Satzregeln Klassik/Romantik

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Ritardando

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9. Apr. 2008
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Hallo,

ich möchte nun mal eine Frage stellen, die mir shcon lange auf der Zunge brennt, auf die ich aber trotz umfangreicher Recherchen keine Antwort gefunden habe.

Es gibt ja bekanntlich bestimmte Satzregeln, an die sich die Komponisten bis zum Ende des Barocks wohl auch recht genau gehalten haben. Aber inwiefern gilt dies noch für Komponisten der Klassik und Romantik?

Oktav- und Quintparallelen wurden anscheindend auch weiterhin vermieden, sofern es sich nicht bloß um Stimmverdopplungen handelt. Gibt es auch weiterhin Regeln oder Richtlinien hinsichlich der Verdopplung von Akkordtönen. Mir scheint es gibt schon Tendenzen die Terz nicht zu verdoppeln, insbesondere bei Sextakkorden. Aber was gilt bei "vollen" Akkorden wie sie z.B. häufig bei Beethoven zu finden sind. Und wie sieht es z.B. mit arpeggierten Begleitmustern aus? Ist dort auch auf die Vermeidung von Parallelen zwischen den einzelnen Akkorden zu achten?

Irgendwo hab ich mal gelesen, dass auch bei nachbarocker Musik nach dem Wegfallen aller Stimmverdopplungen ein sauberer vierstimmiger Satz übrig bleiben müsse, aber beim Betrachten von klassischer und romantischer Klavier- und Orchestermusik kann ich mir das kaum vorstellen.

Ich hoffe jemand kann etwas Licht in die Sache bringen

Danke im Vorraus!
 
Die zwei wichtigsten Grundregeln sind

- Der Baß soll sich in Gegenbewegung zur Melodie bewegen.

- Keine Oktavverdopplung von Leittönen!

Wenn man das beachtet, hat man die allermeisten Satzfehler bereits vermieden. Natürlich gibt es immer Fallstricke - da hilft nur Gehörschulung. Dort wo es falsch klingt kann man dann gezielt nach Stimmführungsfehlern suchen. :)
 
Die zwei wichtigsten Grundregeln sind

- Der Baß soll sich in Gegenbewegung zur Melodie bewegen.

- Keine Oktavverdopplung von Leittönen!

Danke Haydnspaß, das hilft mir schon mal weiter!

Dort wo es falsch klingt kann man dann gezielt nach Stimmführungsfehlern suchen. :)

ja aber ich frage mich ja, was ab der Klassik überhaupt noch als Stimmführungsfehler gilt?! Oder ist es tatsächlich so, dass Komponisten der Klassik/Romantik sich in der Stimmführung nur vom Gehör leiten ließen, nach dem Motto: was sich gut anhört ist erlaubt ?
 
ja aber ich frage mich ja, was ab der Klassik überhaupt noch als Stimmführungsfehler gilt?! Oder ist es tatsächlich so, dass Komponisten der Klassik/Romantik sich in der Stimmführung nur vom Gehör leiten ließen, nach dem Motto: was sich gut anhört ist erlaubt ?

Was sich gut anhört ist sowieso immer erlaubt :p

Und das Gefühl dafür, was sich in der jeweiligen Epoche gut angehört an, entwickelt sich indem man möglichst viele Werke aus dieser Epoche kennt.

Es geht außerdem nicht nur darum, was sich gut anhört, sondern auch darum, wo die Provokationen in den Werken stecken. Wenn sich die Komponisten immer nur brav daran gehalten hätten, was irgendwelchen herkömmlichen Regeln entspricht, hätte diese grandiose Entwicklung der Musik von den gregorianischen Gesängen bis zur spätromantischen Orchestermusik, zu Strawinsky und zu Xenakis (jetzt mal alles ohne Wertung) nicht stattfinden können.
 
