J.S. Bach und das Tempo

S

Sabri

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Aus aktuellem Anlass und da ich keinen passenden Thread gefunden habe, mache ich diesen Faden mal auf.

Wie handhabt ihr das mit dem Tempo in Bachs Werken?

Orientiert ihr euch da an irgendwas? (So, wie man als Anfänger eine Art "Standardgeschwindigkeit" für gewisse Notenwerte nimmt z.B.)
Spielt ihr es so, wie es sicch in euren Ohren gut anhört/ sinnvoll ist?
Oder einfach so, wie es die meisten machen?

Liebe Grüße,
Sabri
 
Diese Frage kann man nicht beantworten. Es ist doch von Stück zu Stück verschieden und dann kommts noch auf den Spieler an (Können, Geschmack).

Vergleiche mal das WTK oder die Inventionen mit diversen Pianisten (zB Gould, Gieseking, Richter, Jarrett, Rosalyn Tureck, Landowska, Edwin Fischer, etc).

Ich verstehe ehrlich gesagt deine Frage nicht. Und mich wundert, dass du diese stellst, denn du hattest doch soeben Klavier, oder? ;)
 
Ich denke, eine Mischung aus den beiden letzten Punkten ;)
Generell mag ich bei "schnellen" Stücken von Bach lieber viel Drive als romantische Dehnungen.
 
Kann man fast so stehen lassen. Jedenfalls bei vielen Werken. Wenn du dir mal das WTK mit Richter, Gould etc. anhörst, wirst du feststellen, dass bei manchen Präludien der eine ein Presto abliefert und der andere ein Allegretto.
 
Aus aktuellem Anlass und da ich keinen passenden Thread gefunden habe, mache ich diesen Faden mal auf.

Wie handhabt ihr das mit dem Tempo in Bachs Werken?


Die Frage stellt sich ja nicht nur bei Bach. Es ist eine grundsätzliche Frage, und man kann sie nur subjektiv beantworten mit "in diesem Tempo klingt das Stück für mich am überzeugendsten". Okay, manchmal würde man vielleicht gern schneller spielen, was aufgrund spieltechnischer Probleme nicht machbar ist (...hallo rappy, ich schaff den Walzer einfach nicht in dem Tempo... :floet: ) Aber abgesehen davon liegt die Wahl des Tempos in der vollen Verantwortung des Interpreten.
 
Ob von Bach irgendwelche Tempoangaben überliefert sind, weiß ich auch nicht. Ich finde, man sollte sich auf sein eigenes Gefühl verlassen und auch mal andere Interpreten anhören, dann ergibt sich schon das Richtige. Ich glaube ja, daß jede Musik ihren eigenen Willen hat, auch auf das Tempo bezogen ;)
 
Die Frage stellt sich ja nicht nur bei Bach. Es ist eine grundsätzliche Frage, und man kann sie nur subjektiv beantworten mit "in diesem Tempo klingt das Stück für mich am überzeugendsten". Okay, manchmal würde man vielleicht gern schneller spielen, was aufgrund spieltechnischer Probleme nicht machbar ist [...] Aber abgesehen davon liegt die Wahl des Tempos in der vollen Verantwortung des Interpreten.
Ich denke, es gibt bei der Tempofrage zwei Herangehensweisen: die intuitive (die offensichtlich die meisten Pianisten pflegen) und eine eher "musikwissenschaftlich" orientierte. Bach selber hat in seinen Manuskripten höchst selten Tempoangaben notiert. Wir sind also darauf angewiesen, was Bachs Zeitgenossen über das Tempo gesagt haben.

An erster Stelle wäre hier J.J. Quantz "Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen" (1752) zu nennen, insbesondere das Kapitel 17 (Von den Pflichten derer, welche accompagniren, oder die einer concertirenden Stimme zugeselleten Begleitungs= oder Ripienstimmen ausführen), Abschnitt 7 (Von den Pflichten welche alle begleitenden Instrumentisten überhaupt in Acht zu nehmen haben), §§ 45-58 (S. 261-271)
Nachzulesen sind die Ausführungen von Quantz hier:
http://www.koelnklavier.de/quellen/quantz/_index.html

Quantz' Tempoangaben kategorisch auf Bachs Musik zu übertragen, führt allerdings zu mitunter grotesken Ergebnissen.

