Neue Musik

  • Ersteller des Themas Romantikfreak98
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Bei Wikipedia steht, dass „Neue Musik“ die Musik ab etwa 1910 ist. Dort steht aber auch, dass der Artikel einer Überarbeitung bedarf.

Wenn also z.B. Skrjabins Werke „Neue Musik“ ist, macht mir das deutlich, dass ich mit meinem obigen Zitat allzu vorschnell geurteilt habe.

Weil ich wegen der o.g. Anmerkung dem Wikipedia-Artikel nicht vertraue (und im Internet über den Suchbegriff „Neue Musik“ kaum etwas informatives gefunden habe), wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mir Tipps geben könntet, wo ich mehr darüber lesen kann.
@Marlene
da lieferst du einen schönen Anlaß, nachzuschauen, wie es um das Adjektiv "atonal" bestellt ist.

Landläufig ist die Gleichsetzung "atonal = scheußlich, disharmonisch" - das ist Schwachsinn, und zwar aus Unkenntnis resultierender Schwachsinn der billig polemischen Sorte.

Erste Ansätze zur "Atonalität" finden sich schon in der ersten Hälfte des 19. Jhs., z.B.:
- in Beethovens Sonate op.106 (Finale) und Diabellivariationen
- in Chopins b-Moll Sonate (Finale)
in der zweiten Hälfte des 19.Jhs..
- gehäuft bei Liszt (u.v.a "Bagatelle sans Tonalite", die Spätwerke
- die von eindeutigen tonalen Zentren ab- oder wegschweifende Leittonchromatik (Wagner)
Streng genommen sind das noch keine rein "atonalen" Sachen, aber die Grenze weg von der Tonalität, weg von der Funktionsharmonik ist eindeutig überschritten.

Skrjabin ist ein quasi Sonderfall: die erwähnten harmonischen Experimente (Beethoven, Chopin, Liszt, Wagner) verwendete er, anfangs noch a la Chopin und Wagner, später entwickelte er daraus seine eigene, nicht mehr eindeutig tonale "Klangzentren-Harmonik" - sehr eingängig zu hören ist das in seinem effektvoll-virtuosen Poeme Vers la Flamme und in seiner 10. Sonate. Seine berühmte 5. Sonate könnte man als auf der Grenze zwischen noch hyperchromatisch a la Wagner und schon atonal klangzentrisch a la Skrjabin bezeichnen (sie hat noch Fis-Dur als Orientierung)
...ist Skrjabin "atonal"? Seine Spätwerke sind frei atonal, auf seine eigene Weise.

Jetzt müsste man anfangen, über Bartok, Strawinski, Schoenberg und Berg sowie Webern und die Folgen zu reden, aber auch über Debussy, Ravel, Janacek und Prokovev - und über die eigenwilligen Sonderwege von Ives und Villa-Lobos --- ich hoffe sehr, dass @Gomez de Riquet sich hierzu äußert (!) und zu den weiteren Folgen (Messiaen)
 
Danke, @rolf , für Deine Antwort.

da lieferst du einen schönen Anlaß, nachzuschauen, wie es um das Adjektiv "atonal" bestellt ist.

Nun ja, wenn man das Wort wörtlich nimmt, dann würde es ja bedeuten, dass man nichts hören kann. Es fehlt aber die Tonart und somit ist eigentlich schon die Bezeichnung „atonal“ falsch, wenn ich das richtig sehe.

Vor zwei Jahren habe ich Pierre Aimard unter anderem mit Hollingers Elis, Drei Nachtstücke für Klavier gehört. Diese Klänge sind meiner Ansicht nach atonal.

Erste Ansätze zur "Atonalität" finden sich schon in der ersten Hälfte des 19. Jhs., z.B.:
- in Beethovens Sonate op.106 (Finale) und Diabellivariationen
- in Chopins b-Moll Sonate (Finale)
in der zweiten Hälfte des 19.Jhs..
- gehäuft bei Liszt (u.v.a "Bagatelle sans Tonalite",

Die Stücke habe ich mir daraufhin angehört und besonders bei op. 106 war ich überrascht.