Du müßtest vielleicht einmal ein paar Beispiele aus der Klassik nennen, wo du Stimmführungsfehler wähnst. In der Regel wird man so schnell keinen finden. Und in der Klassik gilt eigentlich auch noch, daß Quintparallelen, die durch Stimmverdopplung entstehen, vermieden werden. Theoretisches Beispiel:

Die Streicher spielen zwei aufeinander folgende Sextakkorde h-d'-g' und c'-e'-a', das Holz verdoppelt mit d''-g'' und e''-a''. Zwischen Streichern und Holz entsteht die Quintparallele g'-d'' nach a'-e''. In klassischen Sätzen ist das in der Regel vermieden, erst in der Romantik wird bei vollstimmigem Satz darauf keine Rücksicht mehr genommen. So findet man z.B. in der Klavier-Rhapsodie op. 119,4 jede Menge Quintparallelen, die durch Stimmverdopplungen entstehen. Reduziert man das allerdings auf einen vierstimmigen Satz, so sind Baß und Oberstimme so geführt, daß das ohne Parallelen möglich ist.

Natürlich ist auch in der Klassik der Satz, und der Klaviersatz allemal, freier geführt als in einer 4stimmigen barocken Fuge, aber gleichwohl gelten weitgehend dieselben Regeln. Hierfür auch noch ein Beispiel: In Mozart's Sonata facile findet man in Takt 6 Alberti-Bässe, die von g-h-d' nach e-g-h fortschreiten. Dreistimmig wäre das eine Quintparallele, nur hat Mozart das nie an Stellen so gesetzt, wo alle drei Töne gleichzeitig erklingen, außerdem ist es in diesem Stück das einzige Beispiel, das sich finden läßt.

Daß sich auch bei berühmten Komponisten sehr, sehr selten Fehler finden, ist allerdings auch wahr, gilt aber für jede Epoche, Bach wohl ausgenommen.
 
erstmal danke für eure Antworten

Es geht außerdem nicht nur darum, was sich gut anhört, sondern auch darum, wo die Provokationen in den Werken stecken. Wenn sich die Komponisten immer nur brav daran gehalten hätten, was irgendwelchen herkömmlichen Regeln entspricht, hätte diese grandiose Entwicklung der Musik von den gregorianischen Gesängen bis zur spätromantischen Orchestermusik, zu Strawinsky und zu Xenakis (jetzt mal alles ohne Wertung) nicht stattfinden können.

Nunja, und mich würde eben auch genau diese Entwicklung der Satztechnik im Detail interessieren. Was hat der und der Komponist für Konventionen gesprengt? Wo stimmt er noch mit seinen Vorgängern überein? Kannst du mir da Literatur empfehlen?

Natürlich ist auch in der Klassik der Satz, und der Klaviersatz allemal, freier geführt als in einer 4stimmigen barocken Fuge, aber gleichwohl gelten weitgehend dieselben Regeln. Hierfür auch noch ein Beispiel: In Mozart's Sonata facile findet man in Takt 6 Alberti-Bässe, die von g-h-d' nach e-g-h fortschreiten. Dreistimmig wäre das eine Quintparallele, nur hat Mozart das nie an Stellen so gesetzt, wo alle drei Töne gleichzeitig erklingen, außerdem ist es in diesem Stück das einzige Beispiel, das sich finden läßt.

Dann kann man also sagen: Bei Alberti-Bässen und ähnlichen Begleitfiguren "dürfen" durchaus Akkordforschreitungen entstehen, die beim gleichzeitigem Spiel Parallelen hervorrufen würden, es ist aber nicht üblich?

Die Streicher spielen zwei aufeinander folgende Sextakkorde h-d'-g' und c'-e'-a', das Holz verdoppelt mit d''-g'' und e''-a''. Zwischen Streichern und Holz entsteht die Quintparallele g'-d'' nach a'-e''. In klassischen Sätzen ist das in der Regel vermieden, erst in der Romantik wird bei vollstimmigem Satz darauf keine Rücksicht mehr genommen. So findet man z.B. in der Klavier-Rhapsodie op. 119,4 jede Menge Quintparallelen, die durch Stimmverdopplungen entstehen. Reduziert man das allerdings auf einen vierstimmigen Satz, so sind Baß und Oberstimme so geführt, daß das ohne Parallelen möglich ist.

Danke für den Hinweis mit den Quintparallelen. Jetzt bin ich wieder ein Stück schlauer :) Und wenn man einen solchen Orchestersatz auf den 4-stimmigen Satz reduziert, findet man tatsächlich raus, dass der Grundton am häufigsten, dann die Quinte, im Ausnahmefall die Terz und nie der Leitton verdoppelt wird? Oder spielt das bei so vielen Einzelstimmen überhaupt keine Rolle mehr? Entschuldigt meine vielen (dummen) Fragen, aber ich bin insbesondere beim Thema Verdopplung verwirrt :( Vor allem fällt es mir bei den meisten (Klavier-)Kompostitionen schwer überhaupt sowas wie einen "Rohsatz" ausfindig zu machen. Aber vielleicht hab ich bei der ganzen Thematik auch nur etwas falsch verstanden?!

