Bei ein paar Schülern muss ich feststellen, dass sie einfach die Noten nicht lesen lernen wollen oder können. Aber wenn sie die richtige Position der Hände haben, dann spielen sie das Stück recht ordentlich.
Diese Situationsbeschreibung enthält in sich einen nicht unwesentlichen Widerspruch, der nur bei Klärung des folgenden Sachverhalts aufgelöst werden kann: Handelt es sich um Probleme bei der strukturellen Erfassung graphischer Objekte (die ebenso auch Buchstaben, Zahlen oder Symbole sein könnten)? Oder entscheidet sich der Schüler aufgrund inadäquater Lerntechniken beim Verständnis der Musiknotation für alternative Vorgehensweisen und speichert stattdessen bestimmte motorische Muster und Griffweisen in Abfolge? Das Zitat spricht eher für letzteres.
Analoge Abgrenzungsmaßnahme aus dem allgemeinbildenden Schulbereich:
http://www.lrs-portal.net/legasthenie/unterschied/
Es müsste demnach vorab klar sein, ob hirnorganisch oder genetisch beeinflusste Ursachen diese Unzulänglichkeit zur Folge haben
oder ein "falsches Lernen" zu einer Vermeidungsstrategie führt: Probleme beim strukturellen Erfassen eines Notenbildes werden umgangen, indem stattdessen Griffbilder verankert werden, ohne den Notentext inhaltlich verstanden zu haben. Mechanisches Wiederholen kann zu ähnlichen Resultaten führen: Von vorne bis hinten durchspielen vermag das Gedächtnis mehr oder weniger zuverlässig zu verarbeiten - sobald aber der Ein- und Ausstieg an jeder beliebigen Stelle gelingen soll, werden die Grenzen dieser "Methode" schnell deutlich.
Ähnlich wie bei der Abgrenzung zwischen Legasthenie und LRS wird eine mögliche Abhilfe im jeweiligen Falle sehr unterschiedlich erfolgen müssen. Als nächstes wäre auf Schülerseite zu klären: Werden generell Strukturen jeglicher Art auf dem Notenblatt langsam und fehlerhaft verstanden und umgesetzt? Oder gelingt manches besser und anderes schlechter? Wiederholen sich bestimmte Fehlleistungen und Verwechslungen ständig - einem Legastheniker vergleichbar, der bestimmte Buchstaben auffallend oft vertauscht?
Entsprechende Beobachtungen sind mit Verhalten und Wesenszügen in Beziehung zu setzen: Wie sieht es generell mit Interesse, Aufnahmebereitschaft, Durchhaltevermögen, Belastbarkeit beim Schüler aus? Denn das Notenlesen an sich ist nicht schwieriger als viele andere Kulturtechniken zu erlernen, die im alltäglichen Leben prinzipiell selbstverständlich sind.
LG von Rheinkultur