Skrjabins Sonaten Nr. 5 und 10 habe ich mir ebenfalls angehört und ich war erstaunt wie unterschiedlich meine Wahrnehmung in Bezug auf Nr. 5 ist. Denn vor einigen Monaten habe ich mir Nr. 5 angehört, als mit Dreiklang die Diskussion über Feinberg’s Interpretation entbrannt ist. Da hatte ich nicht den Eindruck, dass ich sie ein zweites Mal hören will. Als ich sie aber vorhin gehört habe, hat sie auf mich völlig anders (angenehmer) gewirkt.

Somit freue mich darüber, dass Yuja Wang ihr Programm (am 5. Oktober in der Philharmonie) zugunsten Skrjabins Musik geändert hat.

Landläufig ist die Gleichsetzung "atonal = scheußlich, disharmonisch"

Als „scheußlich“ würde ich es nicht bezeichnen, aber mir würde sicherlich nicht auffallen, wenn bei dieser Aneinanderreihung von Tönen (z.B. Hollinger) ein falscher erwischt würde.

Aber disharmonisch ist die atonale Musik meiner Ansicht nach, weil sie sich von der Harmonielehre abgewandt hat. Oder sehe ich das falsch?

Jetzt müsste man anfangen, über Bartok, Strawinski, Schoenberg und Berg sowie Webern und die Folgen zu reden, aber auch über Debussy, Ravel, Janacek und Prokovev.

Warum über Debussy und Ravel?
 
Diese Klänge sind meiner Ansicht nach atonal.
Etwas kann nicht "meiner Ansicht nach" atonal sein. Entweder ist etwas objektiv - mit musikwissenschaftlichen Kriterien feststellbar - atonal, oder eben nicht.

Du hast ganz offenbar, trotz der hier gegebenen Infos, immer noch die falsche Laien-Ansicht, dass "wenn es für mich undurchschaubar schräg klingt, ist es atonal".
 
Hier übrigens mal ein Beispiel für ausgesprochen (ich verwende mal den Laienausdruck) "hörbare" atonale Musik:
 
Hallo Marlene,
Aber disharmonisch ist die atonale Musik meiner Ansicht nach, weil sie sich von der Harmonielehre abgewandt hat. Oder sehe ich das falsch?
Ich denke, das siehst Du falsch, weil es in diesem Fall nicht um die "Harmonielehre", sondern die "Harmonik" geht:
Zitat von Wiki/Atonale Musik:
Atonale Musik oder Atonalität bezeichnet allgemein eine Musik, die auf der chromatischen Tonleiter gründet, deren Harmonik und Melodik nicht auf ein tonales Zentrum bzw. einen Grundton fixiert ist

Zitat von Wiki/Harmonik:
Seit der Entwicklung der mehrstimmigen Musik engte sich die Bedeutung der Harmonik mehr und mehr auf den gleichzeitigen Zusammenklang verschiedener Stimmen ein. In dieser heute vorherrschenden engeren Bedeutung umfasst Harmonik alle stilistischen Formen des Zusammenklangs von Musik, beginnend bei der frühen Mehrstimmigkeit des europäischen Mittelalters bis hin zu Klangstrukturen der Avantgarde
 
Zuletzt bearbeitet:
Etwas kann nicht "meiner Ansicht nach" atonal sein. Entweder ist etwas objektiv - mit musikwissenschaftlichen Kriterien feststellbar - atonal, oder eben nicht.

Du hast ganz offenbar, trotz der hier gegebenen Infos, immer noch die falsche Laien-Ansicht, dass "wenn es für mich undurchschaubar schräg klingt, ist es atonal".

Richtig, hasenbein, ich habe eine falsche Ansicht. Deshalb frage ich doch. Ich habe nicht nur die Laienansicht ich bin Laie. Ich habe nichtmal Blockflöte gespielt und vor 3 ½ Jahren wusste ich nicht welche Note was bedeutet. Ich habe mich nicht schon im 5. Lebensjahr mit klassischer Musik beschäftigt wie viele von Euch hier im Forum. Ich habe lange Zeit keine klassische Musik gehört (was einen Grund hat). Daher fehlt mir einfach das Wissen und daher habe ich gefragt. Weil ich nicht weiter unwissend bleiben will. Ich möchte von Euch lernen, aber es hilft mir nicht weiter mir meine Unwissenheit vorzuwerfen. Ist es in Anbetracht des vorgenannten so schwer zu verstehen, dass ich die Erläuterungen in den Beitragen nicht so schnell nachvollziehen kann?