Es dankt im Vorraus,

Ritardando
 
Verdoppelt werden kann jeder Ton, es gibt keine Regel, die das einschränkt, auch wenn die Terzverdopplung in der Klassik seltener ist. Leitton-Verdoppelungen funktionieren meistens nicht, allerdings: beim verkürzten D7 ist oft die Sept verdoppelt, obwohl sie dann in einer der Stimmen nicht richtig aufgelöst werden kann.

Wenn du Harmonielehre aus historischer Sicht betrachtet wissen möchtest, lies Diether de la Motte, "Harmonielehre" (dtv), dort solltest du deine Fragen aus kenntnisreicher Hand beantwortet finden.

Wenn du einen weitgehend schulmäßigen Satz auch aus der Romantik kennenlernen möchtest, studier Schumanns "Album für die Jugend" und "Kinderszenen", dort findet man sehr viele Wendungen, anhand derer man Harmonielehre-Regeln beispielhaft erläutern könnte.

(Ich hatte übrigens oben bei "Klavier-Rhapsodie op. 119,4" den Komponisten vergessen, gemeint war Brahms.)
 
Verdoppelt werden kann jeder Ton, es gibt keine Regel, die das einschränkt, auch wenn die Terzverdopplung in der Klassik seltener ist. Leitton-Verdoppelungen funktionieren meistens nicht, allerdings: beim verkürzten D7 ist oft die Sept verdoppelt, obwohl sie dann in einer der Stimmen nicht richtig aufgelöst werden kann.

ok, dank dir! Das ist mir nun klarer. (Obwohl ich dachte beim verkürzten D7 wird normalerweise die Quint verdoppelt.)

Wenn du Harmonielehre aus historischer Sicht betrachtet wissen möchtest, lies Diether de la Motte, "Harmonielehre" (dtv), dort solltest du deine Fragen aus kenntnisreicher Hand beantwortet finden.

Naja, ich les das Buch ja nun schon zum vierten mal und es ist grandios, keine Frage! Aber gerade die Aussage de la Mottes zur Stimmverdopplung in klassischer Instrumentalmusik haben zu meiner Verwirrung beigetragen.


Wenn du einen weitgehend schulmäßigen Satz auch aus der Romantik kennenlernen möchtest, studier Schumanns "Album für die Jugend" und "Kinderszenen", dort findet man sehr viele Wendungen, anhand derer man Harmonielehre-Regeln beispielhaft erläutern könnte.

ok danke, wird gemacht!
 
"Das Fehlen der Septspannung ermöglicht im verkürzten D7-Akkord die Aufwärtsführung der Sept zur Tonika-Quint. Üblich ist die Verdoppelung der Dominantquint, also des Baßtones. Es kann auch die Dominantsept, nicht jedoch der Leitton verdoppelt werden", schreibt de la Motte auf S. 58.

Es kommt aber weniger auf das genaue Lesen von Lehrbüchern an, sondern eher auf das genaue Lesen von Werken. Mir begegnen im Unterricht bisweilen Schüler der Oberstufe, die von ihrem Schulmusiker haben läuten hören, man dürfe niemals die Terz verdoppeln. Mir fällt es dann immer schwer, den Mund zu halten, damit ich den Unterricht des Schulmusikers nicht untergrabe. Man kann aber Regeln, die irgendwo behauptet werden, leicht an Werken messen und muß sich darum in diesem Fall nur das Wohltemperierte Klavier vornehmen (Klaviernoten sind eher im Haus als Partituren), um eine solche Regel gehörigen Lügens zu strafen. Manche Harmonielehre ist voll von Regeln, die so allgemein nicht stimmen und die dann von Lehrern nachgeplappert werden, weil sie selber nicht gar so viel Ahnung von der Materie haben, sondern ihre Weisheit nur aus Lehrbüchern gesogen statt aus Werken.

