So eine Legende, die sich hartnäckig hält, vermutlich um den miserablen Geschmack der Massen zu rationalisieren.
Zwar gibt es zweifellos Stücke, die tatsächlich anspruchsvoll zu hören sind, aber der oben verlinkte Schubert läßt sich total easy von jedermann konsumieren und genießen, wie sehr viele Stücke aus unterschiedlichsten Epochen der europäischen Konzertmusik. Da muß man nix analysieren oder wissen, und da ist auch nix klanglich Fremdartiges oder Störendes drin für Ohren eines Mitteleuropäers im 21. Jahrhundert.
Also dann können wir hier mal weitermachen. Bitte liebe Mods, ihr könnt das jetzt gerne in einen neuen Threat verschieben ...
Ich habe mich in den letzten Tagen intensiv mit der Materie "Psychologie der Musik" beschäftigt (will jemand ein Literaturverzeichnis?). Warum hören wir Musik, warum gefällt bzw. missfällt uns dieses und jenes Musikstück, warum haben wir einen Sinn für Musik etc.
da das Thema immer wieder in verschiedenen Threads aufkommt, hier meine Zusammenfassung (subjektiv verstanden).
Grundlagen des Musikverständnisses
rühren aus der Urzeit des Menschen. Als es überlebenswichtig war, Geräusche (Töne und Rhythmen) der Umgebung einzuordnen, wiederzuerkennen zu bewerten. Dabei spielten Tonhöhe und Rhythmen wohl die bedeutende Rolle. Über hunderttausende von Jahren konnte sich der Mensch die Fähigkeit aneignen aus komplexen Geräuschgemischen , Rhythmen zu memorieren und relevante Tonhöhen (also das Verhältnis der Tonhöhen zueinander) abzuspeichern, das Aufgenommene mit Abgespeichertem zu vergleichen und eine Bewertung vorzunehmen. Bei bestimmten Erkenntnissen belohnte sich das Gehirn (eine Voraussetzung für fortschreitenden Kenntnisgewinn) mit Ausschüttungen von Glückshormonen (Dopamin). Das ist noch heute der wesentliche Vorgang der zum Genuss guter Musik beiträgt.
Musikpsychologie spielt hier eine wichtige Rolle. Noch heute nehmen wir Menschen schon im prenatalen Stadium Geräusche auf, teilen diese in Kategorien auf (bedrohlich, warnend, entspannend etc.) und speichern diese Patterns (Muster) in unserem Gehirn ab. Wenn wir nun Musik hören, vergleicht unser Gehirn das Gehörte mit abgespeicherten Patterns und versucht, eine Bewertung vorzunehmen. Dabei gibt es wohl zwei Grundprinzipien, nämlich
1.) Wiedererkennung
2.) Überraschung
(Interessanterweise waren das auch die wichtigsten Kriterien der Urzeit. Wiedererkennung löste den Vergleich mit abgespeicherten Patterns aus, Überraschung wahrscheinlich eher einen Fluchtreflex oder Aggression.)
Die wohltuendste Wirkung entfalltet Musik beim Hörer, wenn sich diese beiden Grundprinzipien ergänzen und Spannung erzeugen. Wiedererkennung von Grundmustern setzt aber die Beschäftigung mit ähnlicher Musik voraus. Ein Ureinwohner Madagaskars (deren Musik weitaus mehr rhythmische Elemente und viel weniger melodische Elemente als "unsere" Musik enthält), wird sich mit der "Kleinen Nachtmusik" schwer tun, Wiedererkennung gleich Null, Überraschung hoch. Der gleiche Effekt tritt aber auch ein, wenn ein in der Klassik geschultes Ohr die Nachtmusik hört. Viel Wiedererkennung - wenig Überraschung .... kein Wunder, dass versierte Klassiklieberhaber das Hauptthema oft nicht mehr hören wollen.
Was heisst das jetzt für den Massengeschmack?
Ohne an eine bestimmte Art von Musik "herangeführt" zu werden, ist diese dem Menschen praktisch unverständlich, da sich keine entsprechenden Patterns im Gehirn befinden. Der Klassik-Liebhaber wird mit Death Metall nichts anfangen können, der australische Ureinwohner mit einem Tiroler Ländler Schwierigkeiten haben und Kulturkreise, die sich nicht auf unser - von den Griechen übernommenes Tonsystem halten (Dur, Moll) werden europäische Musik ohne Hinführung nur eingeschränkt geniessen können. Wir tun uns doch auch (ohne entsprechende Beschäftigung) schwer damit, die Gesänge der Berber von Tobruk oder die Schnalzlautemusik der Pygmäen zu geniessen.
Wer immer nur Schlager und Pop hört, wird Schlager und Pop Pattern abspeichern und nur in dem Bereich wird das Gehirn die Wohlfühlbalance zwischen Wiedererkennen und Überraschung finden. Nicht umsonst sind in den Kreisen der Pop-Hörer höchstens Klassikeinspielungen mit Popelementen (Andre Rieu etc.) beliebt. Ich behaupte, das sich über diese Schiene Klassikfans entwickeln können. Menschen mit der besonderen Fähigkeit, Musik leicht zu memorieren (also normalerweise diejenigen, deren rechte Gehirnhälfte besser entwickelt ist), können nun mit weniger Hör-aufwand (zeitlich) mehr Pattern abspeichern. Dadurch verbreitert sich die Basis, man wird öfter die Ausschüttung von Dopaminen hervorrufen ... der Musikfan (oder vielleicht auch Musiker) ist geschaffen ...
Wir können also nichts für das Verständnis das wir für eine bestimmte Musik entwickeln. Das Kind von Liebhabern klassischer Musik wird zwangsläufig mehr Klassik-Pattern sammeln als das Kind aus bildungsfernen Schichten. Natürlich kann sich das im Laufe des Lebens ändern (es strebt der Mensch so lang er lebt) und immer wieder erleben wir erstaunliche Wandlungen (letztens wurde im TV ein Symphonieorchester vorgestellt, dass aus Brasilianischen Slum-Kindern gebildet wurde) .... aber das geht nur durch einen Impuls von Aussen oder durch Vorsatz. Jemand dem unbedingt Klassik gefallen will, kann dies lernen wenn er anfängt, sich bewusst mit klassischer Musik auseinanderzusetzen. Wer irgendwann mal merkt, dass es unmusikalischer Schwachsinn ist, der ihm z.T. von unserer Massenindustrie vorgesetzt wird, kann sich nach besserem Umsehen .... ob er dann von Milow zu Dream Theater "aufsteigt" oder in die Klassik wechselt oder von der kleinen Nachtmusik zur Bach´schen H-Moll Messe etc ..... sei dahingestellt. Aber ohne etwas Mühe wird es nicht gehen.
Gruss
Hyp