... eine kleine Motette

Das habe ich weder gesagt noch gefordert - - es sind religiöse Texte, die Musik soll deren Inhalt mittransportieren/verstärken: wie und mit welchen musikalischen Mitteln kann sie das eindeutig leisten? Mir fallen ad hoc feierlich erhabene Akkorde ein, Choralanklänge, gregorianische Stilimitation, das wäre ohne Text eindeutig religioso konnotiert. Aber das kann noch lange nicht alles sein.
 
Kann der Text einen Komponisten inspirieren,
wenn er (der Text) ihm (dem Komponisten) nix bedeutet?
Das kann ich nicht beantworten, denn ich bin kein Komponist. Und ins Blaue spekulieren mag nicht nicht.
Viele barocke Kirchenmusiken waren Auftragsarbeiten, ob da jede religiös inspiriert war, oder ob da nicht auch manch kühl kalkuliertes gekonntes Handwerk darunter ist?
 
Das kann ich nicht beantworten, denn ich bin kein Komponist.

Stimmt.

Und ins Blaue spekulieren mag nicht nicht.

Fein - wieso aber tust Dus dann?:

Viele barocke Kirchenmusiken waren Auftragsarbeiten, ob da jede religiös inspiriert war, oder ob da nicht auch manch kühl kalkuliertes gekonntes Handwerk darunter ist?
 
Ohne nun den Komponisten gleich Religionsstifterallüren zu attestieren, kann man feststellen, dass einige von ihnen Kirchenmusik(en) verfasst haben, deren Dimensionen zu groß, zu umfangreich sind, um in einem kirchlichen Ritual (Messgottedienst) eingesetzt zu werden:

Beethoven: Missa solemnis (...)

Wieso eigentlich?

Eindreiviertel Stunden Missa solemnis, und dann wegen mir noch das Vater Unser, da würd' ich glatt auch kommen :D:D:D
 
Wie und mit welchen musikalischen Mitteln kann sie das eindeutig leisten?
Mir fallen ad hoc feierlich erhabene Akkorde ein, Choralanklänge, gregorianische Stilimitation,
das wäre ohne Text eindeutig religioso konnotiert.

Eine schöne Frage!

Beispiele für religiöse Semantik in rein instrumentaler Musik:

  • Der zweite Satz aus Berlioz' Programm-Symphonie "Harold in Italien",
    der "Marche des Pélerins" (1834)

  • Der vierte Satz aus Schumanns 3.Symphonie Es-Dur (1850), "Feierlich",
    der ursprünglich den Untertitel "Im Charakter der Begleitung einer feierlichen Ceremonie"
    tragen sollte und angeblich von einer Meßfeier im Kölner Dom inspiriert worden ist
    (wobei der Kölner Dom 1850 allerdings noch ein Torso war)

  • der berühmte "Naturton"-Choral aus dem Finale der 1.Symphonie c-Moll (1876)
    von Johannes Brahms

Stilmittel: archaisierende Satztechnik (--> imaginärer Choral),
Einbruch kirchentonaler Elemente in einem sonst eher funktionsharmonischen Umfeld,
bei Brahms überraschender Gebrauch des siebten Naturtons.

Ich habe bewußt drei Komponisten ausgewählt, die zumindest mit dem konfessionellen
Christentum nix am Hut hatten und sich der Religiosität gerade aus dieser Distanz heraus
zuwenden konnten: als etwas Vorzeitlichem - und damit zugleich als einer Gegenwelt.

Aber das kann noch lange nicht alles sein.

Dazu tritt im zwanzigsten Jahrhundert ein Ausdruck von Religiosität,
der dem Christentum fremd oder darin tabuisiert worden ist: der sakrale Tanz.

Im chassidischen Judentum ist er Ausdruck von Ekstase, der שִׂמְחַת תּוֹרָה
(Simchat Torah), die mit "Gesetzes-Freude" nur sehr unzulänglich übersetzt wird;
gemeint ist die Freude darüber, daß Gott sich seinem Volk im Wort offenbart hat.

