Klavierspielen lernen auf solidem Niveau für jeden erreichbar?

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12345

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Hallo Leute,

ich habe folgendes Problem: Ein Bekannter von mir (23, spilet seit angeblich 6 Jahren) kam zu mir, ob ich ihm Unterricht erteilen könne - er habe Probleme, weiter zu kommen. Gut, ich willigte ein (mit dem Hinweis, dass ich selbst kein Lehrer sei und nur auf mittelschwerem Niveau spielen könne; mein letztes Stück war eine Beethoven Sonate, bzw die Waldstein). Wir trafen uns und er spielte mir mehrheitlich New Age Zeug vor, also Einaudi etc., wovon ich nicht gerade ein Fan bin. Außerdem war ich etwas überrascht, dass er nach angeblich 6 Jahren konstantem Üben erst auf so einem Level ist?! Ich hakte nach: Nein, er übe fast jeden Tag 1-2h, dann meist Pop und Co. ...also dachte ich mir: Klar, dass er nicht weiter kommt, er braucht Stücke, an denen er wahcsen kann. Ich fing mit ihm ein einfacheres Debussy Stück an sowie ein Stück aus dem Album für die Jugend von Schumann. Das war vor 3 Monaten. Er kann die Stückje immer noch nicht zusammen spielen. Er übt, darauf besteht er, fleißig, aber er macht fast keine bis gar keine Fortschritte!
Ich will ihn nicht aufgeben, aber langsam kommt bei mir die Frage auf: Gibt es vielleicht Menschen, die einfach von Natur aus auf einem gewissen niedrigen Level stagnieren und nicht weiter kommen KÖNNEN?
Ich habe mich natürlich auch gefragt, ob es an mir liegt, aber eigentlich sollte er schon alleine beide Hände wenigstens zusammen einstudieren können und er hatte davor schon anderweitig professionell Unterricht, der ja scheinbar auch nicht gefruchtet hat. Auch ist nicht das Problem, dass er gar keinen Ehrgeiz hat, weiterzukommen, im Gegenteil: Er will, aber kann offenbar nicht...
Ich kenne ihn ziemlich gut, ich weiß daher, eine "Intelligenzbestie" ist er nicht gerade (nicht abwertend gemeint!), er lernt auch allgemein ziemlich langsam und tut sich mit vielem schwer. Tja, aber wie weiter verfahren? Wie gesagt, aufgeben will ich nicht, aber mir gehen die Ideen aus....

Danke chonmal und LG
12345
 
Ich würde das nicht direkt überraschend finden. Es gibt auch Menschen mit hochgradig unterschiedlichem Sprachtalent, also warum nicht auch bei einem Musikinstrument? Meiner ganz persönlichen Privatmeinung nach hängen sprachliche Begabung und Musikalität sogar möglicherweise lose zusammen, aber das ist wie gesagt nur meine ganz private Meinung dazu.

Es gibt keinen wahrhaft unmusikalischen Menschen, das würde ich weiterhin immer unterschreiben, genauso wie es keinen Menschen ganz ohne Sprachtalent gibt. Aber es gibt krasse Unterschiede in der Art, wie Menschen lernen, sprich der Zugang, der beim einen funktioniert, muss für den nächsten nicht unbedingt funktionieren.

Außerdem ist Lernen eine Sache von Disziplin und vor allem eine echte geistige Anstrengung. Wer auf passivem Niveau verharrt, wird egal welches Gebiet niemals verinnerlichen. Was einer der Gründe ist, warum wir damals an der Uni gezwungen worden sind, regelmäßig die Übungen zu machen, bevor wir auch nur die Klausur versuchen durften: weil man es eben nur lernt, wenn man aktiv daran arbeitet, egal ob eine Sprache, ob Physik, Mathematik oder Musik. Just my $0.02 dazu.
 
Gibt es vielleicht Menschen, die einfach von Natur aus auf einem gewissen niedrigen Level stagnieren und nicht weiter kommen KÖNNEN?

Ja, die gibt es auch. Es sind aber nicht besonders viele. Für sich selbst nennt man sie "unbegabt" oder "untalentiert". Wenn sie keine höheren Ambitionen haben, sagt man ihnen das aber nicht, sondern unterstützt freundlich die Hartnäckigkeit mit der sie sich fortentwickeln wollen.

