Hausaufgaben

  • Ersteller des Themas Ralph_hh
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@hasenbein
Ich vermute, dass man manchmal (!) etwas voreilige Schlüsse zieht, auch wenn man meistens Recht haben mag. Zum Beispiel hatte ich vor einiger Zeit eine junge erwachsene Schülerin, sehr sympatisch und wie ich finde gute musikalische, rhythmische und motorische Voraussetzungen. Sie machte keine Kralle am Klavier und ich dachte, das könnte was werden. Nach eigener Aussage kam sie von einem älteren Klavierlehrer einer privaten Musikschule eines ortsansässigen Musikhauses, und ihr Freund hatte ihr geraten, lieber zu einer Frau in den Unterricht zu gehen. Von Tuten und Blasen hatte sie keine Ahnung und ich dachte "meine Güte, was hat die da zwei Jahre lang bloß gemacht?"

Ich schätze, dass ihr Lehrer nicht gerade der Kämmerling der Amateurszene war. Es stellte sich aber auch heraus, dass die junge Dame mittelfristig 1. faul und 2. recht begriffsstutzig und 3. zeitlich und was ihre Tagesenergie betraf, absolut überlastet war. Teilweise wurde es von einer Stunde zur nächsten schlechter, weil nach dem kleinen gemeinsamen Übeerfolg in der vergangenen Woche nichts passiert war. Mit der Kombination "Keine Zeit - faul - langsam im Kopf" kann auch der beste Klaviermagier nicht viel erreichen. Das hat sie auch selbst irgendwann erkannt und ihre Prioritäten erst mal wieder auf Vollzeitarbeit + Fernstudium gelegt.

Und ich möchte nochmal was zu meiner Tante Gerda sagen, bin nicht sicher, ob das so angekommen ist, wie ich es wollte. Natürlich wäre das absolute Ideal, dass es nur absolut fähige Lehrer (auf allen Gebieten) gäbe, die in jedem das absolut Beste sehen und herausholen und die absolut beste Förderung bieten, damit man auf dieser absoluten Grundlage eine absolute Entscheidung treffen kann. So ist es aber nicht und wird es nie sein, das funktioniert auch in viel stärker beschränkten Berufen nicht.
Ich finde es einfach in Ordnung, wenn jemand ein bisschen Herumklimpern will und da keine große Förderung stattfindet. Das ist dann eine Art Nachmittagsbetreuung, musikalisches Spielen, neue Oma finden, was ganz anderes machen als die Eltern / Freunde, was auch immer. Die Übergänge zur verpassten Chance sind fließend, das ist klar. Aber bei zu starkem Ehrgeiz landen wir beim russischen System - da sind zwar die Fördermöglichkeiten absolut Spitze, aber ein "nur mal so Ausprobieren" ist deutlich schwieriger. Denn da gibt es Prüfungen, Ansprüche und Nebenfächer.
Es gibt auch Kinder, die mit dem Schwimmunterricht aufhören, weil sie ab 13 plötzlich viermal die Woche kommen sollen und das nicht mehr wollen.
 
Stilblüte, das ist ja alles (oder jedenfalls das meiste :-)) schön und richtig.

Dennoch ist die Einstellung gegenüber "Tante Gerda" gänzlich falsch und schädlich.

Eigentlich wurde es schon mehrfach im Forum durchdiskutiert, aber ich wiederhole:

- Durch Billigkonkurrenz werden nun mal Preise kaputtgemacht. Es ist wurscht, ob der 10-Euro-Unterricht inhaltlich "gar nicht mit Deinem Unterricht konkurriert". In den Köpfen der Leute speichert sich ab "man kriegt Klavierunterricht schon ab 10 Euro", und das ist, was zählt. Und die Honorare, die studierte KL heutzutage an vielen Musikschulen erhalten, sind ja leider und empörenderweise oft nicht so viel höher.
Im Bereich der Jazz-"Muggen" haben wir ein ähnliches Problem: Einerseits könnte man natürlich berechtigterweise sagen, dass Amateur- oder Schülerbands wesentlich weniger Geld für Auftritte nehmen SOLLTEN als Profis, da sie ja auch wesentlich weniger Qualität bieten. Andererseits kriegen Veranstalter mit "ah, ich kriege meine Hintergrundmusik auch für weniger Geld", also ist Endresultat, dass auch hier die Preise kaputtgemacht werden. Aus Sicht des Profis muss man daher die Amateure immer wieder "anspitzen", dass sie doch bitte zu den üblichen Sätzen und nicht extra billig spielen.

