Bach Inventio1

Bzgl. Inventio1 muß man keine große musikalische Zäsur veranstalten am Ende des ersten Taktes und der folgenden. Auch ist der auftaktige Anfang kein zwingender Grund, dass das Thema über die Taktgrenze verschoben in die schwere Taktzeit des nächsten Taktes hineinreichen muß. Jedoch auch hier - wenn man sich mal von den "Vorgaben" romantisierender Interpretationen gelöst hat, sind die Chancen gut, dass es besser gefallen könnte, wenn man doch z.B. durch das Mittel dezenter Artikulation, den Beginn einer schweren Taktzeit spüren lässt.

also hier stimme ich Dir zu

aber das will mir nicht einleuchten: wenn man die auftaktige Sechzehntelbewegung allein als thematisch auffasst, dann verbleibt sie rhythmisch irgendwie im leeren Raum (sie ist ja immer 2. bis 8. bz. 10. bis 16. Sechzehntel)

Musikalisch sinnvoll ist, die auftaktigen sieben Sechzehntel als Bewegung in den folgenden 8. Ton (meist ein Achtel) zu phrasieren - hierbei verschwindet übrigens kein Taktschwerpunkt, im Gegenteil: er wird ja mittels der Bewegung erreicht (ist das Ziel derselben)

Ich glaube, ein wenig Verwirrung bzgl. der "romantischen Interpretation" vornehmlich der Spielhinweise Busonis besteht darin, dass Du annimmst, das Achtel am Ende des ersten Bogens müsse "romantisch phrasiert" der leiseste Ton sein - - aber genau diese Zielnote der musikalischen Bewegung verdeutlicht ja den Taktschwerpunkt (immer das 1. und 3. Viertel). Und der rhythmische Charakter solcher Takt-Schwerpunkte ist nicht zwingend immer und überall durch einen hervorhebenden starken Akzent zu machen, weil das recht starr bis plump wirken kann.

Vielleicht täusche ich mich auch, weil ich nicht so recht herauslesen kann, was Du mit romantischer Interpretation meinst (F. Busoni war eigentlich kein Vertreter der musikal. Romantik)
 
Hallo Mindenblues,

mir ist das Konzept, dass Du beschreibst, bekannt. Ich durfte früher an der Orgel mal umlernen, nachdem ich zuerst die Straube-Tradition kennengelernt habe. Nach einem Lehrerwechsel waren auf einmal Legato und stumme Fingerwechsel ad acta zu legen.
Allerdings habe ich bisher noch keine überzeugenden Darstellungen auf dem modernen Klavier gehört, und bin auch nicht sicher, ob das in großem Maße kommen wird. Dazu sind Cembalo/Orgel und das moderne Klavier in ihren Möglichkeiten der Klangerzeugung zu verschieden. Für das Spielen auf den (zumindest nachgebildeten) Instrumenten der Bach-Zeit ist es aber von großer Bedeutung, um ein lebendiges Spiel zu erreichen.
Für diejenigen, die sich das nicht vorstellen können, mögen vielleicht über folgendes nachdenken. Auf dem modernen Klavier wird niemand bestrebt sein, die vier 16tel des Anfangs der 1. Invention (einfach c-d-e | f) gleich zu spielen. Vielmehr wird wohl ein ganz kleines Lauterwerden hin zum f angestrebt. Aber wie macht man das auf einem Cembalo oder einer Orgel, bei denen die Lautstärke nicht durch den Anschlag variiert werden kann? Dort muss alles durch entsprechende Artikulation gelöst werden.

Ein Orgelbeispiel, bei dem das für mich sehr schön herauskommt ist folgendes:

http://www.youtube.com/watch?v=oo3PUyd59aY&feature=related

Das Thema der Fuge BWV 545 ist dem der ersten Fuge aus WTK I sehr ähnlich, so dass anhand dieses Beispiels hier vielleicht einigen die Unterschiede zwischen Klavier- und historisch informiertem Orgelspiel verdeutlicht werden können. Der Interpret ist ein renommierter Vertreter (und Hochschullehrer) der historisch informierten Aufführungspraxis.

