Bach Inventio1

Aber schlicht inakzeptabel ist Dein durchgehendes Crescendo für das komplette Sechzehntelthema zusammen mit den nachfolgenden Achteln! Bei aller Gutwilligkeit: das hat die histor. inf. Auff. nicht verdient, und ich kann nur jedem dringend abraten, die erste Invention in dieser Weise zu spielen.

Ja, da kann ich nur zustimmen. Ich bezog mich in meinem post vorher auch nur auf die Artikulation.

Übrigens hatte ich damals für meine Aufnahmeprüfung u.a. auch den Eingangssatz der Englischen Suite g-moll vorbereitet. Dieses Prelude steht im 3/8-Takt und ich habe das quasi als Walzer gespielt mit starker Betonung auf der 1. Taktzeit. :D Der Prof., dem ich das vor der Prüfung vorspielte, meinte, ich sollte dieses Stück so auf keinen Fall vorspielen ...... .:D

Zwei Beispiele dazu, das erste von Andras Schiff ( Mindenblues, kommt das der HIP nicht schon sehr nahe?), das zweite von Pogorelich.

http://www.youtube.com/watch?v=sqp2_LaYoSU&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=2QKgU9NDe8E

Liebe Grüße

chiarina
 

Lieber jörg,

tausend Dank auch an dich!!! Es hat geklaaaaaappppppt!!!! :shock: :shock: :tuba:

Damit kann man sogar was einzeichnen, allerdings hat der Radiergummi seinen Geist aufgegeben - das portato-Zeichen auf der "1" sollte etwas kürzer sein und die staccati über den Noten. Egal.

Uff!!! :D

Liebe Grüße und danke!!!!

chiarina
 

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Was Du als historisch informierte Aufführungspraxis erklärst und dann mit einem Notenbeispiel (Anfang der ersten Invention) belegen willst, ist kein erfreulicher Ausweis für die Bemühungen der historisch informierten Aufführungspraxis.

Die Phrasierungsbögen decken sich zumindest mit dem, was ich darüber gelesen habe, von meinem Orgellehrer (der dieser Richtung zugewandt ist) gelehrt bekomme, aber vor allem: wie man es bei anderen Instrumenten genauso hören kann. Insbesondere die Darstellung der Taktschwerpunkte zieht sich, von Ausnahmen abgesehen, wie ein roter Faden durch HIP-Orchester- und Instrumentalaufführungen.

Es steht dir frei, die gleiche Arbeit zu tun wie ich: Deine Meinung über hist. informierte Phrasierungsbögen usw. beim Inventio#1-Anfang einzuzeichnen und selber einzuspielen und alles hier zu posten.

Es würde mich freuen, wäre interessant und sicher aussagekräftiger, als mein Beispiel in Bausch und Bogen zu verdammen, ohne eine Alternative für das Auge und Ohr anzubieten.

Intensität der Artikulation, gegebenenfalls auch verschiedene Artikulationen identischer Themen in polyphonen Sätzen, ist/sind gerade zur Trennung der Stimmen auf dynamikarmen Instrumenten erforderlich (Cembalo, Orgel) denn sonst kann eine mehrstimmige Fuge für den Hörer unübersichtlich werden.
Am Klavier kommt die diesem Instrument eigene große Dynamik hinzu, womit die Unterscheidungsmöglichkeiten im polyphonen Satz deutlich zunehmen.

Klar kommt die Dynamik beim Klavier oder Clavichord gegenüber Cembalo oder Orgel hinzu. Damit ist nicht gesagt, dass man auf die Darstellung der Taktschwerpunkte (was ich als ziemlich wichtig erachte für Barockmusik) per Phrasierung verzichten muß. Man braucht bloß mal irgendeinen barocken Gesangschoral, z.B. 4-stimmig polyphon, aufgeführt in HIP-Manier, anzuhören. Die Phrasierungsbögen auf den Taktschwerpunkten sind allgegenwärtig. Man kann dazu tanzen, schaukeln, hüpfen, die Interpretation der Musik lädt dazu ein!

Von daher besteht überhaupt kein Grund, darauf beim Klavier zu verzichten.

Sänger, Streicher, Bläser haben keine kleingliedrigen Fingersätze... :D Die Artikulation in der Barockmusik kommt nicht von zu kleinen Tasten her!

Die Fingersätze bezogen sich natürlich auf Tasteninstrumente - und da ist es nunmal ein Fakt, dass Fingersätze benutzt wurden, mit denen man nur mehr oder weniger kleingiedrig spielen konnte. Was der Artikulation entgegenkommt, die von den HIP-Praktikern angewendet wird.

