Erfahrungen mit Chopin Etüden

Aber muß man Prokofieff-Sonaten wirklich wie ein Holzhacker spielen? Ich befürchte fast, Richter ist in dieser Hinsicht stilprägend gewesen. (Wobei es ja in Pianistenkreisen fast schon Blasphemie grenzt, etwas Schlechtes über Richter zu sagen :floet:)

Sorry, ist offtopic, hab's zu spät bemerkt.:oops:

Na ja, nachdem Richter dem Komponisten Prokofjew zum 55. Geburtstag dessen Sonaten 6, 7 und 8 vorgespielt hat, hat Prokofjew ihm die 9. Sonate gewidmet... damit ist klar, dass Richter im Sinne des Komponisten gespielt hat. Und darauf kommt's an. Chopin kann man leider nicht mehr fragen, wie er Richters Etüdenspiel findet.
 
Ich versehe deinen Gedankengang sehr gut. Und ich habe selbst früher so gedacht. Habe die Vortragsangaben wörtlich genommen. Also da, wo ein f (forte) stand hab ich forte (laut - also laut ist, wenn man es auch noch vier Häuser weiter hört) gespielt. In der Oktavenetüde op.25-10 steht am Schluß il piu forte possibile. !!!!!
Kannst du dir vorstellen, wie es sich anhört, wenn ich so laut spiele, wie es überhaupt nur geht? :p
Nein, du kannst es dir nicht vorstellen. Die Männer in den weißen Kitteln würden umgehend vor meiner Wohnungstür stehen...
Natürlich soll es sich sehr, sehr laut anhören - aber das ist ja relativ zu den anderen Lautstärkestufen und zum Grundcharakter des Stücks (überall im Stück stehen legato-Bögen - man kann nicht gleichzeitig auf die Tasten einhacken und legato spielen!) . Natürlich geht es immer noch viel, viel brutaler. Das kann aber nicht das sein, was Chopin gemeint hat. Schon garnicht wenn man bedenkt, wie zierlich die damaligen Instrumente gebaut waren.
Ich wundere mich manchmal, wenn ich höre, wie Pollini Stockhausen spielt. Da gibt es viele fffff, aber ich hab noch kein echtes fffff von Pollini gehört. Trotzdem - hör dir an, wie bombastisch sich die Oktavenetüde bei Pollini anhört. Es hat nichts mit roher Gewalt zu tun.

Da haben wir aber eine interessante Diskussion begonnen... find' ich gut!
Ich hoffe, dass die Männer mit den weissen Kitteln Dich in Ruhe lassen ;-)

Der Schluss der op.25/10 ist ein gutes Beispiel, aber auch op10/4, op10/12, op25/11 und op25/12. Da hat (glaube ich...) Chopin nicht an die Grenzen der damaligen Klaviere gedacht, sondern da muss es einfach "mit alles" sein. Nicht unbedingt brutal. Es ist auch sicher kein Zufall, dass die Etüden Liszt gewidmet sind, bzw. dessen Freundin.

Die Aufnahmen von Pollini hab' ich natürlich auch. Ich nutze sie quasi als Referenz (alles richtig gespielt, ist nicht böse gemeint). Die Aufnahmen von Richter höre ich, wenn's einfach nur geil sein soll (sorry wegen des Ausdrucks).

Aber es ist doch schön, dass es verschiedene Ansichten gibt. Solange es authentisch ist. Sons würde es doch keine Konzerte mehr geben, und schon gar keine Amateurpianisten. Wir würden alle nur die Pollini-Aufnahmen hören.

Gruß - Andreas

P.S.: Ich würde Dich gerne mal Chopin-Etuden spielen hören... geht das?
 
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Bei der op. 10/1 steht als Metronomangabe: Viertel zu 104. Ist da ein Fehler unterlaufen? Ich kann mich entsinnen, dass (fast) jeder Pianist die Etüde V. z. 138 und schneller spielt ...

Hallo,
in der Urtext-Ausgabe (Henle) und in der Arbeitsausgabe von Cortot steht 174 / Viertel. Aber Achtung, die op10/1 hat keine Metronomzahl vom Komponisten! Chopin hat nur "Allegro" angegeben. 174 ist schon eher Presto...

Da die Tempi für die früheren Klaviere (leichtere Mechanik, schwächerer Klang) gemacht wurden, nehme ich die Tempi auf einem modernen Klavier oder Flügel etwas langsamer. Klingt sinniger, und man hört mehr Details. Und es ist nicht ganz so schwer zu spielen :-)
Die op10/1 vielleicht 144 / Viertel.

