Pianisten zweiter Klasse

Im weitesten Sinne assoziierte ich die Dämonen mit den Brüdern Karamsow, und vordergründig konnte ich nicht verstehen, daß Raskolnikow "Schuld und Sühne" nicht kennt ... Ich bin jetzt reif fürs Altersheim. Adio, Clavio! :cry:
 
Ein bischen off-topic: Mich erstaunt ja, wie wenige anscheinend meine Situation kennen - oder wollen die sich nur nicht outen? Ich würde mich ja gerne mal mit "Gleichgesinnten" austauschen ;)

Ich mache mir über meine Zustand keine ernsten Sorgen, sowas ist mir nicht neu, es kommt und geht.

Ich oute mich! Ich kann nicht entsprechend meiner Ansprüche auftreten. Mit der Darbietung, was Frau Elly Ney da bei der Beethovensonate letzter Satz gebracht hat wäre ich für mich persönlich nicht zufrieden. Musikalisch natürlich schon. Dass ich am Klavier klanglich zaubern kann weiß ich. Dass ich auch technisch einmal sehr gut war, ok. Ich habe aufgehört, Klassik zu spielen, weil mir da ein bestimmtes Niveau vorschwebt. Und das kann ich nicht öffentlich darbieten. Selbst zu Hause schaffe ich es nur selten und wenn ich es schaffe, weiß ich nicht, warum es ein andermal wieder daneben geht.

Ich habe da tatsächlich so etwas wie ein Trauma, den eigenen Anspruch nicht erfüllen zu können - und wenn es mich im vorletzten Takt aus der Tastatur haut um mir die Prüfung zu versauen.

Um dem zu begegnen, habe ich ein Jahr lang täglich (!) immer die gleichen Stücke gespielt: 3 Scarlattisonaten und Französische Suite von Bach. Nichts Schwieriges. Mal im Übemodus, mal im Tempo oder im halben Tempo, einfach mit verschiedenen Absichten. Diese Literatur sind die Scapelle der Klavierliteratur, da kann man nicht kaschieren, da kann man nicht mogeln, da sieht man in sein wahres Selbst. Das tat gut und war trotzdem auch desillusionierend. Es passiert einfach immer irgendwann: ein Fehler. Wie ist damit umzugehen - keine Ahnung. Solange ich niemandem garantieren kann, ein fehlerloses Spiel anzuhören, kann ich eben nicht auftreten.

Ich habe mich schon mit 10 Jahren mit Jazz und Improvisation auseinandergesetzt, moderne Musik war für mich immer befreiend vielleicht aus diesem Grund: da kaschiert sich der ein oder andere falsche Ton oft selbst. Da zählt mehr der Ausdruck, sei er abstrakt oder belebt. Aber damals waren falsche Töne noch kein Thema, da dachte ich ja noch, das lerne ich irgendwann, keine mehr zu machen.

Was mich dann immer wieder erstaunt, wie falsch auf den Bühnen der Welt gespielt wird. Das würde ich mich nie im Leben trauen. Letztens sah ich in einer Stadthalle einen überregionalen Pianisten, der in einem Klavierabend die Alla Turca von Mozart spielte, also die ganze Sonate. Ich liebe diese Sonate sehr, aber ich war baff erstaunt, WIE schluderig er sie servierte. Mir ist echt übel geworden, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil ich hier mit meinem eigenen Anspruch konfrontiert wurde, dem zu liebe ich meine Liebe zur Klassik in meinem Kämmerlein lasse und nicht öffentlich ausstelle.

Also bleibe ich bei den Dingen, die ich gut kann: moderne Musik machen. Da fühle ich mich irgendwie sicher und geborgen.

@Rolf
Das Phänomen kenne ich im übrigen auch, dass ich das zauberhafte Spiel eines/r SchülerIn NICHT imitieren kann!! Meistens gelingt mir das durchaus, jemandem sein eigenes Spiel - karikiert oder überhöht - zurück zu spiegeln, aber bei einigen geht das einfach: NICHT! Irgendwie drückt sich da eben doch eine andere Seele aus. Wie schööön! Das sind für mich Seelenküsse im übrigen!

