Wann ist genug genug

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pianosurfer

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Moin

Heute mal eine etwas philosophische, und definitiv auch rhetorische Frage. Rhetorisch in dem Sinne, dass ich weiss und akzeptiere, dass man nie auslernt.

Angestossen durch die Aufnahme-Diskussion im anderen Faden, wollte ich aber mal herumfragen, wie ihr es für Euch haltet mit "wann reicht es fürs erste (und zweite, und dritte)", und ihr lasst fünf gerade sein, und wendet Euch dem nächsten Stück zu.

Ich habe nämlich gestern mal jenes Stück aufgenommen, welches ich vor über 15 Jahren mit meiner damaligen Lehrerin angefangen hatte (Pathetique dritter Satz). An damals kann ich mich nicht mehr recht erinnern, ausser dass ich es wohl (pseudo-) auswendig gekonnt haben muss, denn sie hat es mich auswendig vorspielen lassen, und ich hatte ein blackout. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ich den Satz noch gar nicht ganz auf Tempo bekommen hatte (nach ca 6 Monaten oder so), also im Nachhinein würde ich denken, eigentlich nicht aufführwürdig.

Inzwischen kann ich das Stück auf Tempo, definitiv auswendig und bilde mir ein, auch den musikalischen roten Faden zu vermitteln. Dennoch, mit hoher Wahrscheinlichkeit komme ich nicht durch (ich übe sozusagen das Überspielen, und nicht ganz rausgeschmissen zu werden.) Und dann diese Passagen in der linken Hand, die eigentlich schon saßen.. Und das, nachdem ich gerade noch mal recht viel Zeit darauf verbracht hatte, neu erlernte Techniken/Tricks im nachhinein darauf anzuwenden ( was es auch definitiv verbessert hat).

Daher meine Frage, wie geht ihr damit um, also wie lange übt ihr zu einer bestimmten Zeit ein Stück. Bzw soll ich mich jetzt noch mal weiter durchbeissen, oder vielleicht noch mal einige Zeit verstreichen lassen. Und diejenigen (Amateure), die Konzerte geben, wie gut könnt ihr diese Stücke?

Man liest ja oft von neue Stücke erarbeiten, und Repertoire nicht verlieren. Das gibt's bei mir gar nicht so, denn Repertoire ist bei mir immer noch verbesserungswürdig.. Damit verbringe ich auch immer mal wieder Zeit (zB im Nachhinein noch mal "richtig" auswendig lernen. Oder irgendwelche Techniken anwenden, die ich so nicht kannte/ zB durch neuen Lehrer).
 
Ich uebe normalerweise fuer Konzerte oder einmal auch fuer eine Aufnahme. Da ist natuerlich in verschiedener Hinsicht ein moeglichst hohes Niveau gefragt:

- Ich will sicher sein, d.h. keine Gedaechtnisluecken, keine Verspieler, so dasz man neu ansetzen mueszte.
- Der Notentext soll rhythmisch und von den Toenen her moeglichst sicher sein (also keine "Verspieler" in fuehrenden Stimmen). Wenn einmal ein Ton daneben geht, geht er eben daneben. Ich mache mich damit nicht wahnsinnig, das waere kontraproduktiv.
- Die Gestaltung musz stimmig und interessant sein. Das ist der schwierigste, am meisten Arbeit benoetigende Punkt. Ich will auch wissen warum ich es so mache, wie ich es mache. D.h. ich mache mir die eigene Interpretation bewuszt. Das ist wichtig, da man im Konzert bei Irritationen auf diese intellektuelle Schiene zurueckgreifen kann, z.B. wenn die Inspiration versagt/irritiert ist durch Unruhe im Publikum, unerwartet schlechtes Instrument (bei Laienmusiker sehr haeufig der Fall), seltsame Akustik, oder andere Faktoren.
-Ich versuche, mir selbst beim Spielen zuhoeren zu koennen. Das setzt hohe Sicherheit im Notentext voraus.
-Ich will unbedingt jedes Detail im Hinblick auf das Ganze gestalten. Also keine Ansammlung "schoener Stellen" sondern ein geschlossenes Ganzes. Deswegen lerne ich auch auswendig. Zu jedem Zeitpunkt habe ich dann den Ueberblick. Ich bin nie ueberrascht, was kommen wird. Den Hoerer ueberrasche ich aber trotzdem, aber eben bewuszt.

Meist spiele ich die Stuecke dann in ein oder zwei Hauskonzerten und vergesse sie dann zumindest fuer ein paar Jahre wieder. Manche hole ich wieder heraus, dann beginnt die Vorbereitung von vorn. Man hofft natuerlich auf einen "Fortschritt", manchmal aendert sich aber nur der Blickwinkel. Die Interpretation ist dann nicht unbedingt besser, nur eben anders.