- Nicht jedes Schlechtsein eines Schülers weist auf einen schlechten Lehrer hin, klar. Aber, und hier unterliegst Du einem Logikfehler, daraus folgt keineswegs, dass es bei manchen Schülern egal ist, zu welchem Lehrer man die schickt. Es macht einen Riesenunterschied, ob Deine Schülerin nun bei Dir war und DIE MÖGLICHKEIT HATTE, sich gut zu entwickeln, oder ob sie zu Tante Gerda geht, wo auf jeden Fall ein schlechtes Ergebnis rauskäme, egal ob sie übt oder nicht!

- Durch dieses ganze "Beschäftigungstherapie"-Unterrichten entsteht zunehmend ein sehr fragwürdiges Bild in der Allgemeinheit davon, was Instrumentalunterricht sei. Die heutige westliche Gesellschaft ist ohnehin gekennzeichnet durch zu viel Komfort und Verwöhnung und durch zu wenig Selbstverantwortung. Auch die normalen Instrumentalschüler üben ja durchschnittlich immer weniger! Und dss liegt NICHT nur an der zeitlichen Belastung. Nein, das liegt daran, dass man immer mehr gewohnt ist, alles durch einen Fingertipp irgendwo drauf zu erhalten. Für alles gibt es eine App oder einen Service. Sich monatelang täglich "durchzubeißen", um dann ein Resultat zu erreichen (durch das man nicht mal Geld verdient oder Chicks klarmacht ;-)) erscheint immer fremdartiger und einfach zu anstrengend.
Und das ist schlimm.
Deswegen werden alle Gelegenheiten, wo ERNSTHAFT, QUALIFIZIERT, FLEIßIG UND KONSEQUENT an etwas gearbeitet wird, das denjenigen kompetenter und "lebensfülliger" macht, DRINGENDER gebraucht denn je!
"Beschäftigungstherapie" jedoch ist genau der Schwachsinn, der bekämpft werden muss und der uns im übrigen auch eingebracht hat, dass heutzutage unsägliche Schulprojekte, in denen Schülergruppen 3 Töne auf Keyboards oder Blasinstrumenten dudeln, als "wichtig" angesehen werden, weil "Musik ja gut fürs Gehirn ist und die Sozialkompetenz fördert". BULL - SHIT!

Egal wie man es dreht und wendet, es gibt für uns allen Grund, uns gegen "Tante Gerda" bzw. allgemein alle Billig- oder Flachkonzepte zu wenden.
 
soweit ich weiß, bekommen Vereine doch absolut finanzielle Unterstützung und Subventionen der öffentlichen Hand?! Ganz besonders Sport- und Fußballvereine! Nach deiner These dürften doch gerade dann dort keine Trainer ohne Lizenz vorhanden sein und es müsste eine "strikte Qualitätssicherung stattfinden. Oder verstehe ich da was falsch?

Jein. Ich weiß nicht, warum Du davon ausgehst, dass "Sportvereine" (ein sehr, sehr weites Feld) finanzielle Unterstützung/Subventionen der öffentlichen Hand bekommen. :konfus:
Falls überhaupt, erfolgt diese allenfalls in Nutzungsrechten bzw. Bereitstellung von Trainingskapazitäten (im Sinne von "Turnverein 1860 Brichdenarm darf die Sporthalle der Schule benutzen"), das ist aber – was vollkommen ok ist – eher die Ausnahme als die Regel. Auf Qualifikation/Lizenzierung wird vor allem wegen des Versicherungsschutzes geachtet. Über den Häuptern von allen, die im Sport organisatorisch/lehrend tätig sind, schwebt ja das Damoklesschwert der verschuldeten Sportverletzung und entsprechender finanzieller Forderungen. Jürgen Klopp beispielsweise war lange Zeit Trainer ohne Trainerlizenz. Das werden die 05er damals wohl irgendwie durch ihre Rechtsberatung geregelt haben.

Man könnte sogar so weit gehen, die grundsätzliche Ausbildung von Klavierpädagogen an Musikhochschulen in Zweifel zu ziehen - warum sollen die überhaupt so qualifiziert sein und eine schwierige Aufnahmeprüfung bestehen müssen?

