Werke verstehen

  • Ersteller des Themas Jonny Greenwood
  • Erstellungsdatum

Werke zu verstehen, sie zu interpretieren, eine Geschichte darin zu finden ist ja auch wichtig, wenn man das Stück übt oder spielt.
Habt ihr zu jedem Stück, das ihr spielt so eine Interpretation?
Ich tue mich damit immer etwas schwer, vor allem wenn die Stücke keine namentliche Bezeichnung haben, also nur z.B. op.36 nr.2.
Geht ihr da bestimmt vor oder fallen euch jedesmal automatisch 1000e Emotionen, Ideen und Geschichten ein?

jan
 
Wenn du irgendwie eine Aufnahme von dem Stück hören kannst, dann hör sie dir an, das hilft manchmal. Da fallen einem viele Dinge ein.
Oder spiel es einfach mal. Mir fallen da oft Geschichten, Gefühle, Bilder ein. Ob diese Gefühle dann vom Komponisten beabsichtigt sind, kann ich nicht wirklich wissen, aber solang es gut klingt ist ja alles in Ordnung.


oli
 
Wichtiger als irgendwelche außermusikalische Geschichten finde ich es eigentlich, daß man den "Sinn" der Noten versteht. Was ist die musikalische Funktion (Funktion im allgemeinen Sinn) jeden einzelnen Tons und in welcher Beziehung steht er zu den ihn umgebenden Tönen. Irgendwie ist ja jeder Ton ein Teil von etwas. Von einer Tonleiter, einem Akkord, einem musikal. Motiv oder einer Verzierung. Wenn Musik gut komponiert und gut gespielt ist, dann sollte sie für den Hörer aus sich heraus verständlich sein. Außermusikalische Zusätze lenken doch eher von der Musik ab.

Haydnspaß
 
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Stimmt, ist auch ne wichtige Sache. Wenn man weiß wie was zueinander steht, kann man Betonungen besser setzen und ähnliches. Aber ganz ohne Gefühle geht es nicht. Schließlich ist Musik Kommunikation, und Kommunikation lebt von Gefühlen.



oli
 
Danke.
Stimme dir zu, Oli. Dass Emotionen rüberkommen ist für mich sogar das Wichtigste. Die Musik sozusagen als Mittel zum Zweck.
Das sollte sie jetzt keinesfalls herabwürdigen und natürlich hat auch die Musik ansich ihren Reiz.
 
Die Worte stehn auch schon im Buch, also auch die Gefühle. Aber die Stimme, die eigenen Gefühle, welche die Betonungen beeinflussen, die machen ein gutes Vorlesen aus.



oli
 
Hallo zusammen,
nach langer Zeit bin ich auch mal wieder hier und auf diese interessante Diskussionrunde gestoßen.
Meine Klavierlehrerin sagte häufig, ich soll mir für kurze Phrasen, z.B. einer Beethoven Sonate selbst Geschichten ausdenken, um sie besser gestalten zu können. Die Geschichte musste nicht wirklích was mit dem Stück gemeinsam haben. Einfach nur ein Text, der helfen könnte. Eine kleine Phrase, ein Satz halt.

Zum Thema Titel und Musik:
Einige haben ja an meiner Umfrage (nein, noch nicht ausgewertet) teilgenommen. Da diese nun fast abgeschlossen ist, kann ich ja verraten, worum es ging: Ich möchte empirisch herausfinden, ob man das Programm der Musik 1. ohne den Titel zu kennen, über Assoziationen, die lediglich von der gehörten Musik ausgehen können, herausfinden kann und 2. Ob die Assoziationen beeinflusst werden, wenn man den Titel bereits kennt.

Man kann da ne Menge drüber spekulieren, wie das denn nun mit der Programmmusik so ist, ob sie funktioniert, ob das denn Ziel des Komponisten war, etc. Ich möchte mich halt mal aus Neugierde auf dieses kleine Experiment einlassen und habe auch schon einige spannende Dinge gelesen, die ich so gar nicht erwartet hätte. Aber mehr dazu, wenn ich endlich Zeit hatte, mich aussschließlich darauf zu konzentrieren.

Liebe Grüße,
Pianika
 
Ich stimme mit Haydnspass vollkommen ueberein. Wenn man sich ausfuehrlich und erfolgreich mit den musikalischen Parametern eines Stueckes auseinandersetzt wird klar, wie ein Stueck zu klingen hat. Leider kann ich nicht behaupten, dass mir das schon mal jemals gelungen ist. Aber es ist theoretisch moeglich :D Form bestimmt den Inhalt ... wie bei vielen Texten.

Ansonsten finde ich es aber auch nicht schlimm, wenn ein Pianist ein Stueck (individuell) interpretiert. Fuer mich ist Musik sowas wie eine Projektionsflaeche. Da gehts nicht um das eigentliche Thema oder der Absicht des Komponisten, sondern vielmehr um die eigenen Gefuehle und Gedanken, die sich beim hoeren, oder selber spielen, im ganzen Koerper ausbreiten. So aehnlich hat es, glaube ich, auch Stilbluete (?) formuliert.