Gruß - Andreas
 
Mir gefallen sie sehr ... aber ich bin ja auch einer von den "zu-langsam-Spielern" ;)

Besonders gefällt mir übrigens die Leichtigkeit von 10/1
 
Mit dem Chopin der Mazurken, Walzer und Nocturnes hat der Chopin der Etüden nicht viel gemeinsam. Die Etüden sind überwiegend gewaltige, teilweise gewalttätige Werke (im Gegensatz zu vielen anderen Chopin-Stücken, die weitgehend zart gespielt werden, vielleicht missverstanden?)....

Ich habe übrigens erst über die Etüden zu Chopin gefunden, sonst spiele ich (bisher) nichts von ihm.

Andreas, es gibt ein paar Zeitzeugenberichte dazu, wie Chopin seine eigenen Etüden gespielt hat - siehe Eigeldinger "Chopin as seen by his students". Zumindest über 25/1 und 25/2 steht da was. Chopin hat niemals auf seinen Flügel eingedroschen, er war der Meister des Leisespiels. Schumann hat das Chopin-Spiel von 25/1 mit einer "Luftharfe" verglichen.

Demnach hat Chopins Interpretationsart seiner Etüden sehr viel mit dem Chopin der Walzer und Nocturnes gemeinsam. Natürlich kann man nicht alle Etüden über einen Kamm scheren, auch klar.
Aber da du nach eigenen Aussagen nichts weiter von Chopin gespielt hast ausser einigen Etüden, könnte es ja sein, dass sich deine Meinung hierzu ändert, wenn du eigene Erfahrungen mit dem "Restwerk" von Chopin neben den Etüden gesammelt hast (verstehe das bitte nicht arrogant!).

Weiterhin, heutige Flügel sind dermaßen lauter im Ton (nicht unbedingt schöner, siehe Link auf einen Pleyel-Flügel von 1836, wie ihn Chopin hatte):


Wenn Chopin also schrieb "so laut als möglich", muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass man auf heutigen Flügeln draufdreschen sollte, bis der Arzt kommt.
Im Gegenteil, seine Studenten hatten eine Übersetzungstabelle für Chopin'sche Dynamik gemacht, sinngemäss:
Angabe -> Chopin'sche Ausführung
pp -> Ton kaum hörbar, gehaucht, Hammerkopf berührt gerade noch die Saiten
p -> pp
ff -> mf
Genaueres auch im erwähnten Eigeldinger-Buch zu finden.

Dies nur als Anmerkung zur Diskussion über Lautstärken bei Chopin, z.B. bei Chopin-Etüden.

@ Haydnspaß:
Mir gefallen dein Chopinetüden-Aufnahmen auch sehr gut! Klingt niemals hektisch, sondern wirklich solide gespielt und mit schöner Dynamik. Ich nehme an, dass mehrere Jahre Beschäftigung damit verbunden waren?
Die Tempoangaben an den Etüden - lesen sich für mich interessant bis an der Grenze der Vorstellbarkeit bzgl. Realisierbarkeit. Auf jeden Fall aber gilt für mich, dass das Tempo genau das richtige ist, wo man noch das Gefühl hat, Herr/Frau der Angelegenheit zu sein und es nicht hektisch wird, Tempoangabe hin oder her.
 
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Link auf einen Pleyel-Flügel von 1836, wie ihn Chopin hatte):
Wunderschön!
Meine Güte! Das ist wahrhaftig ein Chopininstrument...
Auch wenn da vermutlich ein sehr fähiger Mensch gespielt hat und die Akustik ihr Übriges tut, klingt der Flügel so leicht und schwerelos, gar nicht wuchtig.
Wie locker-leichtes Mousse au Chocolat, verglichen mit pampigem Schokopudding.
Hoffentlich habe ich mal die Möglichkeit, auf so einem Instrument Chopin zu spielen.
Ich bin wirklich beeindruckt.

Was für ein Stück ist das übrigens? Ich kenne es nicht...
 
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Hallo,
vielen Dank für die Kommentare. Das Buch von Eigeldinger kenne ich nicht, werd' ich mir aber auf jeden Fall anschaffen. Die op.25/1 und op25/2 versuche ich übrigens auch so zu spielen, wie Schumann Chopins Darbietung beschreibt. Bei einigen anderen (op10/4, op10/12, op25/10, op25/11) bricht beim Spielen meistens die pure Lust an der Lautstärke durch... aber ich bin ja Amateur. Bei op 25/12 versuche ich, trotz ff die Melodieführung herauszuarbeiten, besonders die herrliche Auflösung in C-Dur in Takt 81.
Ich werd's mal einstellen, wenn ich soweit bin.