Ein Beispiel eines Irrtums findet man ausgerechnet bei Wilhelm Maler, der die heute übliche Schreibweise von Funktionsbezeichnungen sehr geprägt hat. Er erteilt in "Beitrag zur durmolltonalen Harmonielehre" den Rat:
"Oktaven- und Quintparallelen lassen sich durch Stimmkreuzung, die Gegenbewegung verursacht, vermeiden."
Darauf folgen zwei Notenbeispiele. Beim ersten sind die Quinten offensichtlich, beim zweiten sind sie versteckt, indem die Töne einfach beliebig auf andere Stimmen verteilt sind. In beiden sind die Töne absolut identisch.
1. Maler hat damit Recht: Man findet in vorbarocken Sätzen bisweilen diesen Taschenspielertrick ("Quinten, die man hört, sind nicht schlimm, Hauptsache, man sieht sie nicht mehr"), meist aber nur in Chorsätzen, wo die Verteilung auf verschiedene Stimmen tatsächlich einen Klangunterschied macht.
2. Maler hat damit Unrecht: Bach hätte sich diesen Taschenspielertrick nie erlaubt.
 
"Das Fehlen der Septspannung ermöglicht im verkürzten D7-Akkord die Aufwärtsführung der Sept zur Tonika-Quint. Üblich ist die Verdoppelung der Dominantquint, also des Baßtones. Es kann auch die Dominantsept, nicht jedoch der Leitton verdoppelt werden", schreibt de la Motte auf S. 58.

uuups, ja das stimmt. Das muss an mir vorbeigerauscht sein :oops::rolleyes:

Es kommt aber weniger auf das genaue Lesen von Lehrbüchern an, sondern eher auf das genaue Lesen von Werken.

Ja, aber weil die Realität dann der gelehrten Theorie teilweise ein bisschen widersprach, führte das bei mir zur Verwirrung :oops:
Als Beispiel wäre hier zu nennen, dass ich meine, schon öfters Quartsextakkorde in Werken gefunden zu haben, die aber kein Wechsel-/Vorhalts-/Durchgangs-/Umkehrungsquartsextakkord sind. Aber da könnte natürlich ein Lese- bzw Interpretationsfehler meinerseits vorliegen. Oder sind solche "freien" Quartsextakkorde in der Klassik/Romantik möglich?

Mir begegnen im Unterricht bisweilen Schüler der Oberstufe, die von ihrem Schulmusiker haben läuten hören, man dürfe niemals die Terz verdoppeln.
Naja, immerhin hatten sie Harmonielehre in der Schule (auch wenn es merkwürdig ist, so etwas von einem studierten Musiker zu hören). Ich hatte während meiner gesamten Schulzeit so gut wie nichts dergleichen, was ich sehr schade finde :(


Ein Beispiel eines Irrtums findet man ausgerechnet bei Wilhelm Maler, der die heute übliche Schreibweise von Funktionsbezeichnungen sehr geprägt hat. Er erteilt in "Beitrag zur durmolltonalen Harmonielehre" den Rat:
"Oktaven- und Quintparallelen lassen sich durch Stimmkreuzung, die Gegenbewegung verursacht, vermeiden."
Darauf folgen zwei Notenbeispiele. Beim ersten sind die Quinten offensichtlich, beim zweiten sind sie versteckt, indem die Töne einfach beliebig auf andere Stimmen verteilt sind. In beiden sind die Töne absolut identisch.
1. Maler hat damit Recht: Man findet in vorbarocken Sätzen bisweilen diesen Taschenspielertrick ("Quinten, die man hört, sind nicht schlimm, Hauptsache, man sieht sie nicht mehr"), meist aber nur in Chorsätzen, wo die Verteilung auf verschiedene Stimmen tatsächlich einen Klangunterschied macht.
2. Maler hat damit Unrecht: Bach hätte sich diesen Taschenspielertrick nie erlaubt.

Danke, interessantes Beispiel!
 
1. Maler hat damit Recht: Man findet in vorbarocken Sätzen bisweilen diesen Taschenspielertrick ("Quinten, die man hört, sind nicht schlimm, Hauptsache, man sieht sie nicht mehr"), meist aber nur in Chorsätzen, wo die Verteilung auf verschiedene Stimmen tatsächlich einen Klangunterschied macht.
2. Maler hat damit Unrecht: Bach hätte sich diesen Taschenspielertrick nie erlaubt.

