Schwieriger Fall!

Auch da lässt sich nicht alles in einen Topf werfen. Mit Abschieben meine ich jetzt weniger Desinteresse, sondern Abwälzen von pädagogischer Verantwortung.
Ich denke, man kann davon ausgehen, dass zwei Stunden Familie pro Tag für ein Kind um vieles wichtiger sind als zwei Stunden Nachmittagsbetreuung. Insofern sollte diese Einrichtung m.E. wirklich nur im äußersten (beruflichen) Notfall genutzt werden; - wie notwendig sie wirklich ist muss jeder mit sich selbst ausmachen.
Wenn ich mein Kind dorthin schicke, weil es einfach praktisch und bequem ist, (das gibt es in der Tat) ist das für mich eine Art "Abschieben".
Inwieweit eine 100%-Beschäftigung beider Elternteile notwendig ist, wäre dann die nächste Gewissensfrage.
Eine verpflichtende Ganztagsschule halte ich für einen Eingriff in die persönliche Freiheit.
 
Hallo,

das ist natürlich ein wahnsinnig komplexes gesellschafliches Thema, das man hier nur ansatzweise diskutieren kann.
Deine Sicht kann ich gut verstehen und abgesehen davon will man als Klavierlehrer natürlich, dass Schüler überhaupt nachmittäglichen Klavierunterricht nehmen KÖNNEN, was organisatorisch bei einer Ganztagsschule sicher nicht einfach ist.

Trotzdem ist das größte Problem, was zumindest nahezu alle Mütter (Väter in der Regel leider nicht:rolleyes:) in meinem Umfeld haben, die Organisation von Beruf und Familie. Fast alle wollen gern wieder arbeiten, nachdem sie eine qualifizierte Ausbildung genossen haben, die ja auch viel Engagement und Mühe ( und Geld für den Staat!) gekostet hat. Und die meisten wollen keineswegs Voll-, sondern Teilzeit arbeiten, um noch Zeit für ihre Kinder zu haben. Wozu bekommt man sie schließlich?!
Doch dann werden ihnen von den Arbeitgebern solche Steine in den Weg gelegt, so dass eine für ALLE Seiten verträgliche Lösung kaum herzustellen ist. Gleichzeitig will man doch dann die zwei Stunden o.ä., die man dann Zeit für seine Kinder hat und von denen du sprichst, nicht für schulische Belange, sprich Hausaufgaben etc. verwenden, sondern für schöne Dinge. Wenn ich höre, was sich manchmal zu Hause für Dramen bei der Erledigung der Hausaufgaben abspielen, finde ich eine Ganztagsschule wunderbar. Sie sollte halt gut sein, die Kinder sollten mit gemachten Hausaufgaben nach Hause kommen, ein gesundes Mittagessen genießen und tolle Angebote ( KLavierunterricht?:)) bekommen.

Hart finde ich, dass, so wie ich gehört habe, alleinerziehende Mütter schon ab einem 1! Jahr alten Kind verpflichtet werden, wieder zu arbeiten.
Aber sonst führt an einer Ganztagsschule m.E. kein Weg vorbei und da habe ich noch gar nicht über die sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten und die oft vorhandenen Notwendigkeiten, wenn beide Elternteile arbeiten müssen, gesprochen.

Viele Grüße

chiarina
 
Keine Frage, die Ganztagsschule hat auch ihre Vorteile. Aber ich möchte mir nicht vorschreiben lassen, mein Kind dorthinzuschicken. Wenn ich die Zeit dazu habe, mit meinen Kindern die Hausübung zu machen und auch mögliche Dramen in Kauf nehme, dann will ich das auch tun dürfen. Das gehört für mich irgendwie zum Erlebnis Kindererziehung dazu.
Klar, wenn sich die Dienstzeiten der Eltern überschneiden ist man auf externe Betreuung angewiesen, die Entscheidung darüber möchte ich jedoch selbst treffen.
Aber Du hast natürlich Recht, dass die Koordination von Beruf und Familie immer schwieriger wird (ganz ohne fremde Hilfe werden wir auch nicht durchkommen), und dass meine Aversion gegen die Ganztagsschule zum Teil auch mit einem Fragezeichen für meine berufliche Zukunft zusammenhängt.
 
und abgesehen davon will man als Klavierlehrer natürlich, dass Schüler überhaupt nachmittäglichen Klavierunterricht nehmen KÖNNEN, was organisatorisch bei einer Ganztagsschule sicher nicht einfach ist.