Es gibt aber auch viele bisherige Autodidakten, oder falsch Unterrichtete die vollkommen versaut sind. Sie haben aus Tutorials bei Youtube gelernt oder vom bisherigen Lehrer gezeigt bekommen, wo sie wann ihre Finger hinzusetzen haben. Ersteres ist frei gewähltes Unheil, letzteres ist ein Verbrechen. Auch diese Schüler sind an dem Punkt, wo sie sich nicht mehr mit visuellen Mittteln und der Erinnerung behelfen können, zunächst nicht mehr so recht entwicklungsfähig. Mit ihnen muss man den schweren Weg ganz zurück zu den Wurzeln gehen. Man muss ihnen auf diesem Weg, sämtliche bisherigen Lern und Spielstrategien abgewöhnen. Sehr mühsam. Darüber sollte man mit diesen Schülern sprechen.

Ohne Grundlagen geht gar nichts. Nicht mal für den Talentiertesten.
 
Vielleicht hat er einfach noch nicht das richtige Instrument für sich gefunden?
 
aber langsam kommt bei mir die Frage auf: Gibt es vielleicht Menschen, die einfach von Natur aus auf einem gewissen niedrigen Level stagnieren und nicht weiter kommen KÖNNEN?
ja, das gibt es.
diese Antwort mag vielleicht politisch unkorrekt sein...
um salopp formuliert die Richtung anzugeben: es wird nicht jeder Physikaspirant zum Nobelpreisträger für Physik, und das liegt nicht an irgendwelchen Schieflagen in Sachen Chancengleichheit.
 
Mal abgesehen davon, dass ich jeden Tag 1-2 Stunden bei einem nebenberuflichen Hobby-Spieler beinahe nicht glauben mag... hast du ihn mal gefragt, wie er übt? Ich kann auch einen gesamten Sonntag verklimpern und es bringt mir gar nichts. Wenn ich keine Lust habe, bzw. nicht den Willen mir konzentriert etwas anzusehen (und sei es nur, an meiner Dynamik-Kontrolle zu arbeiten und Läufe gleichmäßiger zu gestalten), lasse ich es lieber gleich sein und lese ein Buch.

Ich würde daher mal Mäuschen spielen und ihm sagen "ich bin gar nicht da, du übst: was tust du?" Und dann mal gucken: was für Übungen macht er, spielt er sich ein bzw. macht Lockerungsübungen, analysiert er ein Stück bzw. nutzt er frühere solche Information? Wie übt er hartnäckige Stellen: immer gleich beide Hände zusammen oder schwierige Abläufe erst langsam und getrennt, bis sie gleichmäßig und geschmeidig gehen und er nicht über jede Taste einzeln "nachdenken" muss, dann zusammen und schneller werdend. Das wäre oftmals IMHO sinnvoller, ist aber "anstrengend", weshalb ich das früher auch nie gerne gemacht habe. Nutzt er ein Metronom, zumindest wenn das Stück "neu" ist? Wie klappen generell die Lagenwechsel, und bereit er diese sauber und früh vor?

...und das sind nur die Dinge, die mir als Halblaien recht spontan einfallen. Ist ja nicht so, dass ich nicht selbst kämpfe, gerade weil ich auch Spätanfänger bin.
 
Ich fing mit ihm ein einfacheres Debussy Stück an sowie ein Stück aus dem Album für die Jugend von Schumann. Das war vor 3 Monaten. Er kann die Stückje immer noch nicht zusammen spielen. Er übt, darauf besteht er, fleißig

Stücke, die nach 3 Monaten offenbar nicht ansatzweise gespielt werden können, sind zu schwer (aus welchem Grund auch immer). Du solltest ihn etwas Leichteres spielen lassen.
 
Ich würde daher mal Mäuschen spielen und ihm sagen "ich bin gar nicht da, du übst: was tust du?" Und dann mal gucken: was für Übungen macht er, spielt er sich ein bzw. macht Lockerungsübungen, ...