Das Alte Testament berichtet von König David, der in Ekstase tanzt,
als die Bundeslade nach Jersualem hereingetragen wird, und von der Ächtung,
die dieser Ausdruck religiöser Ekstase hervorruft:

Zitat aus 2.Samuel 6, 14-16 (Lutherbibel, 1912)

14 Und David tanzte mit aller Macht vor dem HERR her und war begürtet mit einem leinenen Leibrock.
15 Und David samt dem ganzen Israel führten die Lade des HERRN herauf mit Jauchzen und Posaunen.
16 Und da die Lade des HERRN in die Stadt Davids kam, sah Michal, die Tochter Sauls, durchs Fenster
und sah den König David springen und tanzen vor dem HERRN und verachtete ihn in ihrem Herzen.

Ernest Bloch hat der שִׂמְחַת תּוֹרָה ein paar programmatische Stücke
für Violine und Klavier gewidmet. Bei Skrjabin ist der Ausdruck quasi-religiöser Ekstase
der Höhepunkt in seinen späten Klaviersonaten, gerne mit der Vortragsbezeichnung
"délirant" garniert, und sein Orchesterstück "Poème de l'Extase" handelt von nix anderem.

Bei Messiaen taucht dieser religiös motivierte ekstatische Freudentanz erstmals
im christlichen Kontext auf.


HG, Gomez

.
 
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E
Dazu tritt im zwanzigsten Jahrhundert ein Ausdruck von Religiosität,
der dem Christentum fremd oder darin tabuisiert worden ist: der sakrale Tanz.
Lieber Gomez,
herzlichen Dank, insbesondere dass Du das erwähnst!! Würdest Du in diesen Bereich religiöser, nicht notwendig christlicher, Konnotation auch Strawinskis "Tanz der jungen Männer" aus Le Sacre du Printemps zählen?

Als effektvoller Exotismus findet sich der sakrale Tanz in der Oper des 19. Jhs., hierbei durchaus in religiösem Kontext: Verdis danza sacra aus Aida, 2. Akt, oder auch Borodins Polowetzer Tänze, Bacchanal in Saint-Saens Samson et Dalilah (gibt es nicht auch in Delibes Lakme etwas ähnliches?). Sicher sind das keine Vorgänger im Sinne von Anregung für die von Dir erwähnte Musik des 20. Jh., aber interessante Mixturen aus ekstatischen Exotismen und sakral konnotierten musikalischen Techniken.
 
Würdest Du in diesen Bereich religiöser, nicht notwendig christlicher,
Konnotation auch Strawinskis "Tanz der jungen Männer" aus Le Sacre du Printemps zählen?

Lieber Rolf,

nicht nur den 'Tanz der jungen Männer', sondern gleich den ganzen "Sacre".

In seinen drei Stilphasen hat Strawinsky jeweils ein zentrales Werk dem Opfergedanken
gewidmet: 1912 "Sacre du Printemps" (vorweltlich-heidnisch), 1934 "Perséphone (antikisierend)
und 1963 "Abraham und Isaak" (alttestamentlich).

Das musikalische Bindeglied zwischen dem frühen Strawinsky und Messiaen ist André Jolivet
(ein Varèse-Schüler, in Deutschland leider kaum bekannt geworden), z.B. mit seiner Klavier-Suite
"Mana" aus dem Jahr 1935. Jeder der sechs Sätze portraitiert einen heidnischen Fetisch:

Beaujolais

L'Oiseau

La Princesse de Bali

La Chèvre

La Vache

Pégase

Oder mit den "Cinq danses rituelles" aus dem Jahr 1939, ursprünglich für Klavier,
später orchestriert, von denen Messiaen sagte, das sei heilende Musik ("dans un sens thérapeutique").

Leider habe ich davon im Netz keine Einspielung auftreiben können.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
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Mir ist sehr wohl bewusst, dass sakrale Werke im liturgischen Kontext eine andere Funktion haben als im Konzertsaal. Ich tue mich auch persönlich ziemlich schwer damit, wenn ich eine Messe im Chor singe, den Gottesdienst solchen zu erleben, weil zu viele der Beteiligten, die da am Chor herumwieseln, mit dem, was in der Liturgie passiert, eigentlich nichts am Hut haben. Ein ganz praktisches Problem liegt aber darin, dass für anspruchsvolle Sakralwerke gewisse sängerische Qualitäten unumgänglich sind. Im Extremfall verkündet dann vielleicht ein Chor von bekennenden Agnostikern dem Kirchenvolk das Wort Gottes.


