Klassische Kunstmusik mit Jazzeinflüssen

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Tastimo

Guest
Hallo zusammen,

was haltet ihr von klassischer Kunstmusik, die von Jazz beeinflusst ist?

Ich denke hier z.B. an die Gershwin-Preludes, die Trois pieces pour piano von Boris Blacher und an Guldas „Play piano play“.

Haltet ihr das für eine gelungene Verschmelzung? Oder ist eurer Meinung nach zusammengefügt worden, was nicht zusammen gehört?
 
Ich kenne die Gershwin-Stücke und ich kenne Guldas "Play Piano Play". Beides gefällt mir sehr gut. Deswegen brauche ich über eine Daseinsberechtigung von beiden nicht nachzudenken - sie ist gegeben.

CW
 
Es wären ja noch, wenn man schon mal dabei ist, z.B. die Werke von Kapustin zu nennen... Auch in den Ligeti-Etüden sind diverse Anklänge an Jazz bzw. afrikanische Musik zu finden.

Alles natürlich gute Sachen. Wenn man unbedingt ein danebengegangenes Stück nennen will, dann sicherlich z.B. Schostakowitschs "Jazz-Suite". Das ist wirklich belustigend, dass er glaubte, DAS seien Jazz-Elemente :lol: Aber gut, er lebte in der Sowjetunion und hatte nicht so freien Zugang zu Aufnahmen oder Live-Performances... also wollen wir mal nicht so streng mit ihm sein :coolguy:
 
Ein paar kleine "jazzige" Einsprengsel gibts in beiden Ravelkonzerten.
Korngold
Hindemith
Debussy und seine zwei Ragtimes
...Beethoven...fieser Geschwindboogie ohne blue notes, aber mehr drive als Hasenbein beim balzen:-D:-D:drink:
 
Ok, danke für eure bisherigen Einschätzungen!

Ich finde die Versuche, Jazzmusik mit Kunstmusik zu verbinden, als Grundidee gut und bereichernd.
Allerdings empfinde ich es auch so, dass in vielen Werken eher die klassische Kunstmusik davon profitiert als der Jazz: Die Wildheit des Jazz wird gezähmt und wirkt auf mich nur noch (überspitzt formuliert) wie ein „exotisches“ Gewürz. Bei Ligeti und Ravel, aber auch bei Gulda ist das Verschmelzen zu etwas Authentischem noch am besten gelungen.

Umgekehrt übrigens finde ich klassische Einflüsse in der Jazzmusik sehr viel passender. Wobei sich das ja in der Mehrheit der Jazz-Stücke auf Einflüsse des Bach-Stils bezieht z.B. Nina Simone, Aziza Mustafa Zadeh u.a.)
Und Bach gilt ja vielen als der erste Jazzmusiker.
Frage an die Jazzmusiker hier: Gibt es Jazzmusik, die z.B. von Mozart oder Chopin beeinflusst worden ist?
 
ja ... gibt es ...

als erstes fallen mir das Modern Jazz Quartet, die Swingle Singers und Jaques Loussier ein ....
und dann gibts noch unzählige andere
 
In Polen hab ich mal einen hervorragenden Jazzpianisten erlebt, der sich nicht immer mit Erfolg mit Chopin auseinandergesetzt hat. Name???
Eine lustige Zugabe ist von Doucet die Chopinata.
 
Gibt Adam Makowicz und Leszek Mozdzer - beide haben auch Chopin-Bearbeitungen gespielt.
 
Gibt es Jazzmusik, die z.B. von Mozart oder Chopin beeinflusst worden ist?