Viele Grüße,
Kristian
 
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Auf dem modernen Klavier wird niemand bestrebt sein, die vier 16tel des Anfangs der 1. Invention (einfach c-d-e | f) gleich zu spielen. Vielmehr wird wohl ein ganz kleines Lauterwerden hin zum f angestrebt. Aber wie macht man das auf einem Cembalo oder einer Orgel, bei denen die Lautstärke nicht durch den Anschlag variiert werden kann? Dort muss alles durch entsprechende Artikulation gelöst werden.

Das ist unzweifelhalft richtig: in dieser dynamischen Hinsicht sind Cembalo und Orgel sehr verschieden vom Klavier. Ob es sinnvoll ist, die dynamischen Begrenzungen des Cembalos auf das darin eben weniger begrenzte Klavier zu übertragen? Meiner Ansicht nach nicht.
 
Jörg, wenn man bereit sein sollte, sich mit der Thematik "schwere" und "leichte" Taktzeit auseinanderzusetzen, könnte man ja versuchen, für sich die Frage zu beantworten, wie denn bei dieser Invention eine schwere und eine leichte Taktzeit hörbar gemacht werden könnte.
Übertrieben gesagt: wenn man bei dieser Invention jede Phrase vom Auftakt genau einen halben Takt lang spielt, ist der Impuls der schweren Taktzeit nicht mehr vorhanden, sondern verlagert sich vollständig auf das nächste 16tel. Im schlimmsten Fall kriegt ein Hörer gar nicht mit, dass es sich um einen Auftakt handelt, denn der Impuls kommt genau jeden halben Takt. Es wird ein schwerer Taktteil auf das 2. und 10. 16-tel eines Taktes suggeriert, statt auf dem 1. und 9. 16-tel.

Hallo Mindenblues,

erst einmal einen Dank für die kurzfristige Einspielung. Vielleicht war das ein Mißverständnis aus meiner Unkenntnis heraus. Das Ende der Phrase sollte nach den Erklärungen die ich erhalten habe durchaus akzentuiert werden und damit ist der Schwerpunkt auf dem 1. Taktteil durchaus gegeben.

So höre ich es auch aus der Aufnahme heraus und "versuche" :? es auch entsprechend zu spielen.

Gruß
Jörg
 
Verzierungen

ich habe noch eine, nicht ganz so tiefschürfende, Frage

In der B. Ausgabe sind die Verzierungen ausgeschrieben. Wie in Takt 1 wohl in Form eines Mordent. In den meißten Aufnahmen meine ich da etwas anderes zu hören. ( Eventuell Pralltriller Ausführungsart vor 1800?)

inventio1_t01.JPG

Gruß
Jörg
 
Ja, dieser Frage von Jörg schließe ich mich mal an, da bin ich gestern auch drüber gestolpert.

Übrigens einen super Beitrag von Rolf zur Invention findet ihr hier.

In seinem angehangenen Beispielbild 1 hat er als Fingersatz zu dem fraglichen Mordent/triller 2-3-2 eingetragen, also ein wechsel mit der oberen Taste, nicht mit der unteren.
Ich hatte das gestern Abend mal kurz probiert und bin mir noch nicht so ganz im klaren darüber was mir klanglich besser gefällt, tendiere aber zu Rolfs Version weil sie irgendwie "leichter, luftiger" klingt.

Viele Grüße,
Manha
 
. . . Wenn ich Wiki richtig interpretiere wäre das nach Rolfs Beispiel dann der Pralltriller nach 1800 ?

(den genannten Faden hatte ich bei meiner Suche leider nicht gefunden und Ihn deshalb auch nachträglich im einleitenden Beitrag verlinkt)
 
Ich hatte das gestern Abend mal kurz probiert und bin mir noch nicht so ganz im klaren darüber was mir klanglich besser gefällt, tendiere aber zu Rolfs Version weil sie irgendwie "leichter, luftiger" klingt.

die Verzierung schon in Takt 1 mit der oberen Nebennote ist nicht meine willkürliche Version, sondern entstammt einer Henle Urtextausgabe mit Kommentar; dort finden sich beide Verzierungsarten (Praller und Mordente)
 
die Verzierung schon in Takt 1 mit der oberen Nebennote ist nicht meine willkürliche Version, sondern entstammt einer Henle Urtextausgabe mit Kommentar; dort finden sich beide Verzierungsarten (Praller und Mordente)

