Warum ist Steinway so beliebt?

[...] ich denke, dass man auch einen Bösendorfer zum Mittelmaß hin intonieren kann, und ich habe auf beiden Bösendorferschen Konzerflügeln gespielt, die beide nun nicht gerade aufdringlich intoniert waren.

Das Intonieren hat meines Wissens nach eher etwas mit dem präzisen, gefühlvollen und fachkundigen Einsatz eines Stechwerkzeuges zu tun. Wer die Fertigkeit des Intonierens nicht beherrscht versaut meiner Ansicht nach den Klang eines jeden Flügels. Ich bin keine Anhängerin von Steinway (schon weil ich nicht haben will was die meisten wollen) aber einen solchen oder einen Bösendorfer überhaupt mit dem Wort „Mittelmaß“ in Verbindung zu bringen finde ich sehr befremdlich.
 
Was ist der Unterschied zwischen Klaviatur und Mechanik? :/
 
Warum macht das nicht ein Hersteller?
 
Ich meine, warum stellt nicht Kluge z.B. Klaviatur und Mechanik her oder Renner Mechanik und Klaviatur?
 
Weil es zwei Paar Schuhe sind. Ebenso findet man selten Zahnärzte, die auch als Proktologen tätig sind.
 
Danke, Klavierbauermeister, für das Video das - ich sehe schon einige jetzt vermutlich folgenden Beiträge vor meinem inneren Auge - ja logischerweise „ein Werbevideo von Bösendorfer“ ist. Na und wenn schon! Prof. Schäfer hat doch Recht damit dass er den Studenten eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung stellt. Diese Fixierung auf Steinway missfällt mir nämlich und ihm anscheinend auch. Und weil Bösendorfer keine Mittelmäßigkeit ist sollte dieser Umstand immer mal wieder ins Bewusstsein gerückt werden.
 

Mal noch ein Beispiel, warum u.U. Steinway beliebt sein könnte.

"Geben Sie einen markanten Satz, warum Sie Steinway lieben..."

"Ich liebe Steinway, weil..."

...sie die absolut beste, fortlaufende und durchlaufende und bis in die Gründungstage zurückreichende Doku zu ihren Instrumenten haben, die es überhaupt gibt. Mag sein, dass zu bestimmten Zeitabschnitten von Bechstein oder anderen ähnlich gute Dokumentation angleeigt wurd oder ist, aber die Auslieferungsbücher von Steinway sind seit 1853 seit dem ersten New Yorker Tafelklavier mit der laufenden Nummer 483 dokumentiert.

Und wie wirkt sich das aus?

Indem Instrumente auftauchen, zu denen bereits Bücher geschrieben wurden. (ZB über Glenn Goulds Flügel, oder die Flügel von Horowitz..) Was aber von den Steinway-Infos unabhängig ist.

Und indem man Bücher schreiben kann, gestützt auf die paar mageren Infos, die sich in den Steinway -Unterlagen finden.

Mein Teilchen ist so eines, das hatte sogar das RIESENglück, im Laufe seiner 136 Jahre an der Frischluft dieses Planeten gleich zweimal in Steinways Büchern auffällig geworden zu sein.

Ich wusste, dass es solche Infos von Ibach gibt. Mir sagte man, dass das eine Kleinigkeit koste, diese Infos abzurufen, 40 oder 45 Euro, naja, das ist es einem wert. Ich wusste, dass auch Bechstein solche Infos (teils) hat, aber bei Bechstein hatte es im Krieg gebrannt.

Dann bin ich mit der Seriennummer meines Flügels, den ich gar nicht bei einem lizensierten Steinway-Händler gekauft hatte, hin zu einem alteingesessenen westfälischen Händler (und nen, es ist nicht der, der im Umfeld Dortmund hockt..), sondern zu Piano Micke, wo mich der zweite Rudi Micke, Seniorchef freundlich begrüßte. (Der erste Rudi Micke gründete das unternehmen 1935, lebt nicht mehr.)

Rudi Micke II. überreichte mir das allerletzte gedruckte Kundenjournal, und reichte mich an den dritten Rudi Micke, seinen Sohn und ebenfalls Klavierbaumeister, weiter. Immer sehr nette Gespräche da in Neubeckum, oder öfter jetzt auch mal in Münster in der Steinway-Galerie. (NB den vierten Rudi Micke, Rudi III’s Sohn, kenne ich nun auch, und was will der Junge werden? Na klaro, Klavierbaumeister in Ludwigsburg, dann Papas Nachfolger und Steinway-Händler..)