Ich persönlich finde das eine sehr gute Idee. Zur Realisierung gäbe es zwei Möglichkeiten:
1) Du machst tatsächlich eine Stunde Unterricht so, dass du ihm sagst: "Stell Dir mal vor ich wäre nicht da, und du übst jetzt das Stück." Und dann schaust du dir (ohne Intervention!!) an, was er so in der nächsten halben Stunde macht. Das könnte aufschlussreich sein.
2) Andere Möglichkeit: Bitte ihn, mal eine Kamera aufzustellen, sich beim Üben zu filmen und dir das Video zu geben. Das nimmt dann bei dir etwas extra Zeit in Anspruch, weil du dir das ansehen musst.
 
so beliebt die Annahme ist, dass das Unvermögen bzw. der mangelhafte Lernerfolg eines Schülers stets ausschließlich am Lehrer liegt, so falsch ist sie auch.
Warum hält sich diese ebenso beliebte wie falsche Annahme so hartnäckig? Weil vielen Menschen das Streben nach bequemen Erklärungen eigen ist. In diesem Falle werden einfach "Geben" und "Nehmen" gegeneinander aufgerechnet: Die Lehrkraft erhält ihr Honorar, also soll sie gefälligst dafür Sorge tragen, dass ich Klavier spielen kann. Leider funktioniert ein Unterrichtsverhältnis nicht wie ein Automat: Oben Geld einwerfen und unten kommt das gewählte Produkt raus, einfach auspacken und genießen.

Die Rolle eines Instrumentallehrers ist eher die eines Trainers oder eines Therapeuten, wie mir mal eine freiberufliche Psychotherapeutin und Amateursängerin vor vielen Jahren treffend erklärt hat: Der Therapeut hilft mit seinem Fachwissen dem Klienten bei der Bewältigung der Aufgabe, seine seelische Verfassung wieder in Ordnung zu bringen. Wer einen Klavierlehrer als einen Automat auf zwei Beinen ansieht, verhält sich wie ein Patient, der sich vor dem Arzt in der Sprechstunde hinpflanzt und ihn auffordert, mal schnell die Schmerzen und Krankheitssymptome weg zu zaubern - als ob man Jesus Christus vor sich hätte. Viele Wunderheiler und Scharlatane leben profitabel von dem Mythos, man könne sich einfach gesund programmieren, am liebsten ohne eigene Anstrengungen. Manchem wird diese Erkenntnis erst nach großen finanziellen Verlusten und vielen enttäuschten Hoffnungen bewusst.

LG von Rheinkultur
 

Hallo 12345,

Als Lehrer sollst Du nicht unzufrieden sein, wenn Dein Schüler viel übt. Ich denke, er macht Fortschritte. Würde er keine machen, täte er sich nicht hin setzen und üben. Er hätte längst das Handtuch geworfen, wenn er mit sich selbst unzufrieden ist. Seine Fortschritte kannst Du nicht mit den Deinen Vergleichen. Die Freude muss da sein und anscheinend ist sie das. Gib ihm kleine Häppchen und nicht zuviel auf einmal. Dann sieh zu, dass er dieses kleine Häppchen auch wirklich umsetzt. Es muss ihm in Fleisch und Blut übergehen und dann erst kommt der nächste Brocken bzw. Häppchen...

Für die Zeit, in der er nicht übt oder üben kann, gib ihm Musik zum anhören als Aufgabe. Scheinbar kennt er nicht viel klassische Musik.

Lass ihm Zeit und sei nicht ungeduldig!

LG
Michael
 
Zuletzt bearbeitet:
..."für jeden erreichbar"?

Komme gerade vom Auftritt mit einem meiner Chöre und mir drängt sich eine Parallel-Erfahrung aus dem Chorwesen auf. Nicht erst seit neulich, sondern schon seit vielen Jahren haben hierzulande Laienchöre und Gesangvereine große Schwierigkeiten, Sängernachwuchs zu rekrutieren. Irgendwann ging man dazu über, vermeintliche Schwellenängste für den Einstieg etwaiger Interessenten abbauen zu wollen. Das war die Geburtsstunde für Öffentlichkeitsarbeit mit Losungen wie "Jeder kann singen", "Keine Vorkenntnisse erforderlich", "Niemand muss vorsingen", von denen man inzwischen zunehmend wieder abrückt - warum? Weil trotzdem niemand kommt. Ich möchte sogar behaupten, dass gerade die Betonung des Verzichts auf Eigenleistungen, das Mitbringen entsprechender Voraussetzungen und die Selbstdarstellung als reiner Spaßverein die wirklich interessierten Kandidaten abschreckt, während zufällig vorbeischauende halbherzige Naturen bald schon die Lust am Mitsingen verlieren, wenn ihnen klar wird, dass der Weg zum Erfolg mit Anstrengungen verbunden ist. Auch professionell ausgebildete Chorleiter sind keine charismatischen Wunderheiler, die aus wenig interessierten Gelegenheitsgästen mit geringer Musikalität einen versierten Meisterchor zaubern können.

