Musikalität entwickeln - wie macht man / ihr das?

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Viva la musica

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Wenn ich hier im Forum nach dem Stichwort Musikalität suche, kommt das in so vielen Beiträgen vor, dass ich vielleicht übersehen habe, ob es dieses Fadenthema mit konkreten Hilfestellungen schon gibt...

Musikalität - ist das was, was man hat oder eben nicht? Kann man das lernen? Und wenn ja, worauf kommt es da an? Wie sähe der ideale "Lehrplan" fürs Gehör und für die praktische Unsetzung aus? Was für AHA Erlebnisse hattet ihr auf eurem Weg zu mehr Musikalität? Wie führt man Schüler / sich selbst da hin?

Es gibt ja diese Menschen, die Musik irgendwie im Blut zu haben scheinen und einen angeborenen (?) Gestaltungswillen und präzise musikalische Vorstellungen zu haben scheinen, so kommt es mir zumindest vor. Meine Frage zielt jetzt aber eher auf so Menschen wie mich, die früher lange nicht wirklich bewusst begriffen haben, was Musikalität ausmacht, aber durch das Lernen von Musikinstrumenten allmählich immer weiter sensibilisiert werden, aber eigentlich jeden Tag aufs neue erkennen, dass sie eigentlich noch gar nichts oder viel zu wenig erkannt haben ...:denken:und noch viel weniger vom viel zu wenigen Erkannten bewusst umsetzen können... :cry2:

Ein ultimativer Guide sind für mich immer wieder diese wunderbaren Tipps unseres Forum-Engels:

https://ulrike-danne-feldmann.de/ein-neues-klavierstueck-ueben-hoeren-entdecken/

Aber ich hoffe, viele hier haben vielleicht noch weitere Erfahrungen / Einsichten beizusteuern.

Für Dummies wie mich also sticht zum Beispiel zuerst mal die ganz grobe Gestaltung besonders heraus. Eine Passage wird lauter-leiser, schneller-langsamer, es gibt Verzögerungen, die Spannung aufbauen. Das versuche ich also auch, aber das ist ja nur das ganz grobe Bild. Oder wie meine KL neulich sagte: "jetzt machen Sie doch nicht aus allem so ein Drama!" Was fehlt also noch, damit es nicht nur Drama, sondern auch Musik wird?

Die Gitarre und noch mehr das Klavier haben mir das Herausarbeiten von Stimmen nahegebracht (was für mich den großen Reiz speziell dieser Instrumente ausmacht). Da bin ich bis jetzt - ich würde sagen - auch sehr "grobmotorisch" unterwegs. Und wünsche mir oft, ich würde besser hören. All die Feinheiten, die mir da verborgen bleiben, die aber dazu führen, dass das Spiel von Pianisten IRGENDWIE großartig ist, ich aber oft nicht genau sagen kann, WAS genau es ist, das es so großartig macht.

Ein aktuelles AHA-Erlebnis sind für mich z. B. gerade die Pausen. Meine neue KL hat mich ertappt, dass ich dazu neige, Pausen bisweilen nicht ganz korrekt umzusetzen (zu lang, zu kurz, zu spät, zu früh, verwaschen, Finger nicht gut abgelöst...). Wenn ich dann daran arbeite, hat das oft extreme Effekte auf die gesamte musikalische Wirkung, und ich dachte mir, dass ich auch beim zuhören bei Stücken mehr auf die Pausen achten sollte (was ich gar nicht einfach finde! ). Wir haben dann geübt, Pausen zu betonen, indem man in der Pause z.B. die Hand etwas höher von der Klaviatur hoch hebt. Das hat ganz überraschende Effekte auf die musikalische Wirkung gehabt, oder zumindest auf meine eigene Wahrnehmung der Pause. Ob der Hörer hört, was der Musiker in der Pause tut? Oder ist das neue Ansetzen dann in entscheidenden Nuancen anders?

Dann beschäftige ich mich zunehmend mit Musiktheorie, wobei ich hier noch lange nicht so weit bin, dass das eine ganz konkrete Auswirkung für mich auf die musikalische Gestaltung der Stücke hätte.

Also ich bin gespannt auf eure aktuellen Einsichten und Erfahrungen auf dem Weg zu mehr Musikalität!
 
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Meine Einsicht ist, obwohl ich als absoluter Anfänger in allen Bereichen eigentlich gar nicht mitreden dürfte, dass ich mich nicht mit Menschen vergleichen sollte, die entweder talentiert sind oder sich seit Jahrzehnten auf die eine oder andere Art und Weise mit Musik beschäftigen.
Meine Erfahrung ist, auch wenn ich als absoluter Anfänger in allen Bereichen eigentlich gar nicht mitreden dürfte, dass meine Leidenschaft für Musik und der starke Wunsch musizieren zu wollen, mich jeden Tag aufs Neue ans Klavier "zwingt" und mich permanent neue und wunderschöne Erfahrungen sammeln lässt.