Wobei auch hier interessant ist, dass man sich heute offenbar sklavisch an Verzierungen hält, wo doch zu Bachs Zeiten Verzierungen nach Belieben des Interpreten hinzugefügt wurden. Gewisse ausgeschriebene Notationen Bachs lassen allerdings auch den Schluß zu, dass er den Wildwuchs eindämmen wollte.
Jedoch ist unübersehbar, wenn man verschiedene Abschriften mit z.T. unglaublich vielen hinzugefügten Trillern sieht, dass es keinesfalls üblich war, sich sklavisch nur an die vorhandenen Triller zu halten.
Man sehe sich nur mal das Buch "Über die wahre Art, das Clavier.." an, welcher Umfang den "Manieren" zugebilligt wird, um sie "artig" zu spielen.
 
Zuerst einmal bin ich froh, dass hier konstruktiv diskutiert wird, und nicht gleich alles, was einer mglw. gängigen Klavierlehrmeinung entgegensteht, ins Lächerliche gezogen wird!

ch glaube, ein wenig Verwirrung bzgl. der "romantischen Interpretation" vornehmlich der Spielhinweise Busonis besteht darin, dass Du annimmst, das Achtel am Ende des ersten Bogens müsse "romantisch phrasiert" der leiseste Ton sein - - aber genau diese Zielnote der musikalischen Bewegung verdeutlicht ja den Taktschwerpunkt (immer das 1. und 3. Viertel). Und der rhythmische Charakter solcher Takt-Schwerpunkte ist nicht zwingend immer und überall durch einen hervorhebenden starken Akzent zu machen, weil das recht starr bis plump wirken kann.

Vielleicht täusche ich mich auch, weil ich nicht so recht herauslesen kann, was Du mit romantischer Interpretation meinst (F. Busoni war eigentlich kein Vertreter der musikal. Romantik)

Also erstmal dachte ich bisher immer, Ferrucio Busoni sei eigentlich der Erfinder des Büstenhalters, weiß auch nicht, wieso ich darauf komme... :D

Im Ernst, tatsächlich empfinde ich die ziemlich drastischen und eigenmächtigen Änderungen am Urtext der Bachausgabe von Busoni als hochgradig romantisch, welche genauso wie das Pendant für die Orgeleditionen von Straube, ihre Entstehungszeit um das Ende des 19. Jhds und den damals wehenden Zeitgeist nicht verleugnen können.

Aber ich gebe dir vollkommen recht, das die Darstellung von Takt-Schwerpunkten nicht zwingend durch einen starken Akzent oder durch Artikulation oder was auch immer gemacht werden muß und auch, dass es bei gleichförmiger Daueranwendung starr und plump wirken kann. Wichtig finde ich aber, dass man überhaupt "irgendwie" Takt-Schwerpunkte bei Barockmusik spürbar werden lässt.

Die Gefahr von eingezeichneten Melodiebögen liegt darin, dass man versucht ist, die romantische "Standard"-Variante durchzuziehen: zarter Anfang, starker Höhepunkt, zartes Ende, und alles legato. Mit dieser Methode wären sämtliche Taktschwerpunkte bei der 1. Inventio perdue, die im worst-case Fall so dargestellt würde, als wäre das Stück ohne Auftakt und der Taktschwerpunkt im 2. 16-tel statt erstem.

aber das will mir nicht einleuchten: wenn man die auftaktige Sechzehntelbewegung allein als thematisch auffasst, dann verbleibt sie rhythmisch irgendwie im leeren Raum (sie ist ja immer 2. bis 8. bz. 10. bis 16. Sechzehntel)

Musikalisch sinnvoll ist, die auftaktigen sieben Sechzehntel als Bewegung in den folgenden 8. Ton (meist ein Achtel) zu phrasieren - hierbei verschwindet übrigens kein Taktschwerpunkt, im Gegenteil: er wird ja mittels der Bewegung erreicht (ist das Ziel derselben)

Ja, Zustimmung. Wie gesagt, solange man es irgendwie schafft, Taktschwerpunkte spüren zu lassen - gerade wegen des Tanzcharakters - finde ich das gut.