Und wie schon geschrieben, die ganz Hartgesottenen nehmen für die "Claviermusick" vor Bach sogar auch noch die historischen Fingersätze (was in meinen Augen masochistische Tendenzen hat), und haben damit überhaupt keine Chance, dieser kleingliedrigen Phrasierung zu entrinnen. :D

Bachs Musik ist nicht mehr und auch nicht weniger floskelhaft als die von Mozart oder Chopin. Bestimmte Formeln waren in verschiedenen Stilen üblich und alltäglich, und selbstredend lassen sich diese zeigen - aber sie haben nie musikalische Gedanken bestimmt. Scheibe wollte das mal Bach nachweisen, scheiterte aber mit diesem Unterfangen.

Und was ist mit dem Bach-Buch von Schweitzer? Geradezu der zentrale Bereich ist die "Klangrede", und die Darstellung der verschiedenen Floskeln/Motive, wie "Jauchzen", "Schluchzen" und viele mehr, sind überzeugend dargestellt in dem Buch. Fast jedes Stück aus dem Orgelbüchlein zeigt diese Motive. Sehr wohl werden mit diesen Motiven menschliche Emotionen umschrieben und für musikalische Gedanken verwendet! Diese Motive stellen die Basis dieser Stücke dar, die Basis für musikalische Gedanken, und man gut tut darin, sie entsprechend deutlich zu machen mit den Mitteln der Phrasierung, Artikulation, Dynamik. Dieses Buch von Schweitzer, 100 Jahre alt, ist in dieser Hinsicht nach wie vor unbestritten. Was in dem Buch "veraltet" ist, sind z.B. eben die typisch romantisierenden Phrasierungsbögen, wie in meinem Fugenthema dargestellt, und von Schweitzer auch genauso gespielt - genau dieses Fugenthema nahm er auch als Beispiel in seinem Buch. Aber was die Deutung der Floskeln/Motive angeht, gibt es keinen, der die ernsthaft bestreiten will!

Ich habe das bisher mit screenshots als jpg. so gemacht - aber was ich bis jetzt noch nicht schnalle, das ist, wie ich auf dem Bildschirm (z.B. in einem Word.Dok oder pdf) Bögen etc "einzeichnen" könnte. Sowas auf dem Papier machen und dan scannen ist mir zu aufwändig.

Wie schon geschrieben, beim pdf-Dokument einen Screenshot machen (Strg+Druck), in das Programm "Paint" per Paste einfügen, dort kann man auch Bögen usw. einzeichnen, so habe ich das beim Inventio#1-Beispiel auch getan. In meinem Fugenbeispiel hatte ich stattdessen gleich ein professionelles Notensatzprogramm genommen, weil da Artikulations- und Dynamikzeichen drin sind.

@ Chiarina:
1) Bei M. Argerich spürt man auch die Taktschwerpunkte beim Fugenthema. Hatte aber auch früher schon geschrieben, dass dieser Part von ihr schon eher in die HIP-Richtung geht, als z.B. beim anderen von dir vorgestellten Part (nur meine Meinung).
2) Bei deinem Beitrag#104 ist es nicht Schiff, sondern wieder der Argerich-Link. Aber was ich als "HIP" oder nicht empfinde, ist sowieso nur meine persönliche subjektive Meinung, also keine Instanz, die sowas objektiv beurteilen kann oder will...
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die Fingersätze bezogen sich natürlich auf Tasteninstrumente - und da ist es nunmal ein Fakt, dass Fingersätze benutzt wurden, mit denen man nur mehr oder weniger kleingiedrig spielen konnte.

ob man damals nur innerhalb der von Dir lediglich behaupteten Begrenzungen spielen konnte, sei dahingestellt (ein gewisser Orgel- und Cembalovirtuose konnte seine eigenen Goldbergvariationen spielen, was heuer nicht ale Klavierfreunde von sich behaupten können, denn die sind teilweise sauschwer)... und die Tastenintrumente haben für das Musizieren weder damals noch heute stilbildend gewirkt. Kurzum: Deine Annahme, dass eventuelle Probleme mit kleinen Tasten sich auf den Musikstil der Barockzeit großflächig ausgewirkt hätten, ist nicht ernst zu nehmen.

wie es um die thematisch-motivischen und darstellerischen Zusammenhänge in der ersten Invention bestellt ist, habe ich inklusive Notenbeispiel schon ausgeführt - ich wüsste nicht, wozu ich mich da wiederholen sollte.

Mindenblues, jetzt hast Du es doch gleich in doppelter Ausführung vorliegen: nicht nur der böse Rolf, auch die liebe Chiarina haben Dir inhaltlich dasselbe mitgeteilt. ;) Wäre da nicht angesagt, darüber nachzudenken? Und wenn Du schon Aufforderungen, es Dir gleich zu tun, äußerst - richte das doch an alle ;)
 
ob man damals nur innerhalb der von Dir lediglich behaupteten Begrenzungen spielen konnte, sei dahingestellt (ein gewisser Orgel- und Cembalovirtuose konnte seine eigenen Goldbergvariationen spielen, was heuer nicht ale Klavierfreunde von sich behaupten können, denn die sind teilweise sauschwer)...

