Üben und Interpretation

  • Ersteller des Themas philomela
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....muss ich mich der hier angedrohten allgemeinen Stäupung preisgeben, weil ich z.B. morgen erst gegen 12 aus dem Haus gehe und bis dahin außer der Konsumierung von Kaffee und Zigaretten (beides besteuerte Konsumgüter, eins davon sogar ein Genußmittel) nichts zur Verbesserung der Welt beitragen werde?

Aber nein, der Schlaf sei dir gegönnt, vielleicht findest du ja bis morgen Früh noch Zeit ein paar meiner Fragen zu beantworten, dann hab' ich zum Trost wenigstens eine nette Lektüre zum Kaffee. :D:D:D
 

Na die da - zu den Urtexten hat ja Gómez schon einiges geschrieben.

Objektive Interpretation, (ich glaube mich zu erinnern, Anklänge hier in Flips Beitrag gelesen zu haben) - das kann es doch gar nicht wirklich geben, oder? Wenn es die gäbe, dann existierte doch längst die einzig wahre Interpretation, neben der andere nicht mehr bestehen könnten. Oder verstehe ich da etwas falsch?

Interpretationen in Werkseditionen - ich denke da zum Beispiel an die Ausgabe der Bachinventionen von Busoni. Wer ist eigentlich die Zielgruppe solcher Ausgaben, allein der Hobbypianist? Man möchte ja meinen, dass der Profi sich bei der Erarbeitung seiner Interpretation an einen Urtext hält.

Urtexte - Ich habe unlängst in einem Interview mit Leslie Howard gelesen, dass die Henle Ausgabe der h-Moll Sonate 6 oder 7 Fehler aufweist - inwiefern sichert sich ein Interpret eigentlich ab, ob die Notenausgaben die er verwendet tatsächlich fehlerfrei sind? Ich dachte eigentlich, dass man mit einer Urtext Edition eines namhaften Verlages auf der sicheren Seite sei.

Orchester - interpretiert eigentlich ein Orchestermusiker? Das geht doch irgendwie gar nicht, da würden sich ja Dirigent und Musiker gegenseitig im Weg stehen. Ist praktische Interpretation somit nur Dirigenten und Solisten bzw. kleinen Ensembles vorbehalten?

Der kognitive Prozess aus Philomelas zweiten Beitrag lässt mir auch keine Ruhe. Für mich ist Kognition nie rein rational - emotionale Erfahrungen gehören für mich dazu, oder beeinflussen die Kognition zumindest erheblich. Scheinbar wird das aber von einigen anders gesehen. Tja bleibt also noch die Frage, ist Interpretation rein rational?

und die noch:

https://www.clavio.de/forum/188512-post137.html

Natürlich nur wenn du auch Lust dazu hast. :)

Gute Nacht! PP
 
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ok, der Reihe nach:

klar kann man völlig emotionslos die Appassionata üben (was sollte auch permanent rabenschwarze Stimmung beim trainieren der fiesen Abschnitte des Finales nützen?) - spielt man sie dann vor, hat man hoffentlich die Praeliminarien absolviert und denkt an relevanteres: indem man das klangliche Geschehen miterlebt.

objektive Interpretation? damit ist vermutlich gemeint, dass irgendwer nix anderes als den blanken Notentext darbietet - - na ja, das ist so eine Chimäre wie das vorlesen von Texten ohne Pausen am Satzende, ohne Betonungen, Sprachmelodie usw usw ------ kurzum: Mumpitz :D

in den Werkeditionen die Bearbeitungen/Hinweise von Editoren: hochinteressant, wenn sie für bestimmte Zeiten typische Interpretationsstile fassbar machen - z.B. ist es interessant, nachzuvollziehen, wie Busoni Bach klingen lassen wollte. Also: rezeptionsgeschichtlich sehr interessant.

Urtexte: hat man welche, ist das schön. Bleiben einzelne Details ungeklärt, muss man Entscheidungen treffen (und sich diese gut überlegen). Ein Exempel: auch die Urtextausgaben der h-Moll Sonate von Liszt klären nicht restlos alle Fragen - gottlob gibt es die Arrau-Ausgabe mit dem Faksimile des Lisztschen Manuskripts. Also guckt man sich das alles an, wenn mans ernst meint.