An Musikhochschulen – bitte korrigiere mich ggf., ich kenne mich da so wenig aus wie Du im Sportbereich – geht es doch um eine Vorbereitung auf einen Beruf und nicht um Hobbygestaltung?

Wer das Geld der Allgemeinheit erhält, muss sich durch nachweisliche Qualität ausweisen. In der Regel ist das eine Form von Diplomierung. Was Privatleute unter sich aushandeln, geht niemanden etwas an, solange dadurch niemand geschädigt wird. Dafür haben die Leute Hirn zwischen den Ohren.

An fast allen Musikschulen werden übrigens Erwachsene unterrichtet. Sie müssen nur mehr bezahlen, werden also nicht subventioniert (nehme ich an).

Da hast Du sicher recht. :-) Ich weiß zufällig, wie vehement das hiesige Konservatorium öffentlich gefördert wird. Wahrscheinlich gibt es da Auflagen "gegen" Erwachsene, aber bitte nicht falsch verstehen: Ich finde es vollkommen in Ordnung. Öffentliche Förderung dieser Art soll Kindern/Jugendlichen zugute kommen.

Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass Ärzte/ die Bundesärztekammer und andere immer mehr auf Qualitätsicherung setzen.

Bei allem Respekt für die Musik, die Musiziernden und die Musiklehrenden – was wäre der GAU bei einem qualitativ minderwertigen Musikunterricht? :heilig: Rausgeschmissenes Geld?

Bitte bedenke, dass Du als "Klavierlehrende mit Leib und Seele" (Deine wirklich herausragende HP zeugt davon) dem Klavierspiel unter Garantie einen deutlich höheren Stellenwert einräumst als die berüchtigten 99,9% der Bevölkerung. Sogar die Leute hier im Forum sind überdurchschnittlich interessiert/engagiert im Vergleich zu den Vielen, für die "Klavier" nur ein Hobby ist neben anderen. Was übrigens auch legitim ist – wenn Eltern die Möglichkeit haben, sollten sie ihre Kinder in vielerlei Betätigungen hineinschnuppern lassen. Falls es sich rasch und unbeirrbar auf die Musik fokussiert, ist es Aufgabe der Eltern, es nicht weiter zum Tennisspielen zu nötigen.

Oder umgekehrt: Von fiktiven 100% aller Klavierbeginner – wie viele bleiben bei der Stange, sobald es mit einer Stunde üben am Tag nicht mehr getan ist, sondern die Literatur täglich zwei oder mehr Stunden Übezeit erforderlich macht? Ich selbst weiß es nicht, KÖNNTE mir aber gut vorstellen, dass es nicht die Mehrheit ist.



Mit der Kombination "Keine Zeit - faul - langsam im Kopf" kann auch der beste Klaviermagier nicht viel erreichen.

:lol::super:
 
Richtig. Sie hätte etwas Zeit finden können, Dann wäre sie vorwärts gekommen. Hat sie aber nicht geschafft, also würde es nix.
@hasenbein Ja du hast schon recht. Ich meine auch nicht die kommerzielle Tante. Eher so Nachbarschaftshilfe. Ist aber genau genommen schon alles Murx. Das Problem mit den Preisen kenne ich auch und ärgere mich drüber. Allerdings habe ich zugegebenermaßen ganz Anfang, ganz kurz auch einen Schüler für 15€ unterrichtet. Ich wollte 20, der Vater wollte so viel nicht zahlen. Mein Selbstbewusstsein hat nicht gereicht und eine echte Glanzleistung war der Unterricht vermutlich auch nicht. Aber Funfact - Name des Schülers war "Justin" (mit Schwester Samantha).
 
Das Problem mit den Preisen kenne ich auch und ärgere mich drüber.
Wenn der Kunde keine Ahnung von künstlerischen Inhalten hat (diese soll ja durch den Unterricht erst vermittelt werden), bleibt als zentrales Selektionsmittel nur noch der Preis übrig. Wer sowieso möglichst wenig investieren will/kann, nimmt dann in der Regel den billigsten Anbieter. Dazu kommt die in der Bevölkerung weit verbreitete Geringschätzung des Berufsstandes nach dem Motto „die haben ohnehin nur ihr Hobby zum Beruf gemacht“. Um ständige mühsame Aufklärungsarbeit kommt man als Dienstleister nicht herum. Übrigens gerade auch unter Kollegen, von denen etliche aus Unkenntnis oder Verzweiflung zu niedrige Preise nehmen.

