... eine kleine Motette

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pjheinrich

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30. Okt. 2011
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Liebe Forumgemeinde!

Ich hatte ursprünglich die Absicht hauptberuflicher Musiker zu werden, dies allerdings nach einiger Zeit ad acta gelegt, da ich lieber die Musik professionell als Hobby betreibe und nun am Weg bin hauptberuflicher Bauingenieur (Vertiefung Statik und Konstruktion etc.) zu werden. - Neben meinem Studium der Bauingenieurwissenschaften studiere ich Orgel. Da das Bauingenieurwesen sehr sehr zeitintensiv ist, hat es sich mittlerweile so ergeben, dass ich an der Kunstuniversität "nur" das zentrale künstlerische Fache (eben Orgel) belegen kann und momentan auf Theorievorlesungen verzichten muss. (Zu viele Überschneidungen mit ebenfalls hochinteressanten technischen Fächern, z.B. Materialtheorie, Mechanik etc.)

Nun bin ich im Endeffekt - was das Erlernen von theoretischen Kenntnissen in der Musiktherie betrifft - auf mich alleine gestellt, bis ich einmal genügend Zeit finde sämtliche Fächer an der Uni nachzuholen.

Ich möchte mich nicht als Komponist bezeichen (hier gibt es weitaus bessere als ich), schreibe aber hin und wieder gerne Stücke aus dem "naheliegenden" Bereich der Kirchenmusik. - Bisher habe ich mich noch nicht "drüber" getraut, welche hier zu veröffentlichen und zur Diskussion zu stellen; mittlerweile meine ich aber nicht mehr "drum herum" zu kommen, da ich mich ansonsten wohl kaum hinsichtlich satztechnik etc. verbessern kann ... (Wie auch, wenn man nur stets sich selbst als Reflektor hat?)

Nun denn: während meines Auslandsaufenthaltes hier in Frankreich ist mir kürzlich eine kleine Motette für gemischten Chor, 2 Trompeten und Orgel über den Psalm 99/100 "Jubilate Deo" eingefallen, die ich gleich aufgeschrieben habe.

http://peterjoachimheinrich.at/files/score.pdf

http://peterjoachimheinrich.at/files/score.mid

Ich habe euch hier den Link zum *.pdf-File beigefügt und gleichzeitig einen zum MIDI-File angehängt. Prinzipiell sträuben sich mir auch gleich die Haare, sobald ich das Wort "Midi" höre, allerdings ist es zur bloßen Kontrolle was die Harmonie betrifft teilweise recht "brauchbar" ... wobei es zu 100% nicht die Realität darstellt. (Registrierung der Orgel kann nicht beeinflusst werden, etc. Außerdem kann die Überleitung ab T84, den 'aus dem Nichts kommenden' Es7-Akkord und einer leisen 'Trompetenfanfare' nicht so wiedergegeben werden, wie ich sie mir vorstelle ...)

Naja, nichtsdestotrotz würde mich eure Meinung bezüglich der Motette interessieren. - Gefällt sie euch? Ist sie wohl nicht zu "dilletantisch"? ... und hoffentlich sind nicht zu viele Satzfehler drinnen, sprich parallele Quniten, Oktaven, Querstände etc. ?

Herzlichen Dank im Voraus schon für eure Antworten,
liebe Grüße aus Lyon,

pjheinrich
 
erst mal herzliche Grüße an die Rhone, also nach Lyon :)

mir gefällt die Motette, weil sie gesangliche und melodische Themen hat - natürlich merkt man Barock und Rokoko als Vorbilder, aber das ist kein negatives Kriterium! Auch die Form und der Taktwechsel sind gelungen.

was mich etwas wundert, denn du spielst ja Orgel und kennst viel 0rgelliteratur, ist die sehr schlichte Harmonik (überwiegend As-Dur und f-Moll) - wolltest du so schlicht wie möglich harmonisieren, also ist das Absicht?

klar, das midi-dings ist ... zum davonlaufen :D -- bzgl. der Instrumentation: wenn der Chor nicht sehr voll im Klang ist, könnten die zwei Trompeten zu aufdringlich und auch zu hektisch wirken (also die müssten sehr dezent spielen). Und da ist auch meine einzige Kritik: ich kann mich mit den beiden Trompetenstimmen nicht ganz anfreunden, manchmal wirken die etwas ungeschickt.
 
erst mal herzliche Grüße an die Rhone, also nach Lyon

Herzlichen Dank! Auch Dir herzliche Grüße zurück :)

mir gefällt die Motette, weil sie gesangliche und melodische Themen hat - natürlich merkt man Barock und Rokoko als Vorbilder, aber das ist kein negatives Kriterium! Auch die Form und der Taktwechsel sind gelungen.

Danke. :D Da freue ich mich darüber, dass die Motette offenbar 'positiv' angekommen ist. - Stimmt, ich hatte es mir zum Ziel gesetzt das Stück eher 'konventionell' zu verfassen, da ich momentan noch dabei bin einen eigenen Stil zu finden und ich glaube, dass das am besten vonstatten geht, wenn man sich zunächst an 'bereits Dagewesenem' orientiert um sich sukzessive voranzutasten.

was mich etwas wundert, denn du spielst ja Orgel und kennst viel 0rgelliteratur, ist die sehr schlichte Harmonik (überwiegend As-Dur und f-Moll) - wolltest du so schlicht wie möglich harmonisieren, also ist das Absicht?

Hm. Darauf zu antworten ist gar nicht so einfach - ich sage mal "Jein". - Prinzipiell kenne in der Tat einiges an Orgel- und Chorliteratur bzw. auch sonst bin ich sehr in der 'klassischen Musikwelt' zu Hause (vorwiegend Klavier- bzw. Orchesterliteratur und oder -konzerte etc. also eher quer durch die Bank, wobei ich bisher das Thema 'Oper' etwas vernachlässigt habe). Allerdings ist das mit dem harmonisieren (noch) so eine Sache:

Ich habe das oben verlinkte Stück aus dem Anlass des bevorstehenden 150jährigen Chorjubiläums des Stadtchores geschrieben. Da dies ein Laienchor ist, wollte ich - nachdem der Ambitus einzelner Stimmen ohnehin schon etwas 'gedehnter' ist - die Motette selbst nicht durch schwierige Harmonik noch 'erschweren'. - Also ich habe mir vorgenommen gehabt, möglichst einfach zu bleiben.

