168571-post114.html was zu lesen - freilich muss man das nicht berücksichtigen.

------ gottlob hat sich das "um zu" Problem gelöst - da war ich nämlich erstmal sehr sehr verblüfft... :D :D :D -------

die Geschwindigkeitspolizei könnte doch auch dafür sorgen, dass man zu schwierige Sachen entweder länger übt lieber erstmal noch nicht so schwierige spielt. denkt man nun mal wieder daran, dass falsche Tempi (zu schnell oder zu langsam) die Musik verzerren, dann ist es kritisch um klanglich ansprechende Ergebnisse in reduziertem Tempo bestellt... nichts dagegen einzuwenden, das während diverser Übungsstadien zu tun (schön klingen im weitesten Sinne sollte es immer), aber ich rate davon ab, das dann als ein "so kann man es auch spielen, es ist auch richtig" zu propagieren.
 
Ich versuch mich mal als Quereinsteiger hier..

Wie erreicht man eine im Tempo angemessen schnelle Interpretation, die dem Stück musikalisch gerecht wird?:smile::smile:

Ganz genauso, wie bei jedem anderen Teil einer Interpretation: Einerseits durch theoretisches und musikgeschichtliches Wissen und andererseits durch die eigene Empfindung.

Das erste ist meiner Meinung nach wichtig, da man schließlich ein Stück interpretiert. Man spielt (in unserem Fall) eine Sonate von Beethoven und nicht eine Eigenbearbeitung davon, deswegen meine ich, dass man um Hintergrundwissen nicht herumkommt, wenn man textgetreu musizieren möchte. Ist ja auch logisch, Allegro bedeutet grob übersetzt "heiter, fröhlich", das sind ziemlich vage Begriffe. Angenommen man fragt Menschen, die mit klassischer Musik noch nie was am Hut gehabt haben, wie schnell denn nun "heiter, fröhlich" sei, man würde bei 10 Menschen 10 verschiedene Antworten erhalten. Zumal Allegro ursprünglich eher Charakter als Tempo war, nicht jedes Allegro ist ja fröhlich. :wink: Natürlich sollte man nicht in die Schiene gelangen (das kommt nicht selten vor): "Aufm Metronom steht Allegro = 120-168", das kann man so nicht direkt sagen, aber trotzdem gibt es gewisse, grobe Normane bezüglich des Tempos (und überall), die man wissen sollte. Man kann ein Andante aus dem Barock nicht einem Andante aus der Spätromantik gleichsetzen, in Extremfällen gibt es Unterschiede im Faktor 2.

Und das zweite erklärt sich für mich von selbst. Jeder Mensch interpretiert ein Stück anders, ein Tempo anders, eine gewisse Stimmung anders. Allegro con brio ist, wie oben gesagt, gewissen vagen Normen untergeordnet, es ist im Kern allerdings ein subjektives Gefühl, welches jeder anders empfindet.
Deswegen muss man sich auch nicht darüber streiten, ob Gulda nun zu schnell spielt. Man kann darüber diskutieren, Argumente austauschen, aber sofern jemand nicht extrem weit aus dem üblichen Tempobereich heraussticht, wird man ihn schwer überzeugen können.

Ist doch das selbe wie beim Essen. Man kann auch argumentativ vorgehen und sagen, Kaviar, Austern und Schnecken würde ja viel besser schmecken als Pommes, sie seien viel feiner und vielschichtiger in den Nuancen und vor allem ja teurer, das müsse ja 'n Grund haben. Wenn jemand aber lieber Pommes und Burger isst, dann ist's so. Und demjenigen dann vorzuwerfen, er sei ein Geschmackslaie zeugt für mich eher von Engstirnigkeit als Wahrheit.

Ich find Guldas Interpretation übrigens auch zu schnell, es wirkt auf mich gehetzt und unruhig. Das Allegro con brio entsteht für mich schon von den Läufen an sich, von dem treibendem Rhythmus, fernab vom Tempo. Natürlich gibt es für mich auch Untergrenzen, Arrau geht es meiner Meinung nach ein wenig zu langsam an, das zieht sich hin.