Rudi M III. notierte sich die Seriennummer meines Flügels. Anderen Tags fiel ich fast rückwärts vom Stuhle am Computer: des anderen Morgens bereits, vor neun Uhr, hatte mir eine freundliche junge Dame aus Hamburg eine PDF-Kopie derjenigen Seite des Steinway-Auslieferungsbuches zugemailt, auf der sich mein Flügel befindet.

Daraus ging hervor, dass der Flügel am 12. September 1877 fertiggestellt wurde – offensichtlich nach einigen Verzögerungen und unter Verwendung einer Seriennummern, die zuerst wohl einem anderen Instrument zugedacht gewesen war, mit handschriftlicher Durchstreichung der Ursprungs-Info und Neueintrag in der Zeile darüber. Dass es an den Hafen New York sollte, zwecks Verschiffung Richtung London via den Hafen von Liverpool.

Ein weiterer Kontakt nach Hamburg ergab dann, dass dieselbe löbliche Dame sich mit der Steinway-Niederlassung in London ins Benehmen setzte.

Und deren Geschäftsunterlagen ergaben folgende Story:

Der Flügel wurde im Januar 1878 an einen Mr. Stubbs nach Liverpool verkauft. …

Dann tauchte der Flügel in London 1920 nochmal auf: er wurde seitens Steinway Hall London angekauft von der Vorbesitzerin, einer Lady Vincent, und dann kurz darauf – wohl nach Überarbeitung – an einen Mr. Gibbs nach Schottland verkauft.

Mit diesen paar noch etwas mageren Infos konnte ich dann reichhaltig rechercherien. Heraus kam folgendes: der Erstkäufer Mr. Stubbs war offenbar der Chef des Preisterseminars Liverpool der anglikanischen Kirche, und der Flügel diente – anstelle einer Orgel - der Ausrüstung der Kapelle des Seminars. Zum sonntäglichen usw. Gesange, anzustimmen ein „Großer Go-hott, wir looo-hoo-ben dich…“

Mr. Stubbs – wenn es denn der war – war in der Kirche engagiert mit Nähe zur englischen Arbeiterbewegung bzw. Liverpool, also ich sage mal wohl so eine Art kleiner Pater Kolping vgl. in Deutschland, Kolpingwerk etc. Das muss damals einigen seiner Öberen nicht immer nur gefallen haben in Christlicher Nächstenliebe, denn zu seinem Lebensalter passte dann, dass er später zum Bischof befördert wurde – was wohl unausweichlich war. Dafür aber verbrachte man ihn ca. an den Arxxxxx der anglikanischen Welt: er bekam die Diözese Truro in Cornwall zugeschanzt.

Also, Bischof ja, aber möglichst weit weg, dass man ihn möglichst selten noch sehe, weil weit weg, oder so.. <tüüüdeliii düüü>.

Die Lady Vincent wird hochwahrscheinlich eine junge Musikerin gewesen sein, meine Vermutung geht auf eine gebürtige Amerikanerin, Sängerin oder Pianistin, die in den englischen Hochadel eingeheiratet hatte und das Instrument von 1910 bis 1920 besaß. Genaueres noch herauszufinden.

Es gab ehedem eine Musikalienhandlung Gibbs in Edinburgh, Schottland. Heute gibt es die nicht mehr, aber es gibt in der Altstadt noch einen Pub, „Ma Gibbs“, wenn ich das gerade im Kopf richtig memoriere. Was dann geschah mit dem Flügel, von 1920 bis 2009, das weiß ich noch nicht.

= = = =

Jetzt habe ich heute eine kleine muntere Reise gemacht, um in Hannover Reifen abzuholen, die ich bei einem Altbenz-Kollegen gekauft hatte. Auf der Hinreise heute mittag war ich eine knappe Stunde zu früh in Hannover, und da dachte ich mir…:

..dachte ich so…

…gehste doch mal bei dem Klavierbauer gucken, der dir damals das Dingen verkauft hat. Der damals etwas schweigsam war zur Herkunft des Flügels. Klavierbauer haben immer so ihre kleinen Geheimnisse… Insbesondere mögen sie wohl nicht, dass der Käufer eines Flügels wisse, wie wenig sie selber zuvor dafür bezahlten…
;-)
Der nur gesagt hatte, das Ding sei heruntergekommen und defekt gewesen, und er habe da einen Tip bekommen gehabt...

