Werke verstehen

  • Ersteller des Themas Jonny Greenwood
  • Erstellungsdatum

Jonny Greenwood

Jonny Greenwood

Dabei seit
14. März 2007
Beiträge
277
Reaktionen
0
Wie entschlüsselt man die Geschichte, die hinter einem Stück steht?
Beispiel:
(Ich weiß zwar nicht, ob das stimmt, meine das nur mal irgendwo gelesen zu haben, aber darum gehts auch nicht.)
Der Anfang von Mozarts "Eine kleine Nachtmusik" bedeutet:
"Möchsten Sie mit mir aufs Zimmer gehen?"
"Ja ich möchte."

Kann auch sein, dass mich da jmd verarscht hat :)
jedenfalls steht so etwas doch häufig "hinter" Werken. Ich frage mich, wie soll ich darauf kommen?
Also wie übersetze ich reine Musik in Sprache oder eine Geschichte?

MfG
jan
 
Gute Frage....
reinfühlen...

Wenn ich Stücke schreibe, dann ist auch eine Geschichte dahinter, auf die auch niemand kommt. Ich denke man kann es nur selten verstehen. Das ist die Sprache der Musik, die Geheimnisse der Musik.



oli
 
Ehrlich gesagt finde ich es manchmal schade, dass diese Geschichte dahinter dem Zuhörer verborgen bleibt. Natürlich ist es wichtig dem Zuhörer Interpretationsfreiheit zu überlassen, damit diese Geschichte für ihn interessant wird. Im Prinzip ist es ja eine Gradwanderung dazwischen dem Zuhörer etwas zu erzählen und ihn nicht einzuengen. Leider fehlt mir allerdings oft der Anhaltspunkt um zu interpretieren und es entsteht "nur" (das sollen riesen Anführungszeichen sein) eine Stimmung.
In der Hinsicht find ich Lieder mit Gesang vorteilhaft, wobei Klassik mit Gesang absolut nichts für mich ist.
 
Um das Verständnis zu erleichtern, gibt es ja bei vielen CDs auch hilfreiche Booklets oder vor Konzerten Werkeinführungen. Wobei ich vor ein oder zwei Wochen etwa erst an einer Diskussion teilnehmen konnte, bei der es um den Sinn solcher Musikerklärungsversuche ging. Denn es ist eben wirklich sehr schwer, den Zuhörer in seinem Denken und Fühlen der Musik gegenüber nicht einzuengen.

(PS: Da ich im Chat oft gefragt werde, was Musikwissenschaftler eigentlich so machen ;), das im ersten Satz genannte fällt z.B. in ihren Aufgabenbereich)
 
Dann gib dem Stück doch einfach einen Namen. Das beste Beispiel, das mir da einfällt wäre Robert Schumann (z.B. Kinderszenen, Album für die Jugend), da muss man nicht lange nachdenken, an welche Geschichte einen die Musik erinnern soll. Zumindest hilft der Titel, die Grundstimmung korrekt aufzufassen. ;)
 
Meine Stücke haben keine solchen Namen. Die Hintergründe, die Geschichten solln die meisten nicht wissen.



oli
 
Gibt es denn auch bestimmte Tonfolgen, die man als Sprache "übersetzen" kann??
So soll z.B. bei "Eine kleine Nachtmusik" die Frage als solche verstanden werden, da sich der Ton zum Ende der "Fragepassage" höher wird.
Ist zwar im Nachhinein verständlich, da es ja analog zur Sprache ist, aber von alleine kommt man da ja nicht so schnell drauf.
 
Die Frage ist, sollen wir diese Geschichten hinter Stücken wirklich verstehen? Sollen wir im "Tagebuch" der Komponisten lesen?




oli
 
Ich stelle mir bei solchen Überlegungen immer die Frage, ob überhaupt eine mit Worten oder Gedanken greifbare Geschichte hinter der Musik steht.

