Neue Musik

Mir wurde gerade ein schöner Text über Engagement in der Kunst geschickt, der ein ein paar Themen, die ich bloß angerissen habe, diskutiert. Es geht unter anderem um Picassos ‚Guernica‘, Brecht, und Schönbergs ‚Überlebender aus Warschau‘

"Die drohende Spitze der Antithese mahnt daran, wie fragwürdig es um Kunst heute bestellt ist. Jede der beiden Alternativen negiert mit der anderen auch sich selbst: engagierte Kunst, weil sie, als Kunst notwendig von der Realität abgesetzt, die Differenz von dieser durchstreicht; die des l'art pour l'art, weil sie durch ihre Verabsolutierung auch jene unauslöschliche Beziehung auf die Realität leugnet, die in der Verselbständigung von Kunst gegen das Reale als ihr polemisches Apriori enthalten ist. Zwischen den beiden Polen zergeht die Spannung, an der Kunst bis zum jüngsten Zeitalter ihr Leben hatte."

"Kunst heißt nicht: Alternativen pointieren, sondern, durch nichts anderes als ihre Gestalt, dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt. Sobald jedoch die engagierten Kunstwerke Entscheidungen veranstalten und zu ihrem Maß erheben, geraten diese auswechselbar."

"Den Satz, nach Auschwitz noch Lyrik zu schreiben, sei barbarisch, möchte ich nicht mildern; negativ ist darin der Impuls ausgesprochen, der die engagierte Dichtung beseelt. Die Frage einer Person aus ‚Morts sans sépulture‘: „Hat es einen Sinn zu leben, wenn es Menschen gibt, die schlagen, bis die Knochen im Leib zerbrechen?“ ist auch die, ob Kunst überhaupt noch sein dürfe; ob nicht geistige Regression im Begriff engagierter Literatur anbefohlen wird von der Regression der Gesellschaft selber. Aber wahr bleibt auch Enzensbergers Entgegnung, die Dichtung müsse eben diesem Verdikt standhalten, so also sein, daß sie nicht durch ihre bloße Existenz nach Auschwitz dem Zynismus sich überantworte. Ihre eigene Situation ist paradox, nicht erst, wie man zu ihr sich verhält. Das Übermaß an realem Leiden duldet kein Vergessen; Pascals theologisches Wort „On ne doit plus dormir“ ist zu säkularisieren. Aber jenes Leiden, nach Hegels Wort das Bewußtsein von Nöten, erheischt auch die Fortdauer von Kunst, die es verbietet; kaum wo anders findet das Leiden noch seine eigene Stimme, den Trost, der es nicht sogleich verriete. Die bedeutendsten Künstler der Epoche sind dem gefolgt. Der kompromißlose Radikalismus ihrer Werke, gerade die als formalistisch verfemten Momente, verleiht ihnen die schreckhafte Kraft, welche hilflosen Gedichten auf die Opfer abgeht. Aber selbst der ‚Überlebende von Warschau‘ bleibt in der Aporie gefangen, der er, autonome Gestaltung der zur Hölle gesteigerten Heteronomie, rückhaltlos sich ausliefert. Ein Peinliches gesellt sich der Komposition Schönbergs. Keineswegs das, woran man in Deutschland sich ärgert, weil es nicht zu verdrängen erlaubt, was man um jeden Preis verdrängen möchte. Aber indem es, trotz aller Härte und Unversöhnlichkeit, zum Bild gemacht wird, ist es doch, als ob die Scham vor den Opfern verletzt wäre. Aus diesen wird etwas bereitet, Kunstwerke, der Welt zum Fraß vorgeworfen, die sie umbrachte. Die sogenannte künstlerische Gestaltung des nackten körperlichen Schmerzes der mit Gewehrkolben Niedergeknüppelten enthält, sei's noch so entfernt, das Potential, Genuß herauszupressen."

Der ganze Text hier: Engagement 1965, Adorno
 

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