Das habe ich gerade noch entdeckt, bzw. ist es mir beim zweiten Lesen erst aufgefallen, Pianovirus bringt es auf den Punkt: um ein bestimmtes Tempo zu erreichen, sollen keine Interpretationsnuancen verloren gehen.

Warum denn immer Tempo contra Interpretation? Violapiano hat es mit dem oben zitierten Beitrag meiner Meinung nach richtig formuliert: Das Tempo ist doch ein zentraler Bestandteil der Interpretation. Womöglich sogar der zentralste, denn er fällt sofort auf, man brauch (bei konstantem Tempo) eigentlich nur einen Takt um es bestimmen zu können.

Wenn ein Tempo meiner Vorstellung nicht gerecht wird, dann stört es mich wahrscheinlich, aber es ist genauso bei anderen Elementen der Gestaltung. Deswegen hat das Tempo in der Hinsicht doch eigentlich keine Sonderstellung gegenüber anderen Parametern.

Trotzdem hat der Thread für mich eine Daseinsberechtigung. Denn wie gesagt ist das Tempo einer der offensichtlichsten Teile einer Interpretation. Das führt dazu, dass man dadurch natürlich auch am meisten Eindruck machen kann. Deswegen geb ich dir, Sesam, recht, dass es oft auch eingesetzt wird, um seine Technik zu zeigen und das ganze durchaus auch einen gewissen Wettbewerbscharakter haben kann.

Aber ich sehe das nicht so negativ wie du. Denn Virtuosität, was dadurch ja oft ausgedrückt wird, ist für mich auch oft integraler Bestandteil einer Interpretation, es verfremdet die Musik nicht, sondern poliert sie oft. Das kommt natürlich auf das Stück an, wo wir wieder bei subjektiver Meinung sind. Die Waldstein von Gulda ist mir zu schnell, Stravinskys Danse Sacrale aus dem Sacre kann mir im Bereich des Machbaren eigentlich nicht schnell genug sein, das meine ich wirklich so. Dort ist es allerdings nicht Virtuosität, sondern eher der Charakter des Stücks, weswegen ich das so empfinde.

Um auf deine Ausgangsaussage zurückzukommen: Natürlich soll ein schnell gewähltes Tempo nicht dazu führen, dass andere Nuancen der Interpretation verloren gehen, die man erhalten haben will. Das sage ich, weil es ja durchaus sein kann, dass es gewollt ist, auf bestimmte Nuancen aufgrund eines Tempos zu verzichten.

Da das Tempo allerdings auch ein großer Teil der Interpretation ausmacht, kann ich das doch genauso gut umkehren: Warum soll man auf das Tempo als integralem Bestandteil der Interpretation verzichten, um anderen Teilen den Vorrang zu geben? Dadurch kann auch ein großer Teil verloren gehen. Natürlich ist es am besten, wenn man beides unter einem Hut bringen kann, was auch das Ziel sein sollte. Wenn das jedoch aufgrund mangelnder Fähigkeit (momentan) noch nicht geht, dann sollte man nicht grundsätzlich gegen das Tempo entscheiden, das sollte jeder für sich und für jedes Stück neu entscheiden. Fernab davon, ob man überhaupt ein Stück vorspielen sollte, wenn es noch nicht ausgereift ist.

Und bei den Profis gibt es natürlich auch Unterschiede. Da wir am Anfang kurz die Hammerklaviersonate als Beispiel hatten, mal zwei Beispiele:

http://www.youtube.com/watch?v=UX1LCY6mhTE
http://www.youtube.com/watch?v=XHHNO69w-zU

Beide Pianisten bewegen sich im relativ hohen Tempobereich...
durchschnittlich über 140, nach solchen Aufnahmen wurde ja gefragt. Arrau jedoch, der für mich (nicht nur hier) absolute Referenz ist, gestaltet die Sonate ungleich besser, deutlich ausdifferenzierter und klanglich deutlich schöner. Jetzt mag man darüber streiten, ob Lisitsa es im langsameren Tempo besser geschafft hätte. Ich glaub es nicht, denn rein technisch ist sie unglaublich gut.

