Diese Frage lenkt ab - interessanter ist zu fragen, wie es im Gesang um das legato und cantabile zu Bachs Zeiten bestellt war.
Ich glaube nicht, dass ein Bass zu Bachs Wohlgefallen ma-----che-----dich------mein-----He---her----ze----rein---- staccato gesungen hat
Gut, lassen wir mal das Vibrato außen vor - du hast Recht, es lenkt vom Fadenthema ab.
Gerne greife ich dein Beispiel mit dem Gesang auf:
Du machst es dir zu einfach, wenn du das non legato, wovon in meinem Beitrag die Rede war, auf unterschiedsloses staccato reduzierst. Und, gerne können wir hierzu die von dir angeführte Matthäuspassions-Arie mal näher unter die Lupe nehmen. Das Stück ist im 12/8 Takt geschrieben, und selbst hier - im traurigsten Kontext, nach der Kreuzigung Jesu, wo es um das Begräbnis Jesu geht - spürt man den typischen Tanzcharakter, resultierend aus dem triolischen Rhythmus. Wie verteilt Bach den Text auf diesen Rhythmus? Gemäß allem, was wir wissen, spielen die Taktschwerpunkte, und zwar gewichtet, eine zentrale (aber nicht die einzige, selbstredend) Rolle für die Gestaltung. Preisfrage: Bei dem Text "Mache dich, mein Herze, rein": auf welches Wort kommt es wohl am meisten an, welche Silbe verdient den größten Schwerpunkt? Richtig, es ist nicht "Mache" - das lässt Bach auf dem 4. Achtel, also rel. unbetont, anfangen. Der größte Taktschwerpunkt liegt immer am Taktbeginn. Genau: es ist hier das Wort "rein", darauf strebt alles zu.
Um auf Rolfs staccato-Fetzen zurückzukommen, zum einen ist z.B. Her-ze innerhalb eines 3/8-Bogens gespannt, also gar kein Grund, dies stark abzusetzen oder mit anderen Mitteln zu betonen, zum anderen wäre es ein Fehler, bei mehreren Tönen hintereinander auf derselben Silbe "He...her..." zu singen. Sondern man singt immer auf dem Vokal, also wenn man schon (nur sehr dezent bitte!) innerhalb dieser 3-er Bindung absetzen möchte, dann eher "He..er"
Auf der anderen Seite braucht man beim Gesang generell keine übertriebene Artikulation, weil es sehr dynamikreich ist. Ich würde die "Dosis" der Artikulation vom Dynamikreichtum des Instruments abhängig machen wollen.
Die aus der Poetik in die Musik transferierten Figuren (iambisch, daktylisch usw.) werden z.B. bei Marek bzgl. einiger Themen aus dem WTK recht plausibel erklärt, und ohne Bindungen wird man sie auf dynamiklosen Instrumenten nicht überzeugend wahrnehmbar machen können - kurzum: eine angemessene Artikulation kann nicht gänzlich auf Bindungen verzichten.
Ja und nein.
Ja: man kann nicht gänzlich auf Bindungen verzichten. Warum auch? Es geht um geschicktes Differenzieren.
Und nein: gerade auf dynamiklosen Instrumenten (z.B. Orgel) muss man sich was einfallen lassen, um Taktschwerpunkte überzeugend zu artikulieren. Gerade da muss man also stärker aktiv werden. Bei hochdynamischen Instrumenten, dazu zähle ich auch und vor allem den Gesang, kann man andere Mittel einsetzen. Also eher dezentere Artikulation (trotzdem sinngemäß), aber dynamische Gestaltung (Dynamikbögen). Man kann also bei "mein Herze, rein" bei rein dadurch artikulieren, dass man leise beginnt und einen Dynamikbogen um die über 2 Takte andauernden Ton setzt. Also, je dynamikärmer ein Instrument, hilft m.E. stärkeres Artikulieren - auch Bindungen, aber nur innerhalb kleiner Artikulationsabschnitte. Je dynamikreicher, desto dezenter kann das Artikulieren werden, und durch Melodiebögen, deren Beginn bei den Taktschwerpunkten liegt. Ausnahmen bestätigen die Regel, und sind gewöhnlich auch angezeigt (auch bei Bach, wenn die Bindungen nicht am Taktanfang oder Taktschwerpunkten anfangen).
Das Klavier hat so eine Zwischenrolle bgzl. Dynamik. Auf der einen Seite kann es zwar viele Dynamikschattierungen hervorbringen, ist aber auf der anderen Seite ein stark perkussives Instrument, d.h. durch den Hammeranschlag hat man IMMER zu Beginn des Tones eine mehr oder weniger starke Amplitudenspitze. Wohingegen Streicher, Sänger, etc. leise anfangen können bei einem Bogen und dann ihre Lautstärke steigern können. Beim Klavier wird es hingegen immer leiser. Es sei denn man wackelt am
flügel oder kitzelt die Saiten mit den Fingern weiter.
Zum Fadenthema kann ich folgendes Buch empfehlen:
"Das Clavierspiel der Bachzeit" von Paul Heuser (Schottverlag, Studienbuch Musik).
Dort wird anhand von Primärquellen die Aufführungspraxis der Tasteninstrumente dargestellt.
Und dort wird auch die Frage des Fadens beantwortet. Um es vorneweg zu nehmen: wenn die Frage so generell gestellt wird "Bach legato spielen" (auch und gerade auf Clavierinstrumenten), ist die kurze Antwort: "kaum".