Ich glaube aber auch, dass jeder Mensch ein gewisses Maß an Musikalität inne hat. Viele Menschen sind einfach nur zu arrogant und sprechen es einem ab, nur weil es nicht ihrem Geschmack und Empfinden entspricht.

Ich habe bereits des Öfteren sowohl gehört und auch gelesen, dass man mit dem Sustain-Pedal ein unsauberes Spiel quasi auf "betrügerischer" Weise verwischen kann. Daher habe ich mir fest vorgenommen, mich immer erst ohne Pedal um die entsprechenden Stellen zu beschäftigen, sodass ich mich an ein sauberes Spiel herantasten kann, bevor ich das Pedal nutze.
So auch mit den von Dir angesprochenen Pausen. Ich glaube das ist etwas, das man verinnerlichen sollte. Das muss ohne Nachdenken passieren. Ein Gespür dafür entwickeln und zu erkennen wie sich die Pause anhört und anfühlt, bevor man an die entsprechende Stelle angelangt ist. Das kann ja nicht von Heute auf Morgen geschehen. So etwas entwickelt sich doch, mal bewusst und mal unbewusst. So glaube ich...
 
Ein aktuelles AHA-Erlebnis sind für mich z. B. gerade die Pausen. Meine neue KL hat mich ertappt, dass ich dazu neige, Pausen bisweilen nicht ganz korrekt umzusetzen (zu lang, zu kurz, zu spät, zu früh, verwaschen, Finger nicht gut abgelöst...). Wenn ich dann daran arbeite, hat das oft extreme Effekte auf die gesamte musikalische Wirkung, und ich dachte mir, dass ich auch beim zuhören bei Stücken mehr auf die Pausen achten sollte (was ich gar nicht einfach finde! ).

Beim Thema Pausen muss ich unweigerlich an meine ehemalige Gesangslehrerin und Chorleiterin denken, die ständig ermahnte :" Auch Pausen müssen klingen." Was heißen sollte, dass sie genauso viel Beachtung benötigen wie jeder Ton. Beim Gesang bedeutet es z.B., dass die Körperspannung bei der Pause nicht plötzlich nachlassen darf, auch nicht wenn die Stelle zum Atmen benutzt wird, es sei denn, der Atmer wird zum Phrasieren genutzt, dann gibt es ein kurzes gezieltes Lösen.
Das gilt auch ganz besonders beim Verklingen des Schlusstones. Die Körperspannung lässt erst nach, wenn das Publikum Zeit hatte dem verklungenen Ton nachzulauschen. Und ihr Spruch dazu war immer:" Du weisst, dass du es richtig gemacht hast, wenn das Publikum am Ende nicht eher klatscht, bist du es willst und deine Körperspannung aktiv löst."
Und das funktioniert tatsächlich, wie ich in einigen Gesangsschüler- und Chorkonzerten feststellen konnte.
 
Jeder Mensch ist musikalisch, von den wirklich sehr wenigen Ausnahmen der Amusie einmal abgesehen.

Unterschiede gibt es aber im Ausmaß, in dem die Musikalität durch das Umfeld gefördert worden ist, und zwar einerseits auf der Ebene der Hörerfahrung und andererseits im Bereich des eigenen Musizierens, außerdem im Ausmaß eines geschulten Reflexionsvermögens.

Unterschiede bestehen auch in der verschiedenartigen Ausprägung einzelner musikalischer Parameter. Z.B. habe ich mal von einer anderen Klavierlehrerin einen Klavierschüler übernommen, den sie für unmusikalisch hielt. Mir fiel auf, dass er keinen Sinn für melodische Phrasengestaltung hatte, aber ein geradezu perfektes Rhythmusgefühl - kein Wunder, dass er am liebsten Boogie Woogie spielen wollte, und das machte er auch richtig gut.

Man kann diesen Aspekt sogar auf verschiedene (Musik-)Kulturen ausweiten: Während die europäische Kunstmusik in harmonischer Hinsicht sehr stark entwickelt ist, ist sie, was Rhythmus betrifft, unterentwickelt, wenn man sie mit afrikanischer Musik vergleicht, die wiederum keine ausgeprägte Harmonik besitzt.
 