Die Kehrseite daran ist, dass ich selbst noch am Lernen bin was 'schwierige' bzw. 'interessantere' Harmonik ist und mich derzeit leider noch eher in einer 'braven' Richtung bewege um nicht aufgrund der Harmonik mehr oder weniger vermeidbare (peinliche) Satzfehler zu produzieren. ... Also ich taste mich mehr und mehr heran. - Ich müsste mir beispielsweise ein eventuell folgendes Stück vornehmen 'komplizierter' (im Sinne von interessanter bzw. abwechslungsreicher, damit es nicht auf die Dauer langweilig wird) zu harmonisieren ... hier hatte ich eigentlich gar nicht daran gedacht, eben aus o.g. Grund. Insofern ist es hier Absicht gewesen, aber ich möchte mich natürlich nicht gleichzeitig darstellen, als würde ich schon 'alles' können und manche Dinge bewusst so machen wie sie sind, obwohl ich es eigentlich (noch) nicht anders kann ... ;)

klar, das midi-dings ist ... zum davonlaufen -- bzgl. der Instrumentation: wenn der Chor nicht sehr voll im Klang ist, könnten die zwei Trompeten zu aufdringlich und auch zu hektisch wirken (also die müssten sehr dezent spielen). Und da ist auch meine einzige Kritik: ich kann mich mit den beiden Trompetenstimmen nicht ganz anfreunden, manchmal wirken die etwas ungeschickt.

Mmh, da hast du recht. - Ich habe für die Motette aufgrund des Jubiläums allerdings mit einem Chor von ca. 40-50 stimmkräftigen Sängern gerechnet, deshalb habe ich mich für Trompeten entschieden. (Ansonsten hätte ich auch auf z.B. Wiener Kirchentrio etc. setzen können ...)

Da hab' ich doch glatt eine Frage dazu: - Nachdem ich mich auch kompositorisch weiterbilden möchte und ich vor allem die Messen von Joseph und Michael Haydn sehr schätze möchte ich mich in näherer Zukunft einmal daran wagen, eine Messe in einem ähnlichen Stil zu verfassen.

Wie wäre für dieses Vorhaben (abgesehen davon, dass einem verarbeitbare Themen einfallen werden müssen ...) wohl am ehersten realisierbar? Um gründliches Partiturstudium werde ich mit Sicherheit nicht herumkommen; aber wie mache ich das am besten? Soll ich mir diverse Haydn-Messen, die ich kenne und teilweise im Continuo begleitet bzw. selbst im Chor mitaufgeführt habe, her nehmen und beginnen zunächst die Partitur einfach mit Stift und Notenpapier abzuschreiben, um einzelne Stimmführungen besser verstehen zu können? ... Wie beginne ich schlicht am besten? - Eine Stilkopie ist mit Sicherheit nicht ganz einfach zu bewerkstelligen, allerdings möchte ich den Versuch eben aus 'kompositionstechniklerntechnischen' Gründen starten. ... (Und eben um mich mit Satztechnik und Instrumentation vertraut zu machen bzw. irgendwann später mich weitertasten zu können um dann in ferner Zukunft bemerken zu können, dass ich einen eigenen Stil entwickelt habe ...)

Mit welcher Messe sollte ich da z.B. beginnen? Soll ich mich zunächst eher an kleinere Werke wie Haydns "Missa brevis in F" (Jugendmesse, Hob. XXII: 1) herantasten, oder mich gleich direkt in die großen Messen wie die (von mir geliebte!) "Missa in tempore belli" (Paukenmesse, Hob. XXII:9 in C-Dur) oder "Missa in angustiis" (Nelsonmesse, Hob. XXII: 11 in d-Moll) stürzen? Die "Missa brevis Sancti Joannis de Deo in B-dur" (kleine Orgelsolomesse, Hob. XXII:7) scheint mir ja auf den ersten Blick für den Beginn schon etwas zu "komplex und verstrickt" ... allerdings würde ich mich schon freuen, irgendwann etwas Ähnliches (das traue ich mich an der Stelle eigentlich gar nicht schreiben, da ich mich nicht mit Haydn etc. vergleichen möchte und darf ...) zu Stande zu bringen.

Und eine zweite Frage tut sich da auf: ich habe im vergangenen Früjahr aus dem Anlass der Hochzeit meiner Eltern eine kleine (einfache) Messe für Chor + Orgel komponiert, welche auch damals aufgeführt worden ist. - Nun hat sich bei mir jemand erkundigt, ob ich das Stück denn nicht um Wiener Kirchentrio und eventuell Bläsern erweitern könnte ... - Gibt es da Literatur, in die ich mich vertiefen kann, was die Instrumentation betrifft, oder soll ich mich einfach 'mal 'munter drauf los' stürzen?

Nun denn, ... herzliche Grüße aus Lyon und Danke schon im Voraus für Eure Antworten!

pjheinrich
 
Guten Abend, PJHeinrich,

zunächst möchte ich Dir zu der gelungenen Stilkopie gratulieren.

Was ich zu daran zu bemängeln hätte, entspricht Rolfs Kritikpunkten:
In puncto Harmonik hast Du Dich sehr zurückgenommen
(und was das Hauptthema betrifft: Es erinnert mich an 'Genetic Engineering'
von den 'Orchestral Manoeuvres in the Dark', aber das ist wohl ein Zufallstreffer).
Und die beiden Trompeten haben mehr dekorative Funktion. Das ist schade.
Wenn man eine Klangfarbe einsetzen will, sollte man auch etwas mit ihr
anzufangen wissen. Für Deine beiden Trompeten hattest Du wohl nicht mehr
als die Klangidee.

Wenn die süddeutsch-österreichische Orchestermesse Dein Ideal ist,
schau Dir an, was sich die Gebrüder Haydn oder das Wolferl für harmonische
Extravaganzen geleistet haben. Und was die Instrumentierung betrifft,
so ist Partiturstudium das A und O - mit einer nicht unwichtigen Einschränkung:
Mozart und die Gebrüder Haydn haben für den Kirchenraum komponiert,
und zwar für einen ganz bestimmten - den jeweiligen Ort der Erstaufführung.
Sie hatten die Schallstreuung und den Nachhall in einer gut besuchten Kirche
vor Ohren und wußten um die spezielle Aufführungspraxis ihrer Kirchenmusik:
Solisten, Chor und Orchester standen hinter dem Altar, konnte also von der Gemeinde
nicht gesehen werden. Was ertönte, war gleichsam ortlose Musik, Engelsmusik.

Du müßtest Dich mit den akustischen Gegebenheiten der von Dir favorisierten Kirche
vertraut machen. Ansonsten ist die Grundregel fürs Instrumentieren: zuerst den
kompletten Streichersatz (plus Orgel), dann Holz- und Blechbläserstimmen hinzufügen
bzw. aus dem Streichersatz extrahieren.

Die unabdingbare Vorarbeit für Deine Messe besteht in etwas ganz anderem:
der Beschäftigung mit dem Text. Auch wenn Du SDG komponierst -
auf der rein praktischen Ebene ist der Meßtext nichts anderes als ein Libretto.
Bei "Kyrie", "Sanctus/Benedictus" und "Agnus Dei" ergibt sich der Aufbau wie von selbst.
Schwieriger ist es bei den textlastigen Teilen "Gloria" und "Credo". Als Komponist kannst Du
Dich zwischen zwei Extremen bewegen: den Aufbau dieser Texte musikalisch nachvollziehen
oder dagegen bewußt ankomponieren. Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf
würde ich die Partituren der genannten Herren (plus Schubert und Bruckner?)
analysieren: Wie wird der Meßtext in den jeweiligen Vertonungen strukturiert?

