Was sind denn das für kuriose Pianisten, die "nur" die Noten auswendig lerne? Auswendig meint "inwendig" engl. by heart, also mit allem, was dazu gehört. Form, Akkordstruktur, Fugenthema wie und wo in welcher ausprägung, alle Einsätze in allen Stimmen, dasselbe gilt für die kontrapunktischen einsätze, alle Überleitungen, Modulationen usw. Auswendiglernen heisst, das Stück verstehen lernen. Meinetwegen können die Noten dann auch auf dem Pult stehen bleiben. Der Pianist hat es ohnehin in seinem Kopf.
Form, Akkordstruktur, Einsätze, Überleitungen, Modulationen usw. gehört für mich alles noch zum Oberbegriff Noten. Diese Dinge würde ich als die Material-Ebene der Musik bezeichnen. Ich bezweifle nicht, daß man diese Dinge innerhalb einer halben Stunde "kapiert" haben kann, auch bei komplizierten Stücken.
Aber den richtigen Ausdruck/Charakter für jede musikalische Figur zu finden, ist ja das, was die immense Zeit braucht. Musik so zu spielen, daß sie wie selbstverständlich klingt, und zwar nicht nur im Groben, sondern auch in jedem Detail, das ist die eigentliche Herausforderung, die ein Musikstück an den Musiker stellt. Ich kann's mir eigentlich nicht vorstellen, daß du diese gestalterische Ebene mit deinen Schülern garnicht übst :confused:
Ich schätze Martin Stadtfeld sehr, aber ich kann mir das nicht vorstellen. ein Pianist, der 3 Stunden damit verbringt, die Akzentuierung einer folge von 3 Tönen auszuprobieren.
Ich hatte geschrieben 1 oder 2 Stunden. Von 3 Stunden war nicht die Rede :p
Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht und Stadtfeld hat nur von 20 Minuten gesprochen. Ich finde leider im Moment dieses Interview nicht mehr.
Es gibt bei Youtube aber ein Stadtfeld-Interview wo er über seine Übweise redet, und zwar hier:
http://www.youtube.com/watch?v=QXZ81h53FUE
Ich sehe auch den Sinn einer solchen Übung nicht. Ich denke vorher darüber nach, wie die akzentuierung sein soll und dann mache ich es, wie ich es mir vorstellte. Pianisten hören im allgemeinen vorher, was an Klang herauskommt. Sie denken keinesfalls : OOps, das war jetzt wohl vekehrt.
Ich würde ja so gern mal eine Aufnahme von dir mit einem richtigen Musikstück hören. Am besten mit einem, das du in 3 Stunden gelernt hast. Dann müßte die Diskussion nicht so abstrakt verlaufen. Vielleicht bin ich dann ja so beeindruckt von deinen Fähigkeiten, daß du mein neues Idol wirst...?
Wie ist das denn bei dir, wenn du ein Stück spielst. Liest du dann die Noten ab und würdest ohne Noten nicht weiter kommen? Ich kann mir das nicht richtig vorstellen.
Ja, ich lese die Noten ab, dabei sehe ich ja, was auf mich zukommt :p
Ich fahr zwar nicht Auto, aber ich denke, es ist wie beim Autofahren. Man weiß, wo man ist, man sieht die Straße, die Verkehrszeichen, Zu- und Abfahrten, man erkennt Häuser, Bäume
Wenn man mir die Noten während des Spielens wegnimmt, kann ich nicht weiterspielen. Das ist so.
Möchtest du denn den Konzertbetrieb dahingehend verändern, dass bei Klavierabenden die Solisten von Noten spielen sollten?
Jeder sollte so spielen, wie er am besten spielen kann. Wenn jemand auswendig besser spielen kann als mit Noten, dann soll er selbstverständlich auswendig spielen.
Gruß
Haydnspaß
Mir ist eben aufgefallen, daß eine deiner Fragen noch unbeantwortet ist:
Ich hatte geschrieben "Ich bin ziemlich sicher, daß Beethoven bei dieser Aussage heftigst protestiert hätte!"
Das bezog sich auf die Feststellung von pianist73
"Eine neue Beethoven Sonate ist ja nicht grundsätzlich eine ganz neue Musik."
Ja, ich denke - ganz besonders bei einer Beethoven-Sonate - daß es sich da
grundsätzlich um eine ganz neue Musik handelt. Eine ganz neue Musik auch in dem Sinn, daß es nicht einfach eine neue Anordnung von Tonleitern, Akkorden und musikalischen Themen handelt, sondern um etwas, was die Grenzen des bis dahin gewohnten sprengt. Was dann jedesmal auch eine ganz andere Spielweise erfordert. Ich bin der Ansicht, daß Beethoven die Musik mit jedem größeren Werk neu erfindet. Damit ist er eigentlich der Schutzpatron aller Avantgarde-Komponisten. :)