Lieber Gernot und alle anderen,

ich bin der festen Überzeugung, dass die gelungene und künstlerische Wiedergabe eines Sakralwerks nichts damit zu tun hat, ob der Interpret persönlich an Gott glaubt oder nicht!

Vielmehr hat es mit Respekt vor dem Werk zu tun (in einer Messe auch mit dem Respekt vor dem Glauben der dort betenden Gemeinde) und damit, dass die Musik dieses Werks innerlich mit jeder Faser erfasst wird. Dass man spürt, welcher Geist sich im Text und seiner klanglichen Umsetzung verbirgt.

Zudem ist gerade der eigene Glaube oft ein sehr widersprüchliches Ding, dass sich selten eindeutig in gläubig-ungläubig, katholisch-atheistisch........ einteilen lässt.

Obwohl ich aus der Kirche ausgetreten bin, kann ich den Glauben, die tiefe Religiösität eines Komponisten sakraler Musik absolut nachempfinden und auch wiedergeben.

Als zweites stimme ich rolf zu, dass leider viele längere oder mehrsätzige Werke nicht in der Messe (Liturgie) aufgeführt werden. Entweder singt man tatsächlich eine "Messe" oder man singt zwei, drei Stücke in den Zeiten, wo musikalische Überbrückung gewünscht ist (Kommunion, nach der Lesung, Gabenbereitung).

Wir haben früher im Konzert von Benjamin Britten "Ceremony of Charols" gesungen, ein absolut wundervolles Werk, das wir mit Frauenchor und Cembalo besetzt hatten (viiiiel schöner als Knabenchor :D ). Würde man so ein Werk in eine liturgische Feier integrieren, hätte das Auswirkungen auf den Ablauf der Feier selbst. Hier z.B. der Einzug der Chormitglieder zu Beginn der Messe, dann müssten die Texte der Musik zum Ablauf passen..... . Das mag vielleicht für manche ketzerisch sein (vor allem für viele Priester?), aber das wäre mal eine Würdigung zur Ehre Gottes!!!

Liebe Grüße

chiarina
 
...
Die These Musik als Religionsersatz hat schon was für sich, aber kann man das nicht von jeder Tätigkeit sagen, die dazu beiträgt, zu irgendeiner Art von innerer Ruhe, Glück, Geborgenheit, Auszeit etc. zu finden?
...
Zwei Begriffe: Religion, Ritual

Entstehung einer Religionsgemeinschaft:
Ein oder mehrere Menschen erfahren eine (göttliche) Erleuchtung. Die daraus gewonnene(n) Erkenntnis(se) teilen sie ihren Mitmenschen mit. Diejenigen, die diese Mitteilungen für Wahr halten, bilden eine Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft sollte den Sinn haben, diese einerseits durch Erleuchtung erfahrenen und andererseits für wahr gehaltenen Erkenntnisse weiterzugeben.

Rituale sind notwendig um eine Gemeinschaft zu festigen. Die gemeinschaftliche Beschäftigung mit dem Thema der Erkenntnisse des oder der Erleuchteten, wie die Feier einer Messe, das Gebet oder der Gesang themenbezogener Lieder, sind demnach Rituale.

Wie sollte ein einziges Ritual eine Religion ersetzen?
Das wäre, als würde ein Kuss eine lebensgemeinschaftliche Partnerschaft ersetzen.

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ich bin der festen Überzeugung, dass die gelungene und künstlerische Wiedergabe eines Sakralwerks nichts damit zu tun hat, ob der Interpret persönlich an Gott glaubt oder nicht!

Vielmehr hat es mit Respekt vor dem Werk zu tun (in einer Messe auch mit dem Respekt vor dem Glauben der dort betenden Gemeinde) und damit, dass die Musik dieses Werks innerlich mit jeder Faser erfasst wird. Dass man spürt, welcher Geist sich im Text und seiner klanglichen Umsetzung verbirgt.
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Gibt man durch das Ausüben des Rituals nicht vor, Mitglied der Gemeinschaft zu sein?

