Musik und das Gehirn

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debutante

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20. Mai 2011
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Hallo an Euch,

in der Klavierstunde sind wir der Frage nachgegangen, woran es liegen kann, dass man einige Stücke/Melodien leichter oder schneller spielen lernen kann, als andere. Wohlgemerkt, es geht um unbekannte Stücke (also nicht z.B. wir lernen jetzt dein lieblingslied auf dem klavier).
Es kam die These auf, dass es an einem gewissen "melodischen Lexikon" für "sinnvolle" Melodien/Ton-/Klangfolgen liegen könnte, welches das Erkennen von Melodien und das Einprägen unterstützen kann, da man ja quasi Neues mit Bekanntem verknüpft.

Ein solches "Lexikon" ist mir aus der Sprachverarbeitung bekannt, welches es uns unter Anderem erleichtert zwischen z.B. sinnvollen und unsinnigen Wörtern/Buchstabenkombinationen zu unterscheiden.

Mich würde nun interessieren, ob es tatsächlich so etwas wie ein "universales" Grundlexikon von "sinnvollen" Melodien gibt, welches dann individuell erweitert wird.
Wie genau definieren sich "sinnvolle" Melodien? Gibt es da Festlegungen, kulturelle Unterschiede?
Vielleicht kennt jemand Literatur zu diesem Thema und läßt mich teilhaben?
Wie sind Eure Erfahrungen/Gedanken zu dieser Fragestellung?

Sorry, falls ich mich unfachlich ausdrücke. Bin Musiklaie und lerne seit ca. 1 Jahr Klavier.
gespannte grüsse,
debutante
 
woran es liegen kann, dass man einige Stücke/Melodien leichter oder schneller spielen lernen kann, als andere.
Das hat auch was mit der eigenen "eingefahrenen" Denkstruktur zu tun oder anders ausgedrückt mit unserer Persönlichkeitsstruktur. Manche Dinge, die dem Individium entsprechen gehen ihm einfach leichter ein, weil sie zu ihm passen bzw. gehören. Manche Dinge kennt die Person nicht, hat sie nie kennengelernt, nie was davon gehört, nichts davon im Leben mitbekommen. Tauchen die unbekannten Dinge auf, die man doch lernen möchte, wehrt sich der Körper und der Geist: "Kenne ich nicht, will ich nicht, weg damit." Das läuft unterschwellig ab. Mir geht es oft so, wenn etwas Fremdes auf mich zu kommt, wird mir etwas übel. Der Körper wehrt sich gegen das Neue. Diese Hürde kenne ich inzwischen - und immer wieder muß ich gegenan - dann genau benötige ich meistens die Hilfe vom Lehrer. Mit der Zeit, wenn ich am Fremden regelmäßig trotzdem gearbeitet habe, verwandelt sich das Fremde in das Vertraute.

Die Frage hat mich auch schon sehr oft beschäftigt.

herzlicher Gruß
Kulimanauke
 
Mh, Kulis Antwort ist interessant. Gerade in meiner letzten Klavierstunde hatte ich das Problem. Ich habe mit meiner KL darüber gesprochen, dass ich vergleichsweise wenig geübt hätte. Und das, obwohl mich keine äußeren Umstände davon abgehalten haben. Sie hat mir dann sofort gesagt, dass ich eines der Stücke wohl nicht mag. In der Tat, es war eine Haydn Sonate, die mir etwas im Magen lag. Bisher hatte ich quasi noch nie Wiener Klassik gespielt und nur auf das drängen meiner Lehrerin mit Haydn angefangen. Wir haben uns dann dazu entschieden, Haydn gegen Nazareth einzutauschen - und schon übe ich wieder mehr (ok, das mag eine selbsterfüllende Prophezeiung sein).

Wie auch immer, vielleicht was es ein Fehler meinem Schweinehund nachzugeben? Andererseits, kann ich sicherlich auch ganz gut damit leben, niemals Wiener Klassik zu spielen...
 
Hallo an Euch,

in der Klavierstunde sind wir der Frage nachgegangen, woran es liegen kann, dass man einige Stücke/Melodien leichter oder schneller spielen lernen kann, als andere. Wohlgemerkt, es geht um unbekannte Stücke (also nicht z.B. wir lernen jetzt dein lieblingslied auf dem klavier).
Es kam die These auf, dass es an einem gewissen "melodischen Lexikon" für "sinnvolle" Melodien/Ton-/Klangfolgen liegen könnte, welches das Erkennen von Melodien und das Einprägen unterstützen kann, da man ja quasi Neues mit Bekanntem verknüpft.
sowas kann auch an der Komplexität liegen: es ist leichter, eine rhythmisch schlichte diatonische Melodie zu lernen als ein gezacktes Zwölftonthema voller rhythmischer Finessen ;)
freilich hat man als überwiegend im morschen Abendland aufgewachsen, diatonische Sachen (Dur, Moll) schon im Ohr - da wird es freilich schwieriger sein, Melodien aus anderen Tonsystemen zu erlernen

aber mal was zum lachen hierzu (ok, ein bekanntes Stück, aber trotzdem) :
Ravels Bolero (Orchester) anhören (ein- oder zweimal) - dann versuchen, die komplette Melodie richtig zu pfeifen -- das Ergebnis wird überraschend ausfallen :)

oh nochwas:
jeder kann flugs beliebte Rock/Pop-Melodien nachsingen oder pfeifen - aber wehe, man probiert die Synkopen am Klavier durchzufingern...
 