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So lief das bei mir:

Ich wurde in der Kindheit schon mit guter (U-)Musik beschallt: Beatles, Queen, Rolling Stones, Rod Steward, Eurythmics sind die Namen, an die ich mich als erstes erinnere.
So ein Einfluss hilft schon, dass einem gute Melodien und Harmonieverbindungen vertraut sind.
(Ich weiß, andere Kinder hatten noch mehr Glück mit der Musikauswahl ;-) )

Ab der fünften Klasse habe ich im Chor gesungen. Diesen Einfluss habe ich lange unterschätzt. Wenn man sich allerdings die Biographien verschiedener großer Sänger(innen) ansieht, waren die alle früh im Schul-, Kirchen- oder Gospel-Chor.
Das trainiert, sich in ein größeres Klanggeschehen einzufügen (leichtes Erkennungszeichen für ein Laienorchester oder Laienchor), schult das Ohr für Intonation und erweitert ganz nebenbei die reine Hörerfahrung an guten Melodien und Harmonien verschiedenster Stile, die sich schonmal jemand ausgedacht hat. Rhythmik, selbständiges Halten des Tempos und besonders Pausen trainiert man dabei auch.

Der Musik-LK hat das später nur durch die Theorie ergänzt, die Instrumentalanfängern meistens fehlt.

Nun, in der Mitte des Lebens, wird mir die Bedeutung dieser Vorbereitungsphasen klar, und ich bin sehr dankbar dafür, an eine Musiklehrerin, Chorleiterin und Orchesterleiterin in Personalunion geraten zu sein, die u.a. an meiner Schule (sie war auch noch in mindestens einem Chor) ihr musikalisches Betätigungsbedürfnis ausgelebt hat, womit sie uns nicht nur Wissen und musikalisches Training geboten hat, sondern uns nebenbei auch ihre Freude an der und Liebe zur Musik vermittelt hat, ohne dass dies je explizit Thema war.
Durch diese Umstände kamen eine frühe Musical-Hauptrolle, Soloauftritte, Ausflüge zur E-Gitarre mit Rock-Band, extra-Gigs mit kleinem gemischten Chor, Aushilfs-Jobs am Schlagzeug und andere Musikprojekte während der Schulzeit "von alleine".

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand solch einen Weg mit irgendeinem Trick abkürzen kann.
 
Wenn ich in meiner Kindheit von der Schule kam, konnte ich schon an der Einmündung zu "unserer" Strasse Rolling Stones oder Beatles hören ... Mama war dann meist beim Staubsaugen und hat dabei eben Musik gehört ... der alte Mielestaubsauger hat halt gebrüllt und da musste die Anlage eben lauter brüllen.
Ich habe mir dabei nichts gedacht, denn das war "normal" für mich.
Ich habe meinem Papa gerne beim Gitarrespielen zugeschaut ... er arbeitete seit Jahren an Peter Burschs Gitarrenbuch, war aber nicht weiter als bis zu "house of the rising sun" gekommen (und das ist bei Bursch eine vereinfachte Version).
Ich mochte das.
Leider hat der alte Herr die Gitarre dann in die Ecke gestellt, nachdem ich damit angefangen habe ... ich war nach einem halben Jahr durch das Buch durch ... das hat ihn wohl irgendwie frustriert.

Die ersten Tasten, an denen ich Platz nahm, waren an einer Heimorgel (Bontempi Plastikbomber).
Dieses Instrument hat mich irgendwie fasziniert ... aha, da drückt man drauf, und dann kommt ein Ton ... ungefähr in der Art.
Ich glaube da war ich 10 oder so und es ging über einfache Melodien (alle meine Entchen, Bruder Jakob, Hänschen Klein) nicht hinaus ... aber schon damals bin ich wohl irgendwie auf die Idee gekommen, die Melodien mit einem liegenden Ton zu begleiten. An Alle meine Entchen und Hänschen Klein bin ich gescheitert (glaube ich) ... aber bei Bruder Jakob reicht es ja eigentlich, den Grundton zu finden. Meine kleine Schwester bekam dann Blockflötenunterricht ... natürlich auf einer C-Flöte ... ich fands irgendwie immer grausam.
Allerdings blieb das beides nur eine kurze Episode ... bis ich dann mit ca. 14 zu Papas Westerngitarre nebst Gitarrenbuch (Bursch) griff. Und dieses Buch verschlungen habe.