Man stelle sich mal vor, ein auf eine Mannschaftssportart spezialisierter Verein würde mit solchen Parolen Nachwuchsarbeit betreiben - auch wenn sich im Profibereich bei ausbleibendem Erfolg das Patentrezept des Trainerwechsels durchgesetzt hat. Dieses beruht aber nicht auf der irrigen Hoffnung, beim nächsten Kandidaten würde alles besser, sondern auf der Tatsache, dass eine Trennung von einem "Versager" (dem Trainer) leichter realisierbar ist als zwanzig oder noch mehr Spieler austauschen zu müssen.

LG von Rheinkultur
 
Mal abgesehen davon, dass ich jeden Tag 1-2 Stunden bei einem nebenberuflichen Hobby-Spieler beinahe nicht glauben mag...


*Räusper* ... also ich spiele 1-2 Stunden am Tag, am WE z.T. auch mehr.

Aber davon abgesehen: Ich bin sicher, dass es Menschen gibt, die Klavierspielen (oder was auch immer) nicht lernen können. Das Beispiel mit den Sprachen fand ich ganz gut - ich hab da jemanden im engen Kreis, der sich seit Jahren mit Englisch plagt und es will einfach nicht so recht vorwärts gehen.

Menschen sind einfach unterschiedlich.

LG
 
Jetzt habe ich gerade noch eine Idee... guck doch mal ob er den Takt richtig zählen kann. Vielleicht bringt er die Hände nicht zusammen, weil er bisher nie gelernt hat gescheit zu zählen.

Nach 6 Jahren sollte man sich natürlich in den Taktarten auskennen, aber vielleicht hatte er einen Lehrer, der ihn nie ein Stück selber hat erarbeiten lassen?

Nur ein Gedanke - ich geh jetzt weiter üben ;)

LG
 
Im Zusammenhang mit ADHS-Forschung:

Zitat:
"Besonders überraschte uns, dass wir am Volumen einer bestimmten Hirnstruktur zu Beginn des Instrumentalunterrichts verlässlich vorhersagen konnten, wie viel Zeit die Kinder in Zukunft mit dem Üben verbringen würden", erklärt Seither-Preisler. Dies zeigt erstmalig, dass die Motivation, ein Instrument zu lernen, nicht nur von der Unterstützung des sozialen Umfelds, sondern auch von der Veranlagung im Gehirn abhängt. "Wer günstige Voraussetzungen mitbringt, wird leichter und mit mehr Begeisterung bestimmte Fähigkeiten erlernen - beispielsweise zu malen oder Schach zu spielen. Das sollte man in Zukunft stärker berücksichtigen", empfehlen die Forscher. Werden solche Kinder nämlich rechtzeitig in ihren Talenten und Interessen unterstützt, entwickeln sich die zugehörigen neuronalen Netzwerke besonders günstig, wodurch Lernen zunehmend zum Selbstläufer wird.

https://www.klinikum.uni-heidelberg....136514.0.html?ifab_modus=detail&ifab_id=5035
 
@Tastenscherge
Sehr interessant! Wenn die Untersuchung nur nicht so aufwändig wäre...
 
Ist ja dank Big Data heute schon bei Google und Facebook der Fall.

Data Mining ist ein erschütternd mächtiges Werkzeug, ja. Und die ganzen Facebook- und WhatsApp- und Wasweißich-Fans wissen das nicht oder es ist ihnen egal. Ja, ich habe auch ein Android-Device, und ich mache mir keine Illusionen... auch wenn ich so geizig bin wie möglich darin, was ich dem Device "sage". Aber ich mache es zwischendurch auch einfach mal aus, und ich verweigere mich den neuesten "hier Ihre Daten für kostenloses nutzloses Feature X", soweit es geht.

Dank jetzt sogar aufkommender "Ever-Cookie"-Techniken (Fingerprinting des Browsers zur Verfolgung von Werbekunden, das nicht mal eben durch Cookie-Löschen ausgetrickst werden kann) werden Buch und Brief langsam wieder wirklich attraktiv...
 
@Tastenscherge
Das wäre der Augenblick, wo sogar ich als Technikmuffel bereit wäre, mir ein entsprechendes Gerät zuzulegen. Dann müsste ich vielleicht nicht immer so lange rumrätseln, was ich abends kochen soll/will/muss.
 

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