freilich hat man als überwiegend im morschen Abendland aufgewachsen, diatonische Sachen (Dur, Moll) schon im Ohr - da wird es freilich schwieriger sein, Melodien aus anderen Tonsystemen zu erlernen

ja, genau das war die frage: hat man das im ohr/musikalischen lexikon automatisch und ist je nach musikalischer "erziehung/entwicklung" dann auch erst mal - naja mehr oder weniger eingeschränkt auf dieses repertoire - bleibt also erst mal bei "morschen Abendland"-Stücken? und erst wenn es entsprechend erweitert ist, hat man dann z.B. ein ohr und lust auf wiener klassik oder was ganz anderes????
 
ja, genau das war die frage: hat man das im ohr/musikalischen lexikon automatisch und ist je nach musikalischer "erziehung/entwicklung" dann auch erst mal - naja mehr oder weniger eingeschränkt auf dieses repertoire - bleibt also erst mal bei "morschen Abendland"-Stücken? und erst wenn es entsprechend erweitert ist, hat man dann z.B. ein ohr und lust auf wiener klassik oder was ganz anderes????

Ich würde ja vermuten, dass in Rolf'scher Definition des morschen Abendlandes die Wiener Klassiker enthalten sind. ;-)

Davon abgesehen: Zwölftonmusik bspw. wird häufig auch im Konzert nach Noten gespielt. Morsches Abendland deutlich seltener.
 
Hallo an Euch,

in der Klavierstunde sind wir der Frage nachgegangen, woran es liegen kann, dass man einige Stücke/Melodien leichter oder schneller spielen lernen kann, als andere. ....
Es kam die These auf, dass es an einem gewissen "melodischen Lexikon" für "sinnvolle" Melodien/Ton-/Klangfolgen liegen könnte, welches das Erkennen von Melodien und das Einprägen unterstützen kann, da man ja quasi Neues mit Bekanntem verknüpft.

Hallo debutante,

eine interessante Frage hast du da aufgeworfen!

Ich denke dabei zunächst an den frühkindlichen Spracherwerb! Kleinkinder, verfügen in dem Alter, in dem i.d.R. die Muttersprache erlernt wird, potentiell und über einen nahezu unerschöpflichen Vorrat an phonetischen Lautbildungsmöglichkeiten. Im Zuge des Erlernens der Muttersprache spezialisiert sich das Kind dann jedoch auf nur wenige dieser Möglichkeiten, die ungenutzten verkümmern. Daher fällt es dann in späterem Alter auch relativ schwer, Sprachen zu lernen, in denen eine ganz andere Auswahl der zahlreichen Lautbildungsmöglichkeiten beim Mutterspracherwerb im Kindesalter installiert wird....

Ich denke, dass sich dies mit dem Erwerb musikalischen Verständnisses und musikalischer Fertigkeiten vergleichen lässt. Auch die uns alltäglich von Kindesbeinen an umgebende (oder leider nicht umgebende) Musik prägt unser musikalisches Verständnis vor, bzw. lässt es z.T. auch verkümmern.

Die Existenz eines "universalen" Grundlexikons "sinnvoller Melodien" kann ich mir allerdings nicht vorstellen!:D

LG

Debbie digitalis
 
Ich würde ja vermuten, dass in Rolf'scher Definition des morschen Abendlandes die Wiener Klassiker...
Oh ha, vielleicht sollte ich meine Definition von morsch neu überdenken :D

@debbie: der Vergleich mit dem spracherwerb kam mir auch in den Sinn. Das würde aber im umkehrschluss ja implizieren, dass ein Kind, welches z.b. Im europäischen Raum aufwächst, aber z.b mit asiatischer oder orientalischer Musik entsprechend auch ein 'ohr' für eben jene Melodien und Tonfolgen entwickelt und diese dann gegebenenfalls leichter erlernt, als "fremde" morsche was auch immer?
 
Das würde aber im umkehrschluss ja implizieren, dass ein Kind, welches z.b. Im europäischen Raum aufwächst, aber z.b mit asiatischer oder orientalischer Musik entsprechend auch ein 'ohr' für eben jene Melodien und Tonfolgen entwickelt und diese dann gegebenenfalls leichter erlernt

Hallo debutante,

ich denke schon, dass Kinder die - rein linguistisch gesehen - gleichzeitig in zwei (Sprach)kulturen heranwachsen, uns eindimensionalen Muttersprachlern etwas voraus haben - warum sollte sich das nicht auch auf die Entwicklung ihres musikalischen Empfindens auswirken???