LG von Rheinkultur
 
Auf so einen Vater kann man doch verzichten! 20 Euro sind ja schon Billiglohn.
Entweder ist der Vater selbst in den Bereichen der Arbeitswelt unterwegs, in denen die Stundenlöhne genauso niedrig sind. Oder er weiß genau, dass er mehr zahlen könnte und nutzt das geringere Durchsetzungsvermögen seines Gegenübers konsequent aus. Jeder Einzelfall ist anders gelagert. Im zweiten Fälle lohnt sich das Verhandeln oder eben auch mal das Neinsagen.

LG von Rheinkultur
 

Wüsste nicht, dass ich männlich wäre. :-D Eine hohe Meinung von mir selbst habe ich trotzdem. Das ist sehr gesund.
 
Entweder ist der Vater selbst in den Bereichen der Arbeitswelt unterwegs, in denen die Stundenlöhne genauso niedrig sind. Oder er weiß genau, dass er mehr zahlen könnte und nutzt das geringere Durchsetzungsvermögen seines Gegenübers konsequent aus. Jeder Einzelfall ist anders gelagert. Im zweiten Fälle lohnt sich das Verhandeln oder eben auch mal das Neinsagen.

LG von Rheinkultur
Ein Preis ist ein Preis ist ein Preis....Preise sind, außer auf dem Basar selten verhandelbar, alles andere fällt für mich unter Sozialhilfe, kann die sich ein Klavierlehrer (männl. und weibl.) leisten?
 
Durch Billigkonkurrenz werden nun mal Preise kaputtgemacht. Es ist wurscht, ob der 10-Euro-Unterricht inhaltlich "gar nicht mit Deinem Unterricht konkurriert". In den Köpfen der Leute speichert sich ab "man kriegt Klavierunterricht schon ab 10 Euro", und das ist, was zählt.

Ich kenne das ja noch aus einer anderen Blickrichtung.

Meine Frau schneidert auch Hemden. Die Leute sind immer erstaunt, warum das Hemd denn plötzlich 50€ und mehr kosten soll, beim kik gibt's das für 9.99€. Man muss den Leuten erst einmal klar machen, dass abzüglich Stoff, Knöpfe und Co. wir über einen Stundenlohn von ca. 10€ sprechen. Die Leute haben halt im Kopf: Hemden gibt's für 10€.

An der Stelle weiß ich nicht, ob die Leute einfach dumm sind oder ob diese Denke einfach nur menschlich ist ... theoretisch ist dem Menschen ja die Fähigkeit der Einsicht, des Reflektierens, des Hinterfragens gegeben. Man könnte sich Gedanken machen: Welchem Stundenlohn könnte 9.99€ für ein Hemd entsprechen und könnte man in D dafür leben?

Kann man machen.
Muss man aber nicht.

Warum 100€ für ein Menü im Sterne-Restaurant ausgeben? Bei 'Restaurant zur Goldenen Möwe' *) bin ich mit 10€ bis 12€ dabei ...

Grüße
Häretiker

*)
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Ein Preis ist ein Preis ist ein Preis....Preise sind, außer auf dem Basar selten verhandelbar, alles andere fällt für mich unter Sozialhilfe, kann die sich ein Klavierlehrer (männl. und weibl.) leisten?
Die Preise sind zwar relativ fest, aber nicht zu 100%. Ich habe einen Schüler, Student, schon längere Zeit bei mir, zahlt Unterricht aus eigener Tasche, begabt, sympatisch, freundschaftliches Verhältnis. Der zahlt weniger, bzw. eine (auf Dauer unvermeidliche) Preiserhöhung habe ich bei ihm nicht angewendet.
 
Das ist ja eine andere Kiste.

Das handhabe ich auch so: Wenn jemand fleißig ist und der Unterricht mit ihm einfach eine rundum gute Angelegenheit ist, dann kriegt er natürlich auch mal was billiger bzw. man guckt mal nicht so auf die Uhr etc.

Aber das muss der Schüler sich erst verdienen!

In dieser unsäglichen "Kunde-Dienstleister"-Sichtweise ist so etwas aber, needless to say, nicht enthalten...
 
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