In meiner Schule gab es zum Glück einen Musikraum, den man in der Stundenpause und am Dienstag nachmittag frei nutzen konnte (natürlich unter Betreuung) ... einige Zeit bin ich da hingegangen, und habe den "Musikern" einfach nur zugehört ... das waren alles so Musik-LKler (dachte ich jedenfalls) und ich hatte Respekt (bzw. ich habe mich einfach nicht getraut, selbst mitzumachen).
Da hatte ich die Rechnung langfristig allerdings ohne die anderen gemacht ... natürlich kam dann mal einer an, fragte ob ich Lust habe, ein bisschen E-Gitarre zu spielen ... das was ich da machen müsste, wäre nicht schwer, und könnte mir leicht erklärt werden.
Als er dann den ersten Powerchord von mir hörte, war er fast überrascht, dass erklären scheinbar gereicht hat.
Der Rest war dann "Greifstellen" mitteilen und ein Anschlagsmuster beibringen.
Zack stand ich da, und habe mit einer 5-köpfigen Band auf einfachen Phrasen Improvisiert. In fast jeder Pause (für die anderen möglichen Aktivitäten hatte ich kaum noch Zeit ... Essen? geht auch nach der Schule!).
Mit dem Menschen, der mich damals ansprach, mache ich noch immer Musik ... er ist der Gitarrist in meinen zwei Bands und tatsächlich der erste Mensch, mit dem ich öffentlich Musik gemacht habe (Blues-Impro in A in der Schulaula während der Pausen).

Wo meine Musikalität herkommt, war in meiner Familie immer wieder bei Verwandschaftstreffen Thema ... allerdings waren die Gespräche meist ziemlich "vermendelt" ... man überlegte halt, wer in meiner Ahnenreihe was mit Musik am Hut hatte.
Ein Schuldiger war schnell Gefunden ... Opa ... der hat zwar eher schlecht als recht Geige gespielt (Pflichtübung in der kaiserlichen Lehrerbildung) Aber eigentlich war sein Instrument das Akkordeon ... und da konnte der wohl auch Musikalität zur Schau stellen (ich habe es leider nie erleben dürfen).
Als ich meinen Opa kennenlernte, waren die überwältigenden Eindrücke jedenfalls der Geruch nach Zigarre in seinem Zimmer, und die Beschwerden über die Kinder, die nunmal im Spiel wenig Rücksicht auf seine schmerzenden Füße nahmen (sorry Opa).

Ich hatte keine musikalische Früherziehung ... aber ständig Musik um mich (Mamas Küchenradio hatte einen 16-Stunden-Tag).
Klassik gab es da allerdings so gut wie nie. Natürlich hatten die auch ein paar Klassik-CDs ... aber die alten Opern-Platten habe ich dann erst wieder rausgekramt ... um dann ganz gebannt einer Aufnahme von Caruso aus 1908 zu lauschen ("la Donna e mobile" meine ich ... natürlich mit kräftigem Rauschen, Knacken und schlechter Tonquali ... aber Klein Olf muss wohl trotzdem nur "WOW" gedacht haben).
Das mit der Klassik kam allerdings erst an der Oberstufe durch die Teilnahme am Musik LK und einen sehr auf Klassik fokussierten Lehrer so richtig raus.
Ich hatte weiter praktisch 16 Stunden am Tag Musik um die Ohren ... und ich habe scheinbar hingehört statt es als Hintergrundgeplätscher wahrzunehmen.
Das ist erst in den letzten Jahren etwas weniger geworden (ich habe zwar noch immer viel Musik um mich herum, aber das ist meist Selbstgemachte ... ich kenne privat fast nur noch Musiker, wohne über einem Keller voller Proberäume (die leider meinem Vermieter gehören ... ich probe woanders ... der ist mir zu teuer) und mit Fenster zu einem Hinterhof, in dem eigengtlich immer irgendwas an Musik zu hören ist.

Ich kann nicht mal sagen, ob ich meine Musikalität bewusst entwickelt habe ... für mich hat sich das mehr wie ein Entdecken angefühlt. Ich war eigentlich nur neugierig.

Das was ich spiele, entwickle ich allerdings permanent weiter ... und mein Kopf hat eben ständig irgendwelche Ideen ... auch wenn die manchmal nur lautet "wie das wohl klingt, wenn ich es so nache".
Spätestens nach dem Beginn der theoretischen Ausbildung im Musik-LK kam dann allerdings ganz schnell eine Sache dazu. Wenn ich etwas gehört oder gespielt habe (auch mal auus Versehen), wovon ich dachte "oh, das klingt aber interessant" habe ich das analysiert um zu verstehen, warum das so klingt. Dabei geht es mir weniger um die analytische Herangehensweise, als überhaupt um das Interesse daran, WAS genau das so interessant macht.
Natürlich stand dahinter der Wunsch, diese Wirkung selbst und bewusst erzielen zu können.