LG

Debbie digitalis
 
Hallo an Euch,

in der Klavierstunde sind wir der Frage nachgegangen, woran es liegen kann, dass man einige Stücke/Melodien leichter oder schneller spielen lernen kann, als andere. Wohlgemerkt, es geht um unbekannte Stücke (also nicht z.B. wir lernen jetzt dein lieblingslied auf dem klavier).
Es kam die These auf, dass es an einem gewissen "melodischen Lexikon" für "sinnvolle" Melodien/Ton-/Klangfolgen liegen könnte, welches das Erkennen von Melodien und das Einprägen unterstützen kann, da man ja quasi Neues mit Bekanntem verknüpft.

Ein solches "Lexikon" ist mir aus der Sprachverarbeitung bekannt, welches es uns unter Anderem erleichtert zwischen z.B. sinnvollen und unsinnigen Wörtern/Buchstabenkombinationen zu unterscheiden.

Mich würde nun interessieren, ob es tatsächlich so etwas wie ein "universales" Grundlexikon von "sinnvollen" Melodien gibt, welches dann individuell erweitert wird.
Wie genau definieren sich "sinnvolle" Melodien? Gibt es da Festlegungen, kulturelle Unterschiede?
Vielleicht kennt jemand Literatur zu diesem Thema und läßt mich teilhaben?
Wie sind Eure Erfahrungen/Gedanken zu dieser Fragestellung?

Sorry, falls ich mich unfachlich ausdrücke. Bin Musiklaie und lerne seit ca. 1 Jahr Klavier.
gespannte grüsse,
debutante

Hallo, Debutante, ein interessantes Thema, und interessante und m.E. richtige Antworten. In der Pädagogik lernt man dazu die Begriffe von "Assimilation" und "Akkomodation" nach dem "Lernpsychologen" Piaget. Assimilation bedeutet dann im Fall des Klavierwerks eine intrapsychische Anpassung der Melodien, Rhythmen und Harmonien an die schon bekannten musikalischen Muster, die dem Rezipienten kulturell bedingt vermittelt wurden. Dies benötigt den geringsten "Aufwand", und führt schnell zu einer befriedigenden Wahrnehmung. Wenn aber der neue Sinnesreiz nicht assimilierbar ist, ist mehr Energie und Aufwand nötig, weil die Denk-und Handlungsstrukturen erweitert und verändert werden müssen. Dann findet eine "Akkomodation" statt: eine Anpassung des eigenen Denkens und Handelns an den neuen Reiz, hier speziell an die andersartige Musik (Zwölftonmusik zum Beispiel oder Vierteltonmusik, etc).
Diese beiden Verhaltensmodi von "Assimilation" und "Akkomodation" begegnen uns sogar generell auch in den Naturwissenschaften. Werden z.B. in der Physik neue Erkenntnisse gefunden, wird zunächst versucht, sie mit dem bestehenden Paradigma zu synchronisieren: Assimilation. Gern wird so versucht, ein bestehndes Naturgesetz zu verifizieren. Klappt das nicht, wird noch lange nicht akkomodiert ( also das alte Naturgesetz aufgegeben), sondern erst einmal das Paradigma verändert und erweitert. Geht auch das nicht, beginnt erst die Akkomodation: siehe Einsteins Relativitätstheorie. Also ist Assimilation an bekannte Strukturen die menschlich "Beliebtere", weil auch leichtere kognitive Vorgehensweise. Lernen aber bedeutet immer zu assimilieren und zu akkomodieren. Beide Vorgehensweisen sind kognitive Grundkonstanten, die natürlich auch in der Musik gelten. Wenn nicht, endet man vielleicht als Musiker wie ein gewisser Andre Rieu...die Welt als Wiener Walzer...
Gruß! Stephan
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
ja, vielen dank für eure meinungen/erfahrungen.

stephan, an den piaget-ansatz hab ich in diesem zusammenhang tatsächlich nicht gedacht, obwohl er mir natürlich im zusammenhang mit lerntheorien durchaus bekannt ist. da haben meine assimilations- und akkomodationsprozesse anscheinend versagt :D insofern: merci für den nachvollziehbaren input!

beste grüsse,
debu
 

ich hatte heute gelegenheit, an einem vortrag von hr. stefan hammel zum thema metaphern und geschichten in der (hypno-)psychotherapie teilzuhaben. gerade eben entdeckte ich auf seinem web-angebot eine linksammlung, die vielleicht auch hier spannend sein könnte: diverse veröffentlichungen von hr. peter schneider zum thema musik und gehirn.

anbei der link: Peter Schneider - Hypnotherapeutische & Systemische Beratung - Stefan Hammel

musikalische grüsse!
 

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