Allerdings habe ich bisher noch keine überzeugenden Darstellungen auf dem modernen Klavier gehört, und bin auch nicht sicher, ob das in großem Maße kommen wird. Dazu sind Cembalo/Orgel und das moderne Klavier in ihren Möglichkeiten der Klangerzeugung zu verschieden. Für das Spielen auf den (zumindest nachgebildeten) Instrumenten der Bach-Zeit ist es aber von großer Bedeutung, um ein lebendiges Spiel zu erreichen.

Kristian, das Argument, dass sich das heutige Klavier grundlegend von damaligen Tasteninstrumenten unterscheidet (um daraus zu schlußfolgern, sich gar nicht erst mit damaliger Aufführungspraxis beschäftigen zu brauchen), habe ich schon 1000x mal gehört.

Folgende Fakten werden meiner Meinung nach bei dieser Argumentation nicht berücksichtigt:
1. Wenn man zu Bachs Zeiten von "Claviermusick" sprach, waren sämtliche Tasteninstrumente gemeint. Z.B. Orgel, Cembalo, Clavichord, whatever - alles was eben eine Klaviatur hatte.
2. Wenn man sich das Buch "Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen" anschaut, wird zwar hier und da auf Eigenheiten bestimmter Tasteninstrumente, insbesondere Clavichord, eingegangen, aber insgesamt alle Instrumente rel. gleich behandelt, insbesondere wo es um den musikalischen Vortrag geht - und dort insbesondere, wo es um die Artikulation geht (Standard: non-legato!)
3. Das Clavichord aus Bachs Zeiten hat gegenüber dem Cembalo und der Orgel und in Gemeinsamkeit zum heutigen Klavier ebenfalls die Möglichkeit, sehr nuancenreich Dynamikunterschiede darzustellen. Im Bereich nach leise hin sogar noch mehr als das heutige Klavier.
4. Wenn man sich die stille Revolution ansieht bzgl. historischer Aufführungspraxis von Bachwerken, wird man bemerken, dass es eine einheitliche TENDENZ gibt, wie Kantaten, Passionen, Orgelwerke dargestellt werden: nämlich mit starker Hervorhebung von Taktschwerpunkten, und unterteilt in kleingliedrigere Bereiche.

Meine Beobachtung ist die, dass zwar in vielen unterschiedlichen Bereichen von Orchestermusik und Instrumentalmusik (auch Sänger, die sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben haben!!!) von Bachwerken ein Umdenken stattfand - weg von "romantisierenden", hin zur "historisch informierten" Interpretation (um es mal auf einen kurzen Nenner zu bringen) stattfand, dieser Schuß aber bei den Klavierspielern bisher noch nicht so recht angekommen zu sein scheint.

Das ist unzweifelhalft richtig: in dieser dynamischen Hinsicht sind Cembalo und Orgel sehr verschieden vom Klavier. Ob es sinnvoll ist, die dynamischen Begrenzungen des Cembalos auf das darin eben weniger begrenzte Klavier zu übertragen? Meiner Ansicht nach nicht.

Wie geschrieben, das Clavichord ohne die dynamischen Begrenzungen war auch schon erfunden. Ich bezweifle einfach, dass Bach das GRUNDKONZEPT der musikalischen Darstellung total umgeworfen hat, wenn er vom Cembalo zum Clavichord wechselte. Selbstverständlich hat er die dynamischen Möglichkeiten des Clavichords genutzt und gelobt. Aber ob er deswegen z.B. sein Artikulationskonzept umgeworfen hat? Natürlich Spekulation, leider (seufz).

Das Thema der Fuge BWV 545 ist dem der ersten Fuge aus WTK I sehr ähnlich, so dass anhand dieses Beispiels hier vielleicht einigen die Unterschiede zwischen Klavier- und historisch informiertem Orgelspiel verdeutlicht werden können. Der Interpret ist ein renommierter Vertreter (und Hochschullehrer) der historisch informierten Aufführungspraxis.

Ja, so wie das Thema dort gespielt wird, hat sich das jetzt überall etabliert. Ich versuche mal, ein Klangbeispiel einer Orgelfuge von der typisch "romantisierenden" Fraktion a la Straube/Busoni nebst Melodiebögen aufzufinden und als Vergleich dasselbe Thema gespielt von der heutigen "HIP"-Fraktion. Der Unterschied ist drastisch!

Es geht eben bei dem Thema auch immer wieder darum, inwiefern man bereit ist, sich Dingen bzgl. historisch überlieferter Aufführungspraxis zu öffnen und zu verwenden.