Dieses Plattinterpretieren nervt gewaltig; besonders in der Literatur. Alles ist richtig, man muss es nur am Text belegen koennen. Ist schon fast pervers, was man dem urspruenglichen Verfasser da in den Mund, bzw. ins Hirn legt.
 
Wenn man sich ausfuehrlich und erfolgreich mit den musikalischen Parametern eines Stueckes auseinandersetzt wird klar, wie ein Stueck zu klingen hat. Leider kann ich nicht behaupten, dass mir das schon mal jemals gelungen ist. Aber es ist theoretisch moeglich :D

Das wär aber schade, wenn's nur theoretisch möglich wär ;)

Also, man kann doch immer - ganz praktisch - herumexperimentieren: wie klingt der Akkord, wenn ich den Baßton betone, oder den Melodieton, oder eine Mittelstimme. Wenn ich den ersten Akkord lauter spiele, oder gleich laut, oder leiser. Wenn ich die Taste aus der Luft, mit einer Bewegung des Arms, Handgelenks oder nur des Fingergelenks anschlage. Wenn ich das Tempo abbremse, beschleunige, oder konstant halte, mit Pedal spiele oder ohne usw.. Um Theorie gehts mir überhaupt nicht. Es geht mir darum, daß die Musik anfängt zu leben. Und daran kann (und sollte) man sofort "arbeiten", schon bei den allerersten Gehversuchen an einem neuen Stück - nicht erst, wenn man das Stück bereits falsch weil unlebendig gelernt hat.

Haydnspaß
 
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Jep, stimmt. Da hast Du voll und ganz recht, Haydn. Es ist aber sehr schwierig, vor allem ohne Klavierunterricht und ohne jahrelanger Erfahrung, das Stueck RICHTIG umzusetzten. Eine Freundin von mir nimmt jetzt seit laengerem Unterricht und ich staune jedesmal, was sie noch alles aus einem Stueck (was wir beide spielen) rausholt. Mir ist zum Beispiel oft noch unklar, wie die eigentliche Melodie betont werden soll. Das Galaktische daran ist ja, dass es IM Stueck steht. Mann muss es nur lesen koennen. Und das bloede daran ist, dass ich nicht immer wirklich weiss wie das geht. Ich glaube aber auch, dass viele Klavierspieler damit Schwierigkeiten haben. Zumindest die, die noch ziemlich am Anfang stehen.
Ich spiele trotzdem gerne. ;) Das Herumexperimentieren muss jetzt erst mal reichen.
 
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Der Anfang von Mozarts "Eine kleine Nachtmusik" bedeutet:
"Möchsten Sie mit mir aufs Zimmer gehen?"
"Ja ich möchte."
So könnte man vermutlich auch 50% der Popmusik übersetzen aber es würde selbst der nicht gerecht, denn mit beiden Sätze könnten unendlich viele Stimmungen mitschwingen. Als Grundidee für den Versuch einer ersten Interpretation ist es aber vielleicht brauchbar, zeigt aber auch gleich ein Problem auf: Wie stelle ich mir denn die Stimmung vor, wenn ich sage "Möchten Sie mit mir aufs Zimmer gehen" oder "Ja ich möchte"? Beim einen weckt es vielleicht Sehnsucht, weil er seit 20 Jahren keinen Sex mehr gehabt hat, der zweite denkt vielleicht eher an seine Freundin und der dritte erinnert sich an die Bauchschmerzen als er das erste mal verliebt war.

Wenn ein Komponist also keine detallierte Stimmungskarte zu seinem Stück hinterlassen hat, muß man sich eben auf das eigene Gefühl verlassen. Ausprobieren, was einem einfällt und so lange ändern, bis man zufrieden ist oder aufgibt.

Allerdings gibt es ja neben den Informationen auf dem Notenblatt noch gewisse Regeln zu beachten. Immerhin haben sich viele Komponisten dazu geäußert, was sie für "richtiges Klavierspielen" halten, woraus sich z.B. Pedalgebrauch, Rubato und anderes ergeben. Aber das gehört ja eigentlich eher zur Technik.

Sich genau eine Aufnahme von dem Stück anzuhören kann auch inspirieren. Jemand mit wenig Erfahrung kann doch dadurch nur hinzulernen. Besser aber ist es, sich gleich mehrere Versionen anzuhören - im Zeitalter von Youtube und Google-Video ja kein Problem. Immerhin muß sich meiner Meinung nach jeder Vortrag auf den aktuellen Zeitgeist beziehen (nicht zu verwechseln mit Modeerscheinungen!) um erfolgreich zu sein. Mit der Einstellung, das Beste aus sich selbst und den eigenen aktuellen Fähigkeiten zu holen, wird es auch nicht frustrierend wirken.
 