Bekanntermaßen bin ich ja eh kein Freund der Schule, aber Ganztagsschule ist der Super-GAU für künstlerische Betätigung, wozu auch das Klavierspielen zählt. Nicht nur werden die Schüler am Besuch des Klavierunterrichts gehindert - es gibt auch gar keine Möglichkeit, daß sie täglich 1, 2 oder 3 Stunden Klavier üben, falls sie das wollen. Es fehlen die Räume und Instrumente zum Üben - von der nötigen Ruhe und fehlendem privatem Bereich ganz zu schweigen.

Eier von freilaufenden Hühnern kaufen, aber seine Kinder in die Ganztagsschule schicken... was für ein Widerspruch... :rolleyes:
 
Ganztagsschule als Option ist ok.
Als Pflcht ist es "Stalinismus".....
Offensichtlich hat der Halbtagsschul-Geschichtsunterricht bei dir versagt.

M.E. ist die Ganztagsschule aber ein typisch deutscher "Nebenkriegsschauplatz". Die Probleme unseres Bildungswesens liegen zwar auch an Strukturen (mittelalterliche Bildungskleinstaaterei), mehr aber an den Inhalten und den Akteuren im Bildungsgetümmel..... So lange sich an den Inhalten und bei den Akteuren nichts ändert, nützen andere Strukturen wenig bis nichts...

Gerade hast du dich mit oberer Aussage aber mit wucht auf das Nebenschlachtfeld geworfen :-)

Kinder aus gutem Elternhaus können sicherlich auf Ganztagesunterricht verzichten. Aber gerade für nicht so gut gestellte Familien unser derzeitiges System ein Problem, entweder die Kinder sind unbeaufsichtigt zu Hause, oder es gibt massive Gehaltseinbußen.

Natürlich kann man alles auf basis freiwillliger angebote machen, aber bringts das wirklich? Ich finde alle Kinder sollten die ersten Jahre zusammen lernen und zusammen erfahren, sonst führt das unweigerlich zu einer Spaltung der Gesellschaft.

Andere Länder machen es vor! Und was spricht dagegen in der Schule instrumentalunterricht anzubieten, inklusive Übezeiten.
 
Eier von freilaufenden Hühnern kaufen, aber seine Kinder in die Ganztagsschule schicken... was für ein Widerspruch... :rolleyes:

Hallo,

das ist der lustigste Vergleich, den ich seit langem gehört habe :D:D - chapeau!

Ansonsten kann ich pianomobile nur zustimmen, das vor allem Klavierunterricht wegen begrenzter Raum- und Instrumentenzahl nur äußerst eingeschränkt angeboten werden kann. Üben ist dann erst recht nicht möglich, es sei denn, wie durch ein Wunder würden zusätzliche Instrumente angeschafft :rolleyes:.

Aber es wäre doch trotzdem sehr interessant, ob wir als Klavierlehrer nicht Konzepte für eine Integration von Ganztagsschule und Klavierunterricht finden und entwickeln könnten. Schon aus ureigenstem Interesse! Wißt ihr, wie das in anderen Ländern speziell mit dem Klavierunterricht funktioniert?

Etwas ratlose Grüße

chiarina
 
Hallo,

Aber es wäre doch trotzdem sehr interessant, ob wir als Klavierlehrer nicht Konzepte für eine Integration von Ganztagsschule und Klavierunterricht finden und entwickeln könnten. Schon aus ureigenstem Interesse! Wißt ihr, wie das in anderen Ländern speziell mit dem Klavierunterricht funktioniert?

Etwas ratlose Grüße

chiarina

Hallo chiarina,

ich habe dazu einen Artikel gefunden. Schau mal hier:

http://www.bfg-musikpaedagogik.de/Dateien/Sobirey05.pdf

Es scheint durchaus Beispiele zu geben für Ganztagsschulen, an denen Musikunterricht an Instrumenten (als Einzel- oder Gruppenunterricht) gegeben wird.

lg
Nora
 
Zitat:
"Unverzichtbar ist, dass Schülerinnen und Schüler die Ganztagsschule auch während des Schultags verlassen können, um außerschulische Lernorte aufzusuchen."