Der Weg bis zu dem Niveau ist nicht unbedingt geradlinig bei mir: Manchmal beginne ich, lasse es liegen, z.B. weil eine dringende Begleitaufgabe kommt, hole es wieder hervor, beschaeftige mich nach einer gewissen Zeit aber mit anderen Schwerpunkten des Programms usw.. Das Liegenlassen ist aber wichtig und hilft. Ich lerne das Stueck damit innerhalb eines Jahres dreimal "neu", d.h. ich versuche sogar, es zu vergessen. Manchmal geht das nicht (mehr), dann sitzt es ziemlich sicher. Auch musikalisch versuche ich es jedes Mal mit neuen Augen zu sehen.

"Repertoire" habe ich als Laie nicht. D.h. ich musz fuer jedes (Haus)konzert die Stuecke vorher sorgfaeltig ueben. Mir fehlt aber einfach die Zeit zur Repertoirepflege, auszerdem will ich Neues entdecken. D.h. aber natuerlich auch, dasz ich niemals ueber ein Niveau (wenn ueberhaupt!) von Hochschulklassenkonzerten hinauskomme: Dort werden Stuecke auch mehr oder weniger das erste Mal einem Publikum vorgestellt und im Konzert erprobt. Das kann man nicht damit vergleichen, dasz jemand irgendein Stueck oder Klavierkonzert zum (x-)hundertsten Mal auffuehrt und es viele Jahre immer wieder in Konzerten gespielt hat.

Der alternde Liszt wurde uebrigens einmal gefragt, warum sein Konzertrepertoire auf dem Klavier so klein sei, waehrend andere viele verschiedene Stuecke spielten. Liszts Anwort darauf war, dasz er die wenigen Stuecke dann wenigstens beherrsche. So kann man es natuerlich auch machen, aber das waere mir und meinen Bekannten einfach zu langweilig. Jedes Jahr die gleiche Beethovensonate .:puh:Dann lieber hoeheres Risiko.

Jannis
 
Das kann ich als Amateur frei entscheiden. Wenn mir ein Stück über ist, lege ich es weg. ;-)

Also ich handhabe es recht unterschiedlich, wie lange ich an neuen Stücken arbeite. Einiges lege ich weg, sobald es halbwegs vom Notenblatt durchspielbar ist, einiges wird länger bearbeitet, bis es nichts mehr nennenswert zu verbessern gibt und einiges wird hin und wieder mal wieder hervorgeholt und weiter dran gefeilt.

Was ist in welche Kategorie kommt, hängt natürlich davon ab, wie wichtig mir die jeweilige Literatur ist. Konzerte gebe ich jedoch keine und Beethoven-Stücke vom Schwierigkeitsgrad der Pathetique spiele ich nicht.
 
Ein guter Zeitpunkt, um ein Stück vom Übeplan abzusetzen ist dann, wenn es einem zum Halse heraushängt.

Ein weiterer guter Zeitpunkt ist dann, wenn man ehrlicherweise feststellt, dass das Stück zu schwer ist, dass man sich übernommen hat.

CW
 
Ein guter Zeitpunkt, um ein Stück vom Übeplan abzusetzen ist dann, wenn es einem zum Halse heraushängt.

Ein weiterer guter Zeitpunkt ist dann, wenn man ehrlicherweise feststellt, dass das Stück zu schwer ist, dass man sich übernommen hat.

CW
Zustimmung erstmal .

Diese beiden aber mal ausgeklammert - Stück ist machbar, und hängt auch gerade noch nicht zum Hals raus.

Die Frage ist daher generell, und an alle Könnenstufen gerichtet. Das Zitat von Liszt von oben war interessant, denn darum geht es wahrscheinlich - will/ soll man so perfekt wie zu diesem Zeitpunkt gerade möglich werden, oder erst mal anderen Stücken Vorrang geben. Ich denke, es hängt von der nötigen Zeit ab - die restlichen Prozente würden einfach zu viel Zeit kosten, oder?
 
Ich spreche jetzt als Blinder zu Sehenden, da ich noch nicht so weit bin, Klavier-Literatur auch nur ansatzweise zu beherrschen. Allerdings greife ich jetzt auf meine kurze Erfahrung des Klavierspielens zurück und sage: Ich höre unabhängig von einer zeitlichen Limitierung dann auf, wenn ich rein subjektiv der Meinung bin, es hat keinen Sinn mehr und eine weitere auch intensive Beschäftigung würde keine messbare Verbesserung bringen. Dies zum negativen Fall. Im positiven Fall höre ich mit einem Stück auf, wenn ich glaube, dass dies jetzt für meine Ansprüche "ganz gut" klingt und ich damit zufrieden bin. Dann gehe ich das nächste Stück an.
 
Das Zitat von Liszt von oben war interessant, denn darum geht es wahrscheinlich - will/ soll man so perfekt wie zu diesem Zeitpunkt gerade möglich werden, oder erst mal anderen Stücken Vorrang geben. Ich denke, es hängt von der nötigen Zeit ab - die restlichen Prozente würden einfach zu viel Zeit kosten, oder?

