Erlernen unabhängiger Stimmen

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alba63

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Ich bin praktisch Vollanfänger, und habe gerade Bartoks Mikrokosmos entdeckt. Teilweise - vor allem wenn man ihn schlecht oder falsch/ stockend spielt, durchaus sperrig, aber auch erfrischend anders als die ewig gleichen klassischen Etüden usw.
Nun kommen im 1. Band ja rasch Stücke mit einfachem Kontrapunkt und Kanons, deren beide Stimmen um 1 Takt versetzt sind. Das sieht simpel aus, dennoch ist es in der Praxis fies und "zerlegt mir quasi mein Gehirn". Ich kann soweit Noten lesen, dass ich die Stimmen einzeln richtig vom Blatt spielen kann. Da recht einfach, sozusagen nahezu mühelos. Sowie ich aber beide Stimmen zusammen versuche, bleibt nichts vom Einfachen übrig: Ich bleibe hängen, spiele die Stimmenbewegungen mit der falschen Hand und kann mit dem Ohr den einzelnen Stimmen kaum mehr als 1-2 Töne folgen. Ansonsten: Unübersichtlicher Notensalat.
Frage: Gibt es außer "immer wieder versuchen" etwas, wie man das unabhängige Spiel fördern kann?

Beispiel: Nr. 32, freier Kanon (letztes Stück im ersten Band) - aber auch andere....
 
Versuch mal, die Stimmen beim Spielen zu ignorieren.
Unabhängig spielen kann ich bis heute nicht, aber das merkt man nicht. Wenn ich ein Stück einstudiere, übe ich die Hände NIE getrennt, sondern immer zusammen, gleich von Anfang an. Ich übe beide Stimme wie eine Stimme, die man mit beiden Händen spielt. Klingt scheiße, aber das ist in dieser Phase Wurst. Ich ignoriere bewusst jede Akzentuierung. Wenn die Noten sitzen, kommt der Rhythmus, und wenn der passt, arbeite ich die Stimmen heraus. Ich spiele immer ein Hand (Stimme) bewusst und die Begleitung läuft automatisch mit. Indem ich mich mal auf die eine, dann auf die andere Hand fokussiere, kann ich Akzente und die Stimmen herausspielen.
Am Schluss klingt es perfekt nach unabhängigem Spiel, aber das ist es nicht.

Beim Boogie Woogie gibt's spezielle Übungen dafür, aber ich denke, auch dort besteht das Geheimnis darin, eine Stimme zu automatisieren, damit man sich auf die andere konzentrieren kann.
 
Das sieht simpel aus, dennoch ist es in der Praxis fies und "zerlegt mir quasi mein Gehirn".

Hatte Dir jemand versprochen, dass es einfach ist? ;-)


Sch(m)erz beiseite, mir fällt es bis heute nicht leicht. Es macht bei jedem polyphonen Stück irgendwann "Klick". Dann laufen die Stimmen vor dem inneren Ohr plötzlich klar durch. Mich würde ebenfalls interessieren, ob es Methoden gibt, um diesen magischen Punkt zu beschleunigen.

Mein Eindruck bislang war stets, dass man das Stück gut und sicher auswendig können muss, um überhaupt Hirnkapazitäten frei zu bekommen.
 
Mir fällt es recht leicht, polyphone Sachen zu spielen. Nicht zufällig gehören einige von JSBachs WTK-Fugen zu meinen Lieblingsstücken. Ich glaube, das liegt ganz viel am Musik hören, die polyphonen Stellen sind für mich immer die Höhepunkte der Musik, vor allem auch bei vokalen Sachen, die ich selber mit Begeisterung gesungen habe (z.B. Mozart Requiem Kyrie).

Grüße
Manfred
 
Persönlich spiele ich solange die stimmen einzeln bis ich sie im Puls/rhythmisch übereinander legen kann und nicht mehr darüber nachzudenken habe welche taste ich denn nu als nächstes zu "aktivieren" habe. Kompliziertere Griffe werden auch gern seziert geübt auf kosten der polyphonie, doch sobald es sich gesund anfühlt parallel hören und den "mehrklang" gewichten" je unmusikalischer du übst desto schwerer fällt dir das loslassen später. Ansonsten am Anfang evtl. Nicht Stücke mit zu komplexen stimmen. Heißt: gleich ne Invention als Anfänger wo beide stimmen von Anfang bis Ende durchnudeln, kann mitunter deine Vorstellungskraft sprengen. Abschweb hats glaub geschrieben, viel hören. Eine stimme singen und die andere spielen soll wunder bringen, ich kann das aber auch nicht. Von Natur eher tastendrücker, denn Musiker.
 