Freue mich auf weitere Diskussionen zum Thema! Wir können auch mal die Interpretation der Waldsteinsonate 1. Satz diskutieren. Das ist mir auch ein Rätsel.
 
Weiterhin, heutige Flügel sind dermaßen lauter im Ton (nicht unbedingt schöner, siehe Link auf einen Pleyel-Flügel von 1836, wie ihn Chopin hatte):


Wenn Chopin also schrieb "so laut als möglich", muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass man auf heutigen Flügeln draufdreschen sollte, bis der Arzt kommt.



Die Frage, wie hätte er (und Beethoven usw) das gespielt, bzw komponiert, wenn er einen modernen Konzertflügel gehabt hätte, wird sich leider nie klären lassen.
Andererseits lässt es uns Freaks einigen Spielraum. Ein "richtig" wird es nicht geben. Viele Darbietungen sind akrobatisch, aber lassen einen unberührt. Einige wenige gehen unter die Haut.
Gruß - Andreas
 

@ Andreas:

Habe wirklich einen ganzen Stapel von Büchern über Chopin. Könnte man alle eintauschen gegen dieses Eigeldinger-Buch; das einzige Buch eben, was wirklich aus Klavierspielsicht AUSSCHLIESSLICH AUTHENTISCH Verbürgtes hergibt. Er verwendet ausschliesslich Zeitzeugenkommentare und Briefe bzgl. der Interpretation und technischen Ausführung der verschiedenen Werke, und die umfangreichen Fussnoten zu jedem Zitat sind genauso wertvoll zu lesen wie das Zitat selbst. Leider ist es meines Wissens nur auf Englisch, und noch nicht auf Deutsch zu erhalten.

Und, klar, die Frage, wie Chopin auf einem modernen Flügel gespielt hätte, kann nicht geklärt werden. Aber der seidige klare Pleyel-Flügel-Sound, passt m.E. ganz vorzüglich zu Chopin. Würde auch gerne mal auf so einem Teil spielen wollen.
 
@ Andreas:

Habe wirklich einen ganzen Stapel von Büchern über Chopin. Könnte man alle eintauschen gegen dieses Eigeldinger-Buch; das einzige Buch eben, was wirklich aus Klavierspielsicht AUSSCHLIESSLICH AUTHENTISCH Verbürgtes hergibt. Er verwendet ausschliesslich Zeitzeugenkommentare und Briefe bzgl. der Interpretation und technischen Ausführung der verschiedenen Werke, und die umfangreichen Fussnoten zu jedem Zitat sind genauso wertvoll zu lesen wie das Zitat selbst. Leider ist es meines Wissens nur auf Englisch, und noch nicht auf Deutsch zu erhalten.

@ Mindenblues: Danke! English is no problem.
Gruß - Andreas
 
Es steht mir nicht zu, die Darstellungen zu bewerten. Auf jeden Fall ein "Hut ab"!

Warum steht es dir nicht zu, die Darstellungen zu bewerten? Jeder kann doch sagen "ist mir zu langsam", das Tempo schwankt zu sehr, zu viel Pedal etc. Das ist ja so der allgemeine Grundtenor der Kommentare. Und natürlich ist von meiner Seite auch etwas Provokation dabei ;)

Die übliche Art diese Etüden zu spielen ist ja allgemein bekannt, und ich würde im Traum nicht auf die Idee kommen, gegen diese Konkurrenz mit einem "kann ich auch" antreten zu wollen. Einfach nur: "Hör mal - klingt das nicht toll?!"

Ich stelle meine Versionen auch mal ein, wenn ich soweit bin... interessiert?

Ja, auf jeden Fall bin ich interessiert!
 
@ Haydnspaß:
Mir gefallen dein Chopinetüden-Aufnahmen auch sehr gut! Klingt niemals hektisch, sondern wirklich solide gespielt und mit schöner Dynamik. Ich nehme an, dass mehrere Jahre Beschäftigung damit verbunden waren?

Ja, so etwa 35 :)

Übrigens, kennst du die "Aufzeichnungen über Chopin" von André Gide, das ist eines der besten Bücher über Chopins Klaviermusik überhaupt.

Er schreibt:

"Es wurde uns überliefert, daß Chopin am Klavier immer den Eindruck des Improvisierens machte, das heißt, daß er seine Gedanken unaufhörlich zu suchen, zu erfinden, nach und nach zu entdecken schien. Diese Art von reizvollem Zögern, von Überraschung und Entzücken ist nicht mehr möglich, wenn uns ein Stück nicht mehr im allmählichen Entstehen dargeboten wird, sondern wie ein schon vollendetes, genau umrissenes, objektives Ganzes."
 