Wie meinst du das mit Bach? Es gibt viele Chorsätze von Bach, bei denen Quint- bzw´. Oktavparallelen lediglich durch Stimmtausch umgangen worden. Z.B., um einen der berühmtesten zu nennen: "O Haupt voll Blut und Wunden" aus der Matthäuspassion. Wenn man alle 4 Stimmen auf dem Klavier spielt, wo man keinen Stimmentausch erkennen kann, hat man gleich bei den Anfangstakten ein paar Oktav-Parallelen hintereinander. Bzgl. durch Stimmtausch umgangene Quintparallelen bei Bach habe ich noch nicht gesucht, könnte aber spaßeshalber mal ein paar von diesen göttlichen Chorälen abchecken.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Wenn du recht hast, hast du recht. Ich hätte wohl vorher noch einmal in ein paar Choräle schauen sollen und werde die Behauptung wohl abmildern müssen.
Klar ist allerdings: Dieser Trick kann nicht funktionieren, wenn man ihn rein notationstechnisch anwendet (Maler notiert seine Beispiele im Klaviersatz) und macht nur bei Klangfarben einen Sinn, wo die Stimmen sehr gut vom Ohr unterscheidbar sind, nicht bei homogenem Klang wie in der Klaviermusik. Im WTK habe ich ihn bisher nicht entdeckt, falls ich mich auch hier irre, revidiere ich mein Weltbild...
Falls du doch noch eine Stelle findest, wo auf diese Weise auch Quintparallelen kaschiert sind, melde sie mir, es interessiert mich brennend, ich suche derweil auch.
 
Falls du doch noch eine Stelle findest, wo auf diese Weise auch Quintparallelen kaschiert sind, melde sie mir, es interessiert mich brennend, ich suche derweil auch.

Also, die kaschierten Oktavparallelen sind mir nur dadurch aufgefallen, weil ich einen von den MatthäusPassions-Chorälen mit der "O Haupt voll Blut"-Melodie auf Orgel übertragen hatte, um es beim Orgeldienst für Abkündigungen zu verwenden. Beim Partiturlesen würde es mir extrem schwer fallen, sowas vom Blatt zu erkennen, tut mir leid.
 
Falls Mindenblues es noch interessiert:
Meine Behauptung, Bach würde diesen Trick nie anwenden, hat eine Vorgeschichte. Ich stieß auf das Maler-Zitat schon vor langem, und fragte daraufhin erstens einen Theorielehrer, der an einer Hochschule lehrt, und zweitens einen Kollegen, der Komposition studiert hat. Der eine antwortete, man würde es in vorbarocken Sätzen finden, konnte aber keine Stelle von Bach nennen; von dem anderen stammt die ironische Bemerkung: "Parallelen, die man hört, sind nicht schlimm, Hauptsache, man sieht sie nicht mehr..."
Darauf habe ich mich verlassen, anstatt selber noch einmal in Bach-Choräle zu schauen, weil ich mit Kirchen- und Chormusik sonst wenig in Berührung komme. Damit habe ich genau jenen Fehler begangen, den ich vorher erwähnte: Regeln an Lehrbüchern zu messen statt an Werken.
Ich revidiere mein Weltbild (offensichtliche Fehler haben die unangenehme Eigenschaft, daß sie sich nicht leugnen lassen): ich habe bei Bach, nachdem ich nun endlich dazu kam, Choräle noch einmal anzuschauen, Quint- wie Oktavparallelen gefunden, die durch Stimmkreuzung kaschiert sind. Das hätte ich eigentlich wissen müssen.

Gleichwohl ist anzumerken, daß Malers Trick so allgemeingültig nicht stehen bleiben kann. Denn erstens gilt er nicht für den Klaviersatz und Generalbaß, was Maler nicht erwähnt, und zweitens ist er mit einiger Vorsicht und derselben klanglichen Vorstellungskraft anzuwenden, die Bach hatte. Lernenden ist er eher nicht anzuraten, da sie damit leicht einen Satz schreiben könnten, dessen Stimmen wild in der Gegend herumspringen, um offensichtliche Satzfehler zu kaschieren. Man könnte damit nämlich einen Satz schreiben, der sich um keine Parallele mehr schert -- so sorglos war der Herr Bach denn doch nicht. Deswegen ist die Anmerkung, man solle Regeln nicht an Lehrbüchern, sondern an Werken messen, zu ergänzen durch die Anmerkung, daß man sie obendrein mit dem Ohr messen muß.