@ Manfred:
Da du Stücke aus dem WTK spielst, gehe ich davon aus, dass du vermutlich schon Jahre lang Klavier spielst. Ich bin auf dem Klavier ziemlicher Anfänger. Das Gehirn muss scheinbar erst lernen, im Fokus so (rasch) zwischen den Stimmen hin- und herzuwechseln, dass die Kontrolle in beiden Händen da ist. Das Gehirn kann sich ja erst einmal nur immer auf eine Sache direkt fokussieren.

Bei mir ist es momentan so, dass, auch wenn ich die einzelnen Stimmen separat recht gut spielen kann, die Wahrnehmung der einzelnen Stimmen beim Zusammenspiel erstmal verloren geht, sprich: Ich habe große Mühe, die Stimmen mit ihrer je eigenen Melodieführung noch als solche zu erkennen.

Beim Erlernen hat aber offenbar jeder seine eigene Methode: Getrennte Händen, dann zusammen, oder erst zusammen, dann getrennt und schließlich wieder zusammen.
 
Ich stimme Manfred zu, dass das polyphone Spiel vor allem mit dem Hören zu tun hat.

Das Gehirn muss scheinbar erst lernen, im Fokus so (rasch) zwischen den Stimmen hin- und herzuwechseln, dass die Kontrolle in beiden Händen da ist. Das Gehirn kann sich ja erst einmal nur immer auf eine Sache direkt fokussieren.

Persönlich halte ich diesen Ansatz nicht für hilfreich. Das Fahrradfahren ist doch kein ständiges Wechseln der Konzentration zwischen den Armen und den Beinen, oder? Ich stelle mir vor, dass eine polyphone Struktur aus einem einheitlichem Gebilde hervorgebracht wird, wie man zwei Linien mit einer Bewegung einer Hand im Sand zeichnen würde. Vielleicht trifft das nicht bei jedem zu.
 
Ich würde auch Manfred zustimmen.
Ich höre mir das Stücke auch immer wieder mal zwischendurch an. Beide Hände erst mal getrennt üben. Dann mit dem Gehörten im Kopf beide Hände gleichzeitig. Das klappt nicht auf Anhieb - oft erst nach 3-4 mal (mit großzügigen Pausen dazwischen).
 
Ich würde auch Manfred zustimmen.
Ich höre mir das Stücke auch immer wieder mal zwischendurch an. Beide Hände erst mal getrennt üben ...

Da möchte ich widersprechen. Getrennt üben ist nützlich bei technisch grenzwertigen Stellen, also in Richtung virtuos.
Bei polyphonen Sachen ist es sinniger, immer alles zusammen zu spielen. Ist der Satz 2-stimmig, wären die Einzelstimmen banal, gar keine Herausforderung. Ist der Satz 3-stimmig oder mehr, hast du die Mittelstimme(n) auf beide Hände verteilt, die Stimmen wechseln also durch die Hände.

Grüße
Manfred
 
Da möchte ich widersprechen. Getrennt üben ist nützlich bei technisch grenzwertigen Stellen, also in Richtung virtuos.
getrennt im Sinne von einzelne Stimmen isoliert üben ist sicher nicht falsch, und wenn man dabei wo nötig auch den passenden Fingersatz nimmt, wird auch das nicht schaden - auf jeden Fall ist es bei 3- und 4stimmigen Sachen nicht so geschickt, sie sich als eine Kette von Doppelgriffen einzupauken.
 
... nicht so geschickt, sie sich als eine Kette von Doppelgriffen einzupauken.

Mache ich nie! Ich realisiere von Anfang an das Stimmengeflecht. Der Fingersatz bleibt erstmal völlig offen, ebenfalls die Verteilung auf die Hände. Notfalls hüpfe ich auch mal mit einem Finger. Der Fingersatz entwickelt sich dabei beim mehrfachen Durchspielen von ganz alleine. Über dabei entstehende Doppelgriffe mache ich mir nicht die geringsten Gedanken. Nix Einpauken!

Grüße
Manfred
 

prima, wenn dir das ad hoc gelingt (!) - trotzdem schadet es niemandem, in einer vierstimmigen Fuge mal jede der 4 Stimmen isoliert durchzuspielen (wie es auch nicht schadet, dabei allerlei Polyphonietricks wie Krebse etc zu ermitteln)

Ja, dabei geht es dir ja um das Verstehen der Fuge. Genau so gut kannst du die einzelnen Stimmen singen, oder auch nur beim Anschauen der Noten im Geiste vorstellen. Ein Fingersatz auf dem Klavier bringt dir nichts, wenn du später mit der selben Hand noch andere Stimmen realisieren musst.

In komplexeren Fugen (z.B. WTK1 dis-Moll) schreibe ich die jeweilige Themengestalt in die Noten, also T für Thema in Originalgestalt, U für Umkehrung, V für Vergrößerung.

Krebs kenne ich frühestens in Beethovens Hammerklaviersonate.
Oder gibt es frühere Beispiele von Rang?

Grüße
Manfred
 
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