G
Gomez de Riquet
Guest
Moin!
Nur um mal kurz richtigzustellen: Das Verbot paralleler Stimmführungen
im strengen Satz hat nichts mit dem Klang zu tun, sondern mit dem Ideal
individueller, als eigenständig wahrnehmbarer Stimmen.
Die frühesten Experimente mit Mehrstimmigkeit in der abendländischen Musik
haben in Quart-, Quint- und Okatvparallelen geradezu geschwelgt - und sind
reine Klang- und Raummusik, die sogar noch den Nachhall in Kirchenräumen mitberechnet.
Ein Organum Quadruplum von Pérotin besteht aus schier endlos wirkenden Klangbändern.
Natürlich sind auch hier die Einzelstimmen individualisiert, aber angestrebt wird
ein aus der Summe der Einzelstimmen entstehendes Klangkontinuum. Es ist nicht zufällig,
daß Steve Reich und andere Komponisten der "Minimal Music" in der Notre-Dame-Schule
eines ihrer Vorbilder erkannt haben. (Nachtrag: Die Künstler der Notre-Dame-Schule
hatten ganz andere Dissonanzvorstellungen. Für sie galt die Terz galt als dissonant.)
Das Tabu, das seitdem über Parallelführung bestimmter Intervalle (Quart, Quint, Oktave)
verhängt worden ist, erklärt sich aus dem Bedürfnis, jede Stimme im strengen Satz als individualisiert
wahrnehmen zu können. Dafür sollte ein zu großer Verschmelzungsgrad mit anderen Stimmen
vermieden werden, wie er sich durch parallelgeführte Quarten, Quinten und Oktaven ergibt.
Auch im Ideal der Gegenbewegung zwischen Oberstimmen und Baß im homophonen Satz lebt
etwas von der Erfahrungen der Renaissance-Polyphonie weiter; im Grunde genommen bilden
Oberstimme und Baß einen zweistimmigen Kontrapunkt.
Idealtypisch gelten die Regeln für a cappella-Chorsätze (polyphon und homophon)
und Streichquartett-Musik. In fast aller anderen Musik wird oft mit Verdoppelungen gearbeitet,
im Einklang, in der Oktave, in der Doppeloktave. Das wiederum hat klangliche Gründe.
Es kommt vor, daß aus heiterem Himmel - für ein paar Takte - eine der tieferen Stimmen
die Oberstimme verdoppelt, um sie dadurch hervorzuheben, zu intensivieren.
Ich gebe zu, daß das nicht immer schön ist. Es ist manchmal ein billiger Trick,
und wer ihn sich angewöhnt, verdirbt sich auf die Dauer seine Satztechnik.
Aber auch hier gilt: Der Rang eines Komponisten entscheidet darüber, ob es sich
um Ungeschick, billige Tricks oder souverän genutzte Stilmittel handelt.
Bei Rachmaninow (cis-Moll-Prélude), vorallem aber bei Satie, Debussy und Ravel
sind parallelgeführte Dreiklänge samt Oktavierung ein bewußt eingesetzter Archaismus,
eine Beschwörung von Zeitlosigkeit, die mit dem Verzicht auf Funktionsharmonik einhergeht,
dabei paradoxerweise in ein harmonisch und satztechnisch ganz avanciertes Umfeld
eingebaut. Als ein ganz eigenes Stilmittel tauchen die Quinten bei Puccini auf.
Wen die in Quintparallelen geführte Melodie im dritten Bild der "Bohème" nicht ergreift,
dem ist in diesem Leben wohl nicht mehr zu helfen.
Gruß, Gomez
.
Nur um mal kurz richtigzustellen: Das Verbot paralleler Stimmführungen
im strengen Satz hat nichts mit dem Klang zu tun, sondern mit dem Ideal
individueller, als eigenständig wahrnehmbarer Stimmen.
Die frühesten Experimente mit Mehrstimmigkeit in der abendländischen Musik
haben in Quart-, Quint- und Okatvparallelen geradezu geschwelgt - und sind
reine Klang- und Raummusik, die sogar noch den Nachhall in Kirchenräumen mitberechnet.
Ein Organum Quadruplum von Pérotin besteht aus schier endlos wirkenden Klangbändern.
Natürlich sind auch hier die Einzelstimmen individualisiert, aber angestrebt wird
ein aus der Summe der Einzelstimmen entstehendes Klangkontinuum. Es ist nicht zufällig,
daß Steve Reich und andere Komponisten der "Minimal Music" in der Notre-Dame-Schule
eines ihrer Vorbilder erkannt haben. (Nachtrag: Die Künstler der Notre-Dame-Schule
hatten ganz andere Dissonanzvorstellungen. Für sie galt die Terz galt als dissonant.)
Das Tabu, das seitdem über Parallelführung bestimmter Intervalle (Quart, Quint, Oktave)
verhängt worden ist, erklärt sich aus dem Bedürfnis, jede Stimme im strengen Satz als individualisiert
wahrnehmen zu können. Dafür sollte ein zu großer Verschmelzungsgrad mit anderen Stimmen
vermieden werden, wie er sich durch parallelgeführte Quarten, Quinten und Oktaven ergibt.
Auch im Ideal der Gegenbewegung zwischen Oberstimmen und Baß im homophonen Satz lebt
etwas von der Erfahrungen der Renaissance-Polyphonie weiter; im Grunde genommen bilden
Oberstimme und Baß einen zweistimmigen Kontrapunkt.
Idealtypisch gelten die Regeln für a cappella-Chorsätze (polyphon und homophon)
und Streichquartett-Musik. In fast aller anderen Musik wird oft mit Verdoppelungen gearbeitet,
im Einklang, in der Oktave, in der Doppeloktave. Das wiederum hat klangliche Gründe.
Es kommt vor, daß aus heiterem Himmel - für ein paar Takte - eine der tieferen Stimmen
die Oberstimme verdoppelt, um sie dadurch hervorzuheben, zu intensivieren.
Ich gebe zu, daß das nicht immer schön ist. Es ist manchmal ein billiger Trick,
und wer ihn sich angewöhnt, verdirbt sich auf die Dauer seine Satztechnik.
Aber auch hier gilt: Der Rang eines Komponisten entscheidet darüber, ob es sich
um Ungeschick, billige Tricks oder souverän genutzte Stilmittel handelt.
Bei Rachmaninow (cis-Moll-Prélude), vorallem aber bei Satie, Debussy und Ravel
sind parallelgeführte Dreiklänge samt Oktavierung ein bewußt eingesetzter Archaismus,
eine Beschwörung von Zeitlosigkeit, die mit dem Verzicht auf Funktionsharmonik einhergeht,
dabei paradoxerweise in ein harmonisch und satztechnisch ganz avanciertes Umfeld
eingebaut. Als ein ganz eigenes Stilmittel tauchen die Quinten bei Puccini auf.
Wen die in Quintparallelen geführte Melodie im dritten Bild der "Bohème" nicht ergreift,
dem ist in diesem Leben wohl nicht mehr zu helfen.
Gruß, Gomez
.
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