Die Notwendigkeit der Temperierung entsteht ja nur bei Instrumenten, die mit fixen Tonhöhen arbeiten (müssen). Hier musste ein Kompromiss gefunden werden, wofür es unterschiedliche Lösungsansätze gibt. Eine sehr radikale Variante ist die gleichstufige Temperierung, bei der alle Tonarten im Prinzip gleich klingen (die Idee der Tonartencharakteristik läuft da ins Leere), auf Kosten der Reinheit der Intervalle. Alle Intervalle sind nutzbar, aber keines ist wirklich rein. Milde Varianten der Wohltemperierung verbessern die Reinheit der Intervalle, was aber in bestimmten Tonarten auf Kosten der Sauberkeit der Klänge geht. Sehr alte Stimmungen (z.B. Mitteltönigkeit) verbessern die Reinheit in einigen Intervallen weiter, es gibt dann aber Tonarten, die nicht mehr erträglich klingen. Es gab auch technische Versuche, das Problem zu lösen, z.B. indem man die schwarzen Tasten in der Mitte unterteilt hat und somit zwei "Halbtöne" statt einem zur Verfügung hatte. Bewundern kann man sowas heute noch in Museen.
In jedem Fall geht es aber bei der gleichstufigen Temperatur immer darum, dass der Zirkelschluss im Quintenzirkel nur erreicht wird, wenn alle Intervalle temperiert sind. Das ist aber ein rein theoretisches Konstrukt, sobald man die Tonhöhe beim Spielen unmittelbar beeinflussen kann.
Sobald nun zwei Musiker zusammen musizieren, wird jedes Intervall so ausbalanciert, dass es gut klingt. Das "gut klingen" wird kaum jemals rein mathematischen Prinzipien folgen (so wie es die gleichstufige Temperatur tut), sondern immer dem gefühlten "Klanggehalt" des Intervalls im Kontext. Gute Musiker können also innerhalb eines Stückes alle Intervalle möglichst rein intonieren, oder auch Abweichungen vornehmen, wenn es dem Klang zuträglich ist. Ein anders temperiertes Intervall klingt ja nicht sofort falsch oder verstimmt, sondern bietet eine andere Klangfarbe eines vertrauten Intervalls. Wichtig ist, dass ohne Tasteninstrumente (bzw. generell Instrumente mit fixen Tonhöhen) überhaupt keine Notwendigkeit besteht, gleichstufig temperiert zu spielen, da dies für jedes gemeinsam gespielte Intervall, bzw. Klang neu ausbalanciert werden kann.
Im Orchester wird es wohl darauf hinaus laufen (bin kein Dirigent), dass der Dirigent an bestimmten Klangvorstellungen arbeiten wird. Die Idee der Klangreinheit wird aber durch zwei Umstände kompromittiert. Zum einen kann man auf einem Instrument, welches keine fixen Tonhöhen hat, nie hundert Prozent treffsicher intonieren, man kann sich dem höchstens annähern und zweitens können schon gar nicht mehrere Musiker in einer Instrumentengruppe denselben Ton auf exakt dieselbe Art und Weise intonieren. Zusätzlich ist bei vielen Instrumenten (je nach Spielweise) ein leichtes Vibrato im Ton, was die Reinheit kompromittiert. Im Prinzip macht dies ja auch z.T. die Klangästhetik eines Orchesters aus: man kann sofort hören, "das ist ein Orchester, nicht eine einzelne Geige".