CPE Bach schreibt in seinem Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753):
§. 10. "Der Grad der Bewegung läßt sich so wohl nach dem Inhalte des Stückes überhaupt, den man durch gewisse bekannte italiänische Kunstwörter anzuzeigen pflegt, als besonders aus den geschwindesten Noten und Figuren darinnen beurheilen. Bey dieser Untersuchung wird man sich in den Stand setzen, weder im Allegro übereilend, noch im Adagio zu schläfrig zu werden." (Teil 1, S. 121)​

Ähnlich auch der Bach-Schüler J.Ph. Kirnberger im Vorwort zu Recueil d'airs de danse charactéristique (1777):
"Wie wäre es dem Spieler möglich, dem Stück, das er spielt, den entsprechenden Ausdruck zu verleihen, den sich der Komponist vorstellte, wenn er nicht mit Hilfe der der verschiedenen Notenarten, die im Stück vorkommen, genau bestimmen könnte, welche Bewegung und welcher Charakter jeder Art von Tempo entsprechen? Um die notwendigen Eigenschaften eines guten Interpreten zu erwerben, kann ein Spieler nichts besseres tun, als sich in allen möglichen charakteristischen Tänzen zu üben. Jedes Stück dieser Tanzmusik hat seinen ihm eigenen Rhythmus, seine gleich langen Zäsuren."
Aber bereits Mattheson (Das beschützte Orchestre, 1717, S. 138 ) gibt zu bedenken:
"Eine Allemande zum Tanzen und eine solche zum Spielen unterscheiden sich voneinander wie Himmel und Erde."
Jetzt ist man allerdings genauso schlau wie vorher! :D

Wer sich mit dem Thema "Tempo bei Bach" eingehender beschäftigen möchte, dem seien hier zwei Literaturhinweise an die Hand gegeben:
  • Erwin Brodky: Der Vortrag der Klavierwerke von J.S. Bach. Tutzing (H. Schneider) 1970. S. 107-152
    (Hier finden sich etliche Tabellen, wer welche Stücke in welchem Tempo eingespielt hat, sowie Übersichten der Tempoangaben der verschiedenen Ausgaben.)
  • Paul Badura-Skoda: Bach-Interpretationen. Die Klavierwerke Johann Sebastian Bachs. Laaber (Laaber Verlag) 1990.
 
Irgendwo habe ich mal gelesen, Bach habe über seine Musik gesagt, man solle sie so hurtig spielen, wie die Landschaft an einem vorbeirauscht, wenn man mit der Kutsche verreist. :)
 

Irgendwo habe ich mal gelesen, Bach habe über seine Musik gesagt, man solle sie so hurtig spielen, wie die Landschaft an einem vorbeirauscht, wenn man mit der Kutsche verreist. :)

Das ist aber auch sehr relativ, oder? Ob ich jetzt mein Pferd vor eine Kutsche spanne oder ein Zwergpony,... - dürfte Einiges ausmachen :D

Trotzdem interessant.
 
Tempo bei Bach

Auf die Gefahr hin, dass es so mancher in seinem Bücherschrank stehen hat, hier die Angaben von Albert Schweitzer (Urwalddoktor und Bachkenner) über das Tempo bei Bach:

Über das Tempo in den Bachschen Klavierwerken ist wenig zu sagen. Je besser jemand Bach spielt, desto langsamer darf er, je schlechter, desto schneller muss er es nehmen. Gut spielen heißt in allen Stimmen bis ins Detail phrasieren und akzentuieren. Damit sind der Schnelligkeit gewisse technische Grenzen gesetzt. Andrerseits wird der Hörer in diesem Falle das Tempo, auch wenn es an sich nicht rasch ist, als gerade eilig genug empfinden, weil er in der Bewältigung des Details, das ihm hier entgegentritt, kaum schneller folgen könnte. Man vergesse niemals, welch komplizierten Prozeß das wirkliche Aufnehmen eines in Bachscher Polyphonie gehaltenen Stückes für jeden Musiker, auch den, der es nicht zum erstenmal hört, tatsächlich bedeutet.

Freilich, wer durch unphrasiertes und akzentloses Spiel den größten Teil des Details verwischt, darf getrost etwas rascher verfahren, damit die Sache doch einigermaßen interessant wird. Im allgemeinen aber gilt der Satz, dass die Lebendigkeit in den Bachschen Stücken nicht auf der Temponahme, sondern auf der Phrasierung und Betonung beruht. In diesem Sinne möge jeder sich bestreben, ihn recht temperamentvoll zu spielen.