Ich fuhr hin, aber der Mann war nicht da. Als ich gerade fahren wollte, kam er an, er brauchte, um ein Klavier zu stimmen, noch was aus seiner Werkstatt. Freute sich, dass er mich sah, von dem Flügel habe man ja sonst so gar nichts mehr gehört… Nun, ich wies ihn darauf hin, wo es im Web Infos hierzu gebe.. Daran war er sehr interessiert. War erstaunt, was es alles an Infos gab, ausgehend von der Seriennumer in den Geschäftsunterlagen Steinway, und was man damit alles so herausfinden kann...

Und er gab mir eine Telefonnummer in Schottland, von einem Klavierbauerkollegen, der ihm damals den Tip gegeben hatte.

Yippie Yeah! Nun geht es mit der Recherche weiter. Die "schottische Lücke" im Lebenslauf eines Klavieres zu schließen...

Das Ding ist in seinem langen langen Flügel-Leben so weit herumgekommen, darüber kann man ein ganzes Buch schreiben.

Ausgehend von einigen wenigen, sehr sorgfältig bei Steinway aufgezeichneten Informationen, die sie mir in Hamburg freigiebig mitteilten, und mit ein wenig weiterer eigener Recherche.

..und warum machte ich das?

Nun, die Lady will – zwecks Auffrischung ihrer Sprachkenntnisse – sie ist u.a. Englisch-Lehrerin – auf diese Teefix-Insel, die zu besuchen ich bis dato immer mied, weil, Camping, Wohnwagen, Fähre, teures Vergnügen, außerdem auf der falschen Straßenseite herumfahren sollen…

Jetzt habe ich mich breitschlagen lassen, mitzukommen – Conditio: kleine Rundreise an des Flügelis alte Stationen…

Also, was ist einzigartig bei Steinway? Die bis ins Gründungsjahr 1853 zurückreichende Liefer-Doku.
 
Flügel haben eine Seele. Zu wissen, was dem Flügel in seinem langen Leben widerfahren ist, belebt die eigene.

Leider weiß ich nur sehr wenig über meinen.

Vielen Dank, Wiedereinaussteiger, für diesen Erlebnisbericht.
 
manchmal haben Pianisten sowas auch... z.B. der alte Rubinstein mit seinem unverwechselbaren Klang, den er anfangs auf Bechstein und danach fast nur noch auf Steinway realisierte :) ...oder der alte Horowitz...
...vielleicht gehört zum guten an Steinway ja auch, dass Leute wie Rubinstein und Horowitz sich für diese entschieden :):)
 
Sicher, aber die Leute sind ja Steinway Artists, und ich glaube, die bekommen auch Geld dafür, denn sie machen ja Werbung für Steinway. Oder irgendwas anderes.
 
Kein Weltklasse-Pianist entscheidet sich für einen "schlechteren" Flügel, nur weil man ihm den Chefstimmer des Hauses mit auf Tournee schickt oder drei Flügel zur Auswahl auf die Bühne stellt. Was teilweise sogar bezahlt werden muss... Nee, erst mal muss die Basis stimmen ...
 
Sicher, aber die Leute sind ja Steinway Artists, und ich glaube, die bekommen auch Geld dafür, denn sie machen ja Werbung für Steinway. Oder irgendwas anderes.
glaubst du ernsthaft, Horowitz oder Rubinstein hätten als Haupteinnahmequelle Werbungsgagen von Steinway gehabt?... oder dass die, wenn die Kohle fett rüber kommt, ihre Aufnahmen auf jeder Gurke absolviert hätten (und das auch noch überragend gut)? ... ...nee, das glaubst du selber nicht, oder?

Nachtrag: gerade sehe ich, dass fisherman es auf den Punkt gebracht hat!
 
Ich habe auch nie behauptet, dass Steinway schlecht ist, aber es hat einen Grund, DASS sie Steinway Artists sind. Es muss ja nicht das Geld sein. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es die Pianisten bekannter macht, wenn sie Steinway Artists sind. Sonst wären sie das nie geworden und hätten sich lieber spontan für ein Instrument entschieden, da bin ich ziemlich sicher.
 
Ja, und sicher kannst du sie bald auf eben diesem Bösendorfer im großen Saal spielen :cool:
 

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