Im anderen Faden über Interpretation wurde lang und breit geschrieben, wie wichtig es sei, den historischen Kontext und Aufführungspraxis zu erfassen. Ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft dazu bzgl. Bachscher "Claviermusick" bei Pianisten erstaunlich gering ist...
 
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Gewisse ausgeschriebene Notationen Bachs lassen allerdings auch den Schluß zu, dass er den Wildwuchs eindämmen wollte.
Und was das für Streitigkeiten damals bewirkte, ist verblüffend! Z. B. Scheibe kritisierte diese ausnotierten Verzierungen vehement, ja betrachtete so etwas gar als Mangel an Eingebung... Ein ausgewogener Weg durch den Wildwuchs ist gar nicht so einfach. Ein Trick hierbei ist, ein Thema beim ersten Auftauchen noch nicht zu verzieren (ist aber ein Spieltrick, nicht unbedingt barocke bzw. spätbarocke Praxis)
 

die Verzierung schon in Takt 1 mit der oberen Nebennote ist nicht meine willkürliche Version, sondern entstammt einer Henle Urtextausgabe mit Kommentar; dort finden sich beide Verzierungsarten (Praller und Mordente)

Ich hatte es auch nicht als Wilkürlichkeit deinerseits aufgefasst, sondern mir schon gedacht das es einfach verschiedene Ausgaben gibt.
Deswegen auch einfach mal beides ausprobiert :)
 
Im anderen Faden über Interpretation wurde lang und breit geschrieben, wie wichtig es sei, den historischen Kontext und Aufführungspraxis zu erfassen. Ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft dazu bzgl. Bachscher "Claviermusick" bei Pianisten erstaunlich gering ist...

Das war zumindest so, wie ich es während es Studiums erlebt hatte, nicht der Fall.
 
bei Orgel kenne ich mich leider nicht sonderlich aus. Ich finde aber sehr interessant, wie Bach auf anderen Instrumenten, hier die Orgel, gespielt wurde bzw. wird. Könntest du vielleicht mal ein Klangbeispiel von ein und demselben Stück in verschiedener Interpretation hier reinstellen, die die dargestellte unterschiedliche Sicht verdeutlichen? Das wäre super nett!

Hier hatte ich ja was dazu versprochen.

Habe dazu mal das Thema und die Anfangstakte der wohl prominentesten Bach-Fuge gewählt (g-moll BWV542).

Es könnte aber fast jede beliebige andere Fuge genommen werden, es handelt sich hierbei nämlich um einen GRUNDSÄTZLICHEN Unterschied der Interpretation.

Also, als Einspielung Marke "romantisiert" a la Straube (Busoni...) habe ich bei mir nur eine digitalisierte Schallplatteneinspielung von Albert Schweitzer (1936) vorliegen.

[MP3="http://www.mindenblues.family-schmidt-minden.de/MindenBlues2/Organ/Anfang_g_moll_Schweitzer.mp3"]Schweitzer_Romantik[/MP3]

Dazu habe ich mal die verwendeten Melodiebögen gemalt:

Anfang_g_moll_Schweitzer.JPG


Dazu als Gegensatz eine Einspielung, die sich historisch informiert nennen darf, in dem Fall Arvid Gast:

[MP3="http://www.mindenblues.family-schmidt-minden.de/MindenBlues2/Organ/Anfang_g_moll_ArvidGast.mp3"]ArvidGast_HIP[/MP3]

Ebenfalls die verwendeten Melodiebögen (man beachte die Unterbögen):

Anfang_g_moll_ArvidGast.JPG


Das macht hoffentlich den prinzipiellen Unterschied bzgl. der Verwendung schwerer Taktzeiten deutlich.
Welche Art der Einspielung klingt tänzerischer?
 
Habe dazu mal das Thema und die Anfangstakte der wohl prominentesten Bach-Fuge gewählt (g-moll BWV542).
(...)
Welche Art der Einspielung klingt tänzerischer?

Das möchte ich nicht entscheiden müssen, weil die aufgezeigten Möglichkeiten nicht primär für das heutige Klavier relevant sind. Je nachdem, welches Instrument gewählt wird, ändern sich die zu treffenden Entscheidungen bzgl. Artikulation und Dynamik und allen daraus abgeleiteten Konsequenzen.
 
