Wenn Stücke machbar werden...

  • Ersteller des Themas Pianojayjay
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Traumstücke gut bewältigt zu haben ist auf jeden Fall für meine Motivation ganz entscheidend und übrigens viel wichtiger als an Wettbewerben teilzunehmen.
Sagen wir so: Traumstücke sind das Zuckerbrot - Auftritte die Peitsche.
@Herzton hier widerspreche ich dir.
tatsächlich bewältigt ist ein Traumstück erst, wenn es auftrittsreif dargeboten wird. (und damit meine ich kein Schülervorspiell)

...das muss jetzt zu keinen Wut-Tiraden führen! Es gibt fatalerweise Sachen, die selbst von den Besten der Besten nicht wirklich bewältigt werden! Niemand käme auf die Idee, das Scherzo aus Chopins Trauermarschsonate als unspielbar zu bezeichnen: etliche Meisterpianisten haben das wunderschön gespielt. ...nahezu alle aber verlangsamen drastisch an einer Stelle, deren Noten keine Verlangsamung vorschreibt...

Eines meiner Traumstücke war von Anfang an, seit ich es das erste mal gehört hatte (in einer Aufnahme von Elli Ney) die Sonate op.111 - ich durfte sie als Schulbub üben und schaffte das auch. Es hat aber danach (!) gut 20 Jahre gebraucht, bis ich selber damit zufrieden war und die Sonate so spielen konnte, wie ich es für angemessen halte - Petrouchka und Gaspard sind objektiv technisch viel schwieriger, aber da benötigte ich keine derart lange Entwicklungszeit, bis ich damit zufrieden war.

Zu meinen Traumstücken zählen seit sehr langem auch die beiden Zyklen Kinderszenen und auf verwachsenem Pfad - den Janacek traue ich mich mittlerweile öffentlich zu spielen, beim Schumann zögere ich noch (bin ich noch nicht zufrieden)

Zu meinen Traumstücken zählte auch die Lisztsche Klavierfassung der Tannhäuser-Ouvertüre. Das war ein halbes Jahr bittere Ochserei, bis ich das alles mit ordentlichem Klang und im vorgeschriebenen Tempo konnte (und damit meine ich: konzerttauglich ohne dass die Leute schelten) - seit dem kann ich das: allerdings ist das Biest derart sportlich, dass ich immer wieder ein paar Abschnitte stupide technisch trainieren muss, bevor ich das spiele. (hier gerät bei jedem die Ausdauer an Grenzen) --- am Schumann laboriere ich immer wieder mal seit etlichen Jahren (!!!), dieselben Skrupel habe ich bei Tannhäuser oder Liebestod (den hab ich innerhalb einer Woche gelernt) nicht.

Zu meinen Traumstücken zählte auch die Sonate von Liszt. Ich musste/durfte sie im Studium durchackern, meine "Lehrer" waren Spezialisten gerade für diese Sonate und spielten sie auch selber hinreissend, was ich in zahlreichen Konzerten live miterlebt hatte. Ich lernte dieses Traumstück, konnte es als Jungspund mit 21 Lenzen öffentlich ordentlich vortragen - seitdem ist einiges Wasser in die Nordsee geflossen: ich lerne und übe immer wieder an diesem Traumstück. Und es wird (für mich, aus meiner Perspektive) immer besser.

Traumstücke scheinbar "erreicht" zu haben, bedeutet gar nichts! Die Arbeit fängt erst an, wenn man sie "bewältigt" zu haben glaubt!! Wenn hierbei der offizielle Schwierigkeitsgrad keine Rolle mehr spielt, dann ist der Level erreicht, auf dem man anfängt, Musik zu machen!
 
Zuletzt bearbeitet:
Wobei mir da eine Frage einfällt: kann man als Erwachsener noch maximale Geschmeidigkeit erreichen
zumeist: nein.
das ist desillusionierend und demotivierend, aber im Bereich wirklich virtuoser Literatur schaffen das nur extrem wenige aus der von dir genannten Gruppe.
Die extrem wenigen, die das hinkriegen, sind so rar gezählt, dass sie statistisch unerheblich sind.

Im sozusagen mittelschweren Bereich ist es eher möglich (z.B. Schubert Impromptus), im virtuosen Bereich (Paganini/Liszt & Co.) eher nicht.
 
Wobei mir da eine Frage einfällt: kann man als Erwachsener noch maximale Geschmeidigkeit erreichen oder ist das nur eine Fata Morgana, der ich da hinterherrenne? Weil ich glaube daran. Auch wenn es Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.