...wenn sich ein Orchestermusiker ohne Rückhalt in der Partitur solistisch gebärdet, wird er den Taktstock des Dirigenten zu spüren bekommen ---- das wäre dann eine allgemeine öffentliche Stäupung :D:D

kognitiv, emotinal - ja saperlot, warum denn trennen? warum trennen, als sei man der Papst und wolle partout Körper und Seele auseinanderdividieren?? Ist doch auch Mumpitz: natürlich beides.

herzliche Grüße,
Rolf
 
Mit anderen Worten: welche begrenzenden Faktoren gibt es, welcher Art auch immer (abgesehen von der spielerischen Technik, die ja Präsupposition ist), beim Erarbeiten einer "Interpretation"?

vielen Dank,

nochmals, für die Antworten von vielen Seiten. Ich fasse für mich einmal zusammen:
- hohes musikalisches Wissen, Erfahrung und Gespür ist vonnöten
- wie eine Interpretation klingt, kann durchaus stark vom jeweiligen Zeitgeist abhängig sein

Was dann wohl auch bedeuten kann: Aufführungen werden, um dem Publikum zu gefallen und nicht zu mißfallen, dann u.U. in bestimmtem Stil dargeboten, und nicht orientiert an dem, wie es der Interpret/die Interpreten gerne täten - oder was musikalisch-künstlerisch das schönste wäre - wobei dieses "schönste" natürlich auch sofort subjektiv empfunden wird.

Das würde auch bedeuten: man muß die wichtigsten solcher (bisherigen) Stile auch kennen, um eine eigene Interpretation zu erarbeiten - damit man weiß, wo man sich bewegt, oder hinbewegen möchte, grobe Fehler der Vergangenheit nicht gedankenlos wiederholt, oder verschiedene Stile unwissend mischt - wie jemand, der ein Liebesgedicht schreibt, in dem das Wort "Kernphysik" vorkommt (ironisch gemeint - ich möchte damit nicht einem Physiker zu nahe treten ;)).

@PP

Das mit dem Singen - weiß nicht, ob dazu noch eine Antwort kommen wird, vorsichtshalber gebe ich eine. Für mich selbst muß beim Singen eine emotionale Grundlage da sein, sogar noch mehr als das. Sonst wirkt der Gesang besonders "aufgesetzt" oder "künstlich". Das tut er natürlich bei mir als Anfänger-Hobbysinger sowieso - nur es geht immer noch schlimmer.

Schöne Grüße
Dreiklang
 
Da Rolf in einem anderen Faden einige interessante, relevante und wissenswerte Dinge bezüglich Interpretation schrieb, möchte ich diese gern hierhin "verlinken":

(2)
raffiniert formuliert :) sind die "vieldiskutierten Interpretations-Konventionen, wie Komponisten zu klingen habe" :D - - (...)
Selbstredend gab und gibt es Interpretationsstile, die auch obsolet werden können - berühmte Beispiele sind der ppp säuselnde Rubatosylphe Chopin (eine Deutung, die auf einer diesen Komponisten letztlich verharmlosenden Rezeptionshaltung aus der 2. Hälfte des 19. Jh. stammt und in der 1. Hälfte des 20. Jh. widerlegt wurde) oder der "Spieldosenmusik-Mozart".
Ich glaube allerdings, dass Du hiermit vielleicht etwas verkürzte und oberflächliche schlagwortartige Bilder meinst - wenn das so ist, dann gebe ich Dir hierin völlig recht: Chopin weltschmerzt nicht immer pianissimo, Mozart bedient nicht immer eine Spieldose, Wagner lärmt nicht immer pompös, Liszt wütet nicht immer virtuos, Bach betet nicht rund um die Uhr usw usw :)
Gottlob aber gibt es nicht nur die Musikgeschichte, die Musikwissenschaft und die Rezeptionsgschichte sowie die Interpretationsgeschichte, sondern all dieses Material wird permanent be- und verarbeitet. Dabei wird oft genug und auch sehr umfänglich das Werk einzelner Komponisten untersucht - die Konsequenzen solcher Arbeiten sind nun doch etwas anderes als die schlagwortartigen Bilder. Selbst wenn diese kein endgültig festgelegtes "Interpretationsmuster" herstellen können, so können sie doch abwegigen Unsinn wegfiltern (wie z.B. den Spieldosenmozart) - salopp gesagt: Brahms muss außerhalb der ungarischen Tänze nicht wie ein Zigeunergeiger klingen (...)

Schönen Gruß, Dreiklang
 
ok, der Reihe nach:

klar kann man völlig emotionslos die Appassionata üben (was sollte auch permanent rabenschwarze Stimmung beim trainieren der fiesen Abschnitte des Finales nützen?) - spielt man sie dann vor, hat man hoffentlich die Praeliminarien absolviert und denkt an relevanteres: indem man das klangliche Geschehen miterlebt.

objektive Interpretation? damit ist vermutlich gemeint, dass irgendwer nix anderes als den blanken Notentext darbietet - - na ja, das ist so eine Chimäre wie das vorlesen von Texten ohne Pausen am Satzende, ohne Betonungen, Sprachmelodie usw usw ------ kurzum: Mumpitz :D

in den Werkeditionen die Bearbeitungen/Hinweise von Editoren: hochinteressant, wenn sie für bestimmte Zeiten typische Interpretationsstile fassbar machen - z.B. ist es interessant, nachzuvollziehen, wie Busoni Bach klingen lassen wollte. Also: rezeptionsgeschichtlich sehr interessant.

Urtexte: hat man welche, ist das schön. Bleiben einzelne Details ungeklärt, muss man Entscheidungen treffen (und sich diese gut überlegen). Ein Exempel: auch die Urtextausgaben der h-Moll Sonate von Liszt klären nicht restlos alle Fragen - gottlob gibt es die Arrau-Ausgabe mit dem Faksimile des Lisztschen Manuskripts. Also guckt man sich das alles an, wenn mans ernst meint.

...wenn sich ein Orchestermusiker ohne Rückhalt in der Partitur solistisch gebärdet, wird er den Taktstock des Dirigenten zu spüren bekommen ---- das wäre dann eine allgemeine öffentliche Stäupung :D:D

kognitiv, emotinal - ja saperlot, warum denn trennen? warum trennen, als sei man der Papst und wolle partout Körper und Seele auseinanderdividieren?? Ist doch auch Mumpitz: natürlich beides.

herzliche Grüße,
Rolf

Lieber Rolf,

Vielen Dank für die Antworten und vor allem für die Befreiung vor Alpträumen mit Roboterpianisten! :kuss:

Herzliche Grüsse, PP
 
Hallo Flip,

Bitte auch dich noch um Entschuldigung für die Verwechslung, soll nicht mehr vorkommen!

Ich weiß nicht wer den Begriff "objektive Interpretation" ins Spiel gebracht hat, ich wars jedenfalls nicht.

Nun die "objektive Interpretation" habe ich ins Spiel und hier mit dir in Verbindung gebracht:

Objektive Interpretation, (ich glaube mich zu erinnern, Anklänge hier in Flips Beitrag gelesen zu haben) - das kann es doch gar nicht wirklich geben, oder? Wenn es die gäbe, dann existierte doch längst die einzig wahre Interpretation, neben der andere nicht mehr bestehen könnten. Oder verstehe ich da etwas falsch?


2. den, der mit emotionaler Distanz, aber zugleich sehr wohl um die Hintergründe wissend, den (Noten-)Text spielt. Aber immer in dem Bewusstsein, dass er den Text nur wiedergibt.
Ich tendiere zu 2.

Worin unterscheidet sich diese Art die Interpretation zu sehen von der "objektiven Interpretation"?

LG, PP

PS: Danke für die Links, werde sie mir bald zu Gemüte führen.
 
Liebesgedicht schreibt, in dem das Wort "Kernphysik" vorkommt
Romanze eines Eisen( 58 ).
O mein geliebtes Plumbum.
Du bist so schön und so geladen.
Deine 82 Protonen regen in mir
Quadrupolzustände an.
Ich möchte Dir nahe kommen,
Deine 116 Neutronen spüren,
mich von Deinen Gluonen halten lassen.
Lass uns fusionieren
und ein Hassium(267) gründen.
Viele süße Alphateilchen und Neutronen
sowie hochenergetische Photonen
werden wir einst emittieren.

:kuss:
 
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Ich behaupte z. B. nicht, dass es eine "einzig wahre Interpretation" gibt. Gleichwohl sind einige Interpretationen bezogen auf Quellen, hist. Aufführungstradition und Biographie d. Komponisten schlüssiger als andere.

Hallo Flip,

Die "einzig wahre Interpretation" ist ja auch nur meine Schlussfolgerung aus dem was ich darüber gelesen habe. Möchte nicht ausschliessen, dass ich das falsch verstanden habe. :p

LG, PP
 
...Meisterkurse im Anfängerbereich zu diskutieren, ist heikel...
Aber was willst Du da diskutieren? Da wird guter Unterricht gezeigt, allerdings sind die Lernenden schon auf einem sehr hohen Level.

Klar, Anfänger haben da eher wenig zu diskutieren, weil sie ja von der Materie noch fast nichts verstehen.

Aber so pauschal zu behaupten: Meisterkurs = guter Unterricht, über den es nix zu diskutieren gibt, das erscheint mir doch äußerst gewagt.

Ich habe schon Meisterkurse miterlebt oder als Ausschnitte auf Video gesehen, wo zwischendurch auch fragwürdiger, diskussionswürdiger Unterricht stattfand!

LG,
Hasenbein
 
Klar, Anfänger haben da eher wenig zu diskutieren, weil sie ja von der Materie noch fast nichts verstehen.

jaa das denke ich auch.
Aber ich fand es unheimlich interessant zu gucken.
Vor allem erstaunt hat mich, das Barenboim bei Lang Lang immer wieder den Puls (mit freundlichen Worten...) bemängelt.

Auf so einem hohen Niveau hättte ich jetzt nicht gedacht, das es um solche -im Grunde Basisprobleme- geht (wenn natürlich auch bei einem sauschweren Stück).
Das Synkopen ihre Wirkung verlieren wenn man den Rhythmus nicht hält lernt man ja schon recht früh.

Oder ist das die Schwierigkeit auf so hohem Niveau, das man im Grunde nicht nur interpretiert, sondern fast schon zu viel interpretiert, zu frei spielt, so das dann solche Probleme auftauchen?

Eine gute Nacht an alle wünscht
Manha
 
Vor allem erstaunt hat mich, das Barenboim bei Lang Lang immer wieder den Puls (mit freundlichen Worten...) bemängelt.

Auf so einem hohen Niveau hättte ich jetzt nicht gedacht, das es um solche -im Grunde Basisprobleme- geht (wenn natürlich auch bei einem sauschweren Stück).

Tja, so sieht's aus.

Und es ist ein schönes Gegenbeispiel zu Rolfs großspuriger Behauptung, die Spieler in Hochschulen / Meisterkursen hätten die spieltechnischen Dinge alle gemeistert, und es ginge nur noch um interpretatorische Feinheiten.

Und es ist nicht so, daß Lang Lang "zu frei" spielt; vielmehr hat Lang Lang das Problem sehr vieler Chinesen, nämlich ein mangelhaft ausgeprägtes Rhythmusgefühl. Und davon merkt man zwar meist nicht viel, er schafft es gut, das zu kaschieren, aber an einigen Stellen eben doch.

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Tja, so sieht's aus.

Und es ist ein schönes Gegenbeispiel zu Rolfs großspuriger Behauptung, die Spieler in Hochschulen / Meisterkursen hätten die spieltechnischen Dinge alle gemeistert, und es ginge nur noch um interpretatorische Feinheiten.

nun... Trivialitäten wie schnelle Läufe, Passagenwerk, Oktaven, Akkorde (egal ob bequem oder unbequem liegend), von laut-leise usw. zu schweigen etc. hat Lang-Lang drauf - - - das, werter Hasenbein, können von sämtlichen Klavierspielern nicht eben die meisten von sich behaupten!! Und siehe da: derart triviale technische Angelegenheiten sind nicht der Gegenstand der verlinkten Meisterkursvideos.

Was Barenboim zu verbessern anleitet, ist die Prägnanz und Wirkung - und das kann man nicht unterhalb der technischen Hausaufgaben.
 

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