Hier sollte man sicherlich näher definieren, was "beeinflussen" bedeutet. Die bisher genannten Beispiele zeigen ja eher eine Auseinandersetzung mit der klassischen Musik, indem man vorhandene klassische Themen als Grundlage nimmt. Und da gibt es in der Tat eine nahezu unüberschaubare Anzahl an Interpreten, die dieses gemacht haben. Leute wie Loussier oder Eugen Cicero haben so ja quasi ein neues Genre erfunden, für das MJQ war die Polyphonie eines Bach auch jenseits von Themen des Altmeisters wichtiger Bestandteil ihrer Interpretationen. Oscar Peterson, der ja klassischen Klavierunterricht mit Choipn-Etüden etc. hatte, hat eine kleine Suite Salute to Bach komponiert, Dave Brubeck, der ja u.a. bei Milhaud studiert hat, hat mit Kompositionen wie Brandenburg Gate ebenfalls Großmeister Bach gehuldigt. Ich mag es gerne, wenn sich Pianisten wie McCoy Tyner, von denen man es erst einmal nicht erwartet, mit Themen wie dem Prélude op. 28.4 von Chopin oder dem 2. Satz der Pathetique von Beethoven musikalisch beschäftigen, für Klassik-Puristen ist dies sicherlich ein Graus:005::026:.
 
Zuletzt bearbeitet:

Da wird halt das Themenmaterial genommen und etwas anderes draus gemacht. Warum nicht - man darf es halt nicht durch die Klassikerbrille betrachten.

Ist doch umgekehrt genauso - Klassiker nehmen Elemente aus Jazzmusik und machen was anderes draus, das darf man auch nicht durch die Jazzerbrille betrachten.

Tut man das jeweils doch, dann stört einen im einen Falle z.B. das ungehobelte Spiel oder der "naive" Umgang mit dem Themenmaterial, im anderen Falle z.B. der ungroovige Rhythmus, das Verkopfte oder das "zu Glatte".
 
Da wird halt das Themenmaterial genommen und etwas anderes draus gemacht. Warum nicht - man darf es halt nicht durch die Klassikerbrille betrachten.

Ist doch umgekehrt genauso - Klassiker nehmen Elemente aus Jazzmusik und machen was anderes draus, das darf man auch nicht durch die Jazzerbrille betrachten.

Tut man das jeweils doch, dann stört einen im einen Falle z.B. das ungehobelte Spiel oder der "naive" Umgang mit dem Themenmaterial, im anderen Falle z.B. der ungroovige Rhythmus, das Verkopfte oder das "zu Glatte".
Ok, das sagt mir, dass bei diesen Entscheidungsfragen wahrscheinlich die eigene musikalische Herkunft, die fortlaufende Entwicklung des musikalischen Verständnisses und, noch viel wichtiger, die Erwartungshaltung eine wichtige Rolle spielen. Taucht im Titel der Begriff „Jazz“ auf oder hat man vor dem Hören gelesen/gehört, dass das Stück Jazz-Einflüsse hat, wird eine Erwartung aufgebaut, die dann manchmal nicht gehalten werden kann.
Ist ja bei Programmmusik ähnlich. Und Jazz als Programm für „klassische“ Werke ist dann deshalb auch problematisch.

Dennoch denke ich aber, dass klassische Strukturen die Einschmelzung in Jazzmusik per se besser vertragen als andersherum, Wobei das ja ein Fass ohne Boden ist: Eine Blue Note in einer Prokoffief-Sonate (beabsichtigt oder nicht) ist eine interessante Farbe und wirkt überraschend. Hätte er das Stück „Jazz-Sonate“ genannt, wäre ich wahrscheinlich eher enttäuscht.
 
Ok, das sagt mir, dass bei diesen Entscheidungsfragen wahrscheinlich die eigene musikalische Herkunft, die fortlaufende Entwicklung des musikalischen Verständnisses und, noch viel wichtiger, die Erwartungshaltung eine wichtige Rolle spielen. Taucht im Titel der Begriff „Jazz“ auf oder hat man vor dem Hören gelesen/gehört, dass das Stück Jazz-Einflüsse hat, wird eine Erwartung aufgebaut, die dann manchmal nicht gehalten werden kann.
Ist ja bei Programmmusik ähnlich. Und Jazz als Programm für „klassische“ Werke ist dann deshalb auch problematisch.