Das möchte ich nicht entscheiden müssen, weil die aufgezeigten Möglichkeiten nicht primär für das heutige Klavier relevant sind. Je nachdem, welches Instrument gewählt wird, ändern sich die zu treffenden Entscheidungen bzgl. Artikulation und Dynamik und allen daraus abgeleiteten Konsequenzen.

Es hat erstmal gar nix mit Klavier zun, wenn man zwischen zwei Orgeleinspielungen entscheiden soll, welche tänzerischer daherkommt. ;)

Weiterhin, das Klavier ist ähnlich wie die Orgel ebenfalls in der Lage zu artikulieren. Darüberhinaus kann es auch Dynamikunterschiede darstellen. Was also davon relevant ist oder nicht für das heutige Klavier, ist eine Frage der Interpretation, um die hier ja gerade diskutiert wird.

Die stereotype Meinung, dass ja das Klavier so total anders sei als alle anderen Tasteninstrumente, so dass man die Basics von historisch informierter Aufführungspraxis völlig ignorieren sollte (z.B. Darstellung von Taktschwerpunkten), geht am Trend der historischen Aufführungspraxis (auch mit heutigen Instrumenten!), den man auf anderen Gebieten der Instrumental-, Vokal-, Ensemblemusik bzgl. Hochbarock beobachten kann, völlig vorbei.

Mich würde freuen, wenn auf folgende Argumente eingegangen würde:

... das Argument, dass sich das heutige Klavier grundlegend von damaligen Tasteninstrumenten unterscheidet (um daraus zu schlußfolgern, sich gar nicht erst mit damaliger Aufführungspraxis beschäftigen zu brauchen), habe ich schon 1000 mal gehört.

Folgende Fakten werden meiner Meinung nach bei dieser Argumentation nicht berücksichtigt:
1. Wenn man zu Bachs Zeiten von "Claviermusick" sprach, waren sämtliche Tasteninstrumente gemeint. Z.B. Orgel, Cembalo, Clavichord, whatever - alles was eben eine Klaviatur hatte.
2. Wenn man sich das Buch "Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen" anschaut, wird zwar hier und da auf Eigenheiten bestimmter Tasteninstrumente, insbesondere Clavichord, eingegangen, aber insgesamt alle Instrumente rel. gleich behandelt, insbesondere wo es um den musikalischen Vortrag geht - und dort insbesondere, wo es um die Artikulation geht (Standard: non-legato!)
3. Das Clavichord aus Bachs Zeiten hat gegenüber dem Cembalo und der Orgel und in Gemeinsamkeit zum heutigen Klavier ebenfalls die Möglichkeit, sehr nuancenreich Dynamikunterschiede darzustellen. Im Bereich nach leise hin sogar noch mehr als das heutige Klavier.
4. Wenn man sich die stille Revolution ansieht bzgl. historischer Aufführungspraxis von Bachwerken, wird man bemerken, dass es eine einheitliche TENDENZ gibt, wie Kantaten, Passionen, Orgelwerke dargestellt werden: nämlich mit starker Hervorhebung von Taktschwerpunkten, und unterteilt in kleingliedrigere Bereiche.

Meine Beobachtung ist die, dass zwar in vielen unterschiedlichen Bereichen von Orchestermusik und Instrumentalmusik (auch Sänger, die sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben haben!!!) von Bachwerken ein Umdenken stattfand - weg von "romantisierenden", hin zur "historisch informierten" Interpretation (um es mal auf einen kurzen Nenner zu bringen), dieser Schuß aber bei den Klavierspielern bisher noch nicht so recht angekommen zu sein scheint.
 
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Die stereotype Meinung, dass ja das Klavier so total anders sei als alle anderenTasteninstrumente

Ist das eine stereotype Meinung oder nicht doch eher eine Tatsache... ;)

Aufgrund anderer dynamischer Verhältnisse ist es nun mal doch sehr verschieden, ob man sich Artikulationen für Orgel und Cembalo oder für Klavier überlegt. Ich bin ziemlich sicher, dass man die Möglichkeiten des Klaviers unnötig einschränkt, wenn man darauf die Artikulationspraxis des Orgelspiels einsetzt.