cm
 
Wunderbar, wunderbar,

Es leben hier in unserem kleinen Land, dicht gedrängt Haus an Haus, Menschen vielfältiger Herkunft und Konfessionen. Jeder bringt das Seine mit. Nun hat es sich aber so ergeben, dass ich einen Bekanntenkreis um mich scharte, welcher zu einem großen Teil aus Europa Beamten besteht. Zum einen sind es wunderbare Hobbymusiker mit welchen es sich wunderbar musizieren lässt, und zum anderen sind sie auch wahrlich lieb und nett. Wenn wir zusammen musizieren spricht ein Jeder seine Sprache, (viel Englisch, manchmal Deutsch oder Französisch) aber wir verstehen uns wunderbar. Nun ließ ich schon ein paarmal, meine europäische Freunde, die ja dann in der Regel a) nicht Katholiken sind, b) sich zu ihren eigenen Konfessionen nicht unbedingt sehr verbunden fühlen, mit mir zusammen in einer katholischen Messe musizieren, es gab sogar einmal eine ganze katholische Messe von Byrd. Sind wir denn nun Ketzer und müssen wir in der ewigen Hölle schmoren? Uns bereitet es Freude zu musizieren, und diese Kunst mit anderen, mit den glaubenden Besuchern zu teilen. Mit unserem Pfarrer gibt es überhaupt kein Problem und er freut sich auch, wenn mal von Zeit zu Zeit eine ganz besondere Kunstleistung in einem Gottesdienst dargeboten wird. Auch hab ich schon erlebt dass ich folgenden Wortwechsel mit einem Pfarrer hatte: „Singt ihr viel?“ „Ja“ „OK, dann halte ich eine kurze Predigt“.

Also, allen Dogmen und kirchlichen Kanons zum Trotz, mit gutem Willen und gesundem Menschenverstand, lässt sich so manches machen. (Allerdings hab ich das Gefühl, dass in den deutschen Ländern vieles weit strenger geregelt ist als in den französischen. Und da wir ja mit großem Genuss den Nektar beider Kulturen saugen, nehmen wir uns mit Vorliebe gerade das was uns schmeckt. Prinzipiell haben unsere katholischen Kirchenmusiker, die ja bei uns weit über 90 Prozent ein Amateure sind, große Handlungsfreiheit und bestimmen den Musikalischen Ablauf der Gottesdienste selbst. Der Chorleiter steht dann normaler weise über dem Organisten und Pfarrer. Singt kein Chor, bestimmt der Organist die Lieder, sind weder Chor noch Organist anwesend, ja dann stimmt der Pfarrer „seine“ Lieder an.)

Beste Grüße
PiRath
 

Gibt man durch das Ausüben des Rituals nicht vor, Mitglied der Gemeinschaft zu sein?

Lieber Caligulaminix,

das ist wieder eine andere, interessante Frage. In meinem obigen Beitrag ging es mir erst einmal als Antwort auf Gernots Beitrag darum, ob man überhaupt in der Lage ist, als konfessionsloser oder atheistischer Mensch sakrale Musik zu interpretieren. Ich habe das eindeutig mit "Ja" beantwortet.

Nun fragst du, ob man durch die Wiedergabe eines sakralen Werkes vorgibt, Mitglied dieser Gemeinschaft zu sein. Meinst du das im Hinblick darauf, dass es unredlich sein könnte, weil man ja nicht (eingetragenes) Mitglied dieser Gemeinschaft ist? Dass man als letzte Konsequenz ein sakrales Werk nur dann musizieren darf, wenn man der Religionsgemeinschaft zugehörig ist, aus dessen Geist heraus der Komponist dieses Werk komponiert hat?

Wenn das der Fall wäre, sähe es aber schlimm aus für unsere Kirchenmusik! :p Wie wäre es dann mit evangelisch/katholisch/? Und dürfte jemand, der noch katholisch ist, aber seit Jahren nicht mehr in die Kirche geht, diese Werke spielen/singen? Dürfte dies ein Agnostiker, der sich intensiv mit dem Glauben beschäftigt? Müsste man dann nicht gar eine Eignungsprüfung als allerletzte Konsequenz aus dieser Haltung (von der ich keineswegs sage, dass du sie vertrittst!) einführen? :p

Daher beschränke ich mich auf den Moment der Wiedergabe des Stücks. Findet die im Konzert statt, gebe ich aus meiner Sicht keineswegs vor, Mitglied der Religionsgemeinschaft des Komponisten zu sein.

