Warum überhaupt auf Regeln achten statt auf den Klang?
Ich würde vorschlagen: Regeln kann man zu Rate ziehen, wenn etwas schlecht klingt und man noch nicht begreift, wieso das so ist. Die Regeln können einen dann auf die richtige Fährte bringen, müssen sie aber nicht. Oder auch wenn man in einem bestimmten Stil schreiben möchte. Dann muss man natürlich wissen, wie darin Dissonanzen behandelt werden, u.v.m
Die Regeln bzgl. offener Oktav- oder Quintparallelen oder die Regeln der Stimmführung sind ja nicht entstanden, um jemanden zu ärgern. Stattdessen sind sie eine Hilfe, den Klang zu verbessern. Ich finde es eine gute Hilfe, wenn man auf dem Klavier einfach mal bewußt haufenweise z.B. Quintparallelen spielt, um erstmal diesen Klang im Ohr zu haben und das Ohr zu schärfen für diesen Klang. Weder Oktav- noch Quintparallelen klingen ja dissonant, und wenn man die Stimmen viel parallel in eine Richtung führt, klingt das ja auch erstmal nicht schlimm.
Mir geht es aber so, dass ich merke, wenn ich eine übersehene Parallele verbessert habe in meinem Kram und wenn ich eine parallele Stimmführung auf vorwiegend Gegenbewegung (und das möglichst in den Außenstimmen) geändert habe, dass mir allermeistens der Klang besser gefällt, auch wenn es erstmal nicht so offensichtlich war.
Von daher finde ich es richtig und allererste Priorität, auf den Klang zu achten, meine aber, dass Tonsatzregeln eine Hilfe darstellen, um auf die am Anfang erstmal nicht so offensichtlichen oder vordergründigen Klangdinge zu achten, und sollten eben schlicht als eine Hilfestellung zur Verbesserung gesehen werden. Und natürlich auch nicht als Dogma!
So klingt es eben für mich einfach besser, wenn man in dem ansonsten schönen Walzerbeispiel von Rolf den Melodieton beim Einstieg in den letzten Takt auf einer Viertelnote b belässt, statt Achtelnote b,d. Dadurch hat man weder eine Parallele in den Außenstimmen noch parallele Stimmführung, um konkret zu benennen, wodurch sich da was (im nicht vordergründigen Bereich) verschönert hat. Oder um es positiv zu formulieren, man hat eine interessantere abwechslungsreichere Stimmführung beim Schluß erreicht.