Viel Freude beim Arbeiten und herzliche Grüße!

Gomez

.
 
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Und was die Instrumentierung betrifft,
so ist Partiturstudium das A und O - mit einer nicht unwichtigen Einschränkung:
Mozart und die Gebrüder Haydn haben für den Kirchenraum komponiert,
und zwar für einen ganz bestimmten - den jeweiligen Ort der Erstaufführung.
Sie hatten die Schallstreuung und den Nachhall in einer gut besuchten Kirche
vor Ohren und wußten um die spezielle Aufführungspraxis ihrer Kirchenmusik:
Solisten, Chor und Orchester standen hinter dem Altar, konnte also von der Gemeinde
nicht gesehen werden. Was ertönte, war gleichsam ortlose Musik, Engelsmusik.

Du müßtest Dich mit den akustischen Gegebenheiten der von Dir favorisierten Kirche
vertraut machen. Ansonsten ist die Grundregel fürs Instrumentieren: zuerst den
kompletten Streichersatz (plus Orgel), dann Holz- und Blechbläserstimmen hinzufügen
bzw. aus dem Streichersatz extrahieren.

ich schließe mich da Gomez´ Ratschlägen an - übrigens musst du Partituren nicht abschreiben, aber du könntest versuchen, aus einer Partitur einen Klavierauszug zu erstellen (das reduziert zwar, aber die Aufgabe ist ja, wo möglich das Wesentliche der Partitur zu extrahieren). Vielleicht wäre manche Kirchenmusik von Cimarosa auch interessant für dich zur Orientierung.

noch mal zu den zwei Trompetenstimmen: was mir an diesen nicht so gefällt, das ist die zweite Stimme, sie ist zu wenig individuell - aber zwei quasi Solostimmen zu erfinden, das ist eine schwierige Aufgabe... müssen es denn unbedingt zwei Trompeten sein? Eine Trompete plus Orgel ist doch auch schön.
 
[...] aber du könntest versuchen, aus einer Partitur einen Klavierauszug zu erstellen (das reduziert zwar, aber die Aufgabe ist ja, wo möglich das Wesentliche der Partitur zu extrahieren).

Ja, das ist eigentlich eine gute Idee. - Also Du meinst einen Klavierauszug der Orchesterstimmen, oder eine Art "Particell mit einbezogenem Chor"?

Aber es wird wohl am wahrscheinlich sinnvollsten sein, den Chorsatz getrennt zu betrachten. - Da habe ich sowieso eine Frage dazu, die sich mir heute morgen gestellt hat: gibt es irgendwelche Aufzeichnungen darüber, wie Haydn seine Messen komponiert hat? Also in welcher "Reihenfolge" - hat er zunächst die wichtigsten Melodiestimmen sowohl im Chor als auch Orchester "von vorne bis hinten" eines jeden Messteiles durchgeschrieben und sich dann ans Ausarbeiten und Harmonisieren gemacht? Oder grob zunächst ein paar Ideen als Particell skizziert ... ?

Vielleicht wäre manche Kirchenmusik von Cimarosa auch interessant für dich zur Orientierung.

Hmm ... daran hatte ich noch gar nicht gedacht - vor allem weil Cimarosa für mich komplettes (kirchenmusikalisches) Neuland wäre. Ich kenne zwar ein paar wenige Sonaten von ihm, aber Messen wären ein interessantes Thema!

... aber zwei quasi Solostimmen zu erfinden, das ist eine schwierige Aufgabe... müssen es denn unbedingt zwei Trompeten sein? Eine Trompete plus Orgel ist doch auch schön.

Ja, da hast du recht. - Ich habe erfahren, dass am Aufführungstag 2 Trompeten anwesend sein werden und da wollte ich den 2ten Trompeter 'nicht unbeschäftigt' lassen ... - im Endeffekt ist es eher eine 'ad libitum'-Stimme ...
 
Gibt es irgendwelche Aufzeichnungen darüber, wie Haydn
seine Messen komponiert hat? Also in welcher "Reihenfolge" -
hat er zunächst die wichtigsten Melodiestimmen sowohl im Chor
als auch Orchester "von vorne bis hinten" eines jeden Messteiles
durchgeschrieben und sich dann ans Ausarbeiten und Harmonisieren gemacht?
Oder grob zunächst ein paar Ideen als Particell skizziert ... ?

Lieber PJ,

was Haydn betrifft, so kann ich Deine Frage nicht beantworten,
bitte Dich aber, es mit dem Personenkult nicht zu übertreiben.

Wichtiger als die Frage, wie Haydn gearbeitet hat, ist es,
herauszufinden, wie Du am besten vorgehst.
Die Ideen kommen und gehen. Wenn Du Dir Einfälle nicht
merken kannst, notiere sie, wo Du gerade stehst und gehst.

Ich würde mir an Deiner Stelle zunächst den Meßtext vornehmen,
nachvollziehen, wie er gegliedert ist, die einzelnen Teile von "Gloria"
und "Credo" markieren und besonders wichtige Textabschnitte
markieren (z.B: "et incarnatus est", "et resurrexit" etc.)
Als zweites würde ich den lateinischen Text x-mal laut sprechen,
ihn mir quasi selbst vortragen. Er hat seine eigene Sprachmelodie,
und oft entwickeln sich musikalische Ideen direkt aus der Sprachmelodie.

Ideal fürs Sichten des Materials, das sich in Deinem Kopf
oder auf Deinem Notenpapier angesammelt hat, ist das Particell:
eine Bündelung der Vokal- bzw. Instrumentalstimmen auf
ein paar Notensystemen, wie ein stenographierter Text.
Die wesentlichen Elemente des Tonsatzes sind darin enthalten.

Viel Freude beim Arbeiten wünscht Dir

Gomez

.
 
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Liebe Freunde,

Rolf und Gomez haben schon so viel Gutes über diese Motette geschrieben dass ich mich fast nur noch an ihre Aussagen anhängen kann.

Als ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem Pfarrverband, weiss man ganz besonders zu schätzen, wenn sich junge begabte Leute in den Dienst der Kirche, hier ist es ja Kirchenmusik, begeben und die Allgemeinheit an ihren Talenten teilhaben lassen. Neue Kirchenmusik zu schreiben ist kein leichtes Unternehmen. Vielerorts setzen die Chorleiter lieber auf alt Bewährtes, und begegnen den jungen Komponisten eher mit Skepsis. Die Komponisten hingegen haben oft das Problem, dass sie Musik schöpfen sollen, die noch einiger Massen an eine Jahrhundert alte Traditiion anknüpfen soll, oder wenigstens sich noch mit ihr irgendwie vertragen soll.