Die Entwicklung meiner Muskalität hat viel damit zu tun, dass ich lange Zeit, fast wie ein Schwamm, alles musikalische in mich aufgesogen habe. Ob mir die Musik dabei gefiel, oder nicht, war weitestgehend egal. Auch bei einer "schmalzigen Schnulze" hat mich irgendwie interessiert, warum das so schmalzig und schnulzig klingt. Das reproduzieren zu können, hilft ja auch dabei, es zu vermeiden. Und andere finden das, was ich als schnulzig oder schmalzig empfinde, einfach nur zum zerfließen schön. Ich sehe es irgendwie als meinen Job, auch das auslösen zu können (auch wenn ich es bei mir selbst nicht mag).

ich glaube dabei auch nicht an Abkürzungen ... nur daran, das den Weg zur eigenen Musikalität letztlich jeder für sich finden muss .. vorhanden ist sie bei den allermeisten.
 
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Liebe Viva la Musica,

wer "musikalisch" spielt, hört sehr gut und verknüpft das Erleben der Klänge mit seinen Emotionen. Je besser und je mehr er hört, desto reichhaltiger wird dieses Erleben und auch die Fülle der Emotionen sein.

Also ist der Weg zur sich immer weiter entwickelnden Musikalität die Entwicklung des Gehörs und das, was man fühlt bei dem, was man hört. Damit einher geht, das Gehörte zu benennen und die Erkenntnisse miteinander zu verbinden. Manche nennen das Musiktheorie. :003:

Fang zum Beispiel mit einer einfachen Dur-Tonleiter an. Spiele sie und bleibe auf dem vorletzten Ton stehen. Was fühlst du? Fühlst du ein Bestreben nach oben, ein dringendes Bedürfnis, zum nächsten Tonleiterton zu spielen. Spürst du die Spannung, die diesem Ton innewohnt? Voila, dann hast du gerade die wichtige Funktion des Leittons am eigenen Leib erfahren. Der ist der Tonleiterton mit der meisten Spannung und will sich nach oben zum Grundton auflösen. Der Grundton wiederum ruht in sich selbst und macht es sich auf der Couch gemütlich. Leitton - Grundton = Spannung - Entspannung.

Dann könntest du untersuchen, wo denn in einem Stück, das du spielst, so etwas vorkommt. Gibt es Töne, die sich irgendwohin auflösen wollen, die diese Spannung in sich tragen? Lösen sie sich auch auf? In welche Richtung? Mit einem Lehrer oder auch selbst kannst du dann die Verbindung Dominante - Tonika untersuchen, die in so gut wie jedem Stück in Dur-moll-Tonalität vorkommt. Denn, siehe da, die Dominante trägt den Leitton in sich (Terz der Dominante) und der will sich zum Grundton auflösen und diese klangliche Erscheinung macht es, dass auch die Dominante als Leittonbesitzerin diese Spannung innehat und sich in die Tonika als Grundtonbesitzerin auflösen will. Nicht selten erhöhen Zusatztöne wie kleine Septime und None die sowieso schon vorhandene Spannung der Dominante. Die lösen sich wiederum nach unten auf.

Wo in einem Stück hörst und fühlst du diese Spannung? Löst sie sich auf in die Tonika oder gibt es ab und an eine Überraschung?

Du kannst auch erst einmal kleinschrittiger vorgehen und Intervalle, Dreiklänge, Konsonanzen und Dissonanzen hören und erleben/fühlen. Bei Kindern verknüpfe ich z.B. Konsonanzen und Dissonanzen mit Essen. Dissonanzen werden oft mit Chili verknüpft, Konsonanzen, mit Pfannekuchen, Milchreis, Eiscreme o.ä.. Schon ist die Verbindung mit einem anderen Sinn da und zu etwas, was man schon erlebt hat. Spiel also in der Mitte der Klaviatur zwei Zufallstöne gleichzeitig und höre, was dabei herauskommt: Konsonanz oder Dissonanz, Eiscreme oder Chili? Dann kannst du rausfinden, was das denn für ein Intervall ist. Und dieses Intervall transponieren, auch nacheinander spielen, in Stücken finden. Wo in deinen Stücken ist beispielsweise eine Sexte nacheinander gespielt und was hat dieses Intervall für eine Wirkung auf dich? Man spricht bei einer Sexte nach oben gern von der emphatischen Sexte wie z.B. bei "Von fremden Ländern und Menschen" der Kinderszenen. In welcher deiner Lieblingsstücke kommt so etwas noch vor? Wie erklingt sie da und was fühlst du dabei? Welche Emotion drückt sie aus?

Es hilft auch sehr, Intervalle zu singen/summen, um den unterschiedlichen Raum zwischen den Tönen zu erleben. Du kannst dies auch zunächst immer bezogen auf den selben Grundton machen, also z.B. die C-Dur-Tonleiter nehmen und die vorhandenen Intervalle zum Grundton singen. Das ist oft leichter.