Hast du mal auf so einem Clavichord mit Stummeltasten gespielt? Wirklich? Und wo ist da dein Daumen geblieben? :D

Deine Annahme, dass eventuelle Probleme mit kleinen Tasten sich auf den Musikstil der Barockzeit großflächig ausgewirkt hätten, ist nicht ernst zu nehmen.

Eventuelle Probleme? Erwischt - du hast noch nicht auf solchen Tasten gespielt, die Probleme sind massiv. Aber vielleicht auch nur für mich - wer weiß?

Ich meine lediglich, diese geschilderte kleingliedrige Artikulation heutiger HIP-Praktiker kommt der Tastenform und dem damit quasi erzwungenen Fingersatz entgegen, denn sie ist auf diesen Instrumenten ausführbar. Ich schrieb auch, dass das vor allem für die Zeit vor Bach gilt. Die Bauform zu Bachs Zeiten haben sich schon gewandelt, Bach selber hat den Daumen eingesetzt, und der liebe Jüngling namens Goldberg ja möglicherweise auch. :)

Mindenblues, jetzt hast Du es doch gleich in doppelter Ausführung vorliegen: nicht nur der böse Rolf, auch die liebe Chiarina haben Dir inhaltlich dasselbe mitgeteilt. ;) Wäre da nicht angesagt, darüber nachzudenken? Und wenn Du schon Aufforderungen, es Dir gleich zu tun, äußerst - richte das doch an alle ;)

Rolf, ich gestatte mir den Luxus einer eigenen Meinung. Die sich übrigens durch die HIP-Beschäftigung in den letzten paar Jahren gewandelt hat. Ich spiele Bach heute anders auf dem Klavier als noch vor 3 Jahren deswegen.

Es kann auch gut sein, dass ich mir mal ein P&F aus dem WTK von Bach zur Brust nehme, und es als Einspielung hier poste, als Adaption der HIP-Manier, wie ich es von anderen Instrumenten höre. Gerne stelle ich mich da der Kritik. Es soll keiner sagen, ich würde nur von etwas reden, aber nicht danach handeln.
 
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Ich meine lediglich, diese geschilderte kleingliedrige Artikulation heutiger HIP-Praktiker kommt der Tastenform und dem damit quasi erzwungenen Fingersatz entgegen, denn sie ist auf diesen Instrumenten ausführbar.

denkt man das logisch weiter, dürfte diese spezielle Sorte HIP auch nur für die entsprechenden Instrumente relevant sein... oder sollte das Einfluß auf Orchesterbesetzungen gehabt haben???

Clavichord, Cembalo, Hammerflügel sind mir nicht fremd und gespielt habe ich auf solchen Instrumenten schon, allerdings keinen Chopin sondern Scarlatti - was ist da zu sagen? Der Flügel ist mir lieber.

übrigens kann man ohne Daumen die erste Invention problemlos spielen, sogar legato wenn man will - es ist nämlich ein Märchen, dass man z.B. rechts eine Tonleiter abwärts mit 5-4-3-2-3-2-3-2 oder 5-4-3-2-4-3-2-3 nicht legato spielen könne (wie auch vieles bzgl. Über- und Untersätzen eher märchenhaft ist)
 
denkt man das logisch weiter, dürfte diese spezielle Sorte HIP auch nur für die entsprechenden Instrumente relevant sein... oder sollte das Einfluß auf Orchesterbesetzungen gehabt haben???

Im Gegenteil meine ich eben, das es Gemeinsamkeiten aller Instrumente und Chor- und Orchesterwerke gibt bzg. hist. informierter barorcker Aufführungspraxis, wie z.B. Taktschwerpunktdarstellung. Und dass man das auf dem Klavier ebenfalls entsprechend ausdrücken kann und sollte.
Aber dass viele davon nur zaghaft Gebrauch machen, wenn überhaupt. Und das eben die Interpretationsanweisungen a la Straube oder Busoni an sehr vielen Stellen eher das Gegenteil zeigen, nämlich eine Aufweichung von Taktschwerpunkten.
Zu historischen Klavierfingersätzen in der Vorbachzeit und entsprechender Artikulation ist von meiner Seite aus alles gesagt - sie kommen zumindest der kleingliedrigen Artikulation, wie von mir dargestellt, wie von HIP-Aufnahmen heraushörbar, entgegen.