Die "berühmte" Stelle aus der Matthäus-Passion kann eigentlich nicht in "O Haupt voll Blut und Wunden" zu finden sein, gemeint sein muß eine andere, denn die Stimmkreuzung des ersten Taktes des Chorals steht an nicht sehr exponierter Stelle und kaschiert lediglich eine einzelne Oktavparallele. Da ich die berühmte Stelle auch nicht parat habe und sie bei Durchsicht des Klavierauszugs nicht entdeckt, habe ich wiederum zwei andere gefragt. Der eine ist der oben erwähnte Kompositionsstudiums-Absolvent, der zwar von der Stelle wußte, aber nicht, welche gemeint ist. Der zweite war jemand, der an Hochschulen Satzlehre lehrt, und ebenfalls von der Stelle wußte, aber ebenfalls nicht sagen konnte, welche genau es ist. Ich habe derweil nur eine Antiparallele gefunden in Nr. 67, T. 50 auf den Text "vom Kreuz", wo der Sopran h'-e'' singt und der Tenor e'-a. Falls das die berühmte Stelle sein soll, was zum Text ja durchaus passen würde, ist ihre Berühmtheit, finde ich, Überinterpretation, da sie nur an einer einzigen Stelle vorkommt, obwohl derselbe Text und dasselbe musikalische Motiv sich an vielen anderen wiederholen, ohne Parallelen oder Antiparallelen zu erzeugen.
Mehrfache Nachfrage, welches denn jetzt die berühmte Stelle sein soll, blieben bisher erfolglos. Den Klavierauszug habe ich im Haus, aber es ist etwas mühsam, ihn danach zu durchforsten, wenn man nicht weiß, wo man denn suchen soll. Wenn du meine Bildungslücke füllen kannst: ich lechze nach Aufklärung.
 
Jörg, da du so sehr nach Aufklärung lechzt:

1) mit "berühmtesten" meinte ich nicht die berühmteste Oktavparallele Bachs, sondern einen der berühmtesten Choräle, nämlich "Oh Haupt voll Blut und Wunden" und nicht etwa eine "berühmte" Oktav- oder Quintparallele. Da hast du also was ziemlich falsch verstanden. :)
2) die Oktavparalle bzw. es sind sogar 2 hintereinander sind durch Stimmtausch im 1. Takt bei "voll Blut und" umgangen worden zwischen Alt und Bass; durch Stimmtausch Alt/Tenor bei "Blut" sind es nicht mehr 3 Oktaven hintereinander. Wenn man jedoch statt Chorsatz die Noten 1:1 auf Klavier überträgt, hat man drei schöne Oktaven hintereinander (A-G-F im Alt/Tenor, und dasselbe im Bass eine Oktave tiefer).
3) Ob es sich hierbei um eine exponierte Stelle handelt oder nicht, sollten wir uns nicht streiten. Es wäre ja noch schöner, wenn man sich damit herausreden könnte, eine Stelle sei nicht so wichtig, da nicht exponiert, da braucht man die Satzregeln nicht so berücksichtigen...:-?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Dann habe ich dein "berühmt" offensichtlich fehlinterpretiert. Aber es gibt angeblich eine Stelle in der Matthäus-Passion, die für ihre Parallelen "berühmt" ist. Niemand konnte mir bisher die Stelle nennen. Ich hätte die Bildungslücke gerne gestopft. Vielleicht weiß jemand anderer hier davon?
 
Aber es gibt angeblich eine Stelle in der Matthäus-Passion, die für ihre Parallelen "berühmt" ist. Niemand konnte mir bisher die Stelle nennen.

Habe bisher noch nie was schwarz auf weiß gelesen, dass man dem alten Bach offene Parallelen nachweisen konnte. Bei der Menge an geschriebenen Noten schon eine Leistung an sich. Bei den "8 kleinen P&Fs" für Orgel gibts wohl welche, nur die werden eher Krebs zugeschrieben.

Von daher wäre jede offene Parallele in Stücken, die eindeutig Bach geschrieben hat, "berühmt", egal wo un in welchem Werk und ob exponierte Stelle oder nicht.

Bzgl. Matthäus-Passion ist es mir sowieso ein Rätsel, wie man es schaffen kann, mit 2 Chören zu je 4 Stimmen, manchmal gleichzeitig und obendrein + Oberstimme auszukommen, ohne ständig Parallelen zu produzieren.
 

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