Bitte mach Dich einmal von der Idee der perfekten Interpretation frei. Die gibt es naemlich nicht. Es gibt nur Interpretationen, welche verschiedene Aspekte eines Stueckes verschieden stark betonen (auch solche, die nur "brav alle Noten spielen" wollen).
Wenn ich musikalisch weisz, was ich will, ist es selten, dasz es technisch ueberhaupt nicht funktioniert. Klar, manche Stellen musz man "hart trainieren", aber irgendwann gehen auch die. Meist ist aber der Prozess, die musikalische Interpretation schluessig hinzubekommen, langsamer. Ich musz immer eine Zeit lang "mit dem Stueck leben".
Horowitz hat uebrigens einmal gesagt: "I don't want perfection". Ja, er spielt ziemlich viele falsche Toene gemessen an anderen Pianisten meinte aber etwas anderes: Er spielt ungleich lebendiger, sicher aber alles andere als "perfekt". Trotzdem oder gerade deswegen lieben wir ihn. Es gibt wohl niemanden, der sich seinem Zauber entziehen koennte. Sein Spruch koennte zwar als "fishing for compliments" verstanden werden, war es aber nicht: Die Spontaneitaet und Lebendigkeit zaehlte immer zu seinen Zielen, das "Schaffen aus dem Augenblick". Perfektion, das klingt steril und unabaenderbar, das wollte er nicht.
Jannis
 
Bitte mach Dich einmal von der Idee der perfekten Interpretation frei. Die gibt es naemlich nicht. Es gibt nur Interpretationen, welche verschiedene Aspekte eines Stueckes verschieden stark betonen

und diese Interpretationen wandeln sich so wie der Mensch, der sie im Repertoire hat, mit dem älter werden wandelt.

Sehr schönes Beispiel finde ich die Goldbergvariationen von Gould. Erste Aufnahme von 1955, nachdem er sie fünf Jahre zuvor mit 17 angefangen hatte zu studieren.

Die zweite Aufnahme 26 Jahre später unterscheidet sich in vielen Dingen von der 1955er Interpretation.
Ob einem jetzt diese zweite Aufnahme besser oder schlechter gefällt, darauf möchte ich gar nicht hinaus.

Aber wenn sich schon ein Ausnahmepianist stetig in seiner Sicht auf seine Repertoirestücke wandelt, dann wird sich dies bei Anfängern und Hobbypianisten noch stärker zeigen.

Denn hier findet ja im Gegensatz zu Profis zu der geistigen Entwicklung auch eine stetige technische Entwicklungstatt, ein Stück verändert sich mit steigernder Technik.

Fazit für mich: es gibt nur ein "jetzt im Moment ist es genug" bei der Beschäftigung mit Stücken, kein generelles "Genug".

Und das ist das absolut geniale am Klavierspielen und macht für mich die Faszination dieses Hobbies aus.
 
Bitte mach Dich einmal von der Idee der perfekten Interpretation frei.
Jannis
Nein keine Sorge, ich bin eigentlich viel eher ein 80/20 Mensch. Ich habe aber das Gefühl, es wird von der Umwelt (und vielleicht auch den Lehrern) erwartet und dazu gedrängt. Als ich mir meine Aufnahme anhörte, habe ich mir die ganze Zeit vorgestellt, wie sie hier zerpflückt werden würde, wenn ich sie jetzt einstellen würde. Das wäre nämlich definitv so, aber vielleicht hat das auch mit der Natur des Menschen zu tun..

Du spielst bestimmt noch mal einen ganzen Tacken besser als ich . Allerdings vergleiche ich mich selbst inzwischen schon mit den großen Interpreten, ich finde das soll man ruhig auch, wenn die Technik eigentlich schon relativ fortgeschritten ist, dann auch den bestmöglichen - wie soll man es nennen - Vortrag anzustreben. Dass man dem im Endeffekt bestenfalls auf Entfernung nahe kommen kann, ist eine andere Sache, und es muss auch nicht frustrieren. Auf der anderen Seite interessieren mich die Aufnahmen der asiatischen Roboter überhaupt nicht. Klar , die sind mega-virtuos, aber ich bin es nicht - das ist für mich irgendwie keine Messlatte, sozusagen irrelevant.
 
Als ich mir meine Aufnahme anhörte, habe ich mir die ganze Zeit vorgestellt, wie sie hier zerpflückt werden würde, wenn ich sie jetzt einstellen würde.
Sogar das sollte dich nicht davon abhalten, etwas einzuspielen, dieses mitsamt den Fehlern hier zu posten. Das bist du und das ist dein Stand, der sich weitgehend verbessert. Egal, ob langsam oder schnell.

Konstruktive Kritik braucht jeder Klavierspieler. :super: Über lustige Stimmen hört man halt hinweg, wie die Hustereien im Konzert. :-D
 

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