Dann Dreiklänge. Wie klingen Dur, moll, vermindert, übermäßig und was fühlst du dabei? Aha, Dur- und moll-Dreiklänge sind Konsonanzen, hm, Dur klingt anders als moll, aber wie anders? Was fühle ich dabei? Wieder den Bezug zu den eigenen oder Lieblings-Stücken: wie klingt das Stück in moll, welche Gefühle transportiert es durch die Wahl dieses Tongeschlechts? Wie ist es, wenn ich einen kleinen Abschnitt in Dur spiele, wie verändert sich der Charakter?

Vermindert und Übermäßig sind Dissonanzen. Löst sich der Verminderte irgendwohin auf, wollen sich die Dissonanzen auflösen, welche Dissonanz steckt als Intervall überhaupt in einem verminderten Dreiklang? Wo finde ich solche Dreiklänge in einem Stück und was machen sie da? Bringen sie Dramatik ins Stück hinein, mehr Spannung?

Das sind nur ein paar Beispiele, es gibt Tausende. Nimm dir jeden Tag einen Teil deiner Übezeit, in der du das machst, worauf du gerade neugierig bist. In der du einen Aspekt des Hörens herausgreifst und ihn von allen möglichen Seiten beleuchtest. Vom Hören, Spielen und Erleben übers Analysieren/Benennen zum Untersuchen an Stücken. Immer in Verbindung mit deinen Gefühlen. Beim ersten Stück der Kinderszenen zum Beispiel drückt für mich die Sexte nach oben das Staunen aus, mit denen das Kind die fremde Welt betrachtet und erlebt.

Es hilft auch sehr, zu improvisieren, viel Musik zu hören und zu machen.

Wenn du damit nicht weiterkommst, melde dich noch einmal!

Liebe Grüße und viel Spaß beim Forschen und Experimentieren!

chiarina
 
Liebe @chiarina
wieder eine deiner ganz wunderbaren Anleitungen, vielen, vielen Dank!!! :kuscheln:

Die fremden Länder werden zufällig auch mein nächstes Stück! Da werd ich mir das dann gleich ansehen! Aber ich habe mit deiner Anleitung auch gleich ausführlich in meinem jetzigen Stück gesucht und bin da auch immer wieder auf die Sexte gestoßen, die sich meist - so mein Eindruck - nach der Qinte sehnt.
Jetzt muss ich noch weiterüberlegen, was das jetzt wohl alles für das Spiel heißen könnte. Die Sehnsucht durch Verzögerung verstärken? Ein schnelle Erlösung? Ein selbstverständliches ineinanderübergleiten? :denken:
Jedenfalls eine spannende Frage und ich habe mir jetzt einmal über Töne Gedanken gemacht, die ich vorher eben einfach nur gespielt habe. Mit solchen Überlegungen erscheint mir auch die Stückanalyse nochmal in etwas hilfreicherem Licht. Da hab ich bisher oft akribisch Akkorde und Stufen in meine Stücke gekritzelt, aber das eigentlich nur genutzt, um schneller die Töne zu treffen, mir Passagen besser zu merken und weniger daneben zu greifen.
 
[…] bin da auch immer wieder auf die Sexte gestoßen, die sich meist - so mein Eindruck - nach der Qinte sehnt.
Jetzt muss ich noch weiterüberlegen, was das jetzt wohl alles für das Spiel heißen könnte. Die Sehnsucht durch Verzögerung verstärken? Ein schnelle Erlösung? Ein selbstverständliches ineinanderübergleiten? :denken:
Aus deiner Frage spricht die Auffassung, dass du den einzelnen Ton auf der Sexte meinst. Entscheidend ist aber nicht unbedingt der Ton auf der Sexte an sich, sozusagen als Station, sondern das vorangegangene Intervall bzw. Spannungsverhältnis zwischen dem Primton und der Sexte, also das, was zwischen („inter“) den Tönen geschieht. Dies zu hören und zu spüren ist übrigens das Wichtigste bei allen Intervallen.

Deine Frage nach der Länge des Sexttons ergibt aber durchaus Sinn, wenn sie sich auf das nachfolgende Intervall, in deinem Fall die kleine Sekunde bezieht. Je nach dem, wie du dieses Intervall empfindest, wirst du den folgenden Ton (also das fis) verzögerst oder ihn zügig erreichen möchtest. Natürlich muss über diese Mikroebene hinaus auch die gesamte melodische Linie der Phrase betrachtet werden.
 
Olf, tolle Geschichte, Du hast Deine Musikalität ganz entscheidend durch Hören geformt. Der Traum eines jeden Gehörbildungslehrers! :super:

Es geht ja die Rede, dass viele Musikstudenten gar nicht richtig hörten, sondern Musik mehr so als Surrogat von Griffgefühl und theoretischen Notenköpfen wahrnähmen.

Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich durch die Tätigkeit als KL für meinen einzigen Schüler (Niveau Carnaval) allein durchs Zuhören unfassbar profitiere (wie Unterrichtgeben die beste mir liegende Art des Lernens ist).
 
Ich bin ja immernoch der Ansicht, dass Musikalität angeboren ist und nur bedingt trainiert werden kann. Dabei halte ich alles erfolgreiche Trainieren nur für ein "Erwecken" dessen, was da ist.
 

Aus deiner Frage spricht die Auffassung, dass du den einzelnen Ton auf der Sexte meinst.
Genau ertappt... :007:
Das liegt daran, dass in vielen Stücken und so auch in meinem die Akkorde in aufgelöster Form vorliegen, da hab ich wohl manchmal den letzten und vorletzten Ton wieder etwas ausgeblendet
Also nicht nur vorausspüren, sondern auch zurückspüren. :idee: sehr schön, da hab ich jetzt ja ein schönes neues Hör-Übungsprogramm, vielen Dank euch!!
 
Man kann zu dieser Frage lange Abhandlungen schreiben.

Man kann es aber auch lassen, denn der entscheidende Punkt ist einfach:

"Musikalität" ist jedenfalls nicht "Beachterei". Jemand, der beim Spielen denkt "oh, jetzt muss ich hier leiser, hier die Pause etwas länger", spielt in dem Moment NICHT "musikalisch", sondern ist lediglich ein "Beachter", der sich, so lange er so denkt und handelt, immer unbeholfen fühlen wird.

"Musikalität" entsteht dann, wenn man sich erlaubt, "loszulassen" und sich dem FLUSS einer musikalischen Passage zu ÜBERLASSEN. Dies ist ein von Emotion (keinesfalls zu verwechseln mit dem persönlichen Gefühlszustand/Befinden!) und auch der persönlichen Energie geleiteter Vorgang; Denken darf vor und nach dem Spielen, aber möglichst nicht beim Spielen stattfinden.

Klar ist, dass dazu ein bestimmter Mindestgrad an Beherrschung des Materials vorhanden sein muss. Gerade bei Erwachsenen ist dies jedoch sehr oft nicht der Fall; es wird sich durch eigentlich viel zu schwierige Stücke wochen- und monatelang "durchgebissen". Dies ist ein todsicheres Mittel, um garantiert KEINE "Musikalität" aufkommen zu lassen.

Auch schlechter Unterricht trägt zu diesem bedauernswerten Zustand bei, indem nicht vernünftig vermittelt wird (sowohl von Hören/Klangvorstellung her als auch von der Bewegungsweise), dass Musik nicht aus "korrekt gespielten Einzelereignissen" (letztlich "computerhafte" Vorstellung) besteht, sondern aus zusammengehörigen Phrasen (wie Wörter oder Sätze in der Sprache mit ihren zugeordneten Betonungen) und aus übergeordneten (langen) und untergeordneten (kurzen) Rhythmen, deren "Schwingung" man nicht nur wahrnehmen, sondern im Spiel auch konkret ausführen muss. Dies alles mit einer "Freude und Energie" - was bei der typischen "Beachterei" des erwachsenen Einsteigers/Amateurs jedoch gar nicht erst aufkommt. Er meint vielmehr, er müsse doch jetzt mal endlich ganz ernsthaft und systematisch umsetzen und üben, was der KL ihm gesagt (bzw. in verwirrenden Notizen über das ganze Notenblatt gekrickelt) hat. Fail!
 
@hasenbein - Du hast meine Erwartung nicht erfüllt, danke dafür. Das ist ein wirklich toller Beitrag.
Ich unterrichte eine Verwandte, die entschieden hat, ein bestimmtes Stück spielen zu wollen, das völlig ungeeignet für ihren Level ist. Ich habe vehement interveniert, argumentiert, aber das wurde ignoriert. Sie spielt das Stück, aber von Musikalität keine Spur, es ist ein "Durchquälen" mit ein paar lichten Momenten.
Musikalität ist nicht nur dies oder das, sie ist mit Verständnis für das, was man da tut, verbunden. Mit Emotionalität. Man kann die "erworbene" Musikalität nur leben und umsetzen, wenn man auf dem geeigneten Level spielt, und beim Spielen, wie Du schreibst, "loslässt", und nicht nachdenken muss.
 
Das ist gilt für alle Bereiche, im privaten Bereich wie im beruflichen. Man ist sich selber der stärkste Kritiker, sozusagen. Wobei destruktive und somit sinnlose Kritik nur darauf abzielen, sich selber klein zu machen.
Manche Schüler machen sich beim Spielen selber nieder, da mache ich ganz deutlich, dass ich das nicht hören will. Diese fordere ich regelmäßig auf, wenn sie etwas gut gespielt/gemacht haben, sich laut zu loben. Oder zumindest laut zu sagen: "Das habe ich jetzt gut gemacht!" - man merkt förmlich, wie sie sich die ersten Male dabei doof vorkommen, aber mit der Zeit wirklich stolz auf ihre Leistung sind.
 