Was Deine Argumente betrifft: die Klavierspieler mögen nun mal die Möglichkeiten ihres Instruments - und Du findest diese auch im Bachspiel angewendet (Gould, Weissenberg, Margulis, Pollini u.v.a), was ich übrigens ganz ok finde.
 
Ist das eine stereotype Meinung oder nicht doch eher eine Tatsache... ;)

Unterschlage bitte nicht, wie der von dir zitierte Satz weitergeht: Es geht mir um die "Basics", den kleinsten gemeinsamen Nenner aller "Claviermusick", egal auf welchem Tasteninstrument vorgetragen, bzgl. historisch informierter Aufführungspraxis von Bach! ;)

Aufgrund anderer dynamischer Verhältnisse ist es nun mal doch sehr verschieden, ob man sich Artikulationen für Orgel und Cembalo oder für Klavier überlegt. Ich bin ziemlich sicher, dass man die Möglichkeiten des Klaviers unnötig einschränkt, wenn man darauf die Artikulationspraxis des Orgelspiels einsetzt.

Ich sehe es nicht als eine Einschränkung an, wenn man ZUSÄTZLICH zu den Dynamikmöglichkeiten, die das Klavier bietet, sich darüberhinaus um eine historisch informierte Artikulationspraxis bemüht (bzgl. Default-Artikulation bietet CPE Bachs "Versuch über die wahre Art..." ja schon mal erste Ansätze - auch und gerade für Tasteninstrumente, die wie das heutige Klavier sehr nuancenreiche Dynamikunterschiede darstellen kann!), sondern im Gegenteil eine Bereicherung.

Was Deine Argumente betrifft: die Klavierspieler mögen nun mal die Möglichkeiten ihres Instruments - und Du findest diese auch im Bachspiel angewendet (Gould, Weissenberg, Margulis, Pollini u.v.a), was ich übrigens ganz ok finde.

Ich kenne von oben aufgeführten Leuten nur Bach-Klaviereinspielungen von Gould und Pollini.
Keiner von beiden interpretiert auch nur annähernd so, dass man daraus historisch informierte Darstellungen erkennen kann!
Gould hat sicherlich eine große Bereicherung auch durch sein äußerst differenziertes Artikulationsvermögen auf dem Klavier gebracht - es ist allerdings ziemlich "beliebig", und hat mit den Stilmitteln, die HIP-Performer einsetzen, wenig zu tun.

Also die Tatsache, dass man die Möglichkeiten seines Musikinstrumentes mag (was sicherlich zu allen Zeiten und für alle Instrumentalisten der Fall war!), als Argument zu nehmen, sich historisch informierter Interpretation gegenüber zu verschließen statt zu öffnen, finde ich ziemlich abstrus:

Man muß die Möglichkeiten des modernen Flügels ja gar nicht aufgeben, wenn man sich um historisch informiertere Interpretation bemüht. Schließlich hatte ja z.B. ein Clavichord auch enorme Möglichkeiten hinischtlich dynamischer Gestaltung!

Das einzige, was man aufgeben muß, ist eine "romantisierende" Interpretation z.B. bei Barockmusik, die sich bei der überwiegenden Mehrzahl von Klavierspielern, unabhängig davon, aus welcher Zeitepoche die Musik stammt, großer Beliebtheit erfreut, und an der man nicht rütteln möchte.

Dass man stattdessen mal nachforschen könnte (auch wenn die Zeitzeugenaussagen recht mager sind - es gibt aber welche!), wie z.B. Bach oder Mozart gespielt haben (letzterer z.B. pflegte ebenfalls non-legato Spiel, hört man jedoch kaum einer heutigen Interpretation an), um diese Erkenntnisse auch für das moderne Klavier, mit allen Mitteln, die dieses Instrument bietet, einfließen zu lassen - darauf kommen offenbar die wenigsten.


Jeder kann ja gerne bei seiner "romantisierenden" Interpretation von Bach a la Straube/Busoni auf dem Klavier bleiben wie er möchte. Ich gebe lediglich lediglich zu bedenken
1) dass das mit historisch informierter Aufführungspraxis wenig zu tun hat und
2) wage die Prognose, dass neben anderen Instrumentalisten, Vokalisten, Chor- und Orchestermusiken, wo sich ein Wandel längst vollzogen hat, auch bei den Klavierspielern sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzen wird, Bach auch auf dem Klavier historisch informierter zu spielen - nur eine Frage der Zeit.
 