übrigens kann man ohne Daumen die erste Invention problemlos spielen, sogar legato wenn man will - es ist nämlich ein Märchen, dass man z.B. rechts eine Tonleiter abwärts mit 5-4-3-2-3-2-3-2 oder 5-4-3-2-4-3-2-3 nicht legato spielen könne (wie auch vieles bzgl. Über- und Untersätzen eher märchenhaft ist)

Schön, wenn man das alles legato spielen kann ohne Daumen. Gut zu wissen für Tischler und Metzger (ok, sehr makaber). Offenbar hat man es sich in dieser Hinsicht bequemer gemacht und eher non-legato gespielt.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Im Gegenteil meine ich eben, das es Gemeinsamkeiten aller Instrumente und Chor- und Orchesterwerke gibt bzg. hist. informierter barorcker Aufführungspraxis, wie z.B. Taktschwerpunktdarstellung.
Im Gegenteil wozu? Im Gegenteil zu Deinen eigenen erstaunlichen Annahmen über Kleintasten-Fingersatzprobleme und deren angeblicher Wirkung auf die Artikulation insgesamt? Irgendwie verwirrt sich hier manches...

Permanentes Betonen der Taktschwerpunkte ist kein Allheilmittel (und darauf läßt sich HIP auch nicht reduzieren!), weder innerhalb noch außerhalb der HIP (die vollführt das auch nicht in langsamen Arien). Wie schon mehrmals gesagt: die zu wählenden Maßnahmen hängen von Stil und Gattung ab - was in einigen motorischen Sätzen notwendig und wahrscheinlich (mehr nicht) historisch richtig ist, gilt nicht pauschal überall.
 
@ Rolf: ich habe weder die historischen Fingersätze noch die Kurztasten noch den Zusammenhang erfunden, aber spätestens ab hier wiederholen sich alle Argumente und Gegenargumente, nur mit geringfügig anderen Worten, sorry.
Daher mache ich da jetzt nicht mehr mit.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
das einzige, was sich hier lästigerweise wiederholt, ist eine gewisse Beratungsresistenz Deinerseits sowie Deine verkürzte und pauschalisierende Darstellung einer Aufführungspraxis - wenn Du das von mir nicht hören willst, dann lies es bei Chiarina nach.
 

@ Chiarina:
1) Bei M. Argerich spürt man auch die Taktschwerpunkte beim Fugenthema. Hatte aber auch früher schon geschrieben, dass dieser Part von ihr schon eher in die HIP-Richtung geht, als z.B. beim anderen von dir vorgestellten Part (nur meine Meinung).
2) Bei deinem Beitrag#104 ist es nicht Schiff, sondern wieder der Argerich-Link. Aber was ich als "HIP" oder nicht empfinde, ist sowieso nur meine persönliche subjektive Meinung, also keine Instanz, die sowas objektiv beurteilen kann oder will...


Oh, tut mir leid! Hier also der richtige link:

http://www.youtube.com/watch?v=Ux99_W-QkEs

Ich weiß, dass du das bei der Aufnahme von Argerich geschrieben hattest. Du hattest aber auch geschrieben, dass es nicht wirklich HIP sei. Deshalb würde ich gern wissen, wie du es nach deiner Auffassung von HIP denn artikulieren würdest und zwar nicht, um dich hinterher irgendwie festzunageln oder zu kritisieren, sondern aus echtem Interesse. Wahrscheinlich gefällt es mir nicht so, aber dann habe ich etwas, worüber ich nachdenken kann. :p

Grundsätzlich, Rolf, finde ich, dass Mindenblues sich sehr viel Mühe gegeben hat, uns seinen Standpunkt zu erklären. Er hat sich mit diesem Thema in den letzten Jahren offensichtlich sehr beschäftigt und ich finde es sehr interessant, seine Warte kennenzulernen.

Ich habe mich auch über dieses Thema mit meinem Bruder (Geiger) unterhalten, der auch schon massenhaft HIP gespielt hat, aber beruflich in einem "normalen" Orchester spielt. Der sagt auch, dass die Taktschwerpunkte, Takthierarchien etc. sehr wichtig und eigentlich immer spürbar sind, aber je nach Charakter und musikalischem Kontext sehr, sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Es gibt also sehr unterschiedliche Meinungen dazu und ein wie ich finde sehr interessantes Interview mit einem Experten von der MHS Hannover ( wohnst du da nicht auch, Mindenblues :p) möchte ich noch anfügen.

http://www.koelnklavier.de/texte/interpreten/rovatkay.html

Er spricht mir aus der Seele und deshalb möchte ich die mir wichtigsten Stellen hier komplett zitieren:

"CONCERTO: Welche Fehler waren das?