Dennoch denke ich aber, dass klassische Strukturen die Einschmelzung in Jazzmusik per se besser vertragen als andersherum, Wobei das ja ein Fass ohne Boden ist: Eine Blue Note in einer Prokoffief-Sonate (beabsichtigt oder nicht) ist eine interessante Farbe und wirkt überraschend. Hätte er das Stück „Jazz-Sonate“ genannt, wäre ich wahrscheinlich eher enttäuscht.

Spannend finde ich, wenn klassische Orchester mit Jazzmusikern auftreten. Es gab z.B. mal ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Ozawa in der Waldbühne, die zusammen mit dem Trio des blinden Jazzpianisten Marcus Roberts Werke von Gershwin wie das Klavierkonzert und die Rhapsody in Blue aufgeführt haben. Hat mir sehr gut gefallen. Oder Kompositionen wie die Dialogues for Jazz Combo and Orchestra von Howard Brubeck, wo das Orchester nach Notentext spielt und die Jazzmusiker vorwiegend improvisieren.
 
Ok, das sagt mir, dass bei diesen Entscheidungsfragen wahrscheinlich die eigene musikalische Herkunft, die fortlaufende Entwicklung des musikalischen Verständnisses und, noch viel wichtiger, die Erwartungshaltung eine wichtige Rolle spielen.

Das spielt doch bei jeder Musik eine Rolle, oder!?

Taucht im Titel der Begriff „Jazz“ auf oder hat man vor dem Hören gelesen/gehört, dass das Stück Jazz-Einflüsse hat, wird eine Erwartung aufgebaut, die dann manchmal nicht gehalten werden kann.

Natürlich. Wenn draussen groß "Striptease" dran steht und im Laden die Mädels ihre Klamotten auf der Bühne anbehalten, dann fehlt was ... bzw. ist zuviel.

Grüße
Häretiker
 
Spannend finde ich, wenn klassische Orchester mit Jazzmusikern auftreten. Es gab z.B. mal ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Ozawa in der Waldbühne, die zusammen mit dem Trio des blinden Jazzpianisten Marcus Roberts Werke von Gershwin wie das Klavierkonzert und die Rhapsody in Blue aufgeführt haben. Hat mir sehr gut gefallen. Oder Kompositionen wie die Dialogues for Jazz Combo and Orchestra von Howard Brubeck, wo das Orchester nach Notentext spielt und die Jazzmusiker vorwiegend improvisieren.
Sehr gut ist, wie Herbie Hancock auf seiner Platte "Gershwin's World" zusammen mit dem Orpheus Chamber Orchestra den langsamen Satz aus Ravels Klavierkonzert (das für beide Hände ;-)) spielt! Und zwar nicht original, sondern mit Improvisationen!
 
Das spielt doch bei jeder Musik eine Rolle, oder!?



Natürlich. Wenn draussen groß "Striptease" dran steht und im Laden die Mädels ihre Klamotten auf der Bühne anbehalten, dann fehlt was ... bzw. ist zuviel.

Grüße
Häretiker
Ja, in gewisser Weise spielt das bei jeder Musik eine Rolle, aber je extremer bzw. differenzierter der Titel oder die Beschreibung sind, umso stärker wird eine Erwartungshaltung aufgebaut. Im Zusammenspiel mit der Struktur ergeben sich dann aber sehr unterschiedliche Hörwahrnehmungen. Wenn ein Stück „Suite espangnole“ heißt, erwarte ich etwas Spanisch-Folkloristisches. Erklingt dann kein reiner Flamenco, bin ich nicht enttäuscht, sondern habe das Gefühl, dass sich hier verschiedene Welten sehr gut mischen. Beim Jazz ist das etwas Anderes. Warum - keine Ahnung. Das muss ja aber irgendwie an der genuinen Struktur der Musik liegen.
 
Warum wurde Piazzolla noch gar nicht genannt? :angst:
 

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