Führe ich dieses Werk in einer liturgischen Messe auf, bin ich in dem Fall Gast der versammelten Gemeinschaft. Als solcher zolle ich dem Ritual meinen Respekt und selbstredend bin ich in dem Moment Teil dieser Gemeinschaft unabhängig von meinem Glauben oder Nicht-Glauben. Ich bin dann von der Kommunion ausgeschlossen (jedenfalls bei den Katholiken), ansonsten darf ich aber an jeder Messe teilnehmen. In diesem Fall also bejahe ich deine Frage, allerdings bin ich durch meine bloße Anwesenheit in dem Moment Teil der Gemeinschaft und kann selbstverständlich an der musikalischen Gestaltung teilnehmen.

Das ist meine Sichtweise dazu.

Liebe Grüße

chiarina
 
Lieber Caligulaminix,

Rituale sind notwendig um eine Gemeinschaft zu festigen. Die gemeinschaftliche Beschäftigung
mit dem Thema der Erkenntnisse des oder der Erleuchteten, wie die Feier einer Messe,
das Gebet oder der Gesang themenbezogener Lieder, sind demnach Rituale.

Wie sollte ein einziges Ritual eine Religion ersetzen?

diese sozusagen religionswissenschaftlich-neutrale Beschreibung des Phänomens
"Kultpraxis" wird dem Selbstverständnis einer Kultgemeinschaft nicht gerecht.

Die gemeinschaftsstiftende Funktion von Ritualen gilt auch für Vereine,
Fan-Clubs, Sportmannschaften, Geheimbünde und Kriegerkasten.
Im religiösen Kontext ist die Selbstvergewisserung der Gemeinschaft ein Nebenprodukt.
Hauptsächlich geht es um die Heils-Vergewisserung, ein innerreligöses Problem.

Um Deine Frage zu beantworten - tatsächlich ist es so, daß mit konzertanten Meß-
Aufführungen Bestandteile einer Kultpraxis aus ihrem Zusammenhang gerissen worden sind:
die fünf Ordinariums-Meßteile, die in der Hl.Messe nicht brav hintereinander erklingen,
sondern von Lesungen, Gebeten, Zeichenhandlungen und anderer liturgischer Gebrauchsmusik
unterbrochen werden. Erst Aufführungen im Konzertsaal oder in der Kirche als Bestandteil
eines Kirchenkonzerts machen aus der Vertonung der fünf Ordinariums-Meßteile
ein autonomes Kunstwerk - die 'Messe'.

Wobei man hinzufügen muß: Als autonomes Kunstwerk haben die Komponisten ihre
Meß-Vertonungen seit der Frührenaissance verstanden. Der Zerstückelung ihrer Musik
haben sie durch identische Anfänge aller fünf Ordinariumsteile entgegengewirkt -
als Mittel zur Verklammerung. Die Identität der 'Osanna'-Teile wurde musikalisch ebenfalls
zur Verklammerung genutzt. Später kommen Techniken der motivischen Verarbeitung hinzu,
Querbezüge zwischen allen fünf Meßteilen.

All das kommt erst bei einer geschlossenen Aufführung im Konzert zur Geltung.
Außerdem hat die nach dem II.Vatikanum praktizierte Liturgiereform die 'Messe'
regelrecht in den Konzertsaal verbannt: durch Verzicht aufs Latein als Liturgiesprache
und durch die Förderung des Gemeindegesangs.

Wenn aber nun eine konzertant aufgeführte Messe der Gemütserhebung à la Wackenroder
dienen soll, als Alternative zum Gebet und zu sakramentalen Handlungen,
dann ist das Etikettenschwindel. Die aus dem Zusammenhang gerissenen Bestandteile
eines Rituals stiften eine neue Religion, die des Bildungsbürgers,
der sich 'Transzendenzbezug' durch Musikgenuß verspricht.

Lieber PiRath,

das sind ja paradiesische Zustände, die Du schilderst! Hier in Deutschland erinnern
Gottesdienste bzw. Meßfeiern eher an ein Gemisch aus Talkshow und Kindergeburtstag.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
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Liebe Chiarina,

Du redest mir von und in die Seele. Nicht Jeder, welcher der Kirche den Rücken dreht, ist ungläubig oder Atheist. Übrigens, kann ich mich ja auch gleich mit „Dem da Oben“ unterhalten ohne über seine Stellvertreter zu fahren, und dazu brauch ich weder eine Telefonnummer, noch eine E-mail Adresse: das funktioniert per Gedankenübertragung.