Ich kleckere mal der Antwort von Rolf noch etwas hinterher:
Man braucht ja schon Jahre intensiven Übens als junger Mensch, um die konzertreife Technik (a là mode Carnegie Hall, bzw. Horowitz/Kissin) zu erlangen. Stundenlanges Üben, jeden Tag, von klein auf.
Das ist für einen Erwachsenen schon mal kaum möglich, wegen anderer Pflichten. Aber man kann lernen, sehr gut zu spielen.
Also: Ansprüche herunterschrauben, und nicht nach den "süßen Früchten" springen, die zu weit oben hängen! Ich habe einen Bekannten, der sagte, wenn er jetzt anfängt, will er in zwei Jahren wie Jerry Lee Lewis spielen können. Ich habe herzlich gelacht, und dann gesehen, dass es ihm bitterernst ist. Soll ich hinzufügen, dass er mich nicht als KL auserkoren hat?
:-D
 
Zu meinen Traumstücken zählen seit sehr langem auch die beiden Zyklen [I]Kinderszenen[/I] und [I]auf verwachsenem Pfad[/I] - den Janacek traue ich mich mittlerweile öffentlich zu spielen, beim Schumann zögere ich noch (bin ich noch nicht zufrieden)
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Zu meinen Traumstücken zählen seit sehr langem auch die beiden Zyklen [I]Kinderszenen[/I] und [I]auf verwachsenem Pfad[/I] - den Janacek traue ich mich mittlerweile öffentlich zu spielen, beim Schumann zögere ich noch (bin ich noch nicht zufrieden)

Das sind so Dinge, die ich als Amateur schwer nachvollziehen kann. Da ist man in der Lage, die schwierigsten Brocken der Klavierliteratur zu bewältigen und hat gleichzeitig einen so einen hohen künstlerischen Anspruch an sich selbst, dass ein vermeintlich einfacher Zyklus wie die Kinderszenen, den geschätzte 80 % aller Klavierschüler unter den Fingern hatten und den jeder kennt, nicht öffentlich dargeboten wird. Ich finde solche Einblicke in die Welt der Profis sehr interessant, vielen Dank dafür.">

Das sind so Dinge, die ich als Amateur schwer nachvollziehen kann. Da ist man in der Lage, die schwierigsten Brocken der Klavierliteratur zu bewältigen und hat gleichzeitig einen so einen hohen künstlerischen Anspruch an sich selbst, dass ein vermeintlich einfacher Zyklus wie die Kinderszenen, den geschätzte 80 % aller Klavierschüler unter den Fingern hatten und den jeder kennt, nicht öffentlich dargeboten wird. Ich finde solche Einblicke in die Welt der Profis sehr interessant, vielen Dank dafür.
 
@pianochris66 Du kennst sicher den Ausspruch über Mozart "Für Amateure zu leicht, für Profis zu schwer", da steckt dasselbe dahinter. Je weniger Noten man zur Verfügung hat, desto mehr kommt es auf die Schönheit der einzelnen an, um es mal ganz simpel auszudrücken. Beispiel Schumann - wenn im Carneval ein paar Töne verloren gehen merkt das keiner, aber bei "Von fremden Ländern und Menschen" fällt jede kleine dynamische Ungenauigkeit sofort auf.
 
Je weniger Noten man zur Verfügung hat, desto mehr kommt es auf die Schönheit der einzelnen an, um es mal ganz simpel auszudrücken.
Das ist prinzipiell richtig! (deswegen klingen zahllose Inventionen etc. auf Schülervorspielen auch ziemlich hölzern und deswegen ist das Thema des 2.Satzes op.111 für jeden mit sorgfältigem abtönen verbunden)
Bei den Kinderszenen ist der Klaviersatz aber gar nicht sooo dünn (lediglich das letzte Stück hat "sehr wenig" Töne) - ich bin da aus anderen Gründen halt noch nicht zufrieden (z.B. nur streng Schumanns Ritardandi oder doch bissel rubato? Das ist noch ein wenig Grübelei. Schumanns Tempi oder abweichen? usw.)
 