Lajos Rovatkay: Es haben sich bestimmte neue Konventionen verfestigt, Zum einen ist da die Takthierarchie mit ihren metrischen Betonungen ein zu enges Korsett. Zu Beginn der historischen Aufführungspraxis war die metrische Hierarchie ein wichtiger Ansatzpunkt, mit dem sich das Einerlei der herkömmlichen Aufführungsroutine aufbrechen ließ. Es war damals ein frischer Wind, um den Klang aufzulockern. Aber als rein vertikales Element wurde es bald viel zu monoton angewendet.

CONCERTO: Entstand diese Betonung des Metrischen nicht aus der Überlegung heraus, daß alle Instrumentalmusik sich vom Tanz herleitet?

Lajos Rovatkay: Natürlich, und aus dem Tänzerischen entwickelt sich auch eine vorteilhaftes durchsichtiges Klangbild, namentlich auch vom Baßgeschehen her. Aber ich habe bei dieser Argumentation große Bedenken, weil der Anteil der tänzerischen Komponenten von Stück zu Stück sehr unterschiedlich ist. Und das wird leider immer noch nicht genügend berücksichtigt: Eine schematische tänzerische Gleichsetzung etwa im Falle der Musik bei Bach, aber auch in der italienischen Musik verfremdet vielfach den Charakter und den Affekt, zumal damit auch die spezifischen Spannungskräfte der kontrapunktischen Struktur eliminiert werden.

Was sich ebenso nachteilig auswirken kann, ist die oberflächliche Betrachtungsweise des rhetorischen Prinzips. Daß Musik und Sprache eng miteinander zusamenhängen, besagt nicht viel. Vor allem ist es irreführend, wenn immer wieder eine Abhängigkeit konstruiert wird von Musik und Sprechen. Beide laufen unabhängig voneinander; beide sind unabhängige Verkörperungen eines gemeinsamen dritten Urimpulses der Kommunikation, den wir gar nicht genau fassen können. Musik und Sprache sind nicht direkt voneinander beeinflußt. Immer von Klangrede zu sprechen – wie es ja auch in den alten Quellen geschieht –, ist zwar eine assoziativ helfende Maßnahme, aber auch eine recht oberflächliche, die leicht gefährlich werden kann. Ich finde, daß diese Begriffe inzwischen oft sinnentleert und nicht selten affekt- und klangwidrig in die Praxis umgesetzt werden.

CONCERTO: Wie müßte man "Klangrede" denn konkret fassen?

Lajos Rovatkay: Als deklamatorisch eindringliche Gestaltung, als musikalischer Klangzusammenhang, der rhythmisch, melodisch aber auch harmonisch durch die plastisch artikulierende Deklamation in die Lage versetzt wird, Träger des Ausdrucks zu werden.

.....................................
CONCERTO: Wie sieht Ihr individueller Interpretationsansatz aus?

Lajos Rovatkay: Es ist eine nach der Polyphonie ausgerichtete, sehr differenzierte Artikulation und Dynamik – eine Artikultionsweise, die sich vielfach von dem unterscheidet, was ansonsten üblich ist: Sie folgt nämlich nicht der metrischen Betonungshierarchie, wie ich auch nicht an den generellen tänzerischen Ansatz glaube, mit dem immer wieder argumentiert wird. Und dann kann es auch nicht darum gehen, daß man möglichst schnelle Tempi nimmt – eine in meinen Augen äußerst suspekte Mode. Was ich anstrebe, ist eine sonore, stark an der Affekt-Differenzierung orientierte und weitgehend polyphon artikulierende Interpretation.

CONCERTO: Ist Ihnen die vertikale Ausrichtung wichtiger als die horizontale Bewegung?

Lajos Rovatkay: Im Gegenteil. Das Polyphone ist für mich ganz entscheidend. Das Horizontale und das Vertikale sind allerdings nicht voneinander zu trennen. Mit Klang und Sonorität meine ich auch die umfassende Behandlung der Tonalität, die Harmoniebewegung bei Bach, diese hoch gespannte chromatische Alterationstechnik, bei der in gewisser Weise fast immer schon die spätromantische Harmonik präsent ist.


Kölnklavier hat einfach eine tolle Website! Daher habe ich das Interview. Und hier noch Infos zum Interviewten:

http://de.wikipedia.org/wiki/Lajos_Rovatkay

Liebe Grüße

chiarina
 
Was ich anstrebe, ist eine sonore, stark an der Affekt-Differenzierung orientierte und weitgehend polyphon artikulierende Interpretation.

Eine kurze Zwischenfrage bitte, auch wenn es noch mal Offtopic vom offtopic in diesem Faden ist.
Ich lese zum ersten mal den Begriff Affektenlehre und finde das ziemlich spannend :)
Gibt es eine Anfänger geeignete Lektüre darüber, wie Affekte in der Musik, vor allem aber am Klavier dargestellt werden?