Ein tüchtiger Musiker, der seinen Job wirklich künstlerich gut macht ist mir immer lieb, da frag ich nicht nach Konfession. Darf ein Katholik überhaupt Bach spielen, und ein Protestant Messiaen? Wer fragt denn ob ein Deutscher Berlioz spielen darf und ein Franzose Beethoven? Musik ist Musik, und Musik ist Kultur, Kultur vereint etymologisch (siehe oben, Beitrag 13) Kult (an eine Gottheit gerichtete Huldigung) und Kultur (künstlerische Gestaltung dieser Huldigung).

Beethovens Neunte in einer Kirche zu zelebrieren würde mich kaum stören und die freimaurische Ode mit dem „Alle Menschen werden Brüder“ hat doch wenigstens so viel Kraft wie ein „Et in terra Pax“. Universale Themen sind gleichsam religiöse und profan. Gomez meint ich würde „in bedenkliche Nähe zur Idee von ‚Kunst als Reliogionsersatz zu geraten‘“, (Beitrag 12) und kommt zur Aussage „daß wir nicht in einer aufgeklärten, sondern neopaganen Kultur leben, in der u.a. 'Kunstgenuß' der Befriedigung ersatzreligiöser Bedürfnisse dient.“

Wenn man nun aber beachtet dass der Begriff Kultur per se schon eine gewisse Spiritualität beinhaltet, also irgend einen Bezug auf ein Konzept das über das irdische Leben hinausgeht, ist selbst eine neopagane Kultur „übernatürlich angehaucht“. Gegen Gedanken „'Kunstgenuß' diene der Befriedigung ersatzreligiöser Bedürfnissen“ sträubt sich einfach mein ganzes Wesen. Weshalb? Weil ich vielleicht einfach zu viel mit der Kirchenmusik verwachsen bin, selbst wenn ich alles andere als ein „Weihwasserbeckenfrosch“ bin.

Außerdem hat die nach dem II.Vatikanum praktizierte Liturgiereform die 'Messe'
regelrecht in den Konzertsaal verbannt: durch Verzicht aufs Latein als Liturgiesprache
und durch die Förderung des Gemeindegesangs.
(Zitat von Gomez)

NEIN, NEIN, NEIN, Dreimal NEIN.

Vatikanum II hat nie und nimmer die lateinische Sprache aufgegeben. Ihr müsst das Dokument mal lesen. Vatikanum II kann man in vielen Punkten als eine zeitversetzte Symmetrie des Trienter Konzils ansehen. In Punkto Kirchenkunst, haben die Kirchenväter gerade mal 3 Seiten geschrieben, sie plädieren für Würde und das größt mögliche Mitwirken der Gemeinschaft. Vatikan II und der Trienter Konzil geben lediglich die ganz große und grobe Richtlinien und schließen mit dem Vermerk dass es den nationalen Bischofskonferenzen obliegt, die ausgebarbeiteten Grundrichtlienien den jeweiligen anwesenden Kulturgegebenheiten anzupassen.

(Aus dem Gedächtnis zitiert, ich hab jetzt auf die Schnelle die nötigen Quellen nicht beisammen.)

Für die hexenverfolgerischen Kulturvernichtungen ist Vatikanum II nicht verantwortlich. Könnte es sein dass der Dialog „Kirchenmann-Kirchenmusiker“ in verschiedenen Teilen des Erdballes etwas leichter von statte geht und für beide Parteien schönere Früchte trägt?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Pierre,

ich habe selbst gesagt:

Das II.Vatikanum hatte den landessprachlichen Gottesdienst als Alternative
zur tridentinischen Messe zugelassen. Die Missa Tridentina ist niemals verboten worden.
In Deutschland haben jedoch die Befürworter der Liturgiereform de facto ein flächendeckendes
Verbot des alten Ritus durchgesetzt. Wer die Hl.Messe nach tridentinischem Ritus feiern wollte,
mußte dies im Untergrund tun.

und eigens hervorgehoben:

Außerdem hat die nach dem II.Vatikanum praktizierte Liturgiereform

Ich hätte der Deutlichkeit halber sagen sollen:

die in Deutschland praktizierte Liturgiereform

Der Gedankenaustausch mit Dir freut mich. Aber ich möchte mit Dir
nicht in Streit geraten
. Ich habe den Eindruck, daß Du meine Worte
teilweise als einen Angriff auf Dich verstehst:

was nur belegt, daß wir nicht in einer aufgeklärten, sondern neopaganen Kultur leben,
in der u.a. 'Kunstgenuß' der Befriedigung ersatzreligiöser Bedürfnisse dient

Vielleicht reden wir in mißverständlichen Worten von denselben Dingen -
oder sogar in mißverständlichen Worten von unterschiedlichen Dingen?

Ehe sich jedenfalls die Mißverständnisse sich nicht aus dem Weg räumen lassen
und wir anfangen, uns zu streiten, ziehe ich mich aus dem Gespräch lieber zurück.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
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Liebe Diskussionsrunde

Ein tüchtiger Musiker, der seinen Job wirklich künstlerich gut macht ist mir immer lieb, da frag ich nicht nach Konfession.

Ganz genau. :)

Mir ging es auch nicht darum, wen auch immer grundsätzlich von einer Mitwirkung an der Kirchenmusik abzuhalten, wenngleich meine Formulierung von Agnostikern, die das Wort Gottes verkündigen, diese Interpretation nahelegt. Da wäre ich ja ganz schön bigott unterwegs. Ich habe mehr als zehn Jahre mit großer Begeisterung in der hiesigen russisch-orthodoxen Gemeinde in der Chorgruppe mitgewirkt. Der Großteil der Sängerinnen und Sänger war übrigens - wie auch ich - nicht orthodox.

Worum es mir geht, ist was Chiarina sehr schön mit dem Wort Respekt angesprochen hat. Egal wie ich persönlich zu Fragen des Glaubens im Allgemeinen oder zu bestimmten Konfessionen und der Art der gemeinschaftlichen Glaubensbekundungen stehe, wenn ich mich allein aus Interesse an der Musik einbringen möchte, muss ich ein Minimum an Respekt für die haben, die an der Messe teilnehmen.

Das umfasst natürlich auch ganz banale Fragen des Umgangs bzw. des Auftretens. Wichtiger, und leider anscheinend nicht so ohne weiteres zu erreichen, ist mir aber eine geistige Auseinandersetzung mit dem, was man da als Sänger oder Musiker tut. Bei Liederabenden oder gar in der Oper erwartet man sich zurecht, dass die Künstlerinnen und Künstler auf allen möglichen Ebenen vorbereitet sind, um in der jeweiligen Rolle aufgehen zu können, dass sie sich mit dem beschäftigen, was im Notentext und im Libretto steht und auch mit dem was dort nicht explizit ausgeführt wird, was aber mitzudenken ist.

In der Kirchenmusik habe ich gerade auch bei den professionellen Sängerinnen und Sängern immer häufiger das Gefühl, dass die keinen blauen Dunst davon haben, was sie da eigentlich singen. Von den Orchestermusikern gar nicht erst zu reden.

Ich denke auch, dass die Grenzen zwischen dem sakralen und dem sekulären Potenzial von Kompositionen fließend sind. Gibt sicher Beispiele für Werke, die in beiden Welten zu bewegen vermögen. Mir fällt jetzt auf die Schnelle eine meiner Lieblings Bass-Arien aus Bachs Weihnachtsoratorium ein: "Großer Herr, o starker König" war ursprünglich eine arie aus einer Kantate zu Ehren der Königin von Sachsen mit dem Titel "Ruhm und Preis gekrönte Damen" (oder so ähnlich). Gut das Oratorium, ist nicht liturgisch. Aus der anderen Richtung fällt mir ein Streichquartett von Samuel Barber ein, aus dem ein wirklich starkes Agnus dei wurde.