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Warum steht es dir nicht zu, die Darstellungen zu bewerten? Jeder kann doch sagen "ist mir zu langsam", das Tempo schwankt zu sehr, zu viel Pedal etc. Das ist ja so der allgemeine Grundtenor der Kommentare. Und natürlich ist von meiner Seite auch etwas Provokation dabei ;)


Die übliche Art diese Etüden zu spielen ist ja allgemein bekannt, und ich würde im Traum nicht auf die Idee kommen, gegen diese Konkurrenz mit einem "kann ich auch" antreten zu wollen. Einfach nur: "Hör mal - klingt das nicht toll?!"


Ja, auf jeden Fall bin ich interessiert!

Also gut, ist mir zu langsam ;-))

Ich sehe gerade die Etüden durchaus als sportliche Herausforderung. Wenn die dann trotz der technischen Schwierigkeiten nach Musik klingen, die Gänsehaut erzeugt, dann ist es perfekt. Das schafft z.B. Grigory Sokolov mit seiner op25/12.


Bist Du Amateur oder Profi?
 
Übrigens, kennst du die "Aufzeichnungen über Chopin" von André Gide, das ist eines der besten Bücher über Chopins Klaviermusik überhaupt.

Er schreibt:

"Es wurde uns überliefert, daß Chopin am Klavier immer den Eindruck des Improvisierens machte, das heißt, daß er seine Gedanken unaufhörlich zu suchen, zu erfinden, nach und nach zu entdecken schien. Diese Art von reizvollem Zögern, von Überraschung und Entzücken ist nicht mehr möglich, wenn uns ein Stück nicht mehr im allmählichen Entstehen dargeboten wird, sondern wie ein schon vollendetes, genau umrissenes, objektives Ganzes."

Nein, das Buch kenne ich nicht. Danke für den Tip, hab's gerade bei Amazon bestellt (gebraucht incl. Versand ca. 20 Euro)!

Ja, diese Art vom Chopinspiel kommt auch in mehreren Zitaten im Eigeldinger-Buch vor. Und dass Chopin die Fähigkeit hatte, ein Stück mehrmals hintereinander zu spielen, jeweils mit total anderer Interpretation, und jedesmal total überzeugend.

Die Frage ist nur, wie schafft man das, ein Stück (was man selber tausendmal gespielt hat) so vorzutragen, als wäre es das erste Mal?

Wahrscheinlich nur, wenn man es schafft, beim Spiel den Klang zu genießen, darin aufzugehen, und harmonische Wendungen selber immer wieder als neu zu empfinden, auch wenn man sie schon so oft gespielt hat? Und die immerwährende Frage, ob mit obigem Zitat bzgl. Zögern auch z.B. extensives Rubato gemeint sein könnte.

Was Chopin angeht, wird aber auch berichtet, dass er tatsächlich vor Konzerten nie seine eigenen Stücke geübt hat! Sondern sich für ein paar Tage mit Bach WTK eingeschlossen hat. Also brauchte er gar nicht so tun, als ob er es zum ersten Mal spielt - er tat es! Zumindest hat er nicht vorher die Stücke geübt.

Also gut, ist mir zu langsam ;-))

Ich sehe gerade die Etüden durchaus als sportliche Herausforderung. Wenn die dann trotz der technischen Schwierigkeiten nach Musik klingen, die Gänsehaut erzeugt, dann ist es perfekt.

Mir ist es keinesfalls zu langsam. Und sportliche Herausforderung - hat im Zusammenhang mit Musik immer einen faden Beigeschmack, finde ich. Insbesondere bei Chopin. Es ist auch überliefert, dass Chopin so spielte, als ob er keine Schwierigkeiten kennen würde. Besser, eine Chopin-Etüde ist langsamer gespielt und hört sich nicht nach technischer Schwierigkeit an. "Avant tout: avec souplesse", das war seine Maxime, die er auch an seine Schüler so weitergeben hat.
 
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Die Frage ist nur, wie schafft man das, ein Stück (was man selber tausendmal gespielt hat) so vorzutragen, als wäre es das erste Mal?

Indem man das Stück einfach jedesmal bewußt ein bißchen anders spielt und indem man eben so vergesslich ist, daß man auch beim 1000sten Mal immer noch nicht weiß, welcher Akkord im nächsten Takt kommt :p
 
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Indem man das Stück einfach jedesmal bewußt ein bißchen anders spielt und indem man eben so vergesslich ist, daß man auch beim 1000sten Mal immer noch nicht weiß, welcher Akkord im nächsten Takt kommt :p

:D An der Vergesslichkeit arbeite ich, gelingt mir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer besser.

Jetzt weiß ich auch, warum gerade der alte Rubinstein noch mit 80 so geil Chopin interpretiert hat. :D
 

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