Viele Grüße,
Manha
 
@chiarina:

Vielen Dank für deine Ausführungen!
Was die Aufnahmen von Argerich und Schiff angehen, werde ich sie mir später in Ruhe per Kopfhörer anhören und mich dazu melden, und meinen subjektiven Senf dazu geben.

Ich habe mich auch über dieses Thema mit meinem Bruder (Geiger) unterhalten, der auch schon massenhaft HIP gespielt hat, aber beruflich in einem "normalen" Orchester spielt. Der sagt auch, dass die Taktschwerpunkte, Takthierarchien etc. sehr wichtig und eigentlich immer spürbar sind, aber je nach Charakter und musikalischem Kontext sehr, sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Es gibt also sehr unterschiedliche Meinungen dazu und ein wie ich finde sehr interessantes Interview mit einem Experten von der MHS Hannover ( wohnst du da nicht auch, Mindenblues :p) möchte ich noch anfügen.

Vielen Dank, dass du die Statements von deinem Bruder und L.Rovatkay hier reingestellt hast. :kuss: Ich finde es auch sehr spannend, die unterschiedlichen Sichtweisen zu lesen, und auch daraus für sich ggfs. Konsequenzen zu ziehen!

Ja, aus Hannover kommt z.B. oft die Hannoversche Hofkapelle (HIP-Orchester, alte Instrumente, alter Kammerton) nach Minden zu Aufführungen, das nächste Mal Ende März für Johannes-Passion Bach mit unserem Kammerchor. Spielt dein Bruder auch in der Hannoverschen Hofkapelle mit? Und dass je nach Charakter und musikalischem Kontext die Taktschwerpunkte unterschiedlich umgesetzt sind, sehe ich auch so - jedoch insgesamt gesehen aber finde ich sie in keiner anderen Musikepoche außerhalb des Barocks dermaßen präsent und prägnant dargestellt.

Trotzdem kann ich mich eines Eindrucks nicht erwehren:
Während viele Orchester und Instrumentalisten bzgl. Barockmusik ziemlich auf die "HIP"-Schiene geschwenkt sind (also mal unabhängig davon, ob historisches oder neues Instrument), und ihre Aufführungspraxis sicher radikal unterscheidet, ob sie nun barocke Werke oder solche der Wiener Klassik oder der Romantik interpretieren, spüre ich bei vielen Klavierspielern doch eher eine gewisse Zurückhaltung und Resentiments in dieser Hinsicht. Auch und gerade eben, was Taktschwerpunktdarstellungen im Barock angeht.

Gerade die Statements, die zu Beginn dieser Diskussion hier kamen - dass das Klavier ja gaaaaaanz anders ist als damalige Musikinstrumente (um damit zu suggerieren, jegliche Beschäftigung mit hist.informierter Interpretation bringe nix, überspitzt ausgedrückt), sind typisch und mir auch persönlich bekannt. Ich hatte in den letzten Jahren mal sporadisch Klavierunterricht bei einer Konzertpianistin, Marke "romantische Schule". Da tönte mir dasselbe entgegen. Das Bach eben kein Klavier hatte, demzufolge ich gar nicht erst mit dem "HIP"-Kram bei ihr landen brauche. Non-Legato-Spiel hatte sie toleriert, aber spätestens als ich versuchte, wiegende Taktschwerpunkte in WTK-Stücken anzubringen, war der Ofen aus. Mag sein, dass ich in der Hinsicht "inkorrigibel" bin, mag aber auch sein, dass man unterschiedliche Standpunkte haben kann und dann auch vertreten sollte.

Man wird immer unterschiedlicher Meinung sein, und das ist ja auch spannend und gut. Nix wäre langweiliger, als wenn jeder dieselben Ansichten über Aufführungsweisen hätte. Oder auch wenn sich jede Profipianisten-CD gleich anhören würde. Und so gibt es eben - zum Glück - auch unterschiedliche Auffassungen bzgl. "HIP" für Bach, "HIP" für Mozart, "HIP" für Chopin usw.

Offenbar ist zumindest das Interesse geschärft dafür, Zeitzeugnisse zusammenzutragen, um Mosaiksteinchen zu finden und aneinanderzureihen, wie die Musik ursprünglich geklungen haben mag. Weil es gut möglich ist, dass sie unter Berücksichtigung dieser Infos überzeugender klingen könnte (auch wenn es u.U. andere Bauarten von Instrumenten sind wie das Klavier), als wenn man losgelöst davon interpretiert. Leider sind die Zeitzeugnisse immer rarer gesäht, je weiter man zurückblickt. Für Chopin z.B. gibt es ein großes Füllhorn an Zeitzeugnisdokumenten bzgl. seiner Spielweise. Sowas wie das Chopin-Buch von Eigeldinger (also unkommentierte Faktensammlung von Zeitzeugnissen) - gibt es das auch z.B. für Mozart oder Beethoven oder Bach? Sowas kenne ich nicht, würde mich aber seeeeeeeehr interessieren!

