Romantiker Krieg?

Ancolie

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Liebe Clavios,

neulich las ich den Begriff "Romantiker Krieg" bezogen auf Musik. Kann jemand verständlich erklären, was das war und worum es dabei ging?

Liebe Grüße

Ancolie
 
Ich denke, damit ist der Musikstreit zwischen den Vertretern der "Neudeutschen Schule" (Liszt, Wagner etc.) und den "Konservativen" (Brahms, Joachim, Bülow) gemeint. Der Begriff Romantiker-Krieg ist allerdings nicht sehr geläufig.

LG, Mick
 
Vermute auch, dass dieser Konflikt gemeint ist.
Am meisten forciert hat diesen der Musikkritiker Eduard Hanslick aus Wien als Brahmsianer.
Die nächste Komponistengeneration (Mahler, R. Strauss), aber auch schon Brahms-Freund Dvorak, hat sich schon bei beiden Strömungen bedient.

Grüße
Manfred
 
@Gomez de Riquet, der war wohl nicht gemeint. :-)
So wie @mick gesagt hat, geht es um die verschiedenen Strömungen. Ich verstehe aber nicht, ob das rein ästhetische Gründe hatte, bzw. worum es eigentlich ging.
 
Die Kristallisationspunkte der Auseinandersetzung sind der Weimarer Kreis um Franz Liszt mit dem Einfluss der von Robert Schumann gegründeten Neuen Zeitschrift für Musik einerseits und die Veröffentlichung einer Erklärung von Johannes Brahms, Julius Otto Grimm und Bernhard Scholz andereseits.
Die Gruppe um Liszt nannte sich zunächst die "Partei", dann "Zukunftsmusiker" und schließlich "Neudeutsche Schule". Die Gruppe um Brahms sprach in ihrer Erklärung von einem " Treiben einer gewissen Partei, deren Organ die Brendelsche Zeitschrift für Musik ist".

Liszt setze sich vehement für die zeitgenössische Musik ein, vor allem Berlioz und Wagner. Seine 12 symphonischen Dichtungen, einsätzige Werke, denen jeweils ein Programm, Vorwort oder Gedicht vorangestellt ist, wurden zum Zankapfel. Was neu war, war das Zusammenführen der Symphonik mit Mythologie oder Literatur. Damit wollte Liszt seinen Zuhörern, das heißt der bürgerlichen, gesellschaftlich prägenden Schicht, einen neuen Zugang zur Instrumentalmusik verschaffen.
Der Wiener Musikkkritiker Eduard Hanslick ( der Ästhetik der "Konservativen" nahestehend, aber doch sowohl diese als auch diejenige der "Neudeutschen" verengt sehend und darstellend) sah darin die Grenzen des Zulässigen verletzt. Für ihn hatte Musik nur dann als Kunst eine Berechtigung, wenn sie die Grenzen des Musikalischen respektierte.
Zwei zentrale Sätze von Hanslick: ".. fest halte ich an der Überzeugung, daß man aus all den üblichen Apellationen an das Gefühl nicht ein einziges musikalisches Gesetz ableiten kann."
".. die Schönheit eines Tonstücks ist spezifisch musikalisch,. d.h. den Tonverbindungen ohne Bezug auf einen fremden , außermusikalischen Gedankenkreis innewohnend."
Der lisztsche Ansatz gehörte für ihn zur "verrotteten Gefühlsästhetik."
 
Ich widerspreche Dir nicht, lieber Walsroderpianist. Ich möchte nur etwas ergänzend hinzufügen. Aus der Distanz von mehr als hundert Jahren wirkt der Gegensatz zwischen Neudeutschen und Konservativen künstlich aufgebauscht - die Folge privater Abneigungen vielleicht, die zwischen einem Teil der Akteure bestanden haben. Auf mich wirken beide, sowohl der Kreis um Wagner/Liszt als auch der um Brahms/Hanslick, wie vordatierte moderne Künstlergruppen, die sich die Reklamewirkung von Gruppenbildung und manifest-artigen Proklamationen zunutzemachen. Ihre Abgrenzungsrituale sollte man nicht allzu zu ernst nehmen.

Will sagen: Musikalisch waren die Hauptakteure gar nicht so weit entfernt. Der außermusikalische Inhalt bot in einer symphonischen Dichtung den Vorwand, auf engstem Raum die unterschiedlichsten Satztechniken und musikalischen Charaktere zu präsentieren - gerechtfertigt durch den Handlungsverlauf. Das war in der klassizistischen Ästhetik verpönt. Aber die nicht-programmorientierte Musik übernahm relativ rasch diese Idee vom Wechsel der Satztechniken und Charaktere - nur halt in einen "absoluten" Musikverlauf eingebaut. Auch in klassizistischen Symphonien tauchen plötzlich imaginäre Choräle auf, Volkston und "ernster Ton" folgen dichter aufeinander etc.

Umgekehrt bleibt die symphonische Dichtung - bei aller Wechselhaftigkeit der Episoden - dem klassischen Ideal der Fortsetzungslogik treu: Das Material entwickelt sich aus einem motivischen Kern, oder nach dem Prinzip der Motivtransformation entstehen die thematischen Figuren auseinander. Man kann den Verlauf einer symphonische Dichtung als rein musikalischen Vorgang beschreiben - unter Absehung des Programms.

Und viele der Protagonisten standen sich näher, als die offizielle Mär es will: Der großherzige Liszt schätzte fast alle; Brahms schätzte Wagner durchaus, und Wagner liebte ohnehin nur sich selbst. Wer den künstlich aufgebauschten Zwiespalt jener Zeit ungerechterweise und am stärksten zu spüren kam, das war Bruckner, den das (in Wien extreme) Lagerdenken zum Neudeutschen abstempelte, der er nicht gewesen ist. In den nachfolgenden Generationen war dann ohnehin alles egal, denn Komponisten wie Mahler, Strauss, Sibelius, Schönberg etc. haben von Brahms wie Wagner gleichermaßen gelernt.
 
vielen Dank für Eure Ausführungen @walsroderpianist und @Gomez de Riquet, das war sehr erhellend!
 
Brahms hat sich mehrfach als Bewunderer Wagners zu erkennen gegeben, und möglicherweise sind sogar die ersten drei Akkorde seiner 2. Violinsonate kein Zufall, sondern ein absichtliches Zitat des Preisliedes aus Wagners Meistersingern.
wohingegen die große Ähnlichkeit des Nibelungen-Motivs mit dem zweiten Thema aus dem Scherzo des f-Moll-Klavierquintetts op.34 Zufall sein dürfte. Wagner saß schon am "Rheingold", als Brahms' Quintett publiziert wurde.
 

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