Dreiklang, meine Unwissenheit war wohl auch Ursache dafür, dass ich Harmonielehre mit Harmonik verwechselt habe.
 
Und Dir würde es sehr weiterhelfen anders zu formulieren, denn auch andere empfinden einige Deiner Beiträge als Vorwurf für Blödheit.

Es verleidet einem wirklich die Motivation im Forum etwas zu fragen, weil man nie weiß, was einem von den Wissenden um die Ohren gehauen wird.

Aber ich gebe zu das ich überempfindlich bin.
 
Liebe Marlene,

nicht aufregen... der Hasi redet eben so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist (wie man so sagt).

Ich fände es schön, wenn es hier im Faden noch weitergeht über Themen der Neuen Musik, wie z.B. Dodekaphonie, Serielle Musik, Aleatorik, Klangflächenkomposition, Minimal Music, und Musique concrète, um ein paar Stichworte zu nennen.

Viele Grüße
Dreiklang
 
Nun ja, Chris, hasenbein hat aber in diesem Fall nicht ganz Unrecht… Ich werde mir seine Worte merken.
 

Du hast ganz offenbar, trotz der hier gegebenen Infos, immer noch die falsche Laien-Ansicht, dass "wenn es für mich undurchschaubar schräg klingt, ist es atonal".

Jetzt habe ich das Thema, und besonders hasenbeins Erläuterungen, nochmal gelesen, aber sicher bin ich mir noch immer nicht ob ich es richtig nachvollziehen kann.

Das ist - nach meinem Verständnis - atonale Musik:



Und das (zumindest die Akkorde) dissonante Musik:



Ist es so?
 
Richtig, Holligers Stück ist atonal. Weil der Hörer nicht einen bestimmten Ton als Grundton, als Tonika, einer Passage wahrnimmt.

Und das Rautavaara-Stück ist tonal, weil man z.B. am Anfang sofort D als Grundton wahrnimmt. Die Akkorde des Beginns sind im Grunde ganz traditionell, nur mit allen möglichen "Schmutztönen" angereichert (deshalb nennst Du es dissonant).

Um hören zu können, was tonal und was atonal ist, muss also erstmal sichergestellt sein, dass man diese Grundtonwahrnehmung (diese Wahrnehmung der "musikalischen Gravitation hin auf ein Zentrum") überhaupt besitzt. Sonst kann man es nicht beurteilen. Auch sehr sehr schräge, dissonante Stücke können tonal sein.

Der Begriff Dissonanz ist ein relativer und überdies zeit- und kulturabhängiger Begriff.
Vieles in Beethovens Musik z.B. wurde zu seiner Zeit, für uns heute unvorstellbar, von nicht wenigen als zu dissonant empfunden.
 
Tja, da muss ich leider passen, denn ich habe leider nicht gehört, dass es D ist. Ich müsste es mal ausprobieren, dass jemand einige Akkorde anschlägt und ich versuche sie herauszuhören. Aber ich befürchte, dass ich D-Dur nicht von A-Dur unterscheiden kann. Deutlich unterscheiden kann ich Dur von moll, aber die Tonart herauszuhören schaffe ich wohl nicht.

Schlechte Voraussetzungen für die Grundtonwahrnehmung. :dizzy:
 
Neiin... *disch* es ist doch nicht gemeint, dass man raushören kann, WELCHER Ton das ist, der da als Grundton wahrgenommen wird (das würde ja Absolutes Gehör voraussetzen...), sondern nur DASS man hört: "Ah, an der Stelle, das ist der Ruhepunkt, die Tonika".
 