Ja, @hasenbein danke, das ist genau der springende Punkt, über den ich eben auch nachdenke. Wieviel kann man bewusst bedenken, entwickeln und wieviel muss einfach irgendwie schon da sein.

Eine befreundete professionelle Illustratorin erläuterte mir im Winter bei einem Spaziergang, dass sie um Schnee zu malen viel mehr blau als weiß verwendet, oft sogar dunkle Blautöne. Mit dieser verblüffenden Einsicht ausgestattet, schaute ich genauer hin und tatsächlich: Schnee ist nicht einfach weiss. Sie hat das schon immer gesehen, ich habe es erst gemerkt, als ich drauf gestoßen wurde.

ich stelle mir das mit der Musik ähnlich vor: ich bin eher niemand, der das alles schon immer einfach konnte, hörte, dachte, fühlte. Aber ich glaube, man kann schon ein Stück weit auch lernen, das Blau im Weiß zu sehen. Auch meine Freundin hat sich ja in zahllosen Studien mit dem Zeichnen von Schnee beschäftigt bevor sie ihre Illustration damit perfektioniert.

Und das gefühlsmäßige Gestalten, das ist natürlich auch da, wozu macht man sonst Musik? Aber oft denke ich, mir fehlen da noch die musikslischen Ausdrucksmöglichkeiten. Mein Schnee ist halt manchmal einfach vor allem weiß und ich kann nicht genau sagen, was ich ändern muss, damit er so wird, wie er sein soll. Ich weiss, er soll kalt aussehen. Was also kann ich tun? Ihn tupfen? In dicken Schichten malen? Und auch wenn ich jetzt erkannt habe, dass blau rein muss, krieg ich das immer noch nicht so hin wie meine Freundin. Wo muss das blau hin?

Und weil ich nicht die einzige bin, die Schnee malen (=Musik machen) will, ruf ich halt hier mal so rein, wie ihr das so macht und wo ihr Blau im Weiß entdeckt habt.
 
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Du willst in Wirklichkeit schon wieder wissen, was Du beachten musst/kannst, um "mehr in Richtung Musikalität zu kommen". Du willst wissen, welche konkreten, spezifizierbaren Punkte andere unternommen haben. Genau dies ist aber nach wie vor die "Beachter-Falle", aus der Du vorgeblich raus willst.
 
@Viva la musica - höre mal auf, so viel zu denken, und mach einfach. Das ist nicht böse gemeint, sondern ein ernster Vorschlag.
Setz Dich ans Klavier, arbeite daran, Dein Hirn auszuschalten. Bist Du ein rechter "Kopfmensch"? Das ist ein Problem, sie neigen nämlich dazu, ständig zu analysieren.
Häng Dich - wenn wir die Analogie zum Malen beibehalten - nicht daran auf, wie/warum/wo der Blauton hin muss, sondern experimentiere, und zwar auch mit anderen Farbtönen! Nimm Deine akustische Farbpalette, und probiere "Dich" mit Deinen Möglichkeiten aus, und werde ein mal bisschen "aufsässig". Spiele staccato, wo legato gefordert ist, laut, wo leise gefordert ist, accel., wenn ein rit. gefordert wird, einfach aus Spaß an der Freud'.

Und halte es, um dabei zu bleiben, wie Bob Ross ("Joy of Painting"): "We don't make mistakes, just happy little accidents."
 
Seine Muttersprache wird man auch immer anders sprechen, als eine Sprache, die man bewusst gelernt hat.

Und wie lernt man seine Muttersprache? Allein schon dadurch, dass man sie ständig hört.

Bei Musik hilft auch nur ganz viel Musik zu hören und ganz viel Musik zu machen.
Es hat auch überhaupt nichts mit dem Klavierlernen oder dem Instrument zu tun, sondern damit, die Sprache der Musik zu verinnerlichen.

Mit solcher Hörerfahrung muss man rhythmische Figuren, Abschnittslängen (ein Achter, zwei Achter) nicht auszählen, kommen einem harmonische und rhythmische Phänomene vertraut vor, obwohl man nie ihren Namen gehört hat, und hat einen riesigen Fundus im Ohr (oder sonstwo), aus dem man sich bei seinen eigenen Versuchen ganz intuitiv bedient.

Das ist aber keine Sache von ein paar Jahren, sondern genauso wie es ein paar Jahre mehr dauert, zu einem eloquenten Sprecher zu werden, dauert es, zu einem Musiker zu werden.
 

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