Alles Liebe

Viola
 
Viola, ich freue mich über deinen aufrichtigen Bericht! Für die Antwort werde ich ein bischen brauchen aber sie kommt bestimmt (anders als meine immer wieder versprochenen Aufnahmen).

Aber eins muß ich gleich loswerden: Ich hatte einem Freund über dieses Thema erzählt und unter anderem deinen Beitrag vorgelesen. Er ist selbst arbeitsloser Gitarrist mit klassischer Ausbildung und Pädagogikstudium. Als ich ihm deinen Bericht über das tägliche Üben diverser Stücke zitierte, fiel er mir vehement ins Wort und sagte in etwa "Nein! So kann man das überhaupt nicht lernen". Er meinte, man sollte lieber für Abwechslung sorgen und an einzelnen Stücken lieber stoßweise üben, mit Pausen dazwischen. Nun kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen, daß einige Übungserfolge sich eher scheinbar zufällig einstellen und ich manchmal selbst den Glauben an Zufälle verliere. Aber es war ein Einwand eines weiteren erfahrenen Musikers, den ich einfach mal erwähnen wollte, auch wenn es mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat.
 
Nun muss ich etwas erklären: Prof. Franz Peter Goebels hat sein ganzes Leben lang einen bestimmten Bachchoral Wachet auf ruft uns die Stimme (Bach/Busoni) jeden Morgen als erstes gespielt. Er empfahl das allen, so etwas auch zu tun und ich stimme ihm zu.

http://www.youtube.com/watch?v=P2cIvOvCqoM

Es ist ein tägliches "Foto" der eigenen Befindlichkeit, wie man gerade drauf ist, wie man geschlafen hat, wie es in einem Selbst tief drinnen wirklich aussieht.
Er meinte, es wäre ein Blick wie in einen Spiegel, der einem sagt: aha, so geht es Dir also heute. Über die Jahre schafft dieses Stück eine Verbindung zu allen Lebenslagen, zu den guten und weniger guten. Befindet man sich in einer schwierigen Lebensphase, so spendet dieses Ritual große Kraft, Trost und Zuversicht. In guten Zeiten füllt dieses Ritual den Denkapperat mit guten Erinnerungen und Gefühlen.

Es gibt darüber hinaus Künstler, die sich auferlegen ein ganzes Jahr lang jeden Tag EINE Zeichnung oder EIN Foto oder eine Aktion zu produzieren, zb EINEN Satz zu schreiben. Es gibt auch Komponisten, die sammeln JEDEN Tag EINE Idee, oder mindestens EINE. Ein Drummer hat mir mal erzählt, dass er jeden Tag EINEN neuen Rhythmus erfindet und aufschreibt. Eine Autorin schreibt jeden Tag zwei Zeilen mindestens. Ich bildender Künstler, Dirk Wauters, der auch ein begnadeter Drummer ist, nimmt täglich (!) zu Hause um eine bestimmte Uhrzeit eine Stunde frei improvisiertes Schlagzeug auf. Dafür kann man mit ihm keine Touren machen, außer es befindet sich in Auto-Reichweite seines Hauses. Diese Arbeit macht er nun schon seit über 15 Jahre (!!!). Ich glaube, er begann damit, als eine Frau gestorben ist oder irgend so etwas, aber vielleicht ist das Legende.

Nun ja, heute ist es ja modern, einen Blog zu machen und täglich sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Ich wetze lieber täglichen meine Bach und Scarlatti-Messer. Können tue ich die Stücke ja durchaus. Auch gute Messer muss man immer wieder schleifen, damit sie scharf bleiben. Und darum geht es mir: die brutale Schärfe des eigenen Spiels.
 
Gibt es denn auch eine Möglichkeit, dieses brutal scharfe Spiel mal zu hören?
Ich meine jetzt z.B. Bach oder Scarlatti.

Eigentlich nicht. Das ist nur noch Privatvergnügen meinerseits. Nur das ungeschliffen Spiel moderner Musik kann man erleben, am 7.11.09 in der Citykirche Mönchengladbach, ab 21 Uhr

HIER

22h15 dann eine UA von mir...


Wahrscheinlich werde ich irgendwann im Altenheim am Klavier sitzen und immer noch diese Stücke spielen und mich fragen wo mein Leben geblieben ist, falls ich dann überhaupt noch so etwas die Denken praktizieren kann...
*schmunzel* wenn wir dann im gleichen Heim sind, spiele ich Dir das dann mal vor, wenn Du willst ...
 