So bleibt dann die Frage: „Ist die Kirchenmusik in einer kulturellen Sackgasse?“

Die hier vorgestellt Motette gibt natürlich keine wegweisende Antwort auf diese Frage, kann und soll aber einen Überlegungsprozess anregen, wenn nicht gar auslösen. „Wie steht es um die heutige Kirchenmusik?“ Diese Frage wirft aber sogleich noch andere Fragen auf, von denen wohl die heikelste so formuliert werden könnte: „Wie steht die Kirche zu ihrer heutigen Kirchenmusik?“ Auch diese Frage wird sich nicht in ein paar Gedankengänge erschöpfen lassen.

Aber kommen wir erst einmal zu unserem Komponisten zurück und denken wir über seine Fragen nach.

Auch das ist nicht einfach. Primär würde ich mal fragen ob er „Komponist“ oder „Kirchenkomponist“ werden möchte. Der Unterschied liegt zwar teils im philosophischem Bereich, hat aber trotzdem grosse Auswirkungen. Der Kirchenkompinist wird viele alte und sakrale Texte zu vertonen haben. Diese Texte, die ja teils als „Wort Gottes“ angesehen werden, bedeuten vielen Menschen viel, und andere lachen darüber. Welchen Bezug kann und muss nun der Kirchenkomponist zu diesen Texten aufbauen? Des weiteren genügt es ja auch nicht dass er sie versteht, sondern er muss sie ja mittles seiner Komposition, dem Höhrer, sprich dem Glaubenden, weiter vermitteln. Der Komponist übernimmt dann die Rolle des „Boten Gottes“. Er spricht im Namen des Herrn.

Ein Kirchenkomponist sollte deshalb nicht nur ein guter Musiker sein, sondern, es wäre von Vorteil, wenn er, sei es auch nur Bruchweise, Ahnung von der Liturgie und Theologie hat. Dass er Biebeltexte richtig erkennen und einordnen kann, dass er eine klitze kleine Ahnung über die gesamte Kirchenliteratur haben sollte (auch wieder kein muss sondern wirklich nur soll), und dass er genügend Lateinkentnisse hat, um die Lateinische Sprache nicht allzuviel zu verunstalten, dürften nur allgemein gültige Binsenwahrheiten sein.

Der Weg ist lang und sperrig, aber ich kann unseren Komponisten nur aufmuntern den Weg zu gehen. Und hier gillt übrigens auch der weise Spruch: „Je mehr ich mein Gehirn füttere, je mehr wird es hungern“. Intellektuelle Arbeit wird sehr schnell zur Droge von der man nie genug bekommen kann. Hat man erst das Eine gefunden, merkt man schnell dass einem das Andere fehlt, und so geht die Suche ständig weiter. Es macht keinen grossen Sinn zu sagen „lern bei Mozart und Haydn….“ (doch macht es schon) es wäre aber richtiger zu sagen: „beschäftige dich mit Allem“. Aber vor allem: arbeite, arbeite, arbeite… Je mehr man komponiert, je leichter kommen einem die Ideen, und hat man erst einmal damit begonnen, kann man nicht mehr aufhören.

Ich möchte aber noch ein paar Worte zum Gedanken „komponieren für Laienchöre“ beitragen.

Man soll Laienchöre weder über- noch unterschätzen und jede einstudierte Komposition soll den Chor fördern und ein Stück weiterbringen. Gerade für Chorkompositionen halte ich es für wichtig, dass der Komponist selbst mal Chorleiter war. Dass er den Gesangsmechanismus kennt und dass er sich in der Stimmführung, nicht nur der kontrapunktischen sondern vor allem der organischen, auskennt. Jeder Sänger ist dem Komponist dankbar, wenn er ihm ermöglicht Hürden zu nehmen und sich dadurch musikalisch und gesangstechnisch zu verbessern. Däftigere Hamonien gehören bestimmt nicht zu den unüberwindbaren Schwierigkeiten, wohl aber irrsinnige Stimmführung, welche ja aber hier in dieser Motette nicht vorkommt. Ein bewusstes Zurückhalten eines Komponisten in dem Bereich finde ich als nicht angebracht und in dem Sinne darf eigentlich hier die Ausrede des „braven komponieren“ nicht überbewertet werden. Ein Kirchenkomponist soll stets „sein Bestes“ geben, denn die Sänger werden das Ihre geben.

In dem Sinne: „Ora et labora“

Beste Grüsse
PiRath
 
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Lieber PiRath,

vielen Dank für Deine Überlegungen, denen ich größtenteils zustimme -
abgesehen von Deiner Frage, die ich anders formulieren würde.
Kirchenmusiker befinden sich nicht in der Sackgasse, wohl aber
auf einer seit langem erneuerungsbedürftigen, wenig befahrenen
Nebenstraße.

Mit der musikalischen Avantgarde tun sich die beiden in Deutschland
dominierenden Volkskirchen schwer. Es gibt kaum nennenswerte Vertreter.
Auf katholischer Seite wäre Penderecki zu nennen, u.a. mit der "Lukaspassion" (1966),
bei den evangelischen Christen Oskar Gottlieb Blarr, Schüler Bernd Alois Zimmermanns,
ein leider viel zu wenig beachteter Komponist, der in den 80er und 90er Jahren je ein Weihnachts-,
Passions- und Oster-Oratorium geschrieben hat. Diese (sehr gute) Musik findet kaum Beachtung.
Sie ist selbst für professionelle Chöre zu schwierig - wenn man davon absieht,
daß sie kaum jemand hören mag.

Die gemäßigte Moderne ist ebenfalls nicht mehr gefragt.
Ihre Blütezeit hatte sie in den 30er und 40er Jahren mit Distler, Pepping
und Hermann Schroeder, einer Vorliebe für karge, fahl klingende Sätze:
leere Quinten, endlose Quartparallelen - Hindemith-Nachfolge, nur leider
ohne Hindemiths Dissonanzenreichtum.

Von den Rändern Europas hat die gemäßigte Moderne zwei bedeutende
neue Vertreter hinzugewonnen: aus England John Rutter, der es versteht,
in einem authentisch wirkenden Idiom tonal zu komponieren, und aus Estland
Arvo Pärt, der nach der Abwendung vom Serialismus eine ganz eigenartige
Satztechnik entwickelt hat, an die sich nur schwer anknüpfen läßt -
es sei denn, man hat keine Scheu vor Pärt-Stilkopien.

Als drittes wär die Kantorenmusik zu nennen, zu der ich auch PJs Motette zähle:
Stilkopien von potentiell allem, was sich zwischen Palestrina und Reger musikalisch
ereignet hat.