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Unterschlage bitte nicht,
(...)
Ich kenne von oben aufgeführten Leuten nur Bach-Klaviereinspielungen von Gould und Pollini.
Keiner von beiden interpretiert auch nur annähernd so, dass man daraus historisch informierte Darstellungen erkennen kann!
Gould hat sicherlich eine große Bereicherung auch durch sein äußerst differenziertes Artikulationsvermögen auf dem Klavier gebracht - es ist allerdings ziemlich "beliebig", und hat mit den Stilmitteln, die HIP-Performer einsetzen, wenig zu tun.
...ja potztausend, Du legst aber heftig los... die "Leute" (welche Dir, wie Du sagst, teilweise nicht bekannt sind) haben einen großen Vorteil: sie konnten/können sehr gut Bach am Klavier spielen.
Sicher sehr interessant für Dich könnte sein, Bach-Aufnahmen von Picht-Axfeld zu hören: die hat sowohl am Cembalo als auch am Klavier viel Bach gespielt - erstaunlich, was da zu hören ist: an Unterschieden!

Man muß die Möglichkeiten des modernen Flügels ja gar nicht aufgeben, wenn man sich um historisch informiertere Interpretation bemüht.
(...)
Das ist sehr richtig!
Gesungen, gegeigt, trompetet wurde auch damals sowohl akzentuiert als auch dynamisch - sehr interessant und schön, immens affektvoll sind hist. inf. Aufnahmen z.B. von Purcells King Arthur.

Dass man stattdessen mal nachforschen könnte (auch wenn die Zeitzeugenaussagen recht mager sind - es gibt aber welche!), wie z.B. Bach oder Mozart gespielt haben (letzterer z.B. pflegte ebenfalls non-legato Spiel, hört man jedoch kaum einer heutigen Interpretation an), um diese Erkenntnisse auch für das moderne Klavier, mit allen Mitteln, die dieses Instrument bietet, einfließen zu lassen - darauf kommen offenbar die wenigsten.
Dir scheint unbekannt zu sein, dass z.B. der erwähnte Vitaly Margulis - ein exzellenter Bachinterpret! - genau über solche Fragen wie auch über Fragen des symbolischen Gehalts sowohl in Russland, als auch in Deutschland publiziert hat. Kurzum: was Du forderst, geschieht doch schon seit längerem.

Jeder kann ja gerne bei seiner "romantisierenden" Interpretation von Bach a la Straube/Busoni auf dem Klavier bleiben wie er möchte. Ich gebe lediglich lediglich zu bedenken
1) dass das mit historisch informierter Aufführungspraxis wenig zu tun hat und
2) wage die Prognose, dass neben anderen Instrumentalisten, Vokalisten, Chor- und Orchestermusiken, wo sich ein Wandel längst vollzogen hat, auch bei den Klavierspielern sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzen wird, Bach auch auf dem Klavier historisch informierter zu spielen - nur eine Frage der Zeit.
Meiner Ansicht nach übertreibst Du die Polarisierung "hi romantisierend (falsch), da historisch informiert (richtig)". Barocke Arien, ob aus Opern oder Oratorien, werden dynamisch gesungen; hierbei hat die Kantabilität das Primat vor einzig aus dem Orgel- und Cembalospiel abgeleiteten Artikulationsmaßnahmen. Auch hist. inf. Aufnahmen der Matthäus-Passion greifen nicht in der von Dir geforderten Weise in die Melodik ein (kein Sänger macht gegen die Melodie Akzente auf Taktschwerpunkten oder unterbricht eine Linie)

Freilich wird der Gesamtklang von tatsächlich romantisierendem Bombast (zu große Orchester etc.) a la Karajan befreit, was eine Wohltat ist. Na ja, von der C-Dur Invention sind wir da ein wenig abgekommen. Spielt man sie auf dem Klavier, dann sollte man sämtliche Möglichkeiten des Instruments geschmackvoll einsetzen (sogar das Pedal - allerdings nur beim Schlußakkord :)) und man sollte dabei primär musikalisch vorgehen, d.h. sich nicht ein starres Regelkonzept auferlegen, sondern den musikalischen Linien und ihrer auskomponierten Folgerichtgkeit folgen.
 

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