Tempo bei Bach
Auf die Gefahr hin, dass es so mancher in seinem Bücherschrank stehen hat, hier die Angaben von Albert Schweitzer (Urwalddoktor und Bachkenner) über das Tempo bei Bach:
Über das Tempo in den Bachschen Klavierwerken ist wenig zu sagen. Je besser jemand Bach spielt, desto langsamer darf er, je schlechter, desto schneller muss er es nehmen. Gut spielen heißt in allen Stimmen bis ins Detail phrasieren und akzentuieren. Damit sind der Schnelligkeit gewisse technische Grenzen gesetzt. Andrerseits wird der Hörer in diesem Falle das Tempo, auch wenn es an sich nicht rasch ist, als gerade eilig genug empfinden, weil er in der Bewältigung des Details, das ihm hier entgegentritt, kaum schneller folgen könnte. Man vergesse niemals, welch komplizierten Prozeß das wirkliche Aufnehmen eines in Bachscher Polyphonie gehaltenen Stückes für jeden Musiker, auch den, der es nicht zum erstenmal hört, tatsächlich bedeutet.
Freilich, wer durch unphrasiertes und akzentloses Spiel den größten Teil des Details verwischt, darf getrost etwas rascher verfahren, damit die Sache doch einigermaßen interessant wird. Im allgemeinen aber gilt der Satz, dass die Lebendigkeit in den Bachschen Stücken nicht auf der Temponahme, sondern auf der Phrasierung und Betonung beruht. In diesem Sinne möge jeder sich bestreben, ihn recht temperamentvoll zu spielen.
Die Tempovorschriften, wo solche sind, dürfen nicht modern ausgelegt werden. Bachs Adagio, Grave und Lento sind nicht so lagnsma wie die unseren, sein Presto nicht so schnell wie das ehutige. Darumj gerät man leicht in Gefahr, seine langsamen Sätze zu gedehnt und die schnellen zu rasch zu spielen. Der Kreis möglicher Tempi ist bei ihm ein verhältnismäßig enger. Es handelt sich eigentlich mehr um verschiedene Nuancen eines nach beiden Seiten dehnbaren Moderato. Das Presto des Italienischen Konzerts wird durchschnittlich um das Doppelte zu schnell gespielt. Wer versucht, die komplizierten, durcheinandergehenden Bindungen, die Bach darin andeutet, durchzuführen, wird nicht in diese Gefahr kommen.
Daß das Allabrevezeichen bei Bach für die Temponahme nichts besagt, also den Viervierteltakt nicht auf das Doppelte beschleunigt, dürfte als ausgemacht gelten.
So weit Albert Schweitzer, „Johann Sebastian Bach“, Breitkopf u. Härtel, 1955.
Ich bin kein Bach-Fan, aber so wie man als Schubertspieler seine Lieder kennen sollte und der Mozartspieler nicht an den Opern vorbeigehen darf, sollte ein Spieler des Italienischen Konzerts Bachs Klavierübertragungen von Konzerten Vivaldis, Marcellos usw. ungefähr kennen. Die Originale sind Konzerte für Streichinstrumente, die von den Dirigenten (oft Pianisten) meist ebenfalls zu schnell und ungeigerisch genommen werden. Albert Schweitzer hat sich mit dem Gesamtwerk Bachs auseinandergesetzt, auch die Kantaten, Choräle, Orgelsachen…
In diesem Sinne viele Grüße
Walter