Leider kann - als viertes und wahrhaft letztes - der Sacro Pop nicht unerwähnt bleiben,
in Fachkreisen NGL (=neues geistliches Liedgut) genannt. Dieses Liedgut ist mittlerweile
in den Gesangbüchern beider Konfessionen vertreten, also gewissermaßen kanonisiert.
Es handelt es sich dabei um kirchen- und katholikentagstauglichen, in evangelikalen Kreisen
überaus beliebten Mainstream-Pop mit christlich angehauchten Wohlfühl-Texten.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, von welcher dieser vier Stilrichtungen
die Erneuerung der Kirchenmusik ausgehen könnte, solange nicht geklärt ist,
welche Funktion Musik im Gottesdienst eigentlich haben soll.

Im evangelischen Gottesdienst der Bach-Zeit hatte die Kantate ihre liturgische Funktion:
Sie war vertonte Theologie, Auslegung des Gottesworts. Die evangelischen Christen können
heute offenbar darauf verzichten. Bei den katholischen Glaubensbrüdern ist es ähnlich:
Die lateinische Messe hat - außer bei den Lefebvristen - keinen Sitz im Leben.
Kantate und lateinische Meßtext-Vertonungen sind im heutigen Gottesdienst Fremdkörper.
Am ehesten erfüllt das Gemeindelied reale Bedürfnisse, und darin könnte sich
ein Kirchenmusiker üben: zu theologisch ernstzunehmenden Texten eingängige
und zugleich anspruchsvolle Kirchenlieder schreiben.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Geachteter Freund,

Aus musikhistorischer Sicht ist diesem letzten Schreiben nichts hinzu zu fügen und ich kann ihm nur 100 prozentig zustimmen.

Und doch gibt es Betracht Winkel die andere Gedankengänge und Lösungen erlauben, selbst wenn die Zeit nicht gerade opportun ist.

Die Kirche verliert zusehends an Interesse, die Moderne Gesellschaft hat Gott doch weitgehend ausgeschaltet, oder ignoriert ihn „göttlich“. Dass die Kirchenkunst im Allgemeinen, und die Kirchenmusik ganz speziell, darunter leiden, ist ja wohl ein offenes Geheimnis. Nun ist es aber so, dass ich kein Freund des Lamentieren bin, sondern eher des Suchen und Verstehen. Deshalb tu ich mich recht schwer (Miss)Zustände anzuprangern ohne aber auch nur, sei es noch ein so kleiner und flüchtiger Blick auf die Behebung der angeprangerten (Miss)Zustände zu werfen. Dass diese Zustände nicht in einem Wimperschlag behoben werden können ist mir auch klar. Dass diese Zustände, in unserer Gesellschaft fest eingebettet, einen unumgänglichen Teilbestand unserer heutigen kultursoziologischen Welt sind, ist mir ebenso bewusst. Man darf allerdings die Frage aufwerfen, ob ein Jeder diesen „Istzustand“ einfach so hinnimmt, oder ob man versucht das Seine zur Linderung beizusteuern.

Wie ich schon mal schrieb, die oben angeführte Motette ist sicherlich nicht die einzige Antwort aber immerhin schon ein ganz respektabler Ansatz.

Die Zeiten, in denen die christlichen Kirchen, die Reformierten wie die Gegenreformierte, sich auf dem Schlachtfeld der Kunst bekämpften, sind sehr zum Leide der Künstler, schon längsten verstrichen. Nun ist es aber gerade so, dass eben diese, damals als funktionale Kunst geschaffene Meisterwerke, einen sehr großen Teil des heutigen „profanen“ Konzertbetriebs ausmachen. Es gibt kein Konzerthaus das nicht Bachs Weihnacht Oratorium im Dezember oder die Matthäus-Passion vor Ostern auf dem Spielplan hat. Das große Paradox ist doch gerade je mehr die Kirchen sich lehren, je mehr füllen sich die Konzerthäuser. Weshalb? Weil der Mensch, meiner Meinung nach, trotz seiner Gottlosigkeit, doch stets auf der Suche nach dem Schönen, nach dem Erhebenden und Erbauendem ist. Selbst wenn er nicht an Gott glaubt, sucht er, bewusst oder unbewusst das, was die Kirche einst als schönstes Kunstwerk schuf. Die Frage, ob wir diese Kunst nun als „Wort Gottes“ erleben, oder als „nur normale Konsumkunst“, muss wohl jeder für sich entscheiden.

Ebenso müsste man sich überhaupt mit dem Begriff „Kunst“ ein wenig beschäftigen. Für Kirchenmusiker und Kirchenanhänger ist Kunst der Kanal durch welchen Gott sich mitteilt. [OK, dies ist kein Kirchenforum, ich breche hier ab.]

Die lateinische Messe hat - außer bei den Lefebvristen - keinen Sitz im Leben.
Kantate und lateinische Meßtext-Vertonungen sind im heutigen Gottesdienst Fremdkörper.
(Zitat von Gomez)
Wir Luxemburger haben eher das Glück, dass wir den gregorianischen Choral noch pflegen dürfen und dass lateinische Meßtexte bei uns noch weitgehend zum Standard gehören dürfen, obwohl wir keine Lefebvristen sind.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, von welcher dieser vier Stilrichtungen
die Erneuerung der Kirchenmusik ausgehen könnte, solange nicht geklärt ist,
welche Funktion Musik im Gottesdienst eigentlich haben soll.
(Zitat von Gomez: darauf komme ich später noch zurück.)


Außer Frage steht nur noch die Tatsache, dass die Kirchen weit mehr in die Kirchenkunst investieren müssten/sollten, was ja dann auch den Organisten und Kantoren zu Gute käme. Die Kirchenmusik gänzlich in die Hände von ehrenamtlichen Nebenamtlichen zu legen, erlaubt jenen zwar, sich künstlerisch sich oft mit hohem Niveau an der Liturgie zu beteiligen, dürfte aber langfristig negativ ausfallen. Wir ergötzen uns heute an den Kunstwerken unserer Urgroßväter, was aber (Außer Atommüll) hinterlassen wir unseren Urenkeln?

Ite missa est
PiRath
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich habe in meinem Studium ein paar Jahre in einem kleinen Chorensemble mitgesungen, für das Jürg Baur "Die Blume des Scharon", 3 lyrische Motteten komponiert hat. Ich fand sie das Schönste, was ich an moderner Musik bisher gesungen hatte und vielleicht sind die ja auch ein Beispiel für eine gelungene Verknüpfung von Kirchenmusik mit unserer Zeit (ich hoffe bloß mal, dass die Motetten nach Texten aus dem Hohelied auch unter geistliche Musik fallen?).

Breitkopf & Härtel - 88 Werke von Jürg Baur


Liebe Grüße

chiarina
 

Lieber PiRath,

vielen Dank für Deine ausführliche Antwort, der ich gerne zustimme -
von ein paar Einschränkungen bzw. Ergänzungen abgesehen,
die unser Gespräch hoffentlich vorantreiben.

die moderne Gesellschaft hat Gott doch weitgehend ausgeschaltet oder ignoriert ihn

Diesem Phänomen kannst Du auch innerhalb der Kirchen begegnen,
genauer gesagt, der beiden großen, hier noch anzutreffenden Volks-
sowie der Freikirchen: einem religiös übertünchten Anthropozentrismus.