Bei 7:13 im zweiten Video reißt, glaub ich, eine Saite, das hab ich auch noch nie irgendwo gesehen. :wink:

Alles Liebe
 
Ich versuch mich mal als Quereinsteiger hier..

und das ist Dir rundum sehr wohltuend gelungen!

zu den Tempo"traditionen", also dem tradierten Übereinkommen, dass allegro zumindest nichts langsames ist usw., so waren auch diese immer wieder ein Ärgernis - bzgl. Beethoven sind die Arbeiten von Artur Kolisch interessant (gibt es in einem der Bände der Reihe Musik Konzepte)
Zitat von silversliv3r:
Warum denn immer Tempo contra Interpretation? Violapiano hat es mit dem oben zitierten Beitrag meiner Meinung nach richtig formuliert: Das Tempo ist doch ein zentraler Bestandteil der Interpretation. Womöglich sogar der zentralste, denn er fällt sofort auf, man brauch (bei konstantem Tempo) eigentlich nur einen Takt um es bestimmen zu können.
das ist richtig prima formuliert!!

herzliche Grüße,
Rolf

der Unterschied zwischen A. und L.: A. verfügt über eine viel größere Erfahrung, aber das kann und wird sich bei L. sicher noch ändern.
 

Und bei den Profis gibt es natürlich auch Unterschiede. Da wir am Anfang kurz die Hammerklaviersonate als Beispiel hatten, mal zwei Beispiele:

http://www.youtube.com/watch?v=UX1LCY6mhTE
http://www.youtube.com/watch?v=XHHNO69w-zU

Beide Pianisten bewegen sich im relativ hohen Tempobereich...
durchschnittlich über 140, nach solchen Aufnahmen wurde ja gefragt. Arrau jedoch, der für mich (nicht nur hier) absolute Referenz ist, gestaltet die Sonate ungleich besser, deutlich ausdifferenzierter und klanglich deutlich schöner. Jetzt mag man darüber streiten, ob Lisitsa es im langsameren Tempo besser geschafft hätte. Ich glaub es nicht, denn rein technisch ist sie unglaublich gut.

Bei 7:13 im zweiten Video reißt, glaub ich, eine Saite, das hab ich auch noch nie irgendwo gesehen. :wink:

Alles Liebe


Manchmal können ausgeprägte Persönlichkeiten wie Arrau sehr zickig wirken, besonders dann wenn sie ihr Rubato ständig dorthin zu platzieren pflegen wo man sie am allerwenigsten hören will. :)
Ansonsten eine sehr gute Aufnahme.


Madame Lisitsa wird wahrscheinlich immer Madame Lisitsa bleiben. :D
 
Ich habe hier einen Interviewausschnitt mit Bella Davidovich:


I remember Basia Hesse-Bukowska. And
Halina [Czerny-Stefańska] played mazurkas
wonderfully. It all sounded very natural. The
same was true about the polonaises. Now people
play polonaises with big sound, sometimes
even ugly sound, and faster tempos. They forget
about the special Polish costume in which
you have to dance a polonaise. Today’s tempos
wouldn’t do for opening the emperor’s ball.
Nowadays we hear too much karaoke.


LG, Sesam
 
Halina Czerny-Stefanska hatte Ende der 60er Jahre sämtliche Kindheits- und Jugendpolonaisen eingespielt - die gis-Moll Polonaise des 12jährigen Chopin wird in virtuosem Tempo mit glitzernden 32stel Passagen gebracht, die Ges-Dur Polonaise mit großem Klang, hohem Tempo und fantastisch sauberen Akkordpassagen.
Insgesamt wird man viele forte und fortissimo Stellen in Chopins Polonaisen finden, ebenfalls taucht die Tempobezeichnung allegro durchaus auf - mindestens eines ist sicher: nicht alle Polonaisen sind langsam :) :)
 
