Tschaikowsky KK 2

mick

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Hallo zusammen, ich würde gerne wissen, ob jemand von euch schon mal das 2. Tschaikowsky-Konzert in der Langform (mit den von Siloti gestrichenen Passagen und Annäherung an die originalen Tempoangaben Tschaikowskys) aufgeführt hat. Wenn ja: wie kam das beim Orchester und beim Publikum an? Sind die Längen, vor allem im 2. Satz, im Live-Konzert zumutbar?

Ich würde das Konzert gerne in dieser "Langform" spielen. Ob ich es in dieser Form auch gerne dirigieren oder anhören würde, da bin ich mir nicht ganz so sicher. Die Aufführungsdauer übertrifft dann schließlich die des 2. Brahms-Konzertes - nur hat das eben 4 Sätze und ist allein dadurch kurzweiliger anzuhören.
 
Ich habe mehrfach (ausschließlich!) die lange (originale) Fassung gespielt. Ich finde, wenn das Trio im langsamen Satz gut funktioniert, also Geige und Cello wirklich einen schönen solistischen Ton entwickeln, gibt es KEIN Problem.
Im letzten Satz muss man etwas unisono üben aber das ist im Vergleich zum ersten Konzert überschaubar.
 
Sind die Längen, vor allem im 2. Satz, im Live-Konzert zumutbar?
ja, sind sie - die (interessierten, aufnahmefähigen) Leute überleben sogar eine Götterdämmerung und patschen hinterher in die Hände ;-)

Ich fand immer, dass der erste Satz Längen hat und dass man deswegen die Aufgabe hat, die Leute mit den ausufernden Kadenzen bei Laune zu halten (die sind das beste im ersten Satz) - der zweite ist rundum herrlich und das temperamentvolle Finale mit seinem "Zirkusmusik"-Tonfall ist ein brillanter Kehraus.
 
Ich fand immer, dass der erste Satz Längen hat
Ja, hat er ohne Frage. Die mehr rhapsodische als sinfonische Form trägt ihren Teil dazu bei. Außerdem ist offensichtlich, dass Tschaikowsky bei der Komposition schon mit dem Zusammenklang Klaviers/Orchester gefremdelt hat. Das erklärt die ausufernden Kadenzen - irgendwo muss man dem Pianisten ja Raum zur Entfaltung geben. Die Kadenzen allein sind aber eine Aufführung des Konzertes wert!
Ja, das bestreite ich nicht. Aber ein wenig vorgebildeter Konzertbesucher, der das Stück zum ersten Mal hört, könnte dennoch auf abschweifende Gedanken kommen. Ich werde die (früher?) üblichen Striche trotzdem öffnen und schauen, was am Ende herauskommt.

Bleiben die Tempo-Fragen: Tschaikowsky hat den Kopfsatz "Allegro brillante" überschrieben, Siloti machte daraus mit dem Zusatz "e molto vivace" einen Geschwindmarsch, der dem Satz einiges von seiner Wucht nimmt, aber die Längen kaschiert. Und aus dem "Andante" machte er ein "Andante non troppo", was schon in Richtung Allegretto geht. Wenn die Orchestersolisten wirklich gut sind (in meinem Fall sind sie das),finde ich das unnötig. Man kann das - wenn man auf übermäßiges Espressivo-Vibrato verzichtet - sehr ruhig und liedhaft spielen, was gerade am Anfang eine tolle Wirkung erreicht. Es wird halt am Ende echt lang...
 
Tschaikowsky hat den Kopfsatz "Allegro brillante" überschrieben, Siloti machte daraus mit dem Zusatz "e molto vivace" einen Geschwindmarsch, der dem Satz einiges von seiner Wucht nimmt, aber die Längen kaschiert. Und aus dem "Andante" machte er ein "Andante non troppo", was schon in Richtung Allegretto geht. Wenn die Orchestersolisten wirklich gut sind (in meinem Fall sind sie das),finde ich das unnötig. Man kann das

Brillante ist ja eher eine Farb- und Klangfrage, ich tendierte zu einem elastischen und nicht zu breiten Tempo, das hilft auch dem etwas repetitiven zweiten Thema. In der Kadenz hat man dann alle Gelegenheit das 'e molto vivace' auszuleben.
Wenn der zweite Satz zu zähflüssig gerät, dann sind Deine Befürchtungen berechtigt. Ich denke man sollte in den langen Steigerungen etwas anziehen.
Im letzten Satz mehr Tanz als Traktor. Also zügig und nicht zu basslastig.
Soweit zu meinen Vorstellungen!
In der Kadenz im ersten Satz steht VIEL mehr piano als die meisten spielen!
 
bzgl. Temponahme in allen drei Sätzen und egal, ob mit oder ohne Kürzungen: es darf nie in Richtung träge/behäbig/ausgeruht wirken; ergo d´accord mit @Alter Tastendrücker
 
Anders gesagt: Mit ihren Begriffen nehmen es die Musiker nicht immer so genau. ;)
 

Durchkomponiert schon, aber die Form ist mehr oder weniger beliebig und die Einzelabschnitte haben in der Regel einen eher losen Zusammenhang.

Danke Dir. Dann haben wir es mit einer Begriffsverschiebung zwischen dem ursprünglichen und dem musikalischen Begriff zu tun; das ist es, was mich hier interessiert hat. Ein rhapsodischer Vortrag in der Antike ist eine Art "best of" (in der Regel "of" Homer), daher der Name Rhaps-odós, "einer der seinen Vortrag (aus vorhandenem Material) "zusammenflickt" (Aoriststamm zu rhápto, "flicken, nähen" und -odós Sänger). Die Metapher zeigt, dass der Begriff wohl abschätzig als Gegensatz zum traditionellen Aiodós, dem frei vortragenden und improvisierenden Sänger entwicklet wurde (so J. Latacz im "Neuen Pauly" s.v.). Bezeichnet wird also die Darbietungsweise: keine Gesamtrezitation der sondern eine Auswahl aus den homerischen Epen, was natürlich pragmatisch erzwungen ist, denn die wenigsten Stadtstaaten Griechenlands haben bei ihren festen Zeit (und Geld) für eine Gesamtreziation der Ilias oder Odyssee. Die Struktur der rezitierten Werke saelbst dagegen ist hochkomplex und in hohem Maße "durchkomoiniert". "Rhapsodisch" in der Musik dagegen bezeichnet, wenn ich es recht verstanden habe, nun die (vergleichsweise lose) Struktur des Werks selbst, und wir sehen somit eine Verschiebung von einem Performations- zu einem Strukturbegriff.
 
In der Romantik hatte sich "Fantasie" als quasi formal freiere Großformat etabliert (Schubert, Schumann, Chopin) und damit neben Sonate und Variationszyklus als drittes "Schwergewicht" (ein viertes wurden dann Zyklen wie Kreisleriana, Ausstellungsbilder)
Im Ausmaß das Gegenteil waren Kleinformen wie Prelude, Charakterstück allgemein -- und dazwischen? Diese Lücke wurde mit "Rhapsodie", "Poeme" sowie Programmmusik (Mephistowalzer, Islamey) und anfangs "Impromptu" gefüllt. Die Rhapsodie gerierte sich als die aufbrausende, wildere Variante. Natürlich stammen die Begriffe/Namen wie Ballade, Rhapsode/Rhapsodie aus der Literatur, aber in den musikalischen solchen findet sich keine eins-zu-eins Umsetzung literarischer Formen.

"Durchkomponiert" waren die durchaus (Programmmusik wabert nicht formlos herum), aber nicht gezwungen, sich partout an eine Sonatensatzform zu halten.

....jetzt sind wir aber abgeschweift vom G-Dur Konzert...
 
Zuletzt bearbeitet:
@mick
Halte uns auf dem laufenden was da rauskommt!
 
Ich habe mich bereits entschieden (und das mit dem Dirigenten abgesprochen): es wird die Originalversion ohne die Eingriffe von Siloti. Leider gibt es kein gutes Aufführungsmaterial, ich überlege, selbst eines zu erstellen und herauszugeben. Macht einerseits sehr viel Arbeit, andererseits lernt man das Werk dadurch auch extrem gut kennen. Mal sehen, ob sich ein Verlag findet, der daran Interesse hat. Die neue Tschaikowsky-Gesamtausgabe kam ja schon vor dem Ukraine-Krieg nicht vom Fleck, inzwischen ist sie wohl komplett versandet. Da wird also auf absehbare Zeit keine Konkurrenzausgabe erscheinen.
 
Die neue Tschaikowsky-Gesamtausgabe kam ja schon vor dem Ukraine-Krieg nicht vom Fleck, inzwischen ist sie wohl komplett versandet.
@mick das ist sehr bedauerlich, denn was bis dato in dieser Ausgabe vorlag, war editorisch exzellent. (Ob man vom Jugendalbum zwei Versionen, die sich nur in dreieinhalb Minidetails unterscheiden, wirklich benötigt, darf man akribische MuWis. natürlich nicht fragen...) Das auf 76 Bände (!! Saperlot...) angelegte Projekt ist freilich ... mehr als ambitioniert...
 
Tschaikowskis zweites Klavierkonzert wird übrigens in der Alten Oper Frankfurt am 15. und 16. Oktober gespielt:

Ob mit oder ohne Streichungen ist leider nicht angegeben.
 
Und es war ein großartiges Konzert. Zum erstenmal hörte ich Tschaikowskys zweites Klavierkonzert, und wundere mich, wieso man immer nur das erste hört. Ja, es ist ziemlich anders. Daß der erste Satz ein paar Längen hat, kann ich nachvollziehen. Aber der zweite ist was Besonderes. Das Violinsolo, später das Trio (Klavier, Violine, Cello - die Celli sitzen direkt neben den ersten Geigen) mit sachter Orchesterbegleitung: wunderbar. Dann der vorwärtstreibende dritte Satz, der leider viel zu schnell auf das Ende zusteuert (das ich zunächst als Schein-Schluß auffaßte und mich auf einen neuen Einsatz bereitmachte...).
Aber ob Elisabeth Leonskaja nun das komplette Werk gespielt hat, oder den Streichungen Silotis folgte ... da fragt ihr mich Banausen zuviel. Womöglich war es komplett. Zum einen hat sie es früher bereits komplett gespielt, siehe
> "gone are the days of Tchaikovsky disciple Siloti’s cuts"

und zum anderen könnte die lange Dauer passen (Konzertbeginn um 8, Pause um 9 - ich hatte keine Uhr dabei, das Werk selbst abzustoppen, diese eine volle Stunde beinhaltet also Stimmen des Orchesters, Zugabe und viel Applaus).
 

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