Gibt es eine Anfänger geeignete Lektüre darüber, wie Affekte in der Musik, vor allem aber am Klavier dargestellt werden?

Also ich finde das Bach-Buch von Albert Schweitzer nach wie vor sowohl lesenswert als auch geeignet für diese Thematik. Meines Wissens war A. Schweitzer der erste, der diese Affekte in der Musik Bachs in dieser großen Form gesammelt und in seinem Buch kommentiert hat - es ist die zentrale Stelle des rel. dicken Buches. Schweitzer analysiert die verschiedenen Motive/Affekte, sehr überzeugend anhand sehr vieler Beispiele.

Und was speziell Affektdarstellung am Klavier angeht, denke ich, dass die am überzeugendsten gelingen, wenn man sich erstmal (mit Hilfe von Büchern z.B.) über den Inhalt klarmacht und dann selber überlegt, wie wohl am besten "Jauchzen" oder "Schluchzen" usw. rüberkommt beim Spiel dieser Motive. Also der Versuch, durch die entsprechende Darstellung den Hörer zum "Jauchzen" oder "Schluchzen" zu animieren, um mal eine (kaum zu erreichende) Zielvorgabe zu formulieren.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Eine kurze Zwischenfrage bitte, auch wenn es noch mal Offtopic vom offtopic in diesem Faden ist.
Ich lese zum ersten mal den Begriff Affektenlehre und finde das ziemlich spannend :)
Gibt es eine Anfänger geeignete Lektüre darüber, wie Affekte in der Musik, vor allem aber am Klavier dargestellt werden?

Viele Grüße,
Manha

Liebe Manha,

vielleicht haben andere noch bessere Ideen. Für Anfänger ist diese Art Literatur oft sehr theorielastig und ich weiß nicht, ob das so viel bringt. Ein Buch, was zumindest nicht soviel kostet ist, von Paul Heuser "Das Clavierspiel der Bachzeit" , Schott ED 8710.

Ein sehr dickes Buch ist "Johann Sebastian Bach" von A. Schweitzer, das auch Mindenblues hier schon angesprochen hat. Das kann man sich vielleicht in einer Bibliothek ausleihen und dort sind sehr anschaulich z.B. Schrittmotive, Motive des seligen Friedens,, des Schmerzes, der Freude etc. aufgeführt und beschrieben.

Mattheson, ein Musikschriftsteller und Komponist der Barockzeit zählt z.B. folgende Mittel zur Bildung der Affekte auf:

verschiedene Taktarten, Bewegungen der Stimme und Zeit-Masse, Rhythmus, Figuren, Manieren - also ziemlich viel :p . Eines der bekanntesten Motive in diesem Zusammenhang ist sicherlich das Seufzermotiv als fallendes oder steigendes Sekundmotiv, bei der die zwei Töne mit einem Bogen verbunden sind und wie bei einem Seufzer der erste Ton lauter, akzentuierter gespielt wird, der zweite leiser und kürzer.

Liebe Grüße

chiarina
 
Und so gibt es eben - zum Glück - auch unterschiedliche Auffassungen bzgl. "HIP" für Bach, "HIP" für Mozart, "HIP" für Chopin usw.

also ich mag ja "HIP" für Rachmaninov ganz besonders, denn von dem wissen wir gottlob, wie er gespielt hat - erstaunlich, dass man heuer da nicht alles imitiert... ;)

@Chiarina
Danke für das Zitat aus dem Interview :)
 
also ich mag ja "HIP" für Rachmaninov ganz besonders, denn von dem wissen wir gottlob, wie er gespielt hat - erstaunlich, dass man heuer da nicht alles imitiert... ;)

Imitation muß ja nun auch nicht sein, aber im anderen Faden "Interpretation" - hatte da nicht jemand geschrieben, wie wichtig es sei, den historischen Kontext zu erforschen? ;)

Aber, das ist eben das Dilemma, das wir, je weiter wir zurückgehen, ab 19.Jhd. immer mehr und mehr nur noch vermuten können, es gibt keine Aufnahmen, und selbst Zeitzeugendokumente werden immer rarer.

Angeblich soll es auch Walzenaufnahmen (immerhin, besser als nix) von J.Brahms geben - habe ich leider noch nicht gehört.