Dieses Thema finde ich sehr interessant.
@Sesam
Auch wenn du dich hier furchtbar missverstanden fühlst, vermittelst du trotzdem den Eindruck, dass du sehr schnell und virtuos gespielter Musik eher skeptisch gegenüber stehst. Warum?
Du meinst also, dass viele Pianisten praktisch irrwitzig schnelle Tempi wählen, nur um möglichst virtuos glänzen zu können. Dabei bringst du aber nur sehr wenig wirkliche Beispiele. Ich kann hier beim besten Willen keinen Trend erkennen. Und Beethoven, der alte Tastenlöwe, hat sicher auch ordentlich Tempo gemacht. :D
Musik ist doch so wunderbar vielschichtig. Nicht zuletzt machen Kontraste oft den Reiz aus (z.B. ein langsamer Ruhepol zwischen zwei sehr schnellen Teilen). Manche Werke verlangen z.B. eine meditative Ekstase, andere eine rauschhafte, die eben auch durch Tempo bzw. Virtuosität erzeugt wird. Ist das nicht toll?
Was aber immer die Voraussetzung für schnelle Tempi ist: die technische Beherrschung des Stückes. Ich war schon immer der Meinung, dass ein Stück, dem man technisch nicht gewachsen ist und es deshalb im Tempo niemals hinbekommen wird, lieber nicht gespielt werden sollte. Das Tempo gehört dazu, genau wie sonstige Angaben im Notentext!
Hier mal eine kleine Anekdote am Rande:
Vor Jahren gab es einen Klaviermarathon mit einer Reihe toller Pianisten.
Unter anderem spielte auch ein älterer Herr (er war wahl schon um die 80 und ist mittlerweile verstorben). Den Namen nenne ich lieber nicht. :rolleyes: Er galt jedenfalls als Brahms-Spezialist.
Es war eines meiner schlimmsten Konzert-Erlebnisse überhaupt! Die Finger wollten einfach nicht die richtigen Töne zur richtigen Zeit im richtigen Tempo treffen. Am Ende spielte er die Variationen über ein ungarisches Thema. Das Stück ist ja nun nicht das allerschwerste was die Klavierliteratur hervorgebracht hat, sollte aber schon mit einer gehörigen Portion Elan und Virtuosität gepielt werden. Fehlanzeige! Es war schlicht viel zu langsam gespielt und zog sich wie Kaugummi.
Das Ende der Veranstaltung möchte ich auch nicht vorenthalten.
Man klatschte höflich und wollte dann rasch zum nächsten Konzert aufbrechen, der alte Herr ließ es sich aber nicht nehmen, sofort eine Zugabe zu spielen. Danach reichte das zweimalige in die Händeklatschen für ein weiteres Encore. Insgesamt gab es vier Zugaben.
Beim letzten mal ging ein kollektives Stöhnen durch die Reihen der Zuschauer. Es war praktisch tragisch-komisch. :D
Und als Kontrast dazu am gleichen Tag: Bernd Glemsers hinreißende und sehr schnell (!) gespielte Paganini-Variationen. :rolleyes:
 
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Hallo Nachtmusikerin,

bei mir rennst Du offene Türen ein - aber das wird nichts am hoffentlich nicht nur mir unverständlichen Misstrauen dem Tempo gegenüber in diesem Faden ändern.

Dass man besser nicht vorspielen sollte, was man (noch) nicht beherrscht, ist sicherlich richtig - dass man verzerrt, wenn man schnelles zu langsam spielt, dürfte auch kaum zu bezweifeln sein - - - aber dennoch heisst es gar zu gern: XY spielt aber viel zu schnell, das gefällt mir nicht, er will nur sportlich renommieren (das trifft hier sogar Guldas Waldsteinsonate...)

Kurzum: Deine Einwände prallen hier an religiösen Glaubensinhalten ab :D

Gruß, Rolf
 
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@rolf
Kurzum: Deine Einwände prallen hier an religiösen Glaubensinhalten ab
Die Befürchtung habe ich auch.
Da du hier noch einmal Gulda und Beethoven ansprichst, fällt mir gerade noch folgendes ein: vor vielen Jahren kaufte ich mir die Gesamteinspielung der Beethoven-Sonaten mit Arrau. Das ist auch heute noch eine von mir hoch geschätzte Aufnahme. Fünf Jahre später und um viele musikalische und pianistische Erfahrungen reicher kam noch die Gulda-Einspielung dazu. Was soll ich sagen: es war an vielen Stellen ein wahrer Augen- bzw. Ohrenöffner. Und das lag nicht zuletzt am Tempo!