Eine Ausnahme bilden die in Deutschland kaum präsenten orthodoxen Kirchen
und Gemeinden exilierter orientalischer Christen (Syrer-->Aramäer; Kopten etc.)

Wir Luxemburger haben eher das Glück, dass wir den gregorianischen Choral
noch pflegen dürfen und dass lateinische Meßtexte bei uns noch weitgehend
zum Standard gehören dürfen, obwohl wir keine Lefebvristen sind.

Es ist ein schlechter Witz, daß und wie um die Wiederzulassung der Messe
nach tridentinischem Ritus debattiert wird. Das II.Vatikanum hatte
den landessprachlichen Gottesdienst als Alternative zur tridentinischen Messe
zugelassen. Die Missa Tridentina ist niemals verboten worden. In Deutschland haben
jedoch die Befürworter der Liturgiereform de facto ein flächendeckendes Verbot
des alten Ritus durchgesetzt. Wer die Hl.Messe nach tridentinischem Ritus feiern wollte,
mußte dies im Untergrund tun.

Für Kirchenmusiker und Kirchenanhänger ist Kunst der Kanal, durch welchen
Gott sich mitteilt. [OK, dies ist kein Kirchenforum, ich breche hier ab.]

Brich hier nicht ab, sondern denke weiter. Sich über Kirchenmusik auszutauschen
empfinde ich nicht als Proselytenmacherei. Man kann auch über Hanns Eislers Kampflieder
diskutieren, wie ich es in einem anderen Thread getan habe, ohne deswegen gleich
die Weltrevolution auszurufen.

Auch für Musiker unter den Anhängern einer der drei Buchreligionen
sollte die Selbstoffenbarung Gottes in seinem Wort an erster Stelle stehen -
oder denke ich da zu lutherisch? Sakralmusik ist Gotteslob (und insofern
ein irdisches Äquivalent der musica coelestis, wie es Psalm 29 beschreibt)
und zugleich eine Form der Glaubensverkündigung. Deine oben zitierte
Formulierung scheint mir mißverständlich zu sein: Du gerätst mit ihr
in bedenkliche Nähe zur Idee von 'Kunst als Religionsersatz'.


Nun ist es aber gerade so, dass eben diese, damals als funktionale Kunst geschaffene Meisterwerke,
einen sehr großen Teil des heutigen „profanen“ Konzertbetriebs ausmachen.

- was nur belegt, daß wir nicht in einer aufgeklärten, sondern neopaganen Kultur leben,
in der u.a. 'Kunstgenuß' der Befriedigung ersatzreligiöser Bedürfnisse dient.

Ich habe in meinem Studium ein paar Jahre in einem kleinen Chorensemble mitgesungen,
für das Jürg Baur "Die Blume des Scharon", 3 lyrische Motteten komponiert hat.
Ich fand sie das Schönste, was ich an moderner Musik bisher gesungen hatte
und vielleicht sind die ja auch ein Beispiel für eine gelungene Verknüpfung
von Kirchenmusik mit unserer Zeit (ich hoffe bloß mal, dass die Motetten
nach Texten aus dem Hohelied auch unter geistliche Musik fallen?).

Liebe Chiarina,

vielen Dank für den Tip - kenne ich gar nicht. Dem werde ich einmal nachgehen.
Und was die Textwahl betrifft: Das Hohelied ist kanonisch, Bestandteil sowohl
des Tenach als auch der Bibel.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Freund,

Diese Diskussion wird uns beide nun längere Zeit beschäftigen, weil sie nicht in ein paar Worte zu leeren ist.

Allem voraus: ich bin, zurzeit, weder (nebenamtlicher) Kirchenmusiker, noch habe ich Theologie studiert, (was ich manchmal bedauere) habe aber das große Glück, dass ich mich doch seit etwas mehr als vier Jahrzehnte (was eilt die Zeit) mehr oder weniger intensiv mit ihr (der Kirchenmusik) beschäftige. Während meiner Zeit als Chorleiter lies ich mich auch ab und zu zum Arrangieren und Schreiben kleinster Sofortgebrauchmusik aufs Papier zu legen. Diese Sächlein sind aber nicht von Belang in dieser Diskussion.

Nun bitte ich dich mir deinen Satz; ich zitiere: - „was nur belegt, daß wir nicht in einer aufgeklärten, sondern neopaganen Kultur leben, in der u.a. 'Kunstgenuß' der Befriedigung ersatzreligiöser Bedürfnisse dient.“ Doch mal etwas näher zu erklären. (Philosophische Gedankengängen waren nie richtig meine Stärke, aber vielleicht nur deswegen weil ich dazu tendiere, über verschiedene Themen eigene Gedankenwege zu beschreiten.)

Müsste man nicht zuerst einmal Begriffe wie Kunst, Kultur und Religion beleuchten, das heißt, sollten wir nicht einmal „unsere Geigen stimmen“ bevor wir hier eine erbärmliche Kakophonie vom Stapel lassen: und allein dieser Versuch wird uns schon so manche Zeit abfordern.

Ich fang mal an und ihr verbessert mich.

Der Kunst dürfte man eigentlich die Natur entgegen setzten. Alles was nicht von der Natur gegeben ist, ist Kunst. Wir halten also ein „künstliches Benehmen“ gegen ein „natürliches Benehmen“. Das natürliche Benehmen ist primär lebenswichtig: ein Benehmen was der Spezie erlaubt weiter zu leben. Das künstliche Benehmen transzendentiert das Erste, setzt es auf eine andere Ebene und ritualisiert es.

Kultur. Das große Wort, der Stein des Anstoßes! Kultur kommt vom Lateinischem „Colore“. Damit ist nicht nur das „bestellen des Ackers“ gemeint sondern auch die Huldigung welcher der Pater Familias seinem Hausgott zollt. Also ist der Wortstamm Kultur schon seit der Römerzeit „göttlich behaucht“. Rein etymologisch gesehen, ist keine Kultur ohne Gott(heit) möglich.

Religion. Da hat jeder seine Meinung. Man kann sie schätzen oder verachten, historisch gesehen kam bis dato keine Zivilisation ohne sie aus. Sie brachte zeitweilig mehr Leid als Heil, oder, besser gesagt, im Namen Gottes lässt es sich bequem morden und schänden… Und dennoch, wenn ich ein Blick in die gewaltige Schöpfung Werfe, so außerhalb der Milchstraße, ja was soll ich sagen: „staunen nur kann ich und staunend mich freuen“.

**** PAUSE ****

PiRath
 
Nun bitte ich dich, mir deinen Satz; ich zitiere:

was nur belegt, daß wir nicht in einer aufgeklärten, sondern neopaganen Kultur leben,
in der u.a. 'Kunstgenuß' der Befriedigung ersatzreligiöser Bedürfnisse dient.

doch mal etwas näher zu erklären.