Ok verstehe. Aber ich finde z.B. gerade das von mir benannte Stück schon ziemlich "dünn", verglichen mit einer durchschnittlichen Rachmaninov-Etüde, wenn man an Noten pro Zeiteinheit denkt... :P
 
Ok verstehe. Aber ich finde z.B. gerade das von mir benannte Stück schon ziemlich "dünn",
? von fremden Menschen und Ländern?
das hat doch:
1. Melodie
2. ein Triolenband
2.a) ab und zu ne Binnenstimme
2.b) ab und zu noch ein paar zusätzliche Fülltöne
3. einen Bass - im Mittelteil wir der Bass sogar zu einer eigenen Melodiestimme

es ist leicht spielbar (weil es keinerlei aufwändige Effekte beötigt), aber der Klaviersatz selber weist die typische Mehrschichtigkeit auf.

Das wunderbare kleine Klaviersolo im langsamen Satz von Mozarts kleinem A-Dur Konzert oder das Hauptthema von Mozarts d-Moll Fantasie (adagio) - das geht eher in die Richtung "heikel, weil kaum Töne"
 
tatsächlich bewältigt ist ein Traumstück erst, wenn es auftrittsreif dargeboten wird. (und damit meine ich kein Schülervorspiell)

Musik ist wohl echt ein Fass ohne Boden. Ich merke bei Bach allmählich wie frei das ganze ist. Wie man selber gestalten kann oder auch nicht... Noten, sind nicht gleich Noten.

auf verwachsenem Pfad - den Janacek traue ich mich mittlerweile öffentlich zu spielen,

Das finde ich auch krass! Da schließe ich mich dem Eindruck vieler Amateure an. Die Noten sind wahrlich nicht so schwer, aber das Musikalität selbst einem Vollblutprofi mitunter Kopf zerbrechen bereitet.

Ansprüche herunterschrauben, und nicht nach den "süßen Früchten" springen, die zu weit oben hängen!

Das mache ich doch nicht. Ich bin doch bescheiden und merke immer mehr, wie das ganze immer größere Dimensionen annimmt. Inzwischen bin ich doch glücklich zu Lebzeiten noch nen gescheiten Bach, Debussy, Schubert und Janacek zu schaffen. Natürlich nicht alles von denen! Und vielmehr ist mir bewusst wie wichtig das Bewusste üben ist! Das hat auch gebraucht. Anfangs war ich der Illusion erlegen, ein Stück geschafft zu haben, wenn es im tempo, rhythmisch halbwegs musikalisch erklingt. Inzwischen ist es verblüffend mitzubekommen, wie ideenreich so eine Interpretation sein kann, so völlig unwillkürlich.

Wenn man mal genau hört wie Gould einen Bach spielt!

Lg Lustknabe
 

Traumstücke scheinbar "erreicht" zu haben, bedeutet gar nichts! Die Arbeit fängt erst an, wenn man sie "bewältigt" zu haben glaubt!! Wenn hierbei der offizielle Schwierigkeitsgrad keine Rolle mehr spielt, dann ist der Level erreicht, auf dem man anfängt, Musik zu machen!

Stimmt, volle Zustimmung. Man ist halt froh, wenn man zumindest auf einen gewissen Grad der Bewältigung kommt, wo vorher nicht einmal daran zu denken war. In den von Dir beschriebenen Sphären landen viele selbst als Vollprofi kaum! Deine Beschreibung ist schön, aber auch sehr idealistisch.
 
tatsächlich bewältigt ist ein Traumstück erst, wenn es auftrittsreif dargeboten wird. (und damit meine ich kein Schülervorspiell) (...)
Traumstücke scheinbar "erreicht" zu haben, bedeutet gar nichts! Die Arbeit fängt erst an, wenn man sie "bewältigt" zu haben glaubt!! Wenn hierbei der offizielle Schwierigkeitsgrad keine Rolle mehr spielt, dann ist der Level erreicht, auf dem man anfängt, Musik zu machen!
Das finde ich auch... und es bringt auch viel, wenn man ein Stück, das man "schon kann", immer wieder spielt. Es ist enorm, was man an Sicherheit dadurch gewinnen kann... und wieviel da noch passiert im Oberstübchen.
Eines meiner Traumstücke war von Anfang an, seit ich es das erste mal gehört hatte (in einer Aufnahme von Elli Ney) die Sonate op.111
Die Sonate finde ich auch klasse - aber erst, seitdem ich die Aufnahme von Zoltan Kocsis kenne, der meiner Meinung nach dem Stück wirklich den Geist Beethovens eingehaucht hat - und auch sonst musikalisch makellos (technisch ebenso) das Werk darbringt. In meiner Jugend habe ich die Sonate für ein wenig mißglückt gehalten (aber damals wußte ich noch nicht, wie sehr man Komposition und Interpretation eigentlich trennen muß...).
 

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