Interpretenausgaben?

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silversliv3r

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Guten Morgen (auch wenn ich jetzt schlafen gehe ;)),

Wenn ich eine neue Beethoven-Sonate spielen möchte, dann holt mein Lehrer immer eine sogenannte Interpretenausgabe von Artur Schnabel heraus. Was ist daran so besonders? Nun, Schnabel hat im Grunde genommen in allen möglichen Formen seine interpretatorischen Ideen in den Notentext dazugeschrieben. Das sind zum Beispiel Dynamikzeichen, Tempi, Gliederungen, Phrasierungen, Artikulationszeichen, dazu noch auf fast jeder Seite Textanmerkungen und vor allem überall ein Fingersatz. Der ist sehr gewöhnungsbedürftig, allerdings genial, wenn es darum geht, mit den Fingern binden zu üben. Natürlich ist vom Layout alles so, dass man erkennen kann, was Urtext und was Schnabel ist. Ich würd gern ein Beispiel hochladen, allerdings ist das kopierschutzrechtlich wohl nicht möglich.

Ich finde die Ausgabe wahnsinnig toll, da sie einfach unglaublich viele interessanten Ideen vermittelt. Man mag argumentieren, dass Beethoven an sich schon sehr sehr genau hingeschrieben hat, wie er's wollte, bzw man Beethovens Notation grundsätzlich sehr genau nehmen sollte und dass es durch den Zusatz einfach überfrachtet und eingeschränkt ist, ich empfinde es allerdings eher als Anregung, ich tu ja längst nicht alles, was Schnabel schreibt.

Meine Frage ist nun: Gibt es solche Ausgaben grundsätzlich eigentlich noch? Ich finde im Internet zu keinem Komponisten so etwas in der Art, auch über die Ausgabe meines Lehrers finde ich nichts, die ist ja schon ziemlich alt mittlerweile. Ich kann mir vorstellen, dass es eine extreme Arbeit ist (im Falle Schnabels) alle 32 Beethoven-Sonaten akribisch Stück für Stück durchzugehen, die nicht viele machen, aber vielleicht gibt's sowas ja doch noch, würde mich interessieren.

Alles Liebe
 
es gibt von Jorge Bolet eine Lisztausgabe (freilich nicht das komplette Klavierwerk von Liszt, sondern exemplarische Werke), und diese enthält Bolets Tipps zu Pedalisierung, Temporelationen und Fingersätzen - - wer sich mit Liszt befasst, ist da wirklich gut beraten.
 
Die Ausgabe der Chopin Etüden von Alfred Cortot sind ein ähnlicher Fall. Jeder Etüde ist ein Text vorangestellt, der auf besondere Schwierigkeiten, gewünschte Interpretation etc hinweist. Außerdem sehr viele hochinteressante Fingersätze. :)
Allein wegen dieser Fingersätze ist die Ausgabe ihr Geld wert :p


Was für Blüten diese Ausgaben treiben können, das kann man an einem frühen Beispiel sehen: http://imslp.info/files/imglnks/usimg/9/90/IMSLP02056-Beethoven_-_Op.129_-_Cotta.pdf
(da existierte die moderne Editionstechnik, Urtext etc noch gar nicht, soweit ich weiß)

lg marcus
 
Ferruccio Busoni hat die beiden WTC von J.S.Bach in 2 Bänden zu je 4 Heften herausgegeben mit zahlreichen anknüpfenden Beispielen und Erläuterungen.

In Band 1 Heft 4 befindet sich darüber hinaus auch eine Analyse der Fuge aus op.106 von Beethoven.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Gibt's also doch noch :) ...auch wenn ich über die Bolet-Liszt-Ausgabe leider nichts finden kann.

Ja, ungefähr so wie das Beethoven-Beispiel sehen auch die Noten der Sonaten aus, das Ganze ist nur noch erheblich zugeschriebener.

Aber Bach WTC und Chopin-Etüden klingen interessant, ich schau mal, ob ich mir sowas zulege.

Alles Liebe
 
Ferruccio Busoni hat die beiden WTC von J.S.Bach in 2 Bänden zu je 4 Heften herausgegeben mit zahlreichen anknüpfenden Beispielen und Erläuterungen.

In Band 1 Heft 4 befindet sich darüber hinaus auch eine Analyse der Fuge aus op.106 von Beethoven.

Busoni ist ja für seine besondere Interpretationsweise der Bachschen Musik bekannt, gilt das auch für diese Hefte?
 
Busoni ist ja für seine besondere Interpretationsweise der Bachschen Musik bekannt, gilt das auch für diese Hefte?

Ich zitiere mal kurz ein paar Sätze aus der 2-seitigen Einleitung :

...

Also glaubte ich den richtigen Weg zu beschreiten, wenn ich vom "Wohltemperierten Klavier", diesem pianistisch so bedeutungsvollen, musikalisch allumfassenden Werke, ausholte, um "gleichsam vom Stamme" die vielseitigen Verzweigungen der heutigen Klaviertechnik abzuleiten und darzustellen...

...wie früher angedeutet, verfolgt aber diese Bearbeitung den weiteren Zweck, das ausgiebige Material nebenbei gewissermaßen zu einer weitumfassenden Hochschule des Klavierspiels umzugießen....

... dieser umfangreiche Studienplan Bachscher Musik auf dem Pianoforte ist indes nur ein Teil dessen, was erforderlich ist, einen von Haus aus musikalisch begabten Menschen zu einem Klavierspieler zu machen...

... so dürfte der Maßstab, den man heute an die künstlerischen und moralischen Fähigkeiten der Schüler zu legen sich begnügt, in Kürze herauf- und in eine für die Allgemeinheit nicht so bequem erreichbare Ferne rücken...

...

Ferruccio Busoni


Wie weit das jetzt typisch Busoni geprägt ist, ist wohl Glaubensfrage.
Da er aber überall zahlreiche Übungen und auch Ausführungstipps (eher Ausführungsforderungen) mit angibt, würde ich Deine Frage eher bejahen.
 
Da er aber überall zahlreiche Übungen und auch Ausführungstipps (eher Ausführungsforderungen) mit angibt, würde ich Deine Frage eher bejahen.

Es ist allerdings relativ egal, denn man sollte alle Anmerkungen zur Interpretation meiner Meinung nach lesen und verstehen, um dann zur eigenen Vorstellung zu gelangen. Auch Busoni hatte ja nicht im Sinn, die Musik zu verfremden, ihm ist es aber aus Sicht einiger sehr gut gelungen. Seine Ideen zu verstehen sollte aber ebenfalls dazu beitragen, Musik besser zu verstehen, ein anerkannter Musiker war er auf jeden Fall und es wird ihm ja nur vorgeworfen, die ursprüngliche Musik zu verzerren, nicht aber, schlechte Musik zu machen.
 

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