Lieber PiRath,

kurz in Deine Gedankenpause hinein geantwortet:

Im Blickfeld habe ich nicht die bildenden Künstler, Schriftsteller und Komponisten,
die sich priesterliche Funktion angemaßt und als Mittler zischen Gott und Menschheit,
wenn nicht sogar als Religionsstifter empfunden haben (unter den Komponisten
extrem ausgeprägt bei Wagner, Skrjabin und Stockhausen) – was das betrifft,
so halte ich es mit Arno Schmidt: Angesichts einer gelungenen Arbeit ist es
irrelevant, aus welchen Gaukeleien der Künstler seine Anregungen bezogen hat.

Interessant ist vielmehr das Publikum, das die Gaukeleien ernst- und
dem Künstler diese Pose abnimmt. In Wackenroders „Herzensergießungen
eines kunstliebenden Klosterbruders“ findest Du diese Haltung ausformuliert,
die für die gebildeten Stände des 19.Jahrhunderts symptomatisch wurde:
Das Kunstwerk wird sakralisiert, der ,Kunstgenuß' zum Gebetsersatz.

Daran hat sich bis in unsere Zeit nichts geändert – im Gegenteil. Wir hatten hier
im Forum auch schon wüste Diskussionen zu dem Thema, zum Beispiel in dem Thread
„Kann sich gute Musik in feiner Sprache wiederspiegeln“.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Gomez,

Soll ich heillos in der Meerestiefe deiner Kultur ertrinken? Wahrlich, Du bist ein Furcht erregender Gegner. Aber wir werden die Partie weiter führen. Lass mir bitte Zeit zum Gegenzug, ich setze einen Panzer in Position.

Den https://www.clavio.de/forum/plauderecke/11587-kann-sich-gute-musik-feiner-sprache-widerspiegeln.html-Faden hatte ich seiner Zeit gelesen, und so wie ich es in Erinnerung habe, (Plauderecke) gab es da auch schon heftige Seitenhiebe. Ich möchte nicht unbedingt in dem Faden und in dem Ton weiterfahren. (und ihn auch nicht ein zweites Mal lesen)

Beste Grüsse
PiRath
 
Ohne nun den Komponisten gleich Religionsstifterallüren zu attestieren, kann man feststellen, dass einige von ihnen Kirchenmusik(en) verfasst haben, deren Dimensionen zu groß, zu umfangreich sind, um in einem kirchlichen Ritual (Messgottedienst) eingesetzt zu werden:
Beethoven: Missa solemnis
Rossini: Stabat Mater; Petite Messe solennelle
Verdi: Messa da Requiem
Dvorak: Requiem
und noch einige andere

Es muss nicht notwendigerweise alles, was ad gloriam dei gemacht wird, unter der Aufsicht von Pfarrer oder Bischof innerhalb eines geweihten Kirchenraumes geschehen - der Forschungs- oder Erholungsreisende im Heidenland wird sein Abendgebet mangels Kirche in seinem Zelt oder Kämmerlein verrichten.
 
Interessanter Faden

Ein paar Gedanken zu einzelnen Aspekten dieser Diskussion

Man soll Laienchöre weder über- noch unterschätzen und jede einstudierte Komposition soll den Chor fördern und ein Stück weiterbringen […] Jeder Sänger ist dem Komponist dankbar, wenn er ihm ermöglicht Hürden zu nehmen und sich dadurch musikalisch und gesangstechnisch zu verbessern. Däftigere Hamonien gehören bestimmt nicht zu den unüberwindbaren Schwierigkeiten, wohl aber irrsinnige Stimmführung, […] Ein Kirchenkomponist soll stets „sein Bestes“ geben, denn die Sänger werden das Ihre geben.

Als passionierter Sänger in Laien- und semiprofessionellen Ensembles kann ich das voll unterschreiben.

Die vorgestellte Motette gefällt mir übrigens auch gut. Ich werde sie mal unserem Chorleiter zeigen.

An "neueren" Komponisten sakraler Chormusik habe ich in den letzten Jahren auch folgende Namen kennen gelernt:

Anton Heiller
Francis Poulenc
Augustinus Franz Kropfreiter
Rudolf Jungwirth
Thomas Daniel Schlee
Hugo Distler
Vytautas Miškinis
Morten Lauridsen

Ich weiß nicht, wo die in Gomez Typologie einzuordnen wären, sicher jedenfalls nicht im Sacra Pop. Dem "neuen geistlichen Liedgut" kann ich nicht viel abgewinnen. In den meisten Fällen fehlen Text und Musik die Eier (eine unpassende Ausdrucksweise in diesem Kontext, aber ich empfinde das so).

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, von welcher dieser vier Stilrichtungen
die Erneuerung der Kirchenmusik ausgehen könnte, solange nicht geklärt ist,
welche Funktion Musik im Gottesdienst eigentlich haben soll.

Ich habe auch den Eindruck, dass diese Funktion nicht klar ist. In vielen Fällen geht es glaube ich nur darum, das Erlebnis Gottesdienst aufzuwerten. Insbesondere an Feiertagen, soll sich der Gottesdienst atmosphärisch abheben. Dagegen ist grundsätzlich noch nichts einzuwenden, wenn ich aber z.B. für bestimmte Messen dem Pfarrer Stücke für Sologesang oder fürs Quartett vorlege und frage, ob das thematisch passt, oder was ihm lieber wäre, habe ich noch nie eine aussagekräftige Antwort erhalten. Bei Taufen, Hochzeiten und mitunter auch Begräbnissen ist eine liturgische Funktion der Musik oft gar nicht mehr auszumachen.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass sakrale Werke im liturgischen Kontext eine andere Funktion haben als im Konzertsaal. Ich tue mich auch persönlich ziemlich schwer damit, wenn ich eine Messe im Chor singe, den Gottesdienst solchen zu erleben, weil zu viele der Beteiligten, die da am Chor herumwieseln, mit dem, was in der Liturgie passiert, eigentlich nichts am Hut haben. Ein ganz praktisches Problem liegt aber darin, dass für anspruchsvolle Sakralwerke gewisse sängerische Qualitäten unumgänglich sind. Im Extremfall verkündet dann vielleicht ein Chor von bekennenden Agnostikern dem Kirchenvolk das Wort Gottes.

Die These Musik als Religionsersatz hat schon was für sich, aber kann man das nicht von jeder Tätigkeit sagen, die dazu beiträgt, zu irgendeiner Art von innerer Ruhe, Glück, Geborgenheit, Auszeit etc. zu finden? Was ist mit Kirchgehern, die nur wegen der Krönungsmesse kommen und sich bei jedem Solo nach oben zum Chor umdrehen (gibt's wirklich)? Ist das eine Dekonstruktion oder eine Bestätigung dieser These?