@Marlene:

Du könntest einmal versuchen, zu den ersten 40 Sekunden des Rautavaara-Stücks einen Ton zu summen, oder zu pfeifen, "um den sich letztlich alles dreht", und der zu diesem Abschnitt des Stückes paßt. Das geht. Und weil sowas "geht", und letztlich durch's ganze Stück hindurch geht, ist das Stück tonal angelegt.

Beim Holliger-Beispiel geht das nicht.

Und wo dieser Ton (das "tonale Zentrum") dann auf der Klaviatur liegt (also ob es ein D oder ein Fis oder sonstwas ist), ist für das Kriterium der Tonalität egal.

Jemand mit absolutem Gehör kann Dir aber sagen: dieser Ton ist ein D. Jemand ohne absolutes Gehör kann Dir nicht sagen bzw. entscheiden, ob das ein D ist. Der kann eigentlich nur raten, ob es ein C, D, E oder sonstwas ist.

Ist es damit klarer geworden?
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Hasi, jetzt weiß ich auch endlich, was atonale Musik ist. Bisher dachte ich was völlig Falsches (Töne, die sich außerhalb der uns geläufigen Chromatik bewegen (Vierteltonschritte z.B.).
 
Danke, hasenbein und Chris.

Der Versuch mit Rautavaara mitzusummen war teilweise nicht ganz einfach, aber teilweise ging es wie von alleine. Aber ich würde dazu lieber dirigieren ;). Die ersten beiden Sätze des Konzerts gefallen mir sehr gut (und andere Werke von Einojuhani Rautavaara ebenfalls).
 
Hallo Peter,

was Du hier meinst
Bisher dachte ich was völlig Falsches (Töne, die sich außerhalb der uns geläufigen Chromatik bewegen (Vierteltonschritte z.B.).
das gab und gibt es auch in der Neuen Musik, es ist die sog. Mikrotonale Musik, die mit mehr als zwölf Halbtönen pro Oktave arbeitet. John Cage und Ligeti haben sich beispielsweise auf diesem Gebiet kompositorisch betätigt.

Allgemein gibt es z.B. die Viertelton-Musik, bei der jeder Halbton nochmals halbiert wird, und man also 24 Töne pro Oktave erhält. Teils wurden dazu Spezialklaviere gebaut/entwickelt, man nahm aber auch einfach mal zwei Klaviere, deren Stimmungen um 50 Cent verschoben waren, um die zusätzlichen Töne zu generieren.

Auch für eine neunzehnstufige Stimmung wurde schon komponiert. Deren Besonderheit ist bzw. war, daß große und kleine Terzen und Sexten näher an dem „idealen“ Teilungsverhältnis liegen, das heißt, eine Spur angenehmer klingen (sofern man das heraushören kann; die anderen Intervalle liegen aber weiter vom idealen Teilungsverhältnis weg).

Die sog. Ekmelische Musik verwendet eine Stufung von 72 Tönen innerhalb der Oktave; interessant dabei ist, daß auf diese Weise auch nichteuropäische Tonsysteme dargestellt bzw. miteinbezogen werden können, und außerdem entsteht auf diese Weise natürlich eine Vielzahl neuer und ungewohnter Akkorde, durch Verwendung dieser Töne.

- - -

Wichtig ist bei dieser ganzen Sache übrigens, daß wirklich in dem neuen bzw. erweiterten Tonsystem auch komponiert wird. Denn auch beim Jazz, Pop usw. werden gelegentlich Töne eingesetzt, die zwischen den Halbtonschritten liegen; jedoch spricht man dabei nicht von Mikrotonaler Musik - denn diese Töne sind eher als eine Art Effektmittel gedacht, innerhalb der ansonsten verwendeten zwölfstufigen Stimmung.

Falls solche Dinge für den einen oder anderen interessant sind.

Viele Grüße
Dreiklang
 
Ultrachromatik ist etwas, womit ich mich immer noch schwer tue. Von der Grundidee her ist das durchaus interessant, Skrjabin z.B. war überzeugt davon, dass sich das mal durchsetzen wird, allerdings brauch man einiges an Ausdauer und Überwindung, um sich in die Musik von Wyschnegradsky und Co. einzuhören, denn zunächst einmal klingt das einfach nur wie ein ziemlich übel verstimmtes Klavier...

 

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