In Deutsch in der Schule haben wir Gedichte interpretiert. Einerseits ist es natürlich interessant, wenn man entdeckt, was man alles aus so einem "kurzen Text" herauslesen kann, im wahrsten Sinne des Wortes.

Andererseits finde ich das alles manchmal konstruiert, hat sich der Dichter denn wirklich jedes Stilmittel genauso überlegt und jedes Wort einzeln ausgewählt, oder hat er nicht manchmal einfach einer Eingebung nachgegeben, und die Worte kamen nur so aus ihm heraus?

Bei der Musik geht es mir ähnlich.
Es ist natürlich klar, dass ein Stück, dass "Scherz" heißt, auch einen solchen beschreibt.
Aber muss hinter jeder Melodie eine konkrete Vorstellung stecken?
Wenn ich ab und zu komponiere, habe ich fast immer nur eine Melodie, ein Empfinden, ein Gefühl, dass ich zu vertonen oder erweitern versuche, und nicht selten liegt das größte Problem schließlich in der Titelfindung, da es kein Wort gibt, dass das Stück passend beschreibt.

Vielleicht sucht man manchmal in der Kunst zu viel (z.B. auch in abstrakten Bildern?) und presst den Werken Dinge ab, die möglicherweise gar nicht gewollt oder vorhanden sind?

Dieses Gefühl, dass die Werke aus verschiedensten Bereichen (Malerei, Schriftstellerei, Musik) zu sehr auseinandergenommen werden, beschleicht mich häufig.
Nicht falsch verstehen, es ist oft angebracht, richtig und drängt sich geradezu auf-
Aber wohl nicht immer.

sagt doch mal, was ihr dazu denkt,
wünscht sich
Stilblüte
 
Also dass das Motiv der kleinen Nachtmusik ein Frage-Antwort-Motiv darstellt habe ich auch beim Online-Chang gelesen. Ich frage mich allerdings, von wem der genaue Wortlaut stammt... (ist nämlich sinngemäß mit dem von Jonny Greenwood ähnlich)

Wenn ich Stücke schreibe, dann ist auch eine Geschichte dahinter, auf die auch niemand kommt. Ich denke man kann es nur selten verstehen. Das ist die Sprache der Musik, die Geheimnisse der Musik.

Möchtest du überhaupt, dass der Pianist sich Gedanken um die Hintergrundgeschichte macht, wenn eine bekannt ist, aber nicht verraten wird?
 
Er darf, Gedanken machen ist nie schlecht. Aber verstehen soll er es nicht.

Ich schreib halt kein Tagebuch. Ich schreibe Stücke.



oli


P.S.: Probleme mit Titelfinden habe ich zum Glück nie. Die Titel beeinflussen die Menschen zu sehr. Wenn sie Liebe hören denken sie an ein Paar, aber der Komponist dachte vll. an seine Mutter, die er liebt. Deswegen mag ich Titel nicht. Die Menschen sollen sich selber über einen möglichen Titel gedanken machen/sollen selber fühlen was das Stück sagen soll. Wenn sie das falsche fühlen werden sie es nie erfahren und werden glücklich damit sein.

Und...wozu Gedanken über den Titel machen? Es ist Musik, da sind Worte nutzlos. Musik fängt da an wo Worte aufhören. Die Musik sollte ihr eigener Titel sein.
 