Liebe Grüße
Gernot
 
Das umfasst natürlich auch ganz banale Fragen des Umgangs bzw. des Auftretens. Wichtiger, und leider anscheinend nicht so ohne weiteres zu erreichen, ist mir aber eine geistige Auseinandersetzung mit dem, was man da als Sänger oder Musiker tut. Bei Liederabenden oder gar in der Oper erwartet man sich zurecht, dass die Künstlerinnen und Künstler auf allen möglichen Ebenen vorbereitet sind, um in der jeweiligen Rolle aufgehen zu können, dass sie sich mit dem beschäftigen, was im Notentext und im Libretto steht und auch mit dem was dort nicht explizit ausgeführt wird, was aber mitzudenken ist.

In der Kirchenmusik habe ich gerade auch bei den professionellen Sängerinnen und Sängern immer häufiger das Gefühl, dass die keinen blauen Dunst davon haben, was sie da eigentlich singen. Von den Orchestermusikern gar nicht erst zu reden.
lieber Gernot,
es gibt für Gesang Fachliteratur über die Aussprache spät- und mittellateinischer Texte - da Du ja Forderungen formulierst: bist Du firm in solchen Spezialfragen wie der Aussprache? in scholastischen Spezialitäten? Herkunft, Bedeutung und Tradition sakraler mittellateinischer Texte? Ein Großteil jener Kirchenmusik, die in der "Kunstmusik" einen sehr hohen Rang einnimmt, wird von renommierten Dirigenten, Solisten, Chören, Orchestern aufgeführt und aufgenommen - glaubst Du tatsächlich, dass diese Leute ihren Blick nur scheuklappenhaft fachidiotisch in die Noten richten?
 
Guten Abend.
Danke für Eure Antworten.
Als erstes vorweg: Das Freude bereitende musizieren sehe ich in jedem eurer Fälle positiv.

...
Nun ließ ich schon ein paarmal, meine europäische Freunde, die ja dann in der Regel a) nicht Katholiken sind, b) sich zu ihren eigenen Konfessionen nicht unbedingt sehr verbunden fühlen, mit mir zusammen in einer katholischen Messe musizieren, ...
Das sagt mir: "Die Katholiken haben sich ein Ritual zu eigen gemacht, das auch Nichtmitgliedern der Religionsgemeinschaft Freude bereitet. Sie musizieren. Die Kompositionen dafür haben sie von den besten Komponisten zum Teil für 'Gotteslohn' ersinnen und erarbeiten lassen - schlau eingefädelt."

...
Nun fragst du, ob man durch die Wiedergabe eines sakralen Werkes vorgibt, Mitglied dieser Gemeinschaft zu sein. Meinst du das im Hinblick darauf, dass es unredlich sein könnte, weil man ja nicht (eingetragenes) Mitglied dieser Gemeinschaft ist? Dass man als letzte Konsequenz ein sakrales Werk nur dann musizieren darf, wenn man der Religionsgemeinschaft zugehörig ist, aus dessen Geist heraus der Komponist dieses Werk komponiert hat?
...
Nein.
Ich meinte damit: "Als Aussenstehender Beobachter könnte man denken, wenn jemand
... spürt[,] welcher Geist sich im Text und seiner klanglichen Umsetzung verbirgt ...
und diesen Respektvoll zum Ausdruck bringt, er sei Mitglied der Religionsgemeinschaft.
Das sollte keinen negativen Beigeschmack haben, sondern den Eindruck auf andere aufzeigen.
Es ist gut, dass Du Dir dadurch die Freude an der Sache nicht nehmen läßt.

... Die gemeinschaftsstiftende Funktion von Ritualen gilt auch für Vereine,
Fan-Clubs, Sportmannschaften, Geheimbünde und Kriegerkasten. ...
Sie ist in den meisten Fällen der Sinn der Rituale. Eine Gemeinschaft, egal welche, erfährt eine enorme Festigung durch Rituale, die durch andere Mittel, eher nicht erreicht werden würde.

Und genau in diesem Zusammenhang kann man auch über die obigen Absätze nachdenken.


... Hauptsächlich geht es um die Heils-Vergewisserung, ein innerreligöses Problem. ...
Das ist eines der Hauptprobleme von Religionen, aber ein anderes.

Auf das Zitieren Deiner ausführlichen Antwort in vier Absätzen verzichte ich weil Dein Beitrag noch sehr jung ist. Damit möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass ich sie nicht zu schätzen wüßte - ganz das Gegenteil ist der Fall! Die bewußte Verklammerung, die Technik dafür und der dahinterstehende Grund sind sehr interessant.

cm
 

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