@Moderato
Das läßt mich jetzt sehr nachdenklich werden.
Das tut mir jetzt leid. Ich kann aber nur berichten, was ich (und auch viele andere Konzertbesucher) damals erlebten. Ich wollte definitiv niemanden diffamieren. Ich kannte besagten Pianisten jedoch davor nicht und insofern könnte es natürlich möglich sein, dass es sich lediglich um eine schlechte Tagesform handelte. :confused:
Dem Umstand, mit 80 noch solche Werke zu spielen, sollte man natürlich sowieso Respekt zollen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Nachtmusikerin,

du schreibst:

@Sesam
Auch wenn du dich hier furchtbar missverstanden fühlst, vermittelst du trotzdem den Eindruck, dass du sehr schnell und virtuos gespielter Musik eher skeptisch gegenüber stehst. Warum?

ich schrieb:

Woran liegt es, dass viele Stücke m.E. viel zu schnell gespielt werden? Ich meine damit nicht die Art von Tempo, die in einem musikalischen Kontext steht, sondern die häufig gehörte vor allem motorische Geschwindigkeit, die dem Hörer nur schwer einen Eindruck von Melodie oder harmonischem Verlauf vermittelt oder in der Lage ist, Phrasierungen auszukosten, zu atmen. Besonders bei als virtuos bezeichneten Stücken ist die Gefahr bei Hobbyspielern des bloßen Rennens groß, so dass man bei wirklich schönen (aber nicht im gewohnten Tempo gespielten) Aufnahmen bspw. auf YT gerne liest "too slow!". Das darf doch nicht wahr sein, denk ich mir da (als bekennender Celibidache-Fan und seiner Begründung der "langsamen" Tempi).....
Steckt hinter dieser fast schon penetranten Virtuosität eine musikalische Idee oder ist das bei professionellen Spielern der Zwang des Standards, bei Hobbyspielern gar der Wunsch zu zeigen, was man drauf hat? Sehr provozierend gefragt!


Deine Rückfrage, warum ich hohe missglückte Tempi bei Pianisten (ergänzen wir mal: ausgebildete Pianisten) skeptisch gegenüberstehe trifft also nicht ganz den Kern der Sache. Wie ich mehrfach schrieb, bin ich vom Wald- und Wiesenhobbyspieler ausgegangen. Die Verknüpfung zum Konzertpianisten kam durch den sich ereifernden Rolf, dessen neuerliche Beiträge ich dank "ignore-Funktion" nicht mehr lesen muss. Und jetzt sag` bloß, du hättest noch nie ein Stück über deine Verhältnisse schnell gespielt, weil es eben deinem pianistischen Ethos schmeichelt? :D ;) Und sag noch weiter: du hast noch nie ein Stück zu schnell gespielt gehört, weil der Vortragende mehr der Motorik verbunden war, als der Musik? Eben, deine Erfahrung mit jenem älteren Herren, gibt es zuhauf auch mit umgekehrten Vorzeichen, sprich zu schnellem Spiel!

LG, Sesam
 
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Deine Rückfrage, warum ich hohe Tempi bei Pianisten (ergänzen wir mal: ausgebildete Pianisten) skeptisch gegenüberstehe trifft also nicht ganz den Kern der Sache. Von Pianisten war im meinem Eingangspost nie die Rede.

Was sind denn die "professionelle(n) Spieler", von denen Du im Eingangspost schreibst, wenn nicht Pianisten?

Und jetzt sag` bloß, du hättest noch nie ein Stück über deine Verhältnisse schnell gespielt, weil es eben deinem pianistischen Ethos schmeichelt? :D ;)

Kann man seinem Ethos schmeicheln? Ich habe immer gedacht, Ethos sei sowas wie die Gesamtheit der eigenen (moralischen, künstlerischen, weltanschaulichen, ...) Überzeugungen. Solche Grundüberzeugungen lassen sich ja nicht umschmeicheln, sondern sind vielmehr bestimmend für unser Handeln....z.B. verhindern sie, dass ich zu langsam spiele, wenn der Komponist es so nicht wollte :p
 

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