Z.B. hat mich ein unscheinbares Zeugnis "elektrisiert", dass Mozart normalerweise ziemliches non-legato-Spiel betrieben habe. Leider finde ich nicht mehr bei mir, wer das gesagt hatte und niederschrieb. CPE Bach möglicherweise? Beide trafen sich ja. Weiss das jemand? Sorry, für OT, ist schon OOOOT.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Imitation muß ja nun auch nicht sein, aber im anderen Faden "Interpretation" - hatte da nicht jemand geschrieben, wie wichtig es sei, den historischen Kontext zu erforschen? ;)

Aber, das ist eben das Dilemma, das wir, je weiter wir zurückgehen, ab 19.Jhd. immer mehr und mehr nur noch vermuten können, es gibt keine Aufnahmen, und selbst Zeitzeugendokumente werden immer rarer.

der erwähnte Kontext ist kulturhistorischer Art und natürlich musikhistorischer Art ganz speziell (da etwas Kenntnis anzuhäufen, kann nicht falsch sein, damit man nicht auf die Idee kommt, nach Chopins email oder handynurmmer zu fragen) :D
ja, das Dilemma ist die zunehmende Unschärfe, je weiter man zurück geht (und diese Unschärfe betrifft leider auch die Sekundärquellen, welche stets im Kontext ihrer Zeit und Intenion zu verstehen sind)
 
................@chiarina:
Spielt dein Bruder auch in der Hannoverschen Hofkapelle mit?
..................................................
Trotzdem kann ich mich eines Eindrucks nicht erwehren:
Während viele Orchester und Instrumentalisten bzgl. Barockmusik ziemlich auf die "HIP"-Schiene geschwenkt sind (also mal unabhängig davon, ob historisches oder neues Instrument), und ihre Aufführungspraxis sicher radikal unterscheidet, ob sie nun barocke Werke oder solche der Wiener Klassik oder der Romantik interpretieren, spüre ich bei vielen Klavierspielern doch eher eine gewisse Zurückhaltung und Resentiments in dieser Hinsicht. Auch und gerade eben, was Taktschwerpunktdarstellungen im Barock angeht.

Gerade die Statements, die zu Beginn dieser Diskussion hier kamen - dass das Klavier ja gaaaaaanz anders ist als damalige Musikinstrumente (um damit zu suggerieren, jegliche Beschäftigung mit hist.informierter Interpretation bringe nix, überspitzt ausgedrückt), sind typisch und mir auch persönlich bekannt.


Lieber Mindenblues,

ich hatte leider deinen post auch erst gerade bemerkt :p !

Mein Bruder spielt bei den Essener Symphonikern (Aalto-Theater), hat aber schon sehr oft bei Muggen HIP gespielt, regelmäßig (früher) z.B. bei R. Göbel in Köln.

Ich meine eigentlich, dass hier zu Beginn niemand gesagt hat, dass die Beschäftigung mit HIP nichts bringen würde - ist das nicht von dir seeeehr überspitzt formuliert :p?

Für mich ist das Interview oben deshalb auch wichtig, weil es die Fokussierung mehr auf die polyphone und harmonische Struktur u.a.m. eines Stückes legt und sich gegen Schemata wendet. Ich finde sehr schön, wie er beschreibt, dass für ihn besonders die horizontale Ausrichtung wichtig ist, aber natürlich auch die vertikale, in der nicht nur Taktschwerpunkte wichtig sind, sondern auch die harmonischen Zusammenklänge von Stimmen. Daher richtet sich für ihn die Artikulation der einzelnen Stimmen nicht im wesentlichen nach der vertikalen Ausrichtung der Taktschwerpunkte, sondern nach Transparenz in der Polyphonie etc..

Und so verstehe ich auch die Entwicklung des Klavierspiels. Dadurch, dass man am Klavier sehr, sehr feingliedrig artikulieren kann, manchmal sogar Zweierbögen nur mit Hilfe der Dynamik umsetzt ( als Beispiel), gibt es mehr Möglichkeiten als bei anderen Instrumenten. Dadurch, dass der Klavierton nach dem Anschlag immer leiser wird ( was bei der Orgel nicht der Fall ist, beim Cembalo aber schon), gibt es die Möglichkeit eines wirklichen legatos wie bei Streichern, Bläsern, Sängern, eben nicht und so ist schon die Grundartikulation eine andere.

Aus all diesen Erfahrungen heraus glaube ich einfach, dass Klavierspieler andere Schlüsse aus der HIP etc. ziehen.

Allerdings ist es durchaus möglich, dass wir Klavierspieler uns zuwenig mit HIP beschäftigen, weil die Menge der Literatur nach Bach ja nun im Gegensatz zu manch anderen Instrumenten gewaltig ist. Es kann sein, dass da noch Bedarf besteht.

Liebe Grüße

chiarina
 

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