Eigentlich nicht. Das ist nur noch Privatvergnügen meinerseits. Nur das ungeschliffen Spiel moderner Musik kann man erleben, am 7.11.09 in der Citykirche Mönchengladbach, ab 21 Uhr

Moderne Musik - ob ich damit was anfangen könnte...

Spielst du da Klavier, oder Elektronik oder Akkordeon?

wenn wir dann im gleichen Heim sind, spiele ich Dir das dann mal vor, wenn Du willst ...

Oh, wie romantisch :D

Ist aber ziemlich unwahrscheinlich, ich wohn ja in einer ganz anderen Ecke Deutschlands.
 
Aber Viola,

erst schreibst Du, Du fühlst Dich wie 12 Jahre und jetzt siehst Du Dich am Klavier im Altersheim, dem guten Haydnspaß ein Ständchen vorspielend? Du steckst doch nicht etwa in der Midlife Krise? :cool:

Liebe Grüße in die Krisenregion sendet

Nora
 
Hi Nora,

die kluge Frau sieht voraus!

Ich denke jetzt (!) schon ans nächste JETZT (!)

@haydnwitz: electronic
 
Viola, deine Methode, ich nenne sie mal "relative Perfektion", habe ich lange mit Rockmusik praktiziert, an der Gitarre. Ich habe es dort nie über einen gewissen Level an Spieltechnik hinaus gebracht aber man kann sich ja - vor allem bei eigenen Stücken - ziemlich frei aussuchen, was man spielt. Leute wie Eddie van Halen oder Steve Morse habe ich immer für ihre Virtuosität bewundert und im Hintergrund schwelte doch immer ein bischen Neid, manchmal auch Frust, aber im großen und ganzen konnte ich mir immer damit beruhigen, daß ich musikalisch gut drauf bin und meine Parts sehr gut auf den Punkt bringen konnte. Ich will mich nicht an Keith Richards messen, aber das ist auch so ein Kandidat (sagt er selbst von sich): Neulich gab es im Fernsehen ein Konzert der Stones und was er gespielt hat, hätte ich auch gekonnt (im Moment nicht, ich bin aus der Übung). Nur, auf seine Ideen kommen kann nur er selbst und wenn er nicht wäre, hätten die Stones einen enormen Verlust.

Leider kann ich das nicht auf klassisches Klavier übertragen aber ich weiß, daß ich noch einiges an Potential auszuschöpfen habe und deswegen geht es weiter. Hochvirtuose Stücke sind zwar auch hier nicht mein Ziel, aber der Standard, den ich erreichen will, liegt doch um einiges höher als früher in der Rock-Musik.
 


Ich will nur meinen Respekt ausdrücken - einen offiziellen Kompositionsauftrag bekommen und dann die Komposition vor Publikum vorstellen, ist schon was Großartiges! Toll!

Gibt es eine Möglichkeit, diese Komposition zu hören (also ohne zur Vorstellung anzureisen)? Z.B. mitschneiden und posten? Oder eine andere Komposition von Dir (ohne gleich eine CD kaufen zu müssen)?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Viola, deine Methode, ich nenne sie mal "relative Perfektion", habe ich lange mit Rockmusik praktiziert, an der Gitarre. Ich habe es dort nie über einen gewissen Level an Spieltechnik hinaus gebracht aber man kann sich ja - vor allem bei eigenen Stücken - ziemlich frei aussuchen, was man spielt. Leute wie Eddie van Halen oder Steve Morse habe ich immer für ihre Virtuosität bewundert und im Hintergrund schwelte doch immer ein bischen Neid, manchmal auch Frust, aber im großen und ganzen konnte ich mir immer damit beruhigen, daß ich musikalisch gut drauf bin und meine Parts sehr gut auf den Punkt bringen konnte. ...


Das berühmteste Gitarrenriff eines Autodidakten, also ein Laie findet man hier: Smoke on the water

http://www.youtube.com/watch?v=9jp3de50_d8&feature=related

Man braucht immer nur das zu spielen, was man WIRKLICH kann, dann funzt es.

Danke MB, das machen doch fast alle in diesem Gewerbe...
 

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