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Ich habe einen kleinen Rat an alle komponisten hier:

Schreibt zu euren Stücken immer genau auf was ihr damit sagen wollt, damit keine solchen Sachen
(z.B.: Der Anfang von Mozarts "Eine kleine Nachtmusik" bedeutet:
"Möchsten Sie mit mir aufs Zimmer gehen?"
"Ja ich möchte.")
von irgendwelchen leuten gedacht werden(vll. War ja Mozart einfach nur müde und der Anfang ist die Frage an sich selber "Soll ich schon ins Bett" Mit der Antwort "Natürlich, ich hab schon genug getan")



oli
 
Wie entschlüsselt man die Geschichte, die hinter einem Stück steht?
Beispiel:
(Ich weiß zwar nicht, ob das stimmt, meine das nur mal irgendwo gelesen zu haben, aber darum gehts auch nicht.)
Der Anfang von Mozarts "Eine kleine Nachtmusik" bedeutet:
"Möchsten Sie mit mir aufs Zimmer gehen?"
"Ja ich möchte."

Kann auch sein, dass mich da jmd verarscht hat :)

Das halte ich sogar für ziemlich wahrscheinlich :p
 
Ich fasse Musik eher auf wie ein gutes Buch.
Angenommen es wird eine bestimmte Szene beschrieben, zB dunkle Nacht, stürmisches Wetter, Vollmond...

Dann male ich mir innerlich einen Wald in der Nacht, denke wie sich die Tiere verkriechen weil ein Unwetter naht, einen kleinen See mit stärker werdenden Wellen usw...

Steht zwar alles nicht im Buch das Bild ist da und vielleicht ganz anders als der Autor das im Sinn hatte.

Deshalb hab ich Bücher auch lieber als Filme
Und deshalb finde ich auch Musik so schön, weil ich mir meine eigenen Gedanken machen kann/darf.
Ich hab auch die Wahl mir gar kein Bild zu machen und mich einfach berieseln zu lassen.

So gesehen will ich auch gar keine Geschichte drum herum.
Sogar ein Titel is schon fast zu viel. Ich für meinen Teil könnte auch gut zur kleinen Nachtmusik aufstehn und nicht nur schlafen gehen :rolleyes:

Grüße Wolfi
 
Ich möchte bei Musik überhaupt keine Geschichten und Szenen beschrieben haben. Mir ist jegliche außermusikalische Idee in einer Komposition völlig gleichgültig, Tonmalerei geht mir manchmal regelrecht auf die Nerven; einzig die Strukturen in einer Komposition wären für mich im Sinne von "Musikverstehen" interessant. Leider habe ich mich allerdings mit dieser rein rationalen Seite der Musik noch viel zu wenig beschäftigen können, Musik hatte für mich bisher fast ausschließlich eine emotionale Funktion.

Dadurch sind mir übrigens auch erst jetzt die Gegenpole von Programmmusik auf der einen Seite und Absoluter Musik auf der anderen bewusst geworden. Das will ja nicht besagen, dass einem die Musik des einen Lagers mehr gefallen würde als die des anderen. Aber vielleicht ist es ja doch nicht ganz zufällig, dass Bach bei mir mit Abstand den höchsten Zuspruch findet?
 
musikalische Deutung

Ich habe vor längerer Zeit eine vortragsreihe von ALfred Brendel gehört, die mir grossen Eindruck gemacht hat.

Sicher gibt es einen realen Hintergrund, wenn der Komponist selbst einen titel schreibt: In den Kinderszenen sehe ich schon, wie deer Kleine mit seinem Holzpferd, bzw Steckenpferd sich in wildes Reiten hineinsteigert und am Schluss auch noch ein Möbel dran glauben muss.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Den hinter der Musik steckt immer noch mehr und A. Brendel nannte dies den psychologischen inneren Verlauf. Jedes Musikstück nimmt uns auf eine wanderung der Gefühle mit. Wobei auch die unbewussten Gefühle miteinfliessen. Es gibt nun eine Affektenlehre wonach bestimmte tonmodelle dies oder jenes bewirken sollen. Auch dies ist wieder nur ein Näherungswert. Der eine mag bei einem Seufzer:" Cis vermindert/D-Dur" und so weiter ähnliches fühlen , ein anderer wird hier in seinen Glücksgefühlen bestätigt.

Schubert schafft es in vielen Werken, dass uns Moll als vertraute Tonart kommt und der Wechsel nach Dur etwas Schauriges verursacht. Fragt sich, ob das jeder so nachvollziehen kann.

Amfortas hat Recht, wenn er sagt, dass er selbst weiss, warum er etwas so schreibt, aber die anderen müssen das nicht wissen und werden es auch nur selten rauskriegen. Aber vielleicht hilft seine Musik anderen, eine ebenfalls sehr persönlcihe Geschichte gefühlsmässig zu durchleben, was wiederum die Anderen auch nicht wissen müssen.

Die Musik vollzieht sich eben in Sphären, wo Worte meist versagen und ich bin froh darüber. Wenn zwei Seelen sich beim Anhören eines Stückes zumindest nähern, dann ist dies wohl ein besonderes glück.
 

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