Beethoven: Missa solemnis
Rossini: Stabat Mater; Petite Messe solennelle
Verdi: Messa da Requiem
Dvorak: Requiem

Wurden die tatsächlich alle nie/nirgendwo in der Liturgie eingesetzt? Dass man sich bei uns in der heutigen liturgischen Praxis vor längeren Gottesdiensten scheut, ist mir schon klar. Deswegen konnten im Haydn-Jahr auch nicht alle Messen Haydns im Dom im Rahmen von Gottesdiensten erklingen. Ich weiß leider nicht mehr, ob es darum ging, dass die einzelne Messe zu lang geworden wäre, oder ob dann die darauffolgende Messe nicht stattfinden hätte können.

Liebe Grüße
Gernot
 
Ich hatte tatsächlich beim Stimmen der Geigen, vergessen zu erwähnen über welche Musica Sacra wir diskutieren wollen/sollten. Da der Anstoss dieses Faden eine funktionelle Motette ist, würde ich mal vorschlagen, dass wir uns mit der heute brauchbaren und einsetzbaren Kirchenmusik beschäftigen.

Ich tue mich auch persönlich ziemlich schwer damit, wenn ich eine Messe im Chor singe, den Gottesdienst solchen zu erleben, weil zu viele der Beteiligten, die da am Chor herumwieseln, mit dem, was in der Liturgie passiert, eigentlich nichts am Hut haben. Ein ganz praktisches Problem liegt aber darin, dass für anspruchsvolle Sakralwerke gewisse sängerische Qualitäten unumgänglich sind. Im Extremfall verkündet dann vielleicht ein Chor von bekennenden Agnostikern dem Kirchenvolk das Wort Gottes. (Scripsit Gernot)

Ja in der Tat kommt das immer öfter vor. Erinnert ihr euch noch daran, dass Herbert von Karajan, Anno ich weiss nicht mehr, im Petersdom Mozarts Krönungsmesse zusammen mit dem Papst zelebrierte? Solche extrem Fälle, dürften aber äusserst selten sein. Viel häufiger aber die Tatsache, dass sich gute Kirchenchöre, oder Domchöre für verschieden Anlässe Verstärkung hohlen. Dies gab es früher übrigens auch schon. Man denke nur an all die Leçons de Ténèbres, gegen die die Pariser Bischöfe grollten, weil sie von den Opernsänger dargeboten wurden, weil die Oper gegen Ende der Fastenzeit ihre Pforten ein paar Wochen schlossen, und die erwerbslosen Sänger und Sängerinnen natürlich froh waren, dass die Kirchen Ihnen ein Honorar bezahlte. Dies Leçons de Ténèbres waren ein Kulturereignis ersten Ranges, zu welchen ganz Paris lief, und mit welchen die einzelnen Kirchen mehr als rivalisierten. Es ging um sehr viel Prestige.

Was mir heute ein wenig fehlt ist dieser Kulturwettkampf, zur Ehre Gottes aber auch zur Freude des Menschen.
Es brauch ja nicht jede Messe à la Karajan zu sein, aber etwas mehr Ehrgeiz würde mancher Ort, - ach wie soll ich's schreiben ohne die lieben Ausübenden zu verletzen -, ... also könnte man sich schon wünschen.

beste Grüsse
PiRath
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Auch für Musiker unter den Anhängern einer der drei Buchreligionen
sollte die Selbstoffenbarung Gottes in seinem Wort an erster Stelle stehen -
oder denke ich da zu lutherisch? Sakralmusik ist Gotteslob (und insofern
ein irdisches Äquivalent der musica coelestis, wie es Psalm 29 beschreibt)
und zugleich eine Form der Glaubensverkündigung.

Ich hatte tatsächlich beim Stimmen der Geigen, vergessen zu erwähnen über welche Musica Sacra wir diskutieren wollen/sollten. Da der Anstoss dieses Faden eine funktionelle Motette ist, würde ich mal vorschlagen, dass wir uns mit der heute brauchbaren und einsetzbaren Kirchenmusik beschäftigen.
Wenn wir Gomez´ Definition voraussetzen, dann stellen sich mir verschiedene Fragen:
- untermalt solche Kirchenmusik nur den Text, oder trägt sie mit dazu bei (verstärkt den Text unter Umständen)?
- muss der Komponist zwingend gläubig sein?
- engt die Vorschrift, Form der Glaubensverkündung sein zu müssen, das Arsenal der musikalischen Mittel ein?
 
Guten Abend!

Dem "neuen geistlichen Liedgut" kann ich nicht viel abgewinnen. In den meisten Fällen
fehlen Text und Musik die Eier (eine unpassende Ausdrucksweise in diesem Kontext,
aber ich empfinde das so).

Unsere Eierfrau hat diese Terminologie nicht für sich gepachtet.
Deine Feststellung ist leider zutreffend.

Die These Musik als Religionsersatz hat schon was für sich,
aber kann man das nicht von jeder Tätigkeit sagen, die dazu beiträgt,
zu irgendeiner Art von innerer Ruhe, Glück, Geborgenheit, Auszeit etc. zu finden?

Wenn Sauna-Besuch oder Wellness-Kur nicht als kultische Handlung
oder als Teilnahme an einer solchen verstanden werden, ist das alles
ganz unverdächtig.

Ein ganz praktisches Problem liegt aber darin, dass für anspruchsvolle Sakralwerke
gewisse sängerische Qualitäten unumgänglich sind. Im Extremfall verkündet dann
vielleicht ein Chor von bekennenden Agnostikern dem Kirchenvolk das Wort Gottes.

Dieser Extremfall ist wohl inzwischen Nomalzustand.

kann man feststellen, dass einige von ihnen Kirchenmusik(en) verfasst haben,
deren Dimensionen zu groß, zu umfangreich sind, um in einem kirchlichen Ritual
(Messgottedienst) eingesetzt zu werden

Ein Teil der von Dir genannten Werke ist schon eher für den Konzertsaal
als die Kirche gedacht - und das Paradebeispiel hast Du unterschlagen:
Brahms' wunderschönes und liturgisch völlig unbrauchbares "deutsches Requiem".

Untermalt solche Kirchenmusik nur den Text, oder trägt sie mit dazu bei
(verstärkt den Text unter Umständen)?

Sollte sie nicht dazu beitragen?

Muss der Komponist zwingend gläubig sein?

Kann der Text einen Komponisten inspirieren,
wenn er (der Text) ihm (dem Komponisten) nix bedeutet?

Engt die Vorschrift, Form der Glaubensverkündung sein zu müssen,
das Arsenal der musikalischen Mittel ein?

Natürlich nicht: Von Pérotin bis Messiaen haben sich Komponisten
der avanciertesten Kompositionsmethoden bedient, um ihren Glauben zu verkündigen -
musikalisch.

Herzliche Grüße,

Gomez
 

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