Hmmm... der Vergleich von Musikstücken mit Werken aus der Kunst und Lyrik oder Prosa gefällt mir gut, und es ist in der Tat so, dass alle drei Gattungen ähnliche Züge aufweisen und somit miteinander vergleichbar sind.
Sicherlich hatten sich Schriftsteller, Künstler und Musiker was dabei gedacht - sprich aufgrund eines "(inneren) Anlasses" produziert. Ich kann mir nun vorstellen, dass es zu unserer künstlerischen Freiheit gehört, eventuell angedachte Intentionen der Urheber (seien es Komponisten, Künstler oder auch Schriftsteller) selbst zu entdecken bzw. zu interpretieren, sofern diese nicht zur Verfügung stehen -und das ist ja meist der Fall...
Um den Bogen zur Musik zu spannen: Meiner Meinung nach hätten die Komponisten den Hintergrund ihrer Stücke wohl stets kenntlich gemacht, hätten sie es gewollt! Dennoch kann die originale Intention natürlich sehr hilfreich sein.
Ich entdeckte neulich in einer Musik-Zeitschrift einen interessanten Artikel über Schumann (schon wieder :-) ), in dem er den Titel seines Stücks "Erster Verlust" eben so benannte (weil der Vogel seiner Tochter aus Unachtsamkeit aus dem Käfig entfliehen konnte). Also mir persönlich hat dieser Hintergrund sehr geholfen, ich konnte meinem Spiel eine richtig traurige Note geben.

Grüße, Madita
 
Ich bin auch der Meinung, dass man Titel nicht unbedingt braucht, um die Musik zu verstehen. Schließlich ist man ja Musiker ;)

Bei einigen Stücken z.B. Liebestraum, Revolutionsetüde kann ich mir gar nicht vorstellen, dass da irgendjemand was "falsch" verstehen könnte. Die Stimmungen sind ja ziemlich klar in Musik umgesetzt.
Aber richtig und falsch sind sowieso unsinnige Begriffe, wenn es um Stückinterpretationen geht.

Ich denke, man muss, wenn man sich ein Stück erarbeitet, "nur" eine Stimmung/Idee/Geschichte etc. finden, die für einen persönlich am besten zu sein scheint. Dann wird die Interpretation auch nicht langweilig oder schlecht klingen.

meint jedenfalls

marcus
 
Ein Titel oder Name, ein beigegebenes "Programm" (--> Programmmusik) oder auch biografische oder (musik-)historische Hintergründe können natürlich die Fantasie der Zuhörer UND Interpreten beflügeln.

Alles zweifelsfrei vom Komponisten Mitgegebene SOLLTE doch wohl auch in diesem Sinne zur Wirkung kommen. Dass dadurch Rezeption und Interpretation in gewisse Richtungen gedrängt werden, gehört dann einfach zum Stück dazu.

Schwieriger wird die Bewertung, wo es um Informationen zum biografischen/zeitgeschichtlichen Kontext geht, finde ich. Da besteht einerseits sicherlich die Gefahr, dass das "Wesen" eines Werks teilweise missverstanden wird bzw. das Verständnis unzulässig kanalisiert. Andererseits wird vielleicht erst so ein tieferes Verständnis ermöglicht ...

Selbst Hinweise, wie die musikalische Sprache vergangener Zeiten von den Zeitgenossen typischerweise verstanden worden ist, scheinen mir nicht unproblematisch. Denn es bleibt für uns Heutige trotzdem nahezu unmöglich, die Musik in genau der Weise zu empfinden, wie es die damals Lebenden getan haben.

Die jeweilige musikalische Sozialisation ist ja nunmal unabänderlich total verschieden ...


Grüße

Bernd
 
Ich kann Stilblüte nur beipflichten.
Als mir meine Deutsch Lehrerin erzählte, dass jmd. seine Promotion über einen Vierzeiler geschrieben hat, fand ich das lächerlich.
Schön für ihn, dass er soviel damit anfangen kann, aber eine wissenschaftliche Arbeit enthält oder sollte zumindest nicht seine Gefühle enthalten, sondern eher eine sachliche Interpretation der Stilmittel. Über letztere 2-3 Jahre zu schreiben ist absolut übertrieben. Der Autor hat es vielleicht in 10min geschrieben und nichts weiter dabei gedacht, außer seine Gefüle niederzuschreiben.
das war evt. missverständlich... Ich hab nichts gegen Interpretation, nur diese zu versuchen sachlich über ein paar Jahre aus dem Text zu übersetzen finde ich übertrieben.
 
Zitat marcus:
..."Aber richtig und falsch sind sowieso unsinnige Begriffe, wenn es um Stückinterpretationen geht.

Ich denke, man muss, wenn man sich ein Stück erarbeitet, "nur" eine Stimmung/Idee/Geschichte etc. finden, die für einen persönlich am besten zu sein scheint. Dann wird die Interpretation auch nicht langweilig oder schlecht klingen."


Genau! Prima Antwort, marcus!

Trotzdem würd michs auch interessieren, wo man am besten (und möglichst erfolgreich !) nach Stückinterpretationen der Komponisten sucht, sofern es welche gibt! Weiß jemand waS?
Grüße, Madita
 
Hi madita,
also wenn ich ein Stück irgendwo vorspielen soll oder es sehr mag, dann beschäftige ich mich längere Zeit mit der Interpretation. D.h. ich lese mir Artikel dazu z.B. auf Wikipedia durch, was den Aufbau/Harmonie/Besonderheiten angeht. Dann höre ich mir verschiedene Interpretationen an und vergleiche sie mit meiner eigenen. Aufnahmen mit mittlerer bis guter Qualität kann man sich bei YouTube anhören, dann natürlich CDs, was aber recht teuer wird, oder man lädt sich die Audiodateien ...anderweitig herunter. Kritiken zu Aufnahmen gibt es u.a. bei der Seite "Rondo magazin".
Das ist ein ziemlich großer Aufwand, weswegen ich das auch recht selten so mache, aber ich glaube es hilft.

Und noch zu denen, die gleich sagen werden, dass das Anhören einer fremden Interpretation die eigene zu sehr beeinflusst: ;)
"Dem widerspricht, dass man sehr häufig beim Mitlesen der Noten zu aufgenommenen Interpretationen Gefühle von Unzufriedenheit entwickelt, weil einem der Notentext an dieser oder jener Stelle nicht optimal in Klang umgesetzt erscheint"
(Aus: M.A.Giesecke - Clever üben, sinnvoll proben, erfolgreich vorspielen"; 3.Ausgabe, S.14)

P.S. freut mich, dass wir einer Meinung sind

viele Grüße

marcus
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Dieses Buch habe ich auch, Marcus.

Ich fände es ja auch zu schön, um wahr zu sein, wenn es gut wäre, sich jedes Stück über das Gehör einzuprägen, aber in meinen Augen stimmt nicht alles, was in käuflich erwerbbaren Bücher steht.

Ich finde nach wie vor, dass einen die Interpretation auf CDs sehr stark beeinflusst.
Vielleicht unbewusst, und man meint später, die Interpretation wäre seine eigene.
Wir hatten das Thema schonmal behandelt, und soweit ich mich erinnere, waren die meisten der Meinung, dass es nicht schadet, ein Stück ein paarmal anzuhören, um eine Klangvorstellung zu bekommen. Wichtig ist es aber trotzdem, es sich selbst zu erarbeiten.

Stilblüte
 
Diese Geschichte mit dem "über das Gehör einprägen" finde ich auch etwas seltsam.
Ich denke auch, dass man sich die Interpretationen nicht zu früh anhören sollte. Meine Lehrerin rät mir immer sich die Aufnahmen erst anzuhören, wenn man selbst schon so gut wie fertig ist.

Ich finde nach wie vor, dass einen die Interpretation auf CDs sehr stark beeinflusst.
Da kann ich dir so nicht zustimmen, aber man kann sich ja nicht in allem einig sein. ;)
Man muss ein gewisses "künstlerisches Selbstbewusstsein" haben, um sich über die Interpretation irgendsoeines Meisterpianisten hinwegzusetzten und mal was eigenes zu machen. :D

grüße

marcus
 
Hallo Marcus,
danke für deine Tipps! Werde mich mal damit auseinandersetzen.
Grüße, Madita
 

Zurück
Top Bottom