Die Tempovorschriften, wo solche sind, dürfen nicht modern ausgelegt werden. Bachs Adagio, Grave und Lento sind nicht so lagnsma wie die unseren, sein Presto nicht so schnell wie das ehutige. Darumj gerät man leicht in Gefahr, seine langsamen Sätze zu gedehnt und die schnellen zu rasch zu spielen. Der Kreis möglicher Tempi ist bei ihm ein verhältnismäßig enger. Es handelt sich eigentlich mehr um verschiedene Nuancen eines nach beiden Seiten dehnbaren Moderato. Das Presto des Italienischen Konzerts wird durchschnittlich um das Doppelte zu schnell gespielt. Wer versucht, die komplizierten, durcheinandergehenden Bindungen, die Bach darin andeutet, durchzuführen, wird nicht in diese Gefahr kommen.
Daß das Allabrevezeichen bei Bach für die Temponahme nichts besagt, also den Viervierteltakt nicht auf das Doppelte beschleunigt, dürfte als ausgemacht gelten.

So weit Albert Schweitzer, „Johann Sebastian Bach“, Breitkopf u. Härtel, 1955.

Ich bin kein Bach-Fan, aber so wie man als Schubertspieler seine Lieder kennen sollte und der Mozartspieler nicht an den Opern vorbeigehen darf, sollte ein Spieler des Italienischen Konzerts Bachs Klavierübertragungen von Konzerten Vivaldis, Marcellos usw. ungefähr kennen. Die Originale sind Konzerte für Streichinstrumente, die von den Dirigenten (oft Pianisten) meist ebenfalls zu schnell und ungeigerisch genommen werden. Albert Schweitzer hat sich mit dem Gesamtwerk Bachs auseinandergesetzt, auch die Kantaten, Choräle, Orgelsachen…
In diesem Sinne viele Grüße
Walter
 
Wahl des Tempos

Für die Wahl des richtigen Tempos nehme ich (unter anderem) auch die Zahl der Harmoniewechsel (Funktionswechsel) als Anhaltspunkt. Wenn man zu schnell spielt, kann das Ohr die Harmoniewechsel nicht richtig nachvollziehen.

Die Harmoniewechsel treten bei Bach meistens innerhalb weniger Achtelnoten recht häufig auf (ist z. B. bei Mozart ganz anders), sodass ich bei Bach oft eher gemäßigte Allegro-Tempi bevorzuge.

Hauptsache, dass der Charakter der Tempobezeichnungen nicht verloren geht. Ein Allegro sollte also auf jeden Fall lebhaft bzw. fröhlich klingen.
 
Ich denke, man sollte bei der Frage des Tempos bei Bach nicht so kompliziert denken. Bei Bach dauert es einfach lange bis man sein eigenes Tempo für ein Stück gefunden hat. Ich meine, dass das Tempo stimmt, wenn man Bach spielen kann ohne auch nur an irgendetwas zu denken. Man könnte auch ein Stück weit sagen, dass man sich selbst beim Klavierspielen zuhört.
 
Hallo,

bei Bach oder noch früherer Musik ist das Tempo schwer zu fassen. Es gibt kaum objektive Angaben. Mit Metronomzahlen wird es natürlich einfacher, obwohl die ja auch bei vielen Komponisten problematisch sind.

Bei Bach würde ich ohne Tempoangabe von einem normalen Pulsschlag ca. 72 für den Grundnotenwert ausgehen. Von dieser Mitte aus kann man dann die Tempobezeichnungen sehen. Sehr kleine Notenwerte (2. Satz, Ital. Konzert) verlangsamen natürlich ohnehin. Ebenso gilt im Barock, dass ein 2/4 schneller ist als ein ähnlicher 4/4. Ein 2/2 dagegen etwas gravitätischer (also nicht ohne weiteres im Vergleich zum 4/4 "doppeltes" Tempo), besonders wenn es sich um stilo antico Fugen (WTK 2, Es-Dur) handelt.

Zu dem komplexen Thema gibt es ein ganzes Buch:
von Gleich, Sonnleitner: Bach, wie schnell?
Interessante Betrachtungen, auf der beilliegenden CD wird allerdings ein relativ langsames Grundtempo propagiert.

Schöne Grüße
Axel
 

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