Wenn das funktioniert, kann ein Musiklehrer damit leben...
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Zitat:
"Die Ganztagsschule scheint die angemessene Antwort auf die Bildungsdefizite und sozialen Probleme unter unseren Jugendlichen zu sein."

Auch wenn das ansatzweise zutreffen sollte, sollte man nicht vergessen:
Die Ganztagsschule ist für einen Staat von rein wirtschaftlichem Interesse: Kinder weniger zu Hause, Folge: Eltern mehr arbeiten.
Eltern mehr arbeiten, Folge: Höhere Einkünfte, mehr Kaufkraft, mehr Sozial-/Lohnsteuerabgaben.
Staat freut sich, EU freut sich.
 

Ganz herzlichen Dank, Nora! Der Artikel ist wirklich sehr interessant und gibt viele Denkanstöße.

Zitat:
"Unverzichtbar ist, dass Schülerinnen und Schüler die Ganztagsschule auch während des Schultags verlassen können, um außerschulische Lernorte aufzusuchen."

Wenn das funktioniert, kann ein Musiklehrer damit leben...


Ja, das wäre wirklich super! Man kann ja auch nicht allen Kindern und Jugendlichen den gleichen Bildungseinheitsbrei vorsetzen. Das ist es doch auch, pianomobile, wogegen du dich zu Recht wehrst, so wie ich dich verstanden habe.

Zitat:

Die Ganztagsschule ist für einen Staat von rein wirtschaftlichem Interesse: Kinder weniger zu Hause, Folge: Eltern mehr arbeiten.
Eltern mehr arbeiten, Folge: Höhere Einkünfte, mehr Kaufkraft, mehr Sozial-/Lohnsteuerabgaben.
Staat freut sich, EU freut sich.

Da ist sicher viel wahres dran. Man sollte aber nicht vergessen, welch wichtige gesellschaftliche Funktion eine Ganztagsschule hat. Auch arme oder sozial benachteiligte Familien kämen in den Genuß von Bildunsangeboten, würden nicht, wie so oft, nachmittags auf der Straße oder vorm Fernseher "abhängen" und wenn sogar die Angebote wie auch Klavierunterricht zumindest z.T. vom Staat bezahlt würden ( wenn's so weit ist, geb' ich einen aus!!;) ), ja dann wäre das doch toll! Ich glaube nämlich, dass sich eine Gesellschaftspolitik zu Lasten einer immer größer werdenden Gesellschaftsschicht sehr auf die gesamte Gesellschaft, und zwar nicht positiv, auswirken wird. Ich habe sowieso manchmal Gewissensbisse, dass mein Klavierunterricht zu 99% den sowieso schon geförderten Kindern zu Gute kommt, weil die anderen sich das einfach nicht leisten können bzw. mit Klaviermusik nicht in Kontakt kommen.

Ich kenne übrigens aus Medienberichten zwei Ganztagsschulen, wo ich meine Kinder sofort hinschicken würde, wenn ich könnte, nämlich die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden und die Laborschule in Bielefeld - beides Projektschulen, an denen bestimmte didaktisch-methodische Inhalte ausprobiert werden. Leider sieht die Bildungsförderung an "normalen" Ganztagsschulen eher - naja, dürftig aus und geht eher in Richtung Betreuung. Aber vielleicht tut sich ja da noch was. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Viele Grüße

chiarina
 

Kein "schwieriger Fall" mehr!

Danke für Euere hilfreichen Antworten.
Ich habe es geschafft, meinen Schüler zu motivieren! Er begreift schnell und hat flinke Finger. Nach einem Monat spielt er ein kleines Stückchen von Gurlitt sowie das Reiterstück von Duvernoy.
Sein Vater schaute auf meinen Wunsch hin beim Unterricht zu. Dabei wurde ihm ohne viele Worte meinerseits klar, wie das Niveau seines Sohnes ist und wie er lernt.
Alles läuft bisher wirklich super...

Tschau, gute Nacht,

Ixi
 
Hallo ixi,

das ist ja wunderbar!!! Schön, dass du dich meldest - ich hatte mich schon gefragt, wie es mit deinem Schüler weitergeht. Offensichtlich brauchte er nur eine gute Klavierkehrerin ;) ).